Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Hofbauer, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des Stadtschulrats für Wien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 2016, Zl. W227 2129884- 1/2E, betreffend Angelegenheit nach dem Schulunterrichtsgesetz (mitbeteiligte Partei: D G in Wien, vertreten durch Brand Rechtsanwälte GmbH in 1020 Wien, Schüttelstraße 55, Carre Rotunde), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid der amtsrevisionswerbenden Partei vom 1. Juni 2016 wurde
§ 2b. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist unter
abschließender Prüfung die Reifeprüfung ... zu verstehen.
...
Leistungsbeurteilung
§ 18. (1) ...
...
(4) Vorgetäuschte Leistungen sind nicht zu beurteilen.
...
Form und Umfang der abschließenden Prüfungen
§ 34. (1) Die abschließende Prüfung besteht aus
(3) Die Hauptprüfung besteht aus
...
2. einer Klausurprüfung, die schriftliche, grafische und/oder praktische Klausurarbeiten und allfällige mündliche Kompensationsprüfungen umfasst, ...
...
Beurteilung der Leistungen bei der Prüfung
§ 38. (1) ...
...
(3) Die Leistungen des Prüfungskandidaten bei den einzelnen Klausurarbeiten im Rahmen der Klausurprüfung sind auf Grund von begründeten Anträgen der Prüfer der Klausurarbeiten von der jeweiligen Prüfungskommission der Hauptprüfung (§ 35 Abs. 2 und 3) zu beurteilen, wobei eine positive Beurteilung einer Klausurarbeit jedenfalls als Beurteilung im Prüfungsgebiet der Klausurprüfung gilt. ...
...
(6) ... Auf Grund der gemäß Abs. 1 bis 5 festgesetzten Beurteilungen der Leistungen in den Prüfungsgebieten der Vorprüfung und der Hauptprüfung hat der Vorsitzende der Prüfungskommission der Hauptprüfung über die Gesamtbeurteilung der abschließenden Prüfung zu entscheiden. Die abschließende Prüfung ist
...
4. ‚nicht bestanden', wenn die Leistungen in einem oder mehreren Prüfungsgebieten nicht oder mit "Nicht genügend" beurteilt werden.
...
Wiederholung von Teilprüfungen bzw. von Prüfungsgebieten
§ 40. (1) Wurden Teilprüfungen bzw. Prüfungsgebiete wegen vorgetäuschter Leistungen nicht beurteilt oder mit "Nicht genügend" beurteilt, so ist der Prüfungskandidat höchstens drei Mal zur Wiederholung dieser Teilprüfungen der Vorprüfung bzw. Prüfungsgebiete der Hauptprüfung zuzulassen.
...
Verfahren
§ 70. (1) Soweit zur Durchführung von Verfahren andere Organe als die Schulbehörden des Bundes berufen sind, finden die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des AVG keine Anwendung und sind den nachstehend angeführten Angelegenheiten die Absätze 2 bis 4 anzuwenden:
...
Provisorialverfahren (Widerspruch)
§ 71. (1) Gegen Entscheidungen in den Angelegenheiten des § 70 Abs. 1 ist Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig. ...
(2) Gegen die Entscheidung,
...
f) dass eine Reifeprüfung, eine Reife- und Diplomprüfung,
eine Abschlussprüfung oder eine Externistenprüfung nicht bestanden worden ist (§§ 38, 41, 42),
...
ist ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich (in jeder technisch möglichen Form, nicht jedoch mit E-Mail) innerhalb von fünf Tagen bei der Schule, im Falle der Externistenprüfungen bei der Prüfungskommission einzubringen. Der Schulleiter (der Vorsitzende der Prüfungskommission) hat den Widerspruch unter Anschluss einer Stellungnahme der Lehrer (Prüfer), auf deren Beurteilung sich die Entscheidung gründet, sowie unter Anschluss aller sonstigen Beweismittel unverzüglich der zuständigen Schulbehörde vorzulegen.
(2a) Mit Einbringen des Widerspruchs tritt die (provisoriale) Entscheidung der Organe in den Angelegenheiten des § 70 Abs. 1 und § 71 Abs. 2 außer Kraft. In diesen Fällen hat die zuständige Schulbehörde das Verwaltungsverfahren einzuleiten und die Entscheidung mit Bescheid zu treffen.
...
(9) Gegen andere als in Abs. 1 und 2 genannte Entscheidungen von schulischen Organen ist ein Widerspruch nicht zulässig."
13 § 11 der Leistungsbeurteilungsverordnung, BGBl. Nr. 371/1974 idF BGBl. II Nr. 152/2015, lautet auszugsweise:
Grundsätze der Leistungsbeurteilung
§ 11. (1) ...
...
(4) Vorgetäuschte Leistungen sind nicht zu beurteilen. ...Unerlaubte Hilfsmittel, deren sich der Schüler bedienen könnte, sind ihm abzunehmen und nach durchgeführter Leistungsfeststellung zurückzugeben.
..."
14 Die Amtsrevision macht ua. Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Erkenntnisses geltend und führt dazu aus, dass gemäß § 71 Abs. 2 lit. f SchUG lediglich gegen die Entscheidung, dass die Reifeprüfung nicht bestanden worden sei, ein Widerspruch zulässig sei und nur insoweit eine Entscheidungspflicht der Schulbehörde bestehe. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Entscheidungspflicht im Falle der Nichtbeurteilung wegen vorgetäuschter Leistungen aus § 40 Abs. 1 SchUG ableitbar sei, sei verfehlt, weil diese Bestimmung lediglich die Höchstzahl der Wiederholungsmöglichkeiten von Teilprüfungen bzw. Prüfungsgebieten normiere, nicht aber die Frage regle, wann eine Reifeprüfung als bestanden bzw. nicht bestanden gelte.
15 Bereits dieses Vorbringen führt die Revision zum Erfolg. 16 Zunächst ist - in Übereinstimmung mit der Amtsrevision -
im gegebenen Zusammenhang hervorzuheben, dass das SchUG einen Widerspruch (lediglich) gegen die Entscheidung, dass ua. eine Reifeprüfung nicht bestanden worden ist, vorsieht (§ 71 Abs. 2 lit f SchUG). Dem Widerspruch unterliegt sohin die vom Vorsitzenden der Prüfungskommission getroffene Entscheidung über die Gesamtbeurteilung der abschließenden Prüfung im Sinne des § 38 Abs. 6 Z. 4 leg. cit. 17 Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Mitteilungen der Schulleitung vom 13. und 18. Mai 2016, wonach die schriftliche Prüfungsarbeit des Mitbeteiligten im Prüfungsgebiet "Englisch" nicht beurteilt werde, keine Entscheidung über die Reifeprüfung in diesem Sinn darstellen.
18 Gemäß § 71 Abs. 9 SchUG ist indes gegen Entscheidungen, die weder im Abs. 1 (iVm § 70 Abs. 1) noch im Abs. 2 genannt werden, ein Widerspruch nicht zulässig (vgl. die - zur vormaligen "Berufung" nach dieser Bestimmung ergangenen, auch von der Amtsrevision zitierten - hg. Erkenntnisse je vom 15. November 1993, Zl. 92/10/046 und Zl. 93/10/0163)
19 Einen Widerspruch bzw. eine formelle Entscheidung der Schulbehörde über die Mitteilung der Schulleitung, wonach eine Leistungsbeurteilung infolge vorgetäuschter Leistungen nicht erfolge bzw. "die schriftliche Englisch-Matura in einem Prüfungsgebiet erst im Herbst verrichtet werden könne", sieht das Gesetz indes nicht vor. Dieser Vorgang ist im § 71 Abs. 1 und 2 SchUG nicht genannt, ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde ist daher nach Abs. 9 dieser Gesetzesstelle nicht zulässig (vgl. neben den erwähnten Erkenntnissen vom 15. November 1993 auch das hg. Erkenntnis vom 27. November 1995, Zl. 94/10/0056).
20 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann eine Widerspruchsmöglichkeit schon deshalb nicht aus § 40 Abs. 1 SchUG abgeleitet werden, weil die dem Widerspruch unterliegenden Angelegenheiten in § 71 Abs. 1 und 2 SchUG taxativ aufgezählt sind. Die Nichtbeurteilung von Teilprüfungen oder Prüfungsgebieten wegen vorgetäuschter Leistungen findet sich in dieser Aufzählung nicht; behauptete Rechtswidrigkeiten in diesen Punkten können lediglich im Widerspruch gegen eine Entscheidung gemäß § 38 Abs. 6 Z. 4 iVm § 71 Abs. 2 lit. f SchUG geltend gemacht werden.
21 Nur in den Fällen eines zulässig erhobenen Widerspruchs hat die zuständige Schulbehörde ein Verwaltungsverfahren durchzuführen und eine Entscheidung mit Bescheid zu treffen (§ 71 Abs. 2a zweiter Satz SchUG).
22 Im Revisionsfall erweist sich der vom Mitbeteiligten erhobene Widerspruch sohin als unzulässig; ein "Ermittlungsverfahren" war entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts von der revisionswerbenden Partei nicht durchzuführen. Der Widerspruch wurde mit Spruchpunkt 2. des Bescheides der revisionswerbenden Partei zu Recht zurückgewiesen.
23 In Bezug auf Spruchpunkt 1. des Bescheides ist festzuhalten, dass der Mitbeteiligte in seinem Schriftsatz vom 24. Mai 2016 explizit die bescheidmäßige Erledigung des von ihm erhobenen Widerspruchs beantragte. Diesem Antrag kam die revisionswerbende Partei gerade durch Spruchpunkt 2. des Bescheides - der zutreffenden Zurückweisung des Widerspruchs - nach. Die mit Spruchpunkt 1. erfolgte Zurückweisung des Antrags auf bescheidmäßigen Abspruch geht sohin ins Leere bzw. stellt sich lediglich als Vergreifen im Ausdruck dar (offenkundig sollte mit der gewählten Formulierung zum Ausdruck gebracht werden, dass ein meritorischer Abspruch über den erhobenen Widerspruch nicht in Betracht komme). Der Mitbeteiligte wurde durch Spruchpunkt 1. des Bescheides sohin nicht in seinen Rechten verletzt.
24 Die Aufhebung des Bescheides der revisionswerbenden Partei erfolgte daher zu Unrecht.
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 21. Dezember 2016