Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des A M in W, vertreten durch Mag. Dr. Günter Harrich, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Margaretenstraße 91/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Mai 2014, Zl. L514 1417055- 1/19E, betreffend eine Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
I. Sachverhalt und Revisionsverfahren:
1. Der Revisionswerber ist irakischer Staatsangehöriger jezidischen Glaubens. Er lebte bis zu seiner Ausreise im Dorf B in der Provinz N (nach Angaben des Revisionswerbers etwa 40 bis 45 Minuten Fahrzeit von der Provinzhauptstadt Mosul entfernt). Am 5. August 2010 beantragte der Revisionswerber internationalen Schutz in Österreich und brachte unter anderem vor, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Jeziden im Irak verfolgt zu werden.
2. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab; dem Revisionswerber wurde jedoch subsidiärer Schutz zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
3. Die gegen den abweisenden Teil des erstinstanzlichen Bescheides erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Seine Entscheidung begründete das BVwG unter anderem wie folgt:
"Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des (Revisionswerbers), in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:
(...) Hinsichtlich der diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde und in den Stellungnahmen zu den Länderberichten, wonach die allgemeine Lage im Irak in bestimmten Regionen für Jeziden besonders prekär sei und der (Revisionswerber) aus einem dieser Distrikte stamme, ist Folgendes auszuführen:
Im Bericht des Europäischen Zentrums für kurdische Studien wird zwar grundsätzlich ausgeführt, dass aufgrund ethnischreligiöser Auseinandersetzungen schon die bloße geographische Nähe zu Mosul ausreichend sei, um die Sicherheitslage im benachbarten Subdistrikt Baschika als deutlich fragwürdiger erscheinen zu lassen, als dies in anderen von Jeziden bewohnten Distrikten der Provinz N der Fall sei. Auch im Bericht des Auswärtigen Amtes vom 17.01.2013 wird ausgeführt, dass sich konfessionell motivierte Verbrechen wie Ermordungen, Folter und Entführungen landesweit ereignen, wobei die territorial umstrittene und ölreiche Region um Mosul und Mosul-Stadt einen Brennpunkt der Auseinandersetzungen markiert. Der (Revisionswerber) stammt jedoch weder aus der Provinzhauptstadt Mosul noch aus dem genannten angrenzenden Subdistrikt, sondern aus einem nördlich von Mosul gelegenen Dorf (B), im Distrikt T, in der Provinz N (...).
Im Bericht des Europäischen Zentrums für kurdische Studien werden auch hinsichtlich der in der Beschwerde zitierten 'no-goareas' für Jeziden lediglich die Großstädte Bagdad und Mosul genannt (...). Demgegenüber stammt der (Revisionswerber) aus einem Dorf, welches ausschließlich von Jeziden bewohnt ist. Die in diesem Bericht getroffene Einschätzung zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des (Revisionswerbers) N ist zwar davon geprägt, dass insgesamt der Level an Gewalt in der Provinz N höher ist als in anderen Teilen des Iraks. Innerhalb dieser Provinz gilt jedoch gerade der Bereich, aus welchem der (Revisionswerber) stammt, als besser gestellt bzw. als sicher.
Zur konkreten Situation der Jeziden im Distrikt T, wird festgehalten, dass diese vergleichbar mit derjenigen im Scheichan sei. Demnach verfügt auch T über eine direkte Anbindung an die de jure kurdisch verwalteten Gebiete und ist auch in T die Sicherheitslage vergleichsweise gut. Wie auch im Scheichan gibt es damit keine irakischen Armeeeinheiten in diesem Distrikt; die Sicherheit wird von Peschmergatruppen aufrechterhalten, welche auch durchaus hinsichtlich Jeziden als schutzwillig und schutzfähig angesehen werden können. Deren Kontrolle beschränkt sich allerdings im Wesentlichen auf die beiden Subdistrikte Al-Khosch und Fayda; der letzte kurdische Checkpoint befindet sich an der südlichen Zufahrt zur Stadt T. Generell ist aber die Sicherheitslage aufgrund der direkten Verbindung zu den de jure kurdisch verwalteten Gebieten im Distrikt T wesentlich sicherer als in der übrigen Provinz. Übergriffe auf Jesiden im Distrikt T sind nicht bekannt.
Bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung aller vorliegenden Beweismittel (Vorbringen des (Revisionswerbers), spezifische Lageberichte, insbesondere jener des Europäischen Zentrums für kurdische Studien) kann jedoch nicht erkannt werden, dass dem (Revisionswerber) bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Ermordung oder sonstige Verfolgungshandlungen drohen würde. (...)"
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. In der Zulassungsbegründung und in der Sache wird unter anderem geltend gemacht, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit der Frage der Verfolgung der Jeziden im Irak beschäftigt und es habe insbesondere veraltete Länderberichte verwendet. Zu Unrecht habe das BVwG auch den Beweisantrag des Revisionswerbers auf Einholung eines länderkundlichen Gutachtens über die Lage der Jeziden im Irak abgewiesen.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
II. Rechtslage:
§ 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, lautet:
"Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht."
Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. Nr. 55/1955, lautet (auszugsweise):
"Artikel 1
Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'
A. Als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens ist anzusehen, wer (...)
2. (...) aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutezs dieses Landes zu bedienen; (...)"
III. Erwägungen: