JudikaturVwGH

Ra 2022/09/0076 5 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz

Rechtssatz
28. November 2022

Bei dem Vorwurf einer punktuellen Verzögerung geht es im Wesentlichen um die Prüfung und Beurteilung, ob die Gesamtauslastung des Richters unter Berücksichtigung seiner strukturellen Unabhängigkeit beim Ablauf und Ansetzen seiner (richterlichen) Amtsgeschäfte und der angesichts einer Vielzahl anderer Verfahren notwendigen Prioritätenreihung derart hoch war, dass der Verpflichtung einer Erledigung des inkriminierten Verfahrens in angemessener Zeit nicht entsprochen werden konnte; dabei ist ein strenger, objektiver Maßstab anzulegen, der sich einerseits an sachverhaltsmäßigen und rechtlichen Schwierigkeiten der Akten zu orientieren hat. Ausschlaggebend für die Abwägung der Dringlichkeit einer Erledigung muss neben der Einschätzung des Richters an Hand des Einzelfalles aber grundsätzlich immer auch die Wertung sein, die sich aus dem Gesetz selbst ergibt. Wird für bestimmte Angelegenheiten (abweichend von der generellen Entscheidungsfrist von sechs Monaten gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG 2014) eine kürzere - etwa drei Monate oder sechs Wochen nach § 135c Z 1 und Z 2 BDG 1979 - im Gesetz vorgesehen, gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass diese Rechtssachen im Regelfall eine höhere Dringlichkeit aufweisen als andere. Das heißt mit anderen Worten, es ging darum, ob in der Situation des Richters die Erledigung des inkriminierten Aktes bei objektiver Betrachtungsweise hinsichtlich der notwendigen Prioritätenreihung zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre (oder ob dem triftige Gründe entgegenstanden) und ihm eine allenfalls zutage gekommene Fehleinschätzung bei dieser Reihung vorgeworfen werden kann. Das Maß seiner sonstigen Diensterfüllung könnte dabei zunächst nur insoweit zum Tragen kommen, ob er durch unterdurchschnittliche Leistungen eine Überlastung seiner Gerichtsabteilung selbst zu verantworten hätte, welche auch auf die Erledigungsdauer des inkriminierten Verfahrens durchschlägt. Andernfalls kann die Frage des Vorliegens einer Überlastung als möglicher Entschuldigungsgrund (nur) von Relevanz sein, wenn der betroffene Richter zum einen so überlastet war, dass er diese Fehleinschätzung nicht erkennen konnte oder er zum anderen in Kenntnis der Situation und nach Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten im Rahmen seines eigenverantwortlichen Ressourceneinsatzes (wozu u.a. - neben einem eigenständigen Fristenmanagements - auch die Einschränkung bis letztlich Zurücklegung seiner Nebenbeschäftigung als Vortragender bzw. seiner Justizverwaltungsfunktion zählt) sowie nach Anzeige dieser Situation gegenüber der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung von dieser nicht oder nicht ausreichend durch Setzung adäquater Maßnahmen unterstützt wurde. Ansonsten hat er die im Raum stehende Säumnis jedenfalls zu verantworten und setzt er sich durch sein Verhalten der Gefahr einer disziplinarrechtlich relevanten Vorwerfbarkeit aus. Nach Bejahung der Schuldfrage kann die Frage (s)einer allfälligen Überlastung mit anderen Angelegenheiten in der Rechtsprechung oder Justizverwaltung und ob allenfalls flankierende Unterstützungsmaßnahmen auch losgelöst vom Verhalten des Richters seitens der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung (im Sinne der komplexen Mitverantwortlichkeiten für die rückstandsfreie Führung einer Gerichtsabteilung bzw. des ganzen Gerichtsbetriebs, vgl. VwGH 2.11.2020, Ro 2020/09/0014) notwendig gewesen wären, nur mehr im Rahmen der Strafbemessung als Milderungsgrund Berücksichtigung finden.

Rückverweise