JudikaturVwGH

Ra 2020/22/0009 2 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz

Rechtssatz
14. Oktober 2020

Gemäß Art. 6 Abs. 1 der RL 2003/109/EG sind im Fall einer Versagung der langfristigen Aufenthaltsberechtigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung die Dauer des Aufenthaltes und das Bestehen von Bindungen des Drittstaatsangehörigen im Aufenthaltsstaat zu berücksichtigen. Vor dem Verlust der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten hat gemäß Art. 9 Abs. 3 der RL eine Prüfung gemäß Art. 12 Abs. 3 der RL zu erfolgen; bei dieser haben die Dauer des Aufenthaltes, das Alter und die Folgen für die Person bzw. ihre Familienangehörigen sowie die Bindungen zum Herkunftsstaat Berücksichtigung zu finden. Dafür, dass im Rahmen des Verlustes der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nochmals die persönlichen Interessen iSd. Art. 6 Abs. 1 zweiter Satz der RL zu berücksichtigen seien, finden sich in der Richtlinie keine Hinweise. Art. 9 Abs. 3 der RL stellt darauf ab, dass der Drittstaatsangehörige "in Anbetracht der Schwere der von ihm begangenen Straftat eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung" darstellt, jedoch - aufgrund des Ergebnisses einer Prüfung gemäß Art. 12 der RL - nicht ausgewiesen werden kann. Der Drittstaatsangehörige verliert durch die Rückstufung seine EU-Mobilität und hat somit nicht mehr die Möglichkeit, unter erleichterten Bedingungen in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erteilt zu bekommen; da ihm von Amts wegen eine "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" auszustellen ist, kommt ihm jedoch weiterhin ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu. Im Unterschied dazu setzt Art. 6 Abs. 1 der RL weder das Vorliegen einer Straftat voraus, noch stellt diese Bestimmung auf eine "Bedrohung" ab; die erstmalige Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten kann bereits aus weniger schwerwiegenden Gründen - nämlich aufgrund von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit oder einer von der betreffenden Person ausgehenden Gefahr - versagt werden. Angesichts der unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale beider Bestimmungen gelingt es dem Fremden nicht, aufzuzeigen, dass im Fall des Entzuges der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in analoger Anwendung des Art. 6 Abs. 1 der RL neuerlich - nämlich nach einer solchen gemäß Art. 12 der RL - eine Interessenabwägung durchzuführen wäre. Auch in den Erwägungsgründen der Richtlinie finden sich diesbezüglich keine Hinweise. Art. 9 der RL 2003/109/EG wurde mit § 28 Abs. 1 NAG 2005 umgesetzt (vgl. RV 952 BlgNR 22. GP, 131). Auch eine Rückstufung gemäß § 28 NAG 2005 erfolgt nur dann, wenn zuvor festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zwar vorliegen, die Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden kann, weil die persönlichen Interessen des Drittstaatsangehörigen die öffentlichen Interessen überwiegen. Auch aus der nationalen Rechtslage ergeben sich keine Hinweise dafür, dass zusätzlich zur Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG eine Abwägung der öffentlichen Interessen an einer Umwandlung des unbefristeten in ein befristetes Aufenthaltsrecht mit den privaten Interessen an einer Aufrechterhaltung des unbefristeten Aufenthaltsrechtes zu erfolgen habe.

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