JudikaturVfGH

G101/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. September 2025
Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ZustellG betreffend die Zustellung eines zur Abholung bereitgehaltenen Dokuments wegen zu engen Anfechtungsumfangs

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd BVG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Partei, der Verfassungsgerichtshof möge §35 Abs5 ZustG, BGBl 200/1982, idF BGBl I 104/2018 als verfassungswidrig aufheben und aussprechen, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Zustellgesetzes – ZustG, BGBl 200/1982, idF BGBl I 205/2022 lauten (die angefochtene Bestimmung, die idF BGBl I 104/2018 in Geltung steht, ist hervorgehoben):

"3. Abschnitt Elektronische Zustellung

Anwendungsbereich

§28. (1) Soweit die für das Verfahren geltenden Vorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine elektronische Zustellung nach den Bestimmungen dieses Abschnitts vorzunehmen.

(2) Die elektronische Zustellung der ordentlichen Gerichte richtet sich nach den §§89a ff des Gerichtsorganisationsgesetzes – GOG, RGBl. Nr 217/1896. Im Anwendungsbereich der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl Nr 194/1961, und des Zollrechts (§1 Abs2 und im erweiterten Sinn gemäß §2 Abs1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes – ZollR-DG, BGBl Nr 659/1994) richtet sich die elektronische Zustellung nach der BAO und den einschlägigen zollrechtlichen Vorschriften. Die elektronische Zustellung der Dienstbehörden und Personalstellen des Bundes erfolgt mit den Maßgaben des 2a. Abschnittes des Schlussteils des BeamtenDienstrechtsgesetzes 1979 – BDG 1979, BGBl Nr 333/1979.

(3) Die elektronische Zustellung hat über eine elektronische Zustelladresse gemäß §37 Abs1 iVm. §2 Z5, durch unmittelbare elektronische Ausfolgung gemäß §37a oder durch eines der folgenden Zustellsysteme zu erfolgen:

1. zugelassener Zustelldienst gemäß §30,

2. Kommunikationssystem der Behörde gemäß §37,

3. elektronischer Rechtsverkehr gemäß den §§89a ff GOG.

Die Auswahl des Zustellsystems obliegt dem Absender.

(4) Elektronische Zustellungen mit Zustellnachweis sind ausschließlich durch Zustellsysteme gemäß Abs3 Z1 und 3 sowie im Fall des §37a zweiter Satz zulässig.

[…]

Zustellung mit Zustellnachweis durch einen Zustelldienst

§35. (1) Der im Auftrag der Behörde tätige Zustelldienst hat im Fall einer Zustellung mit Zustellnachweis bzw nachweislichen Zusendung bei Vorliegen der Voraussetzungen des §34 Abs1 erster Satz die Daten gemäß §29 Abs1 Z6 an das Anzeigemodul zu übermitteln. Das Anzeigemodul hat den Empfänger unverzüglich davon zu verständigen, dass ein Dokument für ihn zur Abholung bereitliegt. Diese elektronische Verständigung ist an die dem Teilnehmerverzeichnis gemäß §28b Abs1 Z4 bekanntgegebene elektronische Adresse des Empfängers zu versenden. Hat der Empfänger mehrere solcher Adressen bekanntgegeben, so ist die elektronische Verständigung an alle Adressen zu versenden; für die Berechnung der Frist gemäß Abs2 erster Satz ist der Zeitpunkt der frühesten Versendung maßgeblich. Die elektronische Verständigung hat jedenfalls folgende Angaben zu enthalten:

1. Absender,

2. Datum der Versendung,

3. Internetadresse, unter der das zuzustellende Dokument zur Abholung bereitliegt,

4. Ende der Abholfrist,

5. Hinweis auf das Erfordernis einer Bürgerkarte (§2 Z10 E-GovG) bei der Abholung von Dokumenten, die mit Zustellnachweis zugestellt oder als nachweisliche Zusendung übermittelt werden sollen und

6. Hinweis auf den Zeitpunkt, mit dem die Zustellung wirksam wird.

Soweit dies erforderlich ist, hat der Bundesminister für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort durch Verordnung nähere Bestimmungen über die elektronischen Verständigungsformulare zu erlassen.

(2) Wird das Dokument nicht innerhalb von 48 Stunden abgeholt, so hat eine zweite elektronische Verständigung zu erfolgen; Abs1 vierter Satz ist sinngemäß anzuwenden.

(3) Die Abholung des bereitgehaltenen Dokuments kann ausschließlich über das Anzeigemodul erfolgen. Der Zustelldienst hat sicherzustellen, dass zur Abholung bereitgehaltene Dokumente nur von Personen abgeholt werden können, die zur Abholung berechtigt sind und im Falle einer Zustellung mit Zustellnachweis oder einer nachweislichen Zusendung ihre Identität und die Authentizität der Kommunikation mit der Bürgerkarte (§2 Z10 E-GovG) nachgewiesen haben. Zur Abholung berechtigt sind der Empfänger und, soweit dies von der Behörde nicht ausgeschlossen worden ist, eine zur Empfangnahme bevollmächtigte Person. Identifikation und Authentifizierung können auch durch eine an die Verwendung sicherer Technik gebundene Schnittstelle erfolgen. Der Zustelldienst hat alle Daten über die Verständigungen gemäß Abs1 und 2 und die Abholung des Dokuments zu protokollieren und dem Absender unverzüglich zu übermitteln; die Gesamtheit dieser Daten bildet den Zustellnachweis.

(4) Der Zustelldienst hat das Dokument zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten und nach Ablauf weiterer acht Wochen zu löschen.

(5) Ein zur Abholung bereitgehaltenes Dokument gilt jedenfalls mit seiner Abholung als zugestellt.

(6) Die Zustellung gilt als am ersten Werktag nach der Versendung der ersten elek-tronischen Verständigung bewirkt, wobei Samstage nicht als Werktage gelten. Sie gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass die elektronischen Verständigungen nicht beim Empfänger eingelangt waren, doch wird sie mit dem dem Einlangen einer elektronischen Verständigung folgenden Tag innerhalb der Abholfrist (Abs1 Z3) wirksam.

(7) Die Zustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger

1. von den elektronischen Verständigungen keine Kenntnis hatte oder

2. von diesen zwar Kenntnis hatte, aber während der Abholfrist von allen Abgabestellen (§2 Z4) nicht bloß vorübergehend abwesend war, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an eine der Abgabestellen folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das Dokument abgeholt werden könnte

(8) Wurde dieselbe elektronische Verständigung an mehrere elektronische Adressen versendet, so ist der Zeitpunkt der frühesten Versendung maßgeblich."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des GOG, RGBl. 217/1896, idF BGBl I 26/2012, lauten:

"Elektronische Eingaben und Erledigungen (elektronischer Rechtsverkehr)

§89a. (1) Eingaben können, soweit dies durch eine Regelung nach §89b vorgesehen ist, statt mittels eines Schriftstücks elektronisch angebracht werden.

(2) Anstelle schriftlicher Ausfertigungen gerichtlicher Erledigungen sowie anstelle von Gleichschriften von Eingaben, die elektronisch angebracht worden sind, kann das Gericht die darin enthaltenen Daten an Einschreiter, die Eingaben elektronisch anbringen (Abs1), auch elektronisch übermitteln. Die Übermittlung von Rubriken an den Einbringer kann bei elektronischen Anbringen unterbleiben.

(3) Ist die Zustellung im elektronischen Rechtsverkehr nach den folgenden Bestimmungen nicht möglich, kann sie auch über elektronische Zustelldienste nach den Bestimmungen des 3. Abschnitts des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, in der jeweils geltenden Fassung erfolgen.

[…]

§89d. (1) Elektronische Eingaben (§89a Abs1) gelten als bei Gericht angebracht, wenn ihre Daten zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Ist vorgesehen, daß die Eingaben über eine Übermittlungsstelle zu leiten sind (§89b Abs2), und sind sie auf diesem Weg bei der Bundesrechenzentrum GmbH tatsächlich zur Gänze eingelangt, so gelten sie als bei Gericht mit demjenigen Zeitpunkt angebracht, an dem die Übermittlungsstelle dem Einbringer rückgemeldet hatte, daß sie die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen hat.

(2) Als Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen und Eingaben (§89a Abs2) gilt jeweils der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten."

III. Anlassverfahren und Antragsvorbringen

1. Mit Beschluss vom 26. Juni 2025, 51 Cg 53/25p-6, wies das Handelsgericht Wien einen Einspruch der antragstellenden Partei vom 24. Juni 2025 gegen einen Zahlungsbefehl wegen Verspätung zurück. Der Zahlungsbefehl sei der antragstellenden Partei am 26. Mai 2025 gemäß §35 ZustG elektronisch zugestellt worden. Der Abholzeitpunkt sei nach §35 Abs5 ZustG der Zustellzeitpunkt. Die vierwöchige Frist für die Erhebung des Einspruches sei somit am 23. Juni 2025 abgelaufen.

2. Gegen diesen Beschluss erhob die antragstellende Partei Rekurs und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag.

Darin bringt die antragstellende Partei im Wesentlichen vor, §35 Abs5 ZustG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil der Zustellzeitpunkt von Schriftstücken, die noch am Tag der Verständigung über die Bereithaltung abgerufen würden, bei der elektronischen Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §35 ZustG im Vergleich zur Zustellung im Wege des ERV gemäß §89a ff. GOG um mindestens einen Tag vorverlagert sei. Infolge sei die Rechtsmittelfrist bei diesen Zustellungen um mindestens einen Tag verkürzt. Es bestünden im Hinblick auf die Bemühungen des Gesetzgebers, die Gerichts- und Behördenkommunikation via ERV und E-Zustellung zu harmonisieren, außerdem Zweifel daran, dass der Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung tatsächlich gewollt habe. Für die Verkürzung der Rechtsmittelfrist für Schriftstücke, die gemäß §35 ZustG zugestellt worden seien, gebe es keine sachliche Rechtfertigung. Die Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes zur Verfassungskonformität von §89d GOG in seinem Erkenntnis VfSlg 20.033/2015 ließen sich auf die elektronische Zustellung gemäß §35 ZustG übertragen, zumal das Bedürfnis nach einem planbaren und geordneten Ablauf bzw Kanzlei-, Büro-oder Geschäftsbetrieb auch für Unternehmen wie die antragstellende Partei, welche die E-Zustellung nutzten, bestehe. Die E-Zustellung und der ERV hätten gemeinsam, dass die gerichtliche Erledigung zu jeder Tages- und Nachtzeit einlangen könne. Der Beschluss des Handelsgerichtes Wien sei etwa um 19:18 Uhr von der antragstellenden Partei aufgerufen worden. §35 Abs5 ZustG verstoße gegen das gemäß Art6 EMRK gewährleistete Prinzip der Waffengleichheit, weil der Klägerin im Ausgangsverfahren als Rechtsanwältin und in Folge ERV Teilnehmerin im Vergleich zur antragstellenden Partei eine längere Rechtsmittelfrist gewährt werde.

IV. Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd BVG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.1. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass des Rekurses gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 26. Juni 2025 gestellt. Mit diesem Beschluss wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B VG).

1.2. Als Rekurswerberin ist die antragstellende Partei auch Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG berechtigt ist.

1.3. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat die antragstellende Partei jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).

Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Handelsgerichtes Wien davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

2. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd BVG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).

Das Handelsgericht Wien hat jene Gesetzesbestimmung, deren Verfassungswidrigkeit die antragstellende Partei behauptet, angewendet. Das Gericht wies den Einspruch der antragstellenden Partei mit der Begründung als verspätet ab, dass der Zahlungsbefehl durch die Abholung am 26. Mai 2024 gemäß §35 Abs5 ZustG mit diesem Tag als zugestellt gelte. Die angefochtene Bestimmung ist somit als präjudiziell anzusehen.

3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit der Antragsteller solche Normen anficht, die präjudiziell sind und mit präjudiziellen Bestimmungen in untrennbarem Zusammenhang stehen; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).

Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des Antragstellers den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.

3.1. Die antragstellende Partei erblickt einen Verstoß gegen Art7 BVG und Art6 EMRK darin, dass die ERV-Zustellung gemäß §89a GOG gegenüber der elektronischen Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §35 ZustG in unsachlicher Weise begünstigt werde. Während Schriftstücke, die im Wege des ERV zugestellt würden, gemäß §89d Abs2 GOG immer erst am auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgenden Werktag als zugestellt gälten, gälten Schriftstücke bei der elektronischen Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §35 Abs5 ZustG bereits mit der Abholung des bereitgehaltenen Dokumentes als zugestellt, wenn das Schriftstück vor dem ersten Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung abgeholt werde. Das habe zur Folge, dass die Rechtsmittelfrist bei der elektronischen Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §35 Abs5 ZustG um (mindestens) einen Tag verkürzt werde.

Der antragstellenden Partei geht es also darum, die nach ihrer Ansicht durch die Bestimmungen des §35 Abs5 ZustG und des §89d Abs2 GOG bewirkte Ungleichbehandlung von Empfängern gerichtlicher Schriftstücke, deren Zustellung fristauslösenden wirkt, zu beseitigen.

3.2. Vor dem Hintergrund ihrer Bedenken hätte die antragstellende Partei die Aufhebung beider (als Teil eines gesamten Systems anzusehenden) Regelungskomplexe kumulativ – also §35 Abs5 ZustG gemeinsam mit §89d Abs2 GOG – begehren müssen, um den Verfassungsgerichtshof im Falle des Zutreffens der Bedenken in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann (vgl VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Damit erweist sich der Antrag als zu eng gefasst.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 20.102/2016, 20.122/2016).