Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz einer in Griechenland als Schutzberechtigte anerkannten Familie von afghanischen Staatsangehörigen; keine Auseinandersetzung mit der ärztlichen Stellungnahme und dem Zugang des Minderjährigen zu medizinischer Versorgung in Griechenland
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar mit einem minderjährigen Sohn im Alter von fünf Jahren, sind afghanische Staatsangehörige und stellten am 28. November 2023 in Griechenland Anträge auf internationalen Schutz, woraufhin ihnen am 10. Jänner 2024 der Status von Asylberechtigten zuerkannt und eine Aufenthaltserlaubnis bis 9. Jänner 2027 erteilt wurde. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellten sie am 20. Februar 2024 auch in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 24. September 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer gemäß §4a AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass sie sich nach Griechenland zurückzubegeben hätten; zugleich wurden keine Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 erteilt, die Außerlandesbringung der Beschwerdeführer gemäß §61 Abs1 Z1 FPG angeordnet und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Griechenland gemäß §61 Abs2 FPG zulässig sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführer in Griechenland international schutzberechtigt und aufenthaltsberechtigt seien. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl könne nicht feststellen, dass sie im Falle der Außerlandesbringung nach Griechenland systematischen Missständen bzw Verfolgung ausgesetzt wären. Der Außerlandesbringung stehe auch das durch Art8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer wie auch ihr Gesundheitszustand nicht entgegen. Zwar habe der minderjährige Sohn seit Geburt nur eine Niere. Es gebe aber nach Auskunft eines ärztlichen Sachverständigen keine Hinweise darauf, dass deshalb ein dringender medizinischer Behandlungsbedarf vorliege.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. November 2024 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass es den Beschwerdeführern nach einer Rückkehr nach Griechenland möglich wäre, eine Unterkunft und Verdienstmöglichkeiten zu finden, sodass nicht davon auszugehen sei, dass sie in eine materielle Notlage geraten würden. Auch in der Vergangenheit sei den Beschwerdeführern ihren eigenen Angaben zufolge eine Unterkunft und medizinische Versorgung (zur Behandlung eines Hautausschlages) in Griechenland zur Verfügung gestellt worden.
Auch der Umstand, dass der Sohn nur eine Niere habe, stehe der Außerlandesbringung nicht entgegen, weil sich daraus keine Krankheitssymptome ergeben würden. Eine medizinische Behandlung des Sohnes aus diesem Grund sei während des Aufenthaltes in Österreich nicht erforderlich gewesen. Sollte eine solche in Zukunft erforderlich werden, könne diese in Griechenland durchgeführt werden.
Angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer in Österreich von neun Monaten und des Umstandes, dass die Beschwerdeführer keine außerordentliche Integration in Österreich aufweisen würden, stehe der Außerlandes-bringung das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK nicht entgegen. Zwar lebe ein Bruder des Erstbeschwerdeführers seit dem Jahr 2017 in Österreich. Zu diesem bestehe aber kein Abhängigkeitsverhältnis.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Das Bundesverwaltungsgericht habe nicht die erforderlichen Ermittlungsschritte gesetzt, um die Gewährleistung der grundlegenden Existenzsicherung in Griechenland, vor allem in Bezug auf die Möglichkeiten der Inanspruchnahme geeigneter Unterkünfte sowie medizinischer Versorgung, beurteilen zu können.
Das angefochtene Erkenntnis setze sich nur pauschal mit der Versorgungslage in Griechenland auseinander, lasse aber eine individuelle Prüfung der besonders vulnerablen Lage der Beschwerdeführer vermissen, obwohl diese in der Vergangenheit mit prekären Lebensbedingungen während ihrer Unterbringung auf der Insel Lesbos konfrontiert gewesen seien.
Die fehlende individuelle Auseinandersetzung wiege insbesondere im Falle des minderjährigen Sohnes schwer. Auf Grund seiner fehlenden Niere sei er einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Bereits in der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass die erforderlichen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Griechenland nicht gewährleistet seien. Er sei auf eine strenge Überwachung seiner Gesundheit und allenfalls ungehinderten Zugang zu medizinischer Versorgung durch facheinschlägiges medizinisches Personal angewiesen, weil Komplikationen rasch zu ernsthaften Gesundheitsgefährdungen führen könnten. Das Bundesverwaltungsgericht lasse jedoch die angesichts der besonderen Vulnerabilität des Sohnes erforderliche Einzelfallprüfung hinsichtlich der tatsächlich verfügbaren medizinischen Versorgung in Griechenland vermissen.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten und das Bundesverwaltungsgericht die Gerichtsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde jeweils Abstand genommen.
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich – anders als in VfGH 27.2.2025, E3882/2024 – insofern um besonders schutzbedürftige Personen, als zur Familie auch ein minderjähriges Kind im Alter von fünf Jahren gehört, das mit nur einer Niere geboren wurde. Insofern ist das Bundesverwaltungsgericht gehalten, bei seiner Prüfung, ob den Beschwerdeführern im Falle ihrer Überstellung nach Griechenland keine reale Gefahr einer Verletzung in ihren Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK droht, einen besonderen Sorgfaltsmaßstab anzuwenden (vgl nur VfSlg 18.860/2009, 20.371/2020; VfGH 29.6.2022, E4239/2021 ua; 27.4.2023, E93/2023 ua).
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in Bezug auf den minderjährigen Beschwerdeführer fest, dass er von Geburt an nur eine Niere hat, aber "aktuell keine Krankheitssymptome auf[weise] und […] auch bisher ein Spitalsaufenthalt oder eine Behandlung in Österreich deswegen nicht erforderlich" gewesen sei. Diese Feststellungen zum Gesundheitszustand des minderjährigen Beschwerdeführers ergeben sich nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes in der Beweiswürdigung des angefochtenen Erkenntnisses "aus der Aktenlage, [den] eigenen Angaben [der Beschwerdeführer] und den vorgelegten ärztlichen Unterlagen".
Daraus zieht das Bundesverwaltungsgericht rechtlich den Schluss, dass ein reales Risiko einer Verletzung von Art3 EMRK für den minderjährigen Beschwerdeführer nicht vorliege, weil "ein Mensch in der Regel ohne Probleme mit nur einer Niere leben kann. Der BF3 ist aufgrund der Tatsache, dass er nur über eine Niere verfügt, aktuell keineswegs in einem krankheitswertigen Zustand und ist ihm auch das Leben in Griechenland durchaus zumutbar. Insbesondere, da es dort ausreichend ärztliche Versorgung gibt, sollte es tatsächlich einmal zu Problemen kommen."
Die ärztliche gutachterliche Stellungnahme, die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeholt hat und auf die sich das Bundesverwaltungsgericht bezieht, beantwortet die hier maßgeblichen Fragen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl dahingehend, dass zum Zeitpunkt der Befunderstellung kein akuter Behandlungsbedarf beim minderjährigen Beschwerdeführer vorliege, weshalb sich zu diesem Zeitpunkt aus den Befunden keine weitere Untersuchungsnotwendigkeit ergeben hätte. "Bei Auftreten von akuten Krankheitszeichen ist eine medizinische Abklärung angezeigt, besonders bei Harnwegsinfektionen, um die einzelne Niere möglichst lange funktionsfähig zu halten. […] Gelegentliche Kontrollen der Nierenparameter sind angezeigt, um die Funktionstüchtigkeit der Niere zu prüfen. […] Bedenken gegen die Überstellung [nach Griechenland] aus medizinischer Sicht bestehen dann keine, wenn das Kind am Zielort niederschwelligen Zugang (hinsichtlich finanzieller/versicherungsrechtlicher Art und örtlicher Erreichbarkeit) zum medizinischen System erhält. Der Aufenthalt in kalter Umgebung (Unterbringung!) mit der Gefahr eines Harnwegsinfektes/Nierenbeckenentzündung etc. geht mit einer Gesundheitsgefährdung einher, die vermieden werden muss."
3.3. Angesichts der spezifischen Umstände im Hinblick auf die Versorgungslage für Schutzberechtigte in Griechenland (vgl zunächst VfSlg 20.478/2021 und sodann zur nunmehr verbesserten Situation in Bezug auf einen jungen, gesunden Mann VfGH 27.2.2025, E3882/2024) ist für den Verfassungsgerichtshof im konkreten Fall nicht nachvollziehbar, wie angesichts dieser ärztlichen Stellungnahme das Bundesverwaltungsgericht zu seiner (pauschalen) Aussage gelangen kann, dass dem minderjährigen, gesundheitlich beeinträchtigten Beschwerdeführer (mit seiner Familie) als Asylberechtigtem "das Leben in Griechenland durchaus zumutbar [sei]. Insbesondere, da es dort ausreichend ärztliche Versorgung gibt, sollte es tatsächlich einmal zu Problemen kommen".
Weder hat sich das Bundesverwaltungsgericht – angesichts des einschlägigen Vorbringens der Beschwerdeführer – näher mit der ärztlichen Stellungnahme auseinandergesetzt oder diese mit den Beschwerdeführern (etwa in einer mündlichen Verhandlung) erörtert, noch hat das Bundesverwaltungsgericht konkret dargelegt, aus welchen Länderinformationen es einen den Anforderungen in der ärztlichen Stellungnahme entsprechenden Zugang des minderjährigen Beschwerdeführers zu medizinischer Versorgung für gegeben erachtet (vgl VfSlg 20.371/2020).
4. Da das Bundesverwaltungsgericht somit in einem entscheidungswesentlichen Punkt die angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführer gebotene Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet (VfGH 29.6.2022, E4239/2021 ua; 27.4.2023, E93/2023 ua, jeweils mwN).
IV. Ergebnis
4. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist die Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.