Leitsatz
Auswertung in Arbeit
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 26. November 2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 6. Juli 2020 wurde er zu seinem Antrag niederschriftlich einvernommen. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. Juli 2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
2. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 25. September 2020 und am 31. Juli 2023 mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 31. Juli 2023 als unbegründet abgewiesen.
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung (ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung) im Wesentlichen wie folgt:
Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Er habe angegeben, dass er wegen der politischen Tätigkeit seines Großvaters asylrelevanter Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sei. Dieses Vorbringen sei jedoch nicht glaubhaft. Nach Ansicht des Gerichtes versuche der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen vielmehr zu steigern, indem er zusätzlich vorgebracht habe, auf Grund politischer Tätigkeit seines Vaters verfolgt zu werden. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass dieser als Musiker und wegen seines Kleidungsstils durch die Taliban verfolgt werde, sei nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer pflege keinen derart verwestlichen und irreversiblen Lebensstil, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung drohe.
2.2. Mit Schreiben vom 14. August 2023 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses. Bis dato ist keine schriftliche Ausfertigung ergangen.
3. In der vorliegenden, auf Art144 B VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Verwaltungs- und den Gerichtsakt vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Judikatur wiederholt ausgesprochen, dass Entscheidungen der Verwaltungsgerichte unabhängig von der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung mit ihrer mündlichen Verkündung rechtlich existent werden, wenn sowohl der Inhalt einer Entscheidung als auch die Tatsache ihrer Verkündung in der Niederschrift festgehalten werden. Die Entscheidung kann auch bereits nach der mündlichen Verkündung mit Beschwerde gemäß Art144 BVG angefochten werden, sofern mindestens ein hiezu Berechtigter einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG gestellt hat (§82 Abs3b letzter Satz VfGG). Dafür ist der Rechtsschutzsuchende in der Regel jedoch auf die nähere Begründung der Entscheidung in einer schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG angewiesen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. März 2021, VfSlg 20.451/2021, dargetan hat, folgt aus der rechtsstaatlich gebotenen Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen im Zusammenhang mit der Regelungssystematik des §29 VwGVG auch die Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung. Andernfalls könnte dem Rechtsschutzsuchenden effektiver Rechtsschutz verwehrt sein, was rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung gerichtlicher Entscheidungen widerspricht.
3.2. Im vorliegenden Fall ist bis dato keine schriftliche Ausfertigung des am 31. Juli 2023 mündlich verkündeten Erkenntnisses erfolgt. Im Hinblick auf diese lange Zeitspanne wurde dem Beschwerdeführer dadurch ein effektiver Rechtsschutz verwehrt (vgl VfSlg 20.451/2020, 20.505/2021; VfGH 1.3.2022, E4203/2021; VfGH 18.3.2022, E1595/2021; 29.6.2022, E2031/2021).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.