E2031/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Georgiens und stellte am 12. November 2001 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, den er am 9. Juli 2002 zurückzog. Die negative Entscheidung über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz erwuchs am 2. August 2006 in Rechtskraft.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31. März 2020 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Georgien zulässig ist und ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt sowie eine vierzehntägige Frist zur freiwilligen Ausreise nach Rechtskraft der Entscheidung gesetzt.
3. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 6. April 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am selben Tag als unbegründet ab.
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung (ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung) im Wesentlichen wie folgt: Die Rückkehrentscheidung sei im Lichte des Art8 EMRK rechtmäßig ergangen. Der Beschwerdeführer verfüge zwar über ein Privat- und Familienleben in Österreich. Dieses werde allerdings dadurch gemindert, dass sich der Beschwerdeführer lediglich von 14. Jänner 2002 bis 2. August 2006 legal in Österreich aufgehalten und sich seither seiner Ausreiseverpflichtung widersetzt habe. Die seit Mai 2019 bestehende Lebensgemeinschaft werde dadurch relativiert, dass er sie im Bewusstsein seines illegalen Aufenthaltes eingegangen sei; die Kinder der Lebensgefährtin hätten außerdem einen leiblichen Vater, der mit ihnen auch in Kontakt stünde. Zudem habe er die Asylbehörde jahrelang über seine Identität getäuscht und weise zahlreiche strafrechtliche Verurteilungen wegen Eigentumsdelikten – begründet durch seine Suchtmittelabhängigkeit – vor. Er verfüge über Anknüpfungspunkte zu Georgien (Schwester) und beherrsche die Landessprache. Da er auch in Österreich überwiegend zu georgisch-stämmigen Personen Kontakt habe, sei er mit den Sitten und Bräuchen vertraut.
Hinsichtlich des Einreiseverbots erfülle der Beschwerdeführer die Voraussetzungen von §53 Abs1 iVm Abs2 Z6 FPG, da er mittellos sei. Darüber hinaus habe er in der Vergangenheit bereits mehrfach gezeigt, dass er sich die Mittel zum Unterhalt durch strafrechtliche Handlungen besorge. Auf Grund seines illegalen Aufenthaltes habe der Beschwerdeführer auch keine Möglichkeit, einer legalen Beschäftigung im Bundesgebiet nachzugehen, weshalb die Gefahr erneuter Eigentumsdelikte bestehe. Schließlich habe er die Behörde auch jahrelang über seine Identität getäuscht. Ein zweijähriges Einreiseverbot sei daher angemessen.
3.2. Mit Schreiben vom 6. April 2021 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
4. In der vorliegenden, auf Art144 B VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, dass sich die Verwaltungsakten auf Grund der Erhebung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof befinden und von der Erstattung einer Gegenschrift mit Verweis auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungs-verfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 7. Oktober 2021, E837/2021, im Hinblick auf die Beurteilung der Zeitspanne zwischen der das verwaltungsgerichtliche Verfahren abschließenden mündlichen Verkündung der Entscheidung und der Erlassung der schriftlichen Ausfertigung derselben ausgesprochen, dass etwa eine Ausfertigung acht Monate nach mündlicher Verkündung den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht entspricht (vgl auch VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua).
2.2. Im vorliegenden Fall ist bis dato keine schriftliche Ausfertigung der am 6. April 2021 mündlich verkündeten Entscheidung erfolgt. Im Hinblick auf diese lange Zeitspanne wurde dem Beschwerdeführer dadurch ein effektiver Rechtsschutz verwehrt (vgl VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua; 23.6.2021, E720/2021; 7.10.2021, E837/2021; 18.3.2022, E1595/2021).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.