JudikaturVfGH

V82/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
25. Februar 2025
Leitsatz

Aufhebung eines Flächenwidmungsplans der Marktgemeinde Thalheim bei Wels mangels Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Interessen des (vormaligen) Grundeigentümers hinsichtlich der Einschränkung der Bebaubarkeit eines Grundstücks; amtswegige Verpflichtung der verordnungserlassenen Behörde zur Abwägung der privaten – wenn auch vom Rechtsvorgänger nicht geltend gemachten – Interessen mit den öffentlichen

Spruch

I. Der Flächenwidmungsteil Nr 5, Änderung Nr 5.03, beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels am 27. Juni 2013, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 10. Juli 2013 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 25. Juli 2013 bis zum 9. August 2013, wird, soweit er sich auf das Grundstück Nr 96/5, KG Ottsdorf, bezieht, aufgehoben.

II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Oberösterreich verpflichtet.

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E2412/2024 eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr 96/5, KG Ottsdorf, in der Marktgemeinde Thalheim bei Wels (Baugrundstück), das teilweise als "Wohngebiet", teilweise als "Schutz- oder Pufferzone im Bauland" gewidmet ist. Auf dem Baugrundstück befindet sich neben einem Wohnhaus auch eine das Hanggrundstück terrassierende Steinmauer.

1.2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Thalheim bei Wels (Baubehörde) vom 23. Mai 2022 wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, diese Steinmauer binnen sechs Monaten zu beseitigen.

1.3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 18. April 2024 als unbegründet ab, weil die Steinmauer ein gemäß §24 Abs1 Z2 Oö BauO 1994 bewilligungspflichtiges Bauvorhaben sei. Eine Baubewilligung liege nicht vor, weshalb der baubehördliche Beseitigungsauftrag zu Recht ergangen sei. Auch die Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung sei nicht möglich: Der östliche Teil des Grundstückes, auf dem sich die Steinmauer befinde, sei im Flächenwidmungsplan als "Schutz- oder Pufferzone im Bauland" gewidmet; dort seien aber laut Flächenwidmungsplan lediglich die gärtnerische Nutzung sowie bewilligungs- und anzeigefreie Bauvorhaben gemäß §26 Oö BauO 1994 zulässig.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsteiles Nr 5, Änderung Nr 5.03, der Marktgemeinde Thalheim bei Wels entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 17. September 2024 beschlossen, die genannte Verordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof legt seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen den in Prüfung gezogenen Flächenwidmungsteil Nr 5, Änderung Nr 5.03, der Marktgemeinde Thalheim bei Wels, soweit er sich auf das Grundstück Nr 96/5, KG Ottsdorf, bezieht, folgende Bedenken:

3.1. Gemäß §36 Abs6 Oö ROG 1994 ist die Änderung des Flächenwidmungsplanes durch den Gemeinderat zu begründen, wobei der Begründung oder den Planungsunterlagen überdies die erforderliche Grundlagenforschung und Interessenabwägung zu entnehmen sein muss. Die Begründung muss sich insbesondere mit den öffentlichen Interessen im Sinne von §36 Abs2 Z1 Oö ROG 1994 und den in Z2 leg. cit. angesprochenen Planungszielen auseinandersetzen (VfGH 15.3.2023, V300/2021 ua). Darüber hinaus muss die erforderliche Grundlagenforschung aus dem Verordnungsakt ebenso erkennbar sein wie die gebotene Interessenabwägung (zur Erkennbarkeit der Entscheidungsgrundlagen siehe etwa VfGH 29.9.2021, V462/2020; 19.9.2022, V48/2021).

3.2. Zwar ist dem Verordnungsakt zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber im Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungsplanes eine Grundlagenforschung durchgeführt und auch eine Interessenabwägung vorgenommen hat. Jedoch hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass diese Interessenabwägung unvollständig ist:

3.3. Das von der verordnungserlassenden Behörde herangezogene raumplanungsfachliche Gutachten geht unter Punkt '5. Interessenabwägung' zwar auf die privaten Interessen der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin an der Ausdehnung der Widmung 'Wohngebiet' auf dem Baugrundstück ein und stellt diese den öffentlichen Interessen der Marktgemeinde Thalheim bei Wels gegenüber. Keine Berücksichtigung findet dabei jedoch die zugleich vorgeschlagene Ausweisung von etwa der Hälfte des Baugrundstückes als 'Schutz- oder Pufferzone im Bauland', die von der verordnungserlassenden Behörde mit dem Flächenwidmungsteil Nr 5, Änderung Nr 5.03, rechtlich umgesetzt wurde. Auch im entsprechenden Verordnungsakt findet sich dahingehend keine Auseinandersetzung mit den privaten Interessen der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin. Hinsichtlich dieser Widmung dürfte daher keine Interessenabwägung stattgefunden haben, obwohl mit der Ausweisung einer 'Schutz- oder Pufferzone im Bauland' eine erhebliche Einschränkung der Bebaubarkeit des betroffenen Grundstückes einhergeht, weil dort laut Flächenwidmungsplan neben einer gärtnerischen Nutzung nur noch bewilligungs- und anzeigefreie Bauvorhaben nach §26 Oö BauO 1994 errichtet werden dürfen.

4. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die verordnungserlassende Behörde bei der in Prüfung gezogenen Verordnung die Interessenabwägung nicht im erforderlichen Maße durchgeführt hat."

3. Die Oberösterreichische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken im Wesentlichen wie folgt entgegentritt:

3.1. Die von der in Rede stehenden Planänderung Betroffenen und Widmungswerber, die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin im Anlassverfahren, seien gemäß §36 Abs4 Oö ROG 1994 über den vom Gemeinderat gefassten Beschluss des Planentwurfs verständigt worden, der neben der von den Widmungswerbern angeregten Baulanderweiterung auch die in Rede stehende Schutzzone vorgesehen habe, und den Betroffenen sei ausdrücklich die Gelegenheit eingeräumt worden, eine Stellungnahme abzugeben. Da das Verfahren zur Erstellung bzw Änderung eines Flächenwidmungsplanes weder für die betroffenen Grundeigentümer noch für Nachbarn eine Parteistellung im Sinn der Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) kenne, bildeten insbesondere allfällige Anregungen und Einwendungen gemäß §33 Abs4 Oö ROG 1994 eine maßgebliche Grundlage für eine Interessenabwägung bzw die Beurteilung einer durch die Änderung möglichen Verletzung der Interessen Dritter. Der Verfahrensakt enthalte jedoch — soweit ersichtlich — keine Einwendungen der Grundstückseigentümer oder anderer Personen, die ein berechtigtes Interesse am Umwidmungsverfahren glaubhaft gemacht hätten, sodass die Marktgemeinde Thalheim bei Wels zu Recht angenommen habe, dass die im Zuge des Flächenwidmungsplanänderungsverfahrens 5.03 vorgenommene Planung nicht im Widerspruch zu den Interessen der Grundstückseigentümer gestanden sei.

3.2. Diese Annahme spiegle sich auch in dem Umstand wider, dass mit der in Prüfung gezogenen Flächenwidmungsplanänderung dem Ansuchen der Widmungswerber entsprochen und somit trotz der Festlegung einer Schutzzone eine zweckmäßige Bebauung ermöglicht worden sei. Insbesondere werde die von der Beschwerdeführerin geäußerte Rechtsansicht, wonach die Ausweisung der Schutzzone einer Rückwidmung in Grünland gleichkomme, von der Aufsichtsbehörde nicht geteilt. Anders als bei einer Ausweisung als land- und forstwirtschaftliches Grünland ermögliche die festgelegte Schutzzone nach wie vor die gärtnerische Nutzung sowie die Errichtung von anzeige- und bewilligungsfreien baulichen Anlagen wie beispielsweise einer Pergola oder auch eines — den Bestimmungen des §26 Oö BauO 1994 entsprechenden — Swimmingpools.

3.3. Für eine — über die ausführliche ortsplanerische Stellungnahme hinausgehende — umfassendere Grundlagenforschung und Interessenabwägung, welche schon dem Wortsinn nach widerstreitende und gegeneinander abwägbare Interessen bzw Standpunkte voraussetze, habe in diesem Verfahren folglich keine Veranlassung bestanden. Die durchgeführte Grundlagenforschung und Interessenabwägung erwiesen sich — auch in Bezug auf die ausgewiesene Schutzzone — als hinreichend.

4. Die verordnungserlassende Behörde hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken im Wesentlichen wie folgt entgegentritt:

4.1. Entgegen den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes habe eine vollständige Interessenabwägung stattgefunden: So sei die in Rede stehende "Schutzzone im Bauland" in der ortsplanerischen Stellungnahme und im dazugehörigen Planteil erwähnt und begründet sowie im Planteil ausgewiesen und beschrieben worden; somit seien alle dem Verfahren zugehörigen Unterlagen den Betroffenen vorgelegen. Einwände dagegen seien weder von der damaligen Grundstückseigentümerin noch von den Fachdienststellen des Landes Oberösterreich vorgebracht worden. Die in Prüfung gezogene Flächenwidmungsplanänderung widerspreche weder den Planungszielen der Gemeinde noch den Raumordnungsgrundsätzen und zielen des Oö ROG 1994. Die Interessen Dritter und damit auch die privaten Interessen der Beschwerdeführerin im Anlassverfahren würden durch die Änderung nicht verletzt, zumal auch keine Einwände im Zuge der öffentlichen Auflage mitgeteilt worden seien.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Landesgesetzes vom 6. Oktober 1993 über die Raumordnung im Land Oberösterreich (Oö Raumordnungsgesetz 1994 – Oö ROG 1994), LGBl 114/1993, idF LGBl 14/2024 lauten wie folgt:

"§2

Raumordnungsziele und -grundsätze

(1) Die Raumordnung hat insbesondere folgende Ziele:

1. den umfassenden Schutz des Klimas und der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen sowie die Sicherung oder Wiederherstellung eines ausgewogenen Naturhaushaltes;

2. die Sicherung oder Verbesserung der räumlichen Voraussetzungen für sozial gerechte Lebensverhältnisse und die kulturelle Entfaltung;

2a. die Vermeidung und Verminderung des Risikos von Naturgefahren für bestehende und künftige Siedlungsräume;

3. die Sicherung oder Verbesserung einer Siedlungsstruktur, die mit der Bevölkerungsdichte eines Gebietes und seiner ökologischen und wirtschaftlichen Tragfähigkeit im Einklang steht, auch unter Bedachtnahme auf die infrastrukturellen Rahmenbedingungen sowie die Stärkung des ländlichen Raumes durch die Sicherung entsprechender räumlicher Entwicklungsmöglichkeiten, insbesondere unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung;

4. die Sicherung oder Verbesserung der räumlichen Voraussetzungen für eine leistungsfähige Wirtschaft einschließlich der Sicherung der natürlichen Ressourcen sowie die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit notwendigen Gütern und Dienstleistungen, insbesondere in Krisenzeiten;

5. die Sicherung oder Verbesserung der räumlichen Voraussetzung für eine existenz- und leistungsfähige Land- und Forstwirtschaft, insbesondere die Verbesserung der Agrarstruktur;

6. die sparsame Grundinanspruchnahme bei Nutzungen jeder Art sowie die bestmögliche Abstimmung der jeweiligen Widmungen;

7. die Vermeidung von Zersiedelung;

8. die Sicherung und Verbesserung einer funktionsfähigen Infrastruktur, insbesondere durch die Integration und den Einsatz von erneuerbarer Energie;

9. die Schaffung und Erhaltung von Freiflächen für Erholung und Tourismus;

10. die Erhaltung und Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes sowie eine umfassende Dorf- und Stadtentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Stärkung der Stadt- und Ortskerne; unvermeidbare Eingriffe in die Landschaft sind durch entsprechende landschaftspflegerische Maßnahmen bestmöglich auszugleichen.

(2) - (4) […]

[...]

§18

Flächenwidmungsplan

(1) Jede Gemeinde hat in Durchführung der Aufgaben der örtlichen Raumordnung durch Verordnung den Flächenwidmungsplan zu erlassen, weiterzuführen und regelmäßig zu überprüfen. Der Flächenwidmungsplan besteht aus

1. dem Flächenwidmungsteil und

2. dem örtlichen Entwicklungskonzeptteil (örtliches Entwicklungskonzept).

Das örtliche Entwicklungskonzept ist auf einen Planungszeitraum von fünfzehn Jahren, der Flächenwidmungsteil auf einen solchen von siebeneinhalb Jahren auszulegen.

(2) - (8) […]

[…]

§20

Form und Kundmachung des Flächenwidmungsplanes

(1) Die Landesregierung hat durch Verordnung näher zu regeln, wie der Flächenwidmungsplan zu gestalten und zu gliedern ist, welche Planzeichen und Materialien zu verwenden sind, welchen Maßstab die zeichnerischen Darstellungen aufzuweisen haben und wie Ersichtlichmachungen darzustellen sind. Die Verordnung kann auch vorsehen, dass für einen bestimmten Bereich an der Gemeindegrenze die Widmungen der Flächenwidmungsteile bzw die wesentlichen Inhalte der örtlichen Entwicklungskonzepte der Nachbargemeinden darzustellen sind. Dazu sind die benachbarten Gemeinden entsprechend zu informieren.

(2) - (3) […]

§21

Bauland

(1) Als Bauland dürfen nur Flächen vorgesehen werden, die sich auf Grund der natürlichen und der infrastrukturellen Voraussetzungen für die Bebauung eignen. Sie müssen dem Baulandbedarf der Gemeinde entsprechen, den die Gemeinde für einen Planungszeitraum von siebeneinhalb Jahren erwartet. Flächen, die sich wegen der natürlichen Gegebenheiten (wie Grundwasserstand, Hoch- bzw Hangwassergefahr, Steinschlag, Bodenbeschaffenheit, Rutschungen, Lawinengefahr) für eine zweckmäßige Bebauung nicht eignen, dürfen nicht als Bauland gewidmet werden. Das gilt auch für Gebiete, deren Aufschließung unwirtschaftliche Aufwendungen für die kulturelle, hygienische, Verkehrs-, Energie- und sonstige Versorgung sowie für die Entsorgung erforderlich machen würde.

(1a) - (6) […]

[…]

§33

Verfahren in der Gemeinde

(1) Die Absicht, einen Flächenwidmungsplan oder einen Teil eines Flächenwidmungsplans (§18 Abs1 zweiter Satz) neu zu erlassen oder grundlegend zu überprüfen, ist vom Bürgermeister vier Wochen an der Amtstafel und - ohne Auswirkung auf die Kundmachung - im Internet auf der Homepage der Gemeinde mit der Aufforderung kundzumachen, dass jeder, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist seine Planungsinteressen dem Gemeindeamt (Magistrat) schriftlich bekannt geben kann.

(2) […]

(3) Vor Beschlussfassung eines Flächenwidmungsplans, eines Teils eines Flächenwidmungsplans (§18 Abs1 zweiter Satz) oder eines Bebauungsplans durch den Gemeinderat ist die öffentliche Einsicht in den Plan beim Gemeindeamt (Magistrat) vier Wochen zu ermöglichen. Die Eigentümer jener Grundstücke, an deren Flächenwidmung oder Bebaubarkeit sich Änderungen ergeben, sind von der Planauflage nachweislich zu verständigen. Eine Verständigung kann unterbleiben, wenn die Änderung generelle Regelungen begriffsdefinitorischen Inhalts in den schriftlichen Ergänzungen von Bebauungsplänen betrifft. Auf die Möglichkeit zur öffentlichen Einsicht und der Einbringung von Anregungen oder Einwendungen ist während der vierwöchigen Einsichtsfrist an der Amtstafel und auf der Internetseite der Gemeinde hinzuweisen. Die Verständigung kann bei einer Bebauungsplanänderung auch durch vierwöchige Veröffentlichung in den betroffenen Häusern an einer den Hausbewohnern zugänglichen Stelle (Hausflur) erfolgen.

(4) Jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, einschließlich der betroffenen Öffentlichkeit im Sinn des §24b Abs6 Oö Bauordnung 1994, ist berechtigt, während der Einsichtsfrist schriftliche Anregungen oder Einwendungen beim Gemeindeamt (Magistrat) einzubringen, die mit dem Plan dem Gemeinderat vorzulegen sind. Eine Beschlußfassung des Planes in einer anderen als der zur Einsichtnahme veröffentlichten Fassung ist nur nach vorheriger Anhörung der durch die Änderung Betroffenen zulässig.

(5) - (12) […]

[…]

§36

Änderung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes

(1) Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne sind

1. bei Änderung der maßgeblichen Rechtslage oder

2. wenn es das Gemeinwohl erfordert, zu ändern.

(2) Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne können geändert werden, wenn

1. öffentliche Interessen, die nach diesem Landesgesetz bei der Erlassung von solchen Plänen zu berücksichtigen sind, insbesondere Interessen einer ökologischen Energienutzung, dafür sprechen oder

2. diese Änderung den Planungszielen der Gemeinde nicht widerspricht, wobei auf Interessen Dritter möglichst Rücksicht zu nehmen ist.

(3) Langen bei der Gemeinde Anregungen auf Änderungen eines Flächenwidmungsplans oder eines Bebauungsplans ein, hat sich der Gemeinderat binnen sechs Monaten damit zu befassen. Über das Ergebnis dieser Befassung ist die Betroffene bzw der Betroffene zu informieren.

(4) […]

(5) Auf Nutzungen, die der bisherigen Widmung entsprechen, ist bei Änderung der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne möglichst Rücksicht zu nehmen. (6) Die Änderung eines Flächenwidmungsplanes oder eines Bebauungsplanes ist durch den Gemeinderat zu begründen; der Begründung oder den Planungsunterlagen muss überdies die erforderliche Grundlagenforschung und Interessenabwägung zu entnehmen sein."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Oö Landesregierung vom 13. April 2021, mit der die Form und Gliederung des Flächenwidmungsplanes, die Verwendung bestimmter Planzeichen und Materialien sowie der Maßstab der zeichnerischen Darstellung geregelt werden (Planzeichenverordnung für Flächenwidmungspläne 2021), LGBl 37/2021 (im Folgenden: PlanzeichenV 2021), lauten:

"§2

Zeichnerische Darstellung Teil A - Flächenwidmungsteil

(1) […]

(2) Für die zeichnerische Darstellung der Flächenwidmung sind die in der Anlage 1 enthaltenen Planzeichen zu verwenden. Bei Eintragungen, für die in der Anlage 1 keine Planzeichen enthalten sind, können Planzeichen sinngemäß aus den in der Anlage 1 enthaltenen Planzeichen entwickelt werden. Die Verwendung dieser zusätzlichen Planzeichen bedarf jedenfalls der vorherigen Zustimmung der Landesregierung als Aufsichtsbehörde. Das Gleiche gilt, wenn in besonderen Fällen die in der Anlage 1 enthaltenen Planzeichen für eine eindeutige Festlegung nicht ausreichen.

(3) - (4) […]

[…]

Anlage 1

1. Widmungen

[…]

1.1 Bauland […]

"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:

2.1. Eine der grundlegenden Anforderungen bei der Erlassung oder Änderung von Raumordnungsplänen, durch die – wie im vorliegenden Fall – eine davor zulässige Bebauung eines Grundstückes eingeschränkt wird, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Abwägung der für die Erlassung bzw Änderung sprechenden öffentlichen Interessen mit den Interessen des Grundeigentümers (vgl etwa VfSlg 19.083/2010, 19.819/2013, 20.428/2020). Diese Interessenabwägung samt den zugrundeliegenden, konkret auf das jeweilige Grundstück bezogenen Grundlagenerhebungen muss im Verordnungsakt dokumentiert sein (vgl VfSlg 19.819/2013 mwN; vgl speziell zu Oberösterreich §36 Abs6 Oö ROG 1994, wonach die Änderung eines Flächenwidmungsplanes durch den Gemeinderat zu begründen ist; der Begründung oder den Planungsunterlagen muss überdies die erforderliche Grundlagenforschung und Interessenabwägung zu entnehmen sein).

2.2. Wie bereits im Prüfungsbeschluss dargelegt, geht das von der verordnungserlassenden Behörde herangezogene raumplanungsfachliche Gutachten zwar auf die privaten Interessen der vormaligen Eigentümer an der Ausdehnung der Widmung "Wohngebiet" auf dem Baugrundstück ein und stellt diese den öffentlichen Interessen der Marktgemeinde Thalheim bei Wels gegenüber; dies erstreckt sich allerdings nicht auf die zugleich vorgenommene Ausweisung von etwa der Hälfte des Baugrundstückes als "Schutz- oder Pufferzone im Bauland". Zwar enthält der Verordnungsakt eine konzise Darlegung der für diese Widmung streitenden öffentlichen Interessen: Aus der Niederschrift über die Beschlussfassung der verordnungserlassenden Behörde vom 21. März 2023 geht hervor, dass es wegen des steil abfallenden Geländes und zur Vermeidung einer unerwünschten Hangverbauung zielführend erscheine, die Hangfläche mit einer unverbaubaren Freifläche einzuschränken. Eine Abwägung dieser öffentlichen Interessen mit den privaten Interessen der damaligen Grundstückseigentümer fand gleichwohl nicht statt.

2.3. Wenn die verordnungserlassende Behörde und die Oberösterreichische Landesregierung dagegen im Wesentlichen vorbringen, die vormaligen Grundeigentümer, also die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin im Anlassverfahren, hätten im Verordnungserlassungsverfahren keine privaten Interessen geltend gemacht, die mit den in Rede stehenden öffentlichen Interessen hätten abgewogen werden können, so ist dem Folgendes entgegenzuhalten:

§33 Oö ROG 1994 regelt das Verfahren zur Erlassung von Flächenwidmungsplänen, wobei Abs4 leg. cit. die Möglichkeit zur Geltendmachung von Einwendungen vorsieht. Die solcherart normierte Mitwirkung in einem Verordnungserlassungsverfahren entspricht gleichwohl nicht dem Ermittlungsverfahren in einem Verwaltungsverfahren, das in die Erlassung eines Bescheides mündet. Einwendungen im Sinne von §33 Abs4 Oö ROG 1994 sind daher nicht Einwendungen im Sinne von §42 Abs1 AVG gleichzuhalten. Insbesondere ist die Präklusionswirkung des §42 Abs1 AVG, wonach eine Person, die bei der Behörde nicht rechtzeitig zulässige Einwendungen erhebt, ihre Stellung als Partei verliert, dem Verordnungserlassungsverfahren fremd. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen dafür zu sorgen, dass die Verordnung rechtmäßig erlassen wird.

Der Umstand, dass die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin im Anlassverfahren keine Einwendungen im Verfahren zur Planerlassung erhoben haben und einen Teil der Flächenwidmungsplanänderung sogar angeregt haben, entlässt die verordnungserlassende Behörde nicht aus ihrer Pflicht zur Grundlagenforschung und Interessenabwägung (vgl §36 Abs6 Oö ROG 1994; aus der Rechtsprechung siehe etwa VfSlg 16.141/2001, 20.030/2015). Diese Interessenabwägung hat sich also auch dann, wenn keine Einwendungen vorliegen, von Amts wegen sowohl auf die für die Entscheidung über den Flächenwidmungsplan sprechenden öffentlichen Interessen als auch auf die von der Planänderung berührten privaten Interessen der Betroffenen zu erstrecken.

2.4. Mangels einer solchen Abwägung entbehrt die Festlegung der "Schutz- oder Pufferzone im Bauland" auf einem großen Teil des Baugrundstückes einer Rechtfertigung. Ausgehend davon vermag die Argumentation der Oberösterreichischen Landesregierung und der verordnungserlassenden Behörde die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht zu entkräften.

IV. Ergebnis

1. Der Flächenwidmungsteil Nr 5, Änderung Nr 5.03, beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels am 27. Juni 2013, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 10. Juli 2013 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 25. Juli 2013 bis zum 9. August 2013, ist daher, soweit er sich auf das Grundstück Nr 96/5, KG Ottsdorf, bezieht, als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz BVG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z2 litb Oö Verlautbarungsgesetz 2015, LGBl 91/2014 idF LGBl 70/2021.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.