JudikaturVfGH

E1803/2017 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
11. Oktober 2017

Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich. Der VfGH hat wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB VfGH 09.06.2017, E484/2017 ua mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw Art1 zweiter Satz BVG über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss.

Die Minderjährigkeit des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht zwar bei seiner Abwägung der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufenthaltsstaat und im Herkunftsstaat, also im Hinblick auf eine Versorgung der Kinder, nicht aber bei der Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan und Kabul. In diesem Punkt lässt das Bundesverwaltungsgericht vollkommen außer Acht, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien ua um Minderjährige handelt. So unterbleibt eine Auseinandersetzung mit den vom Bundesverwaltungsgericht selbst wiedergegebenen Passagen in Länderberichten, die eine hohe Zahl minderjähriger ziviler Opfer durch konfliktbedingte Gewalt ausweisen (in einer in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem hier bekämpften Erkenntnis stehenden Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zur Lebenssituation von Kindern in Afghanistan getroffen, denen zu Folge Hauptursache für den Anstieg der Anzahl an Kindern unter den zivilen Opfern Munitionsrückstände seien. Außerdem wird in diesen Länderinformationen auf körperliche Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei und darauf hingewiesen, dass sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem darstelle. Siehe zu dieser - mangels gebotener Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen durch den VfGH aufgehobenen - Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes VfGH 21.09.2017, E2130/2017 ua). Dennoch - und ohne dies insbesondere durch einschlägige (Passagen in) Länderberichte(n) in tatsächlicher Hinsicht zu erheben - kommt das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass auch die minderjährigen Beschwerdeführer "in der hinreichend sicheren" Stadt Kabul wieder Fuß fassen könnten.

Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes erweisen sich daher im Hinblick auf die Beurteilung einer den minderjährigen Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK als nicht ausreichend nachvollziehbar. Aufhebung im selben Umfang auch betreffend das vom Erstbeschwerdeführer angefochtene Erkenntnis unter Hinweis auf §34 Abs4 AsylG 2005.

Im Übrigen - soweit sich die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richten - wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

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