JudikaturVfGH

E761/2018 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. September 2018

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.400,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die erstbeschwerdeführende Partei ist die Mutter der zweit- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien. Nach der Einreise in das Bundesgebiet stellten die beschwerdeführenden Parteien, die als staatenlose palästinensische Flüchtlinge aus dem Gazastreifen bei der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) registriert sind, am 24. Februar 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab die erstbeschwerdeführende Partei eine Bedrohung durch die Hamas und die Fatah wegen der Namensgleichheit mit einem Minister bzw wegen ihrer Tätigkeit für eine Hilfsorganisation sowie Probleme mit ihrer Familie und die allgemein prekäre Sicherheitslage an. Im Gazastreifen herrsche Krieg und ihr Haus sei zerstört worden. Sie und die Kinder (im Alter von nunmehr vier bis achtzehn Jahren) hätten mit Unterstützung ihres geschiedenen Ehegatten und Vater der Kinder allein das Land verlassen. Inzwischen hält sich auch dieser mit Familie in Österreich auf und hat im Oktober 2017 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 16. Juni 2016 wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Das BFA erteilte den beschwerdeführenden Parteien keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung in die palästinensischen Gebiete bzw nach Gaza zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 1. Februar 2018 gemäß §3 Abs3 Z2 iVm §6 Abs1 Z1 AsylG 2005, §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005, §10 Abs1 Z3 und §57 AsylG 2005 iVm §9 BFA VG sowie §52 Abs2 Z2 und Abs9, §46 und §55 FPG als unbegründet ab. Im Wesentlichen begründet das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung wie folgt:

Den beschwerdeführenden Parteien komme im Falle einer Rückkehr angesichts der Registrierung bei der UNRWA in Gaza als staatenlose palästinensische Flüchtlinge bei Bedarf der Beistand dieser Organisation zu. Damit stehe für das erkennende Gericht fest, dass die beschwerdeführenden Parteien grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art1 Abschnitt D GFK bzw Art12 Abs1 lita erster Satz der Status-RL fielen. Daher seien sie a priori in Anwendung des §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen, es sei denn, es wäre darüber hinausgehend festzustellen, dass im gegenständlichen Fall der Schutz der UNRWA aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt werde, was wiederum zur Folge hätte, dass ihnen "ipso facto" der Flüchtlingsstatus zukommen würde. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei diesbezüglich zu prüfen, ob der Wegzug der Betroffenen durch nicht von ihnen zu kontrollierende und von ihrem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt sei, die sie zum Verlassen des Gebiets zwangen und somit daran hinderten, den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen. Im gegenständlichen Fall seien diese Voraussetzung jedoch nicht gegeben:

Das Vorbringen der erstbeschwerdeführenden Partei bezüglich der Bedrohung seitens der Hamas und der Fatah entspreche nicht der Wahrheit. Die Bedrohungssituation sei in der Erstbefragung, in der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht uneinheitlich bzw erst auf Nachfrage überhaupt geschildert worden und weise zahlreiche Widersprüche auf. Zudem sei anzunehmen, dass im Falle einer tatsächlichen Gefährdung seitens der Hamas wohl die gesamte Familie davon betroffen wäre. Die erstbeschwerdeführende Partei habe aber stets angegeben, dass es ihren Familienangehörigen in Palästina zwar wirtschaftlich nicht gut gehe, sie jedoch keiner Verfolgung durch die Hamas ausgesetzt seien.

Soweit sich die zweitbeschwerdeführende Partei im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf gestützt habe, dass nunmehr auch ihr Vater Palästina auf Grund einer Bedrohung durch ISIS verlassen habe und dessen Fluchtgrund auch für sie gelte, handle es sich um bloße Spekulation bzw Mutmaßung. Der Antrag des Vaters auf internationalen Schutz sei mit Bescheid des BFA vom 15. November 2017 wegen der Zuständigkeit Italiens nach den Bestimmungen der Dublin III-VO gemäß §5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen worden. Dieses Verfahren befinde sich seit 15. Dezember 2017 in Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Eine Glaubwürdigkeitsprüfung des Fluchtvorbringens des Vaters habe folglich (noch) nicht stattgefunden. Bezüglich der minderjährigen zweit- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien seien keine relevanten eigenen Ausreisegründe dargelegt worden.

Daraus, dass die beschwerdeführenden Parteien eine individuelle Gefährdung oder Verfolgung nicht glaubhaft vorgebracht hätten, folge, dass sie nicht daran gehindert wären, bei einer Rückkehr nach Gaza als staatenlose Palästinenser den Beistand der UNRWA (neuerlich) in Anspruch zu nehmen. Auch anderweitige Hinderungsgründe, wie etwa die allgemeine Sicherheitslage in Palästina oder der notorische Konflikt der Hamas mit den israelischen Sicherheitsbehörden, seien nicht festzustellen. Die allgemeine Sicherheitslage sei sowohl der eigenen Darstellung der erstbeschwerdeführenden Partei in der mündlichen Verhandlung über die aktuellen Lebensumstände ihrer Angehörigen vor Ort als auch den aktuellen länderkundlichen Informationen zufolge nicht dergestalt, dass es den Bewohnern von Gaza derzeit generell nicht möglich wäre, den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen. Dies treffe auch auf gelegentliche sicherheitsrelevante Vorfälle in Gaza im Zusammenhang mit der Anwesenheit israelischer Sicherheitskräfte zu, zumal diese aktuell keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung in Gaza in der Form entfalteten, dass die Aktivitäten der UNRWA dadurch hintangehalten würden. Dass die UNRWA ihre Aktivitäten in Gaza eingestellt hätte, sei den länderkundlichen Informationen nicht zu entnehmen. Die Einreise nach Gaza unterliege Einschränkungen und Auflagen, sei jedoch nicht als unmöglich anzusehen, da die beschwerdeführenden Parteien auch über (für eine Einreise über den ägyptischen Grenzübergang Rafah benötigte) Reisedokumente der zuständigen palästinensischen Behörden verfügten.

Es sei daher festzustellen, dass die beschwerdeführenden Parteien bei einer Ausreise in die Herkunftsregion den Beistand der UNRWA (wieder) in Anspruch nehmen könnten und sie damit auch nicht den privilegierten Schutz des Art1 Abschnitt D GFK bzw des Art12 Abs1 lita erster Satz der Status-RL genießen würden. Vor diesem Hintergrund seien die Anträge auf internationalen Schutz in Anwendung von §3 Abs3 Z2 iVm §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 abzuweisen.

Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes seien gesondert zu prüfen. Eine Interpretation des Art12 Abs1 lita der Status-RL in dem Sinn, dass eine Situation, die die Gewährung von subsidiärem Schutz erfordert, auch als "irgendein Grund" im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren wäre, würde dazu führen, dass es zu einer Asylgewährung aus Gründen komme, die aber in Wahrheit lediglich die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigten.

Aus den länderkundlichen Informationen ergebe sich das Gesamtbild von insgesamt sehr schwierigen Lebensumständen für die Bevölkerung des Gazastreifens. Das Gericht verkenne nicht, dass diese Umstände für Zivilpersonen im Einzelfall auch eine Bedrohung für die Befriedigung ihrer grundlegenden Bedürfnisse darstellen könnten. Im gegenständlichen Fall seien die beschwerdeführenden Parteien nicht nur vor der Ausreise aus ihrer Herkunftsregion keiner Bedrohung ihrer Existenzgrundlage ausgesetzt gewesen, im Gefolge des bewaffneten Konflikts zwischen den israelischen Sicherheitskräften und den im Gazastreifen operierenden bewaffneten Organisationen im Jahr 2014 seien auch ihre dort ansässigen Verwandten offenkundig weiterhin keiner solchen Bedrohung ausgesetzt. Diese bewohnten eine eigene Wohnung in Gaza, einige Familienmitglieder erwirtschafteten eigenes Einkommen und erhielten finanzielle Leistungen aus Altersgründen und ergänzende Unterstützungsleistungen der UNRWA.

Da die beschwerdeführenden Parteien angesichts ihrer Arbeitsfähigkeit sowie ihres verwandtschaftlichen Umfeldes in der Heimat und mangels gravierender gesundheitlicher Einschränkungen keiner besonders verwundbaren sozialen Gruppe angehörten, würden sie bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in keine existenzbedrohende Lage geraten. Auch aus jüngeren Berichten, in die Einsicht genommen worden sei, ergebe sich im Übrigen keine aktuelle wesentliche Verschlechterung der allgemeinen Situation und der Sicherheitslage im Gazastreifen. Es sei auf die notorisch bekannte Aussöhnung der rivalisierenden Palästinenserorganisationen im Oktober 2017 zu verweisen, womit eine schrittweise Verbesserung der Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten einhergehe. Die Sicherheits- und Menschenrechtslage in den palästinensischen Gebieten bzw im Gazastreifen sei als angespannt zu bezeichnen. Das Gebiet sei mit einer gewissen terroristischen Bedrohung konfrontiert. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden Gefährdungssituation im Sinne des Art3 EMRK sei aber nicht auszugehen. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die beschwerdeführenden Parteien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in ihren Rechten nach Art2 und 3 EMRK bzw nach dem 6. und dem 13. ZPEMRK verletzt werden. Insoweit seien die Anträge auf internationalen Schutz auch gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Die Rückkehrentscheidung, von der die gesamte Familie betroffen sei, greife lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder, nicht aber in deren Familienleben ein. Der geschiedene Ehegatte der erstbeschwerdeführenden Partei und Vater der zweit- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien führe mit diesen seit zumindest Februar 2015 kein gemeinsames Familienleben mehr. Der nunmehrige Kontakt beschränke sich auf gelegentliche Telefonate, was zweifelsfrei auch unabhängig von örtlicher Gebundenheit möglich sei. Es liege daher kein schützenswertes Familienleben der beschwerdeführenden Parteien in Österreich vor. Die beschwerdeführenden Parteien hielten sich seit drei Jahren in Österreich auf. Ein nennenswerter Integrationsgrad liege aber nicht vor. Zwar verfügten sie über Freunde in Österreich und hätten gewisse Deutschkenntnisse erlangt; die zweit- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien besuchten den Kindergarten bzw die Schule. Dennoch würden die für eine aufenthaltsbeendende Rückkehrentscheidung sprechenden öffentlichen Interessen die privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien überwiegen. Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohles führe nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien hielten sich erst knapp drei Jahre in Österreich auf, hätten ihr Leben ansonsten in Palästina verbracht und die grundsätzliche Sozialisierung bereits im Herkunftsland erfahren. Die Rückreise nach Palästina/Gazastreifen im Familienverbund mit der Mutter sei sohin auch den zweit- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien zumutbar.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt dargelegt, wie sich die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich unter dem Schutz oder Beistand einer von Art1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation der Vereinten Nationen stehen, von jener anderer Asylwerber unterscheidet (VfSlg 19.777/2013; VfGH 18.9.2014, U73/2014; 22.9.2017, E1965/2017). Nachweislich ihrer UNRWA-Registrierungskarten standen die nunmehrigen beschwerdeführenden Parteien unter dem Schutz einer solchen Organisation.

Gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 (in Umsetzung des Art12 Abs1 lita erster Satz Status-RL und dieser wiederum in Entsprechung des Art1 Abschnitt D erster Satz GFK) sind diese Personen von der Anerkennung als Flüchtling zunächst ausgeschlossen. Sie genießen aber – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art12 Abs1 lita Status-RL – dann "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw der GFK, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Dieser "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen ist, sondern nur, dass sie erstens unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist. Die erste Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union mit der Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte erfüllt (EuGH 17.6.2010, Rs. C-31/09, Bolbol , Rz 52). Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012, Rs. C-364/11, El Kott , Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art12 Abs1 lita zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stehen (EuGH, El Kott , Rz 65; vgl auch EuGH 25.7.2018, Rs. C-585/16, Alheto , Rz 86).

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich nun zwar mit der genannten Rechtsprechung auseinander, geht aber in der Folge davon aus, dass es zu keiner Asylgewährung aus Gründen kommen könne, die lediglich die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden. Diese Erwägungen stehen in Widerspruch zu dem soeben dargelegten völker- und unionsrechtlichen System, in dem Personen, die dem Schutz der UNRWA (nicht mehr) unterstehen, einen Sonderstatus einnehmen. Soweit das Bundesverwaltungsgericht daher in diesem Punkt die Rechtslage verkennt, wirkt sich dies im vorliegenden Fall insofern aus, als das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Anträge hinsichtlich des Status des Asylberechtigten folgende Umstände gänzlich außer Betracht lässt, aber auch im Rahmen der Prüfung der Anträge hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten nur unzureichend berücksichtigt:

3.3. Im Februar 2015 veröffentlichte UNHCR eine mit UNRWA koordinierte Position, in der es die Staaten ersucht, von einer Rückverbringung palästinensischer Flüchtlinge in den Gazastreifen abzusehen, bis sich die Lebensbedingungen und die humanitäre Situation spürbar und erheblich bessern, wobei dies auch bei der Prüfung von Anträgen nach Art1 Abschnitt D GFK gebührend zu berücksichtigen sei. Die militärischen Eskalationen im Gazastreifen im Sommer 2014 hätten enorme Zerstörungen hinterlassen. UNRWA sei zB zeitweise gezwungen gewesen, reguläre finanzielle Unterstützungsleistungen zugunsten des Aufbaus zerstörter Wohnungen und der akuten Hilfe für Obdachlose zu suspendieren. Insbesondere für Kinder verschärften die wiederkehrenden bewaffneten Konflikte deren psychologische Belastung. Der Abschiebestopp diene als Minimumstandard und müsse aufrecht bleiben, "until such time as the situation in Gaza has improved sufficiently" (UNHCR, Position on Deportations to Gaza, Februar 2015, 2). Die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte enthalten auch eine von UNRWA im Oktober 2016 auf Ersuchen des Bundesministeriums für Inneres erstellte Anfragebeantwortung, die auf diese Position des UNHCR Bezug nimmt.

Den Einschätzungen von UNHCR ist im gegebenen Zusammenhang angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, maßgebliches Gewicht beizumessen (vgl VfSlg 20.166/2017; EuGH 30.5.2013, Rs. C-528/11, Halaf , Rz 44 mwN). UNHCR verweist auch aktuell auf sein Ersuchen um eine "non-removal policy" aus dem Jahr 2015 (siehe UNHCR, Country of Origin Information on the Situation in the Gaza Strip, Including on Restrictions on Exit and Return, Februar 2018) und dürfte somit weiterhin nicht von einer hinreichend verbesserten Lage ausgehen. Demgegenüber sieht das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall – ohne auf die seit 2015 von UNHCR eingenommene Position zu Abschiebungen in den Gazastreifen Bezug zu nehmen – keine, einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme entgegenstehenden Hindernisse.

Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes stützt sich diesbezüglich darauf, dass die beschwerdeführenden Parteien keiner besonders verwundbaren sozialen Gruppe angehörten und deren Verwandte in Gaza Unterstützungsleistungen der UNRWA erhielten. Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, dass sich aus den herangezogenen Länderberichten "keine aktuelle wesentliche Verschlechterung der allgemeinen Situation und der Sicherheitslage" ergebe. Vielmehr sei notorisch, dass sich die rivalisierenden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah im Oktober 2017 ausgesöhnt hätten, womit eine "schrittweise Verbesserung" der Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten einhergehe.

3.4. Damit missachtet das Bundesverwaltungsgericht nicht nur, im Hinblick auf die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien, die besondere Vulnerabilität von Kindern (siehe zB VfGH 11.10.2017, E1803/2017 ua), die es bei seiner Beurteilung der Sicherheitslage außer Betracht lässt, sondern weicht auch von den Beurteilungskriterien ab, die UNHCR in Bezug auf Rückkehrmöglichkeiten von palästinensischen Flüchtlingen in den Gazastreifen aufgestellt hat. Welche Überlegungen das Bundesverwaltungsgericht dabei leiten und auf Basis welcher Berichte es im Ergebnis eine – wenn auch nur schrittweise – Verbesserung der Situation im Gazastreifen erkennt, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

Die vom Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis abgedruckten bzw explizit in Bezug genommenen Länderinformationen tragen weder die Annahme der von UNHCR geforderten spürbaren Verbesserung der Lebensbedingungen bzw einer erheblich verbesserten humanitären Situation noch deren "schrittweise Verbesserung", wie sie das Bundesverwaltungsgericht für entscheidungserheblich hält.

3.5. Indem das Bundesverwaltungsgericht die im vorliegenden Fall nicht nur unter Gesichtspunkten der Art2 und 3 EMRK zu prüfende, sondern auch asylrelevante Frage der Rückkehrmöglichkeiten angesichts der humanitären Lage im Gazastreifen nicht als solche erkennt und eine hinreichende und nachvollziehbare Auseinandersetzung damit in Bezug auf die konkret vorliegende Situation einer alleinstehenden Frau und ihrer (im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes) fünf minderjährigen Kinder in der Folge unterlässt, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet.

4. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die ebenfalls behauptete Verletzung in Rechten gemäß Art8 EMRK.

III. Ergebnis

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 654,– sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 566,80 enthalten.

Rückverweise