JudikaturVfGH

E1371/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2019

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entschei-dung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 2. Dezember 1985 geborener Staatsangehöriger des Irak, der der Volksgruppe der Araber angehört und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt. Er stammt aus Samarra, wo er 12 Jahre die Schule besuchte. Er lebte jedenfalls von 2007 bis 2014 in Mossul, wo auch seine Eltern und Brüder leben. Am 29. September 2015 reiste der Beschwerdeführer in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte der Beschwerdeführer zu diesem Antrag im Wesentlichen aus, im Jahr 2007 von schiitischen Milizen entführt und erst nach Zahlung einer Lösegeldsumme in der Höhe von € 10.000,– freigelassen worden zu sein. Vor seiner Ausreise aus dem Irak sei er von den schiitischen Milizen bedroht worden.

2. Mit Bescheid vom 23. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 27. Februar 2019 als unbegründet ab. Es begründet seine Entscheidung hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages im Wesentlichen damit, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Zwar würden immer wieder Übergriffe seitens schiitischer Milizen gegenüber Sunniten vorkommen, jedoch könne keine systematische Verfolgung von Sunniten festgestellt werden. Es seien auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht gegeben. Die Sicherheitslage sei im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, insbesondere im Großraum Mossul, angespannt. Der "IS" habe jedoch aus dem Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers zurückgedrängt werden können. Auch wenn in ländlichen Gebieten der Provinz Ninewa wieder ein Erstarken des "IS" zu verzeichnen sei und Anschläge in Mossul nicht ausgeschlossen werden könnten, lasse sich aus Sicht des BVwG nicht erkennen, dass der "IS" Mossul unter Kontrolle bringen werde. Ferner würden die Bemühungen zur Wiederherstellung der Infrastruktur und Stabilisierung der Versorgunglage in Mossul weiter voranschreiten und ließen eine stete Verbesserung der Lage erkennen. Zu den gesundheitlichen Problemen des Beschwerdeführers auf Grund von Verwachsungen im Bauchraum hält das BVwG fest, dass es sich um keine lebensbedrohliche, sich im Endstadium befindliche Erkrankung handle. Die medizinische Versorgungslage sei im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers angespannt, jedoch könne den Länderfeststellungen nicht entnommen werden, dass es zu einem völligen Kollabieren der medizinischen Versorgung im Irak gekommen wäre. Insofern könne nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer – allfällig mit familiärer Unterstützung – keine hinreichende medizinische Versorgung im Irak erhalten würde.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen habe, sich mit dem prekären Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ernsthaft auseinanderzusetzen. Auf Grund von sich bildenden Verwachsungen im Bauchraum bestehe für den Beschwerdeführer die Gefahr von immer wieder auftretenden lebensbedrohlichen Darmverschlüssen, die notoperativ versorgt werden müssten. Das Bundesverwaltungsgericht habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu den Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland durchgeführt. Weder in der Begründung des Erkenntnisses noch in den Länderfeststellungen werde auf die medizinische Versorgung im Irak eingegangen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es ein Unterlassen der Ermittlungstätigkeit darstellt, wenn Länderberichte zu einer bestimmten Frage keine Sachverhaltsdarstellung enthalten und keine zusätzlichen Ermittlungen angestellt werden (vgl VfGH 13.12.2017, E2497/2016 ua; 24.9.2018, E1034/2018 ua). Zudem kam der Verfassungsgerichtshof zum Schluss, dass eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aufzuheben ist, wenn das Bundesverwaltungsgericht zu einem Ergebnis kommt, welches nicht aus einschlägigen (Passagen in) Länderberichten ableitbar ist und sich auch nicht aus anderen Ermittlungsergebnissen ableiten lässt (vgl VfGH 11.10.2017, E1803/2017 ua).

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hält in seiner Begründung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ua fest, dass "den Länderfeststellungen nicht entnommen werden [kann], dass es zu einem völligen [K]ollabieren der medizinischen Versorgung im Irak gekommen [sei] und eine allgemeinmedizinische Behandlung nicht möglich wäre. Insofern kann nicht erkannt werden, dass der BF – allfällig mit familiärer Unterstützung – keine hinreichende medizinische Versorgung im Irak erfahren könnte."

In den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wiedergegebenen Länderberichten finden sich keine Feststellungen zur medizinischen Versorgungslage im Irak. Vor dem Hintergrund der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegenen Befunde und Gutachten zur gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers hätten Ermittlungen zur medizinischen Versorgungslage im Herkunftsstaat durchgeführt werden müssen (vgl VfGH 5.3.2014, U95/2013 ua; 30.6.2016, E381/2016 ua; 24.11.2016, E1085/2016 ua).

3.4. Darüber hinaus sind die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers nur eingeschränkt aus den getroffenen Länderfeststellungen ableitbar. So führt das Bundesverwaltungsgericht zur Sicherheitslage im Großraum Mossul aus, dass ein Erstarken des "IS" in der Provinz Ninewa zu verzeichnen sei. Dies beschränke sich aber auf die ländlichen Bereiche. Den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich lediglich entnehmen, dass mit Stand Oktober 2018 Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte mit dem Ziel im Gang waren, den "IS" von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Ferner hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Bemühungen zur Wiederherstellung der Infrastruktur und Stabilisierung der Versorgunglage in Mossul weiter voranschreiten würden und eine stete Verbesserung der Lage zu erkennen sei. Im Widerspruch dazu muss laut den Länderfeststellungen in vom "IS" befreiten Gebieten eine Grundversorgung erst wieder hergestellt werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der der Beschwerdeführer stammt bzw die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen. Dadurch hat das Bun-desverwaltungsgericht Willkür geübt (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl VfGH 7.3.2017, E1848/2015; 7.3.2017, E2100/2016; 9.6.2017, E3235/2016; 9.6.2017, E566/2017; 27.2.2018, E2927/2017; 11.6.2018, E4317/2017; 26.6.2018, E4387/2017; 25.9.2018, E1764/2018 ua).

3.5. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass insoweit auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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