JudikaturVfGH

E5061/2018 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2019

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.400,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind irakische Staatsangehörige und gehören der turkmenischen Volksgruppe sowie der muslimisch-sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet. Sie sind Eltern der vier minderjährigen beschwerdeführenden Parteien. Die beschwerdeführenden Parteien stellten am 22. September 2015 (bzw die Sechstbeschwerdeführerin am 3. Oktober 2016) Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer brachte vor, im Irak als Polizist gearbeitet und vom Islamischen Staat (IS) bedroht worden zu sein. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, als "moderne" Frau nicht im Irak leben zu können. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin sei außerdem unter dem Regime des IS von Zwangsverheiratung bedroht.

1.1. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) vom 17. November 2017 wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV), festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V) und eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen erteilt (Spruchpunkt VI).

1.2. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31. Oktober 2018 abgewiesen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2018 hatte die Zweitbeschwerdeführerin vorgebracht, dass auch die schiitischen Milizen ihr "modernes" Leben nicht tolerieren würden. Die beschwerdeführenden Parteien seien nunmehr von Vergeltungsmaßnahmen der schiitischen Miliz bedroht, weil sie Sunniten seien.

1.3. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass die beschwerdeführenden Parteien der turkmenischen Volksgruppe sowie der muslimisch-sunnitischen Glaubensgemeinschaft angehörten. Ihr Lebensmittelpunkt sei bis zur Ausreise aus dem Irak im "Großraum Mossul/Tal Afar" gelegen, wo sich weiterhin Familienangehörige aufhielten, die – wie auch der Erstbeschwerdeführer – Liegenschaften besäßen. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer im Irak als Polizist tätig gewesen sei und dass die Zweitbeschwerdeführerin bis 2014 ein eigenes Friseurgeschäft betrieben habe.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat trifft das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise folgende Feststellungen:

"Allgemeine Menschenrechtslage

[…] UN-Menschenrechtsgremien und Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass alle Parteien des nicht internationalen bewaffneten Konflikts im Irak das humanitäre Völkerrecht verletzen und schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechte begehen (UNHCR 14.11.2016). Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017).

Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen); Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten; einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 2016 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017). […] Verstöße gegen die Menschenrechte sind aber auch außerhalb des vom IS beherrschten Gebietes weit verbreitet (AA 7.2.2017):

Staatliche Stellen, insbesondere die irakische Armee und ihre Verbündeten sind nach wie vor für zahlreiche schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten (ÖB 12.2016; AA 7.2.2017). Von Seiten der Regierungskräfte wurden ua Massenexekutionen, Misshandlungen während der Haft, 'Verschwindenlassen', das Verstümmeln von Leichen (HRW 12.1.2017), sowie Folter dokumentiert (AI 22.2.2017). Insbesondere den Popular Mobilisation Forces (PMF) werden Massenerschießungen, Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen (ohne Gerichtsverfahren) vorgeworfen (ÖB 12.2016). Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016). Zum Teil wurden gesamte arabische Dörfer zerstört, bei gleichzeitiger Deportation der Einwohner, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gab. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen (HRW 12.1.2017). Bezüglich der Frage der Rückkehrer hat die lokale Regierung in der Provinz Salahuddin im Jahr 2016 ein Dekret erlassen, nach dem jeder, der Verbindungen zum IS hat, nicht in die Region zurückkommen dürfe - Iraker, die ihre IS-assoziierten Verwandten töten würden, wären ausgenommen (OA/EASO 2.2017, vgl HRW 5.3.2017).

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder die Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017). Häufig befinden sich diese Kontrollpunkte in der Nähe der Front. Zwar werden manche Personen nach einigen Tagen wieder entlassen, andere werden jedoch Berichten zufolge wochen- oder gar monatelang festgehalten, bis sie schließlich freigelassen oder in die Obhut der zuständigen Sicherheitsbehörden überstellt werden (UNHCR 14.11.2016).

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU regelmäßig ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen (UNHCR 14.11.2016).

Männer und Jugendliche ab 15 Jahren wurden unter Druck gesetzt, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht für IS-Anhänger gehalten zu werden (UNHCR 14.11.2016). Darüber hinaus gibt es Berichte, dass sowohl Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitische Stämme, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl USDOS 3.3.2017; vgl AI 22.2.2017).

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort und das Schicksal Tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem 'verschwunden' sind (AI 22.2.2017).

Gemäß einem Bericht von Amnesty International haben die Truppen der Koalition zur Bekämpfung des IS bei ihrem Vorgehen in Mossul keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung unternommen, und Waffen eingesetzt, die in bevölkerungsreichen Gebieten niemals verwendet werden dürften (Zeit 11.7.2017). Es werden Bedenken über mögliche Kriegsverbrechen der US-geführten Koalition in Bezug auf den Kampf gegen den IS in Mossul geäußert (IP 3.6.2017).

[…]

Turkmenen

Die meisten der ca. 400.000 irakischen Turkmenen leben im Raum Kirkuk und im westlich von Mossul gelegenen Gebiet um Tal Afar (AA 7.2.2017). Eine andere Quelle schätzt die Zahl der Tukmenen auf 600.000 bis 2 Millionen, von denen etwa 60 Prozent Sunniten, die Übrigen vorwiegend Schiiten sind. Sie leben neben der Stadt Tal-Afar vor allem in den Provinzen Kirkuk, Erbil, Salahuddin, Dialah, Bagdad und in der Stadt Kut, und sind seit 2014 signifikanter Vertreibung ausgesetzt (WCC, NCA 30.11.2016). Vor allem schiitische Turkmenen wurden vom IS verfolgt und ihre Häuser geplündert. Nach dem Fall von Mossul flüchtete das Gros der schiitischen Turkmenen südwärts nach Bagdad und in die schiitischen Provinzen Karbala und Najaf (ÖB 12.2016). […] Ende 2016 flüchteten tausende Turkmenen aus Tal-Afar vor den Kampfhandlungen zur Rückeroberung der Stadt vom IS (AA 7.2.2017). Im Juli 2017 exekutierte der IS Berichten zufolge 200 Turkmenen in Tal-Afar (Iraqinews 4.7.2017). Am 20. Juli 2017 erkannte das irakische Parlament die Verfolgung der Turkmenen durch den IS als Völkermord an (Rudaw 20.7.2017). Tal-Afar wird von schiitischen und sunnitischen Turkmenen bewohnt. Ministerpräsident Abadi hat den schiitisch dominierten Kräften der Volksmobilisierung zunächst die Zusage abgerungen, nicht nach Tal-Afar vorzustoßen, da sonst Racheakte der schiitischen Kräfte an den pauschal als IS-Kollaborateure abgestempelten sunnitischen Turkmenen zu befürchten wären (AA 7.2.2017 ; s. zu Tal Afar auch den Abschnitt 'Sicherheitslage' ). Nun ist es aber doch anders gekommen, und die Milizen nehmen an der Tal-Afar-Offensive teil (WI 22.8.2017). Sunnitische Turkmenen (insbesondere jene, die aus IS-Gebieten kommen) werden ebenso wie sunnitische Araber immer wieder unter Pauschalverdacht gestellt und nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet. Außerdem wird ihnen immer wieder der Zutritt zu (relativ gesehen) sicheren Regionen verwehrt (UNHCR 14.11.2016). […] Turkmenische IDPs (insbesondere sunnitische) fürchten sich vor Misshandlungen durch die PMF, wenn sie in ihre Heimatgebiete zurückkehren (HRW 7.5.2017).

[…]

Westlicher bzw 'nicht-konservativer' Lebens- und Kleidungsstil

Durch den steigenden Einfluss von besonders konservativen Kräften, einschließlich der schiitischen Milizen, von denen viele mit politischen Akteuren verlinkt sind, geht der Trend deutlich in Richtung Einschränkung der persönlichen Freiheit der Bevölkerung. Die Milizen führen Regelungen ein, die sie für den 'richtigen' islamischen Lebensstil halten (AIO 12.6.2017). Der Kleidungsstil, der von Frauen erwartet wird, ist im Irak über die letzten zwei Dekaden konservativer geworden. Dieses Phänomen hat sich nach 2003 dadurch beschleunigt, dass sunnitische und schiitische religiöse Kräfte im Irak auf dem Vormarsch sind. Im IS-Gebiet gibt es einen strengen Dress Code, der strikt durchgesetzt wird. In schiitischen Gebieten, einschließlich Basra und Bagdad versuchen schiitische Milizen ebenfalls strikte Bekleidungsvorschriften durchzusetzen und sind für gewalttätige Übergriffe auf Frauen verantwortlich, deren Kleidungsstil als unangebracht angesehen wird. Über das Jahr 2006 2007 ist bekannt, dass Milizen in Basra und Diyala hunderte Frauen töteten, weil sie den Dress Code nicht eingehalten hatten. Es gibt Befürchtungen, dass ein solches Ausmaß erneut droht (Lattimer 23.6.2017).

Frauen in von (schiitischen) Milizen kontrollierten Gebieten:

In Gebieten, in denen es eine starke Präsenz von Milizen gibt (wie zB jenen der Volksmobilisierung - PMF), kommt es vor, dass diese Milizen in Bezug auf Frauen (aber auch ganz allgemein) konservativere kulturelle Normen und Konventionen einführen bzw sogar gewaltsam erzwingen (AIO 12.6.2017). In von diesen Milizen kontrollierten Gebieten werden die Rechte von Frauen eingeschränkt. Einige Milizen tun dies systematisch (IISS 15.5.2017). Ob und wie weit dies geht, hängt nicht nur von der jeweiligen Miliz ab, sondern auch von den jeweiligen lokalen Kommandanten. Die Milizen schränken die Rechte von Frauen nicht nur in jenen Gebieten ein, die unter ihrer Kontrolle stehen, sondern auch in den Städten wie zB Bagdad und Basra, in denen der Einfluss der Milizen sehr groß ist. Die Milizen operieren diesbezüglich ungestraft, zum Teil auch in Komplizenschaft mit den lokalen Behörden (Lattimer 23.6.2017). Es wird zB auch von Übergriffen auf bzw Morden an Frauen berichtet, die in Bordells arbeiten, oder die die 'falsche' Kleidung tragen (Lattimer 24.7.2017).

[…]

Kinder

Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind von Gewaltakten betroffen, sei es direkt, oder dadurch, dass ihre Familienmitglieder zu Opfern von Gewalt wurden (AA 7.2.2017). Laut einem UNICEF-Bericht von 2016 wird der Irak als eines der tödlichsten Länder für Kinder erachtet. 3,6 Millionen Kinder seien dort der Gefahr ausgesetzt, getötet, verletzt, ausgebeutet oder Opfer sexueller Gewalt zu werden (HRW 12.1.2017). Tötungen und Verstümmelungen sind die am häufigsten gemeldeten Formen von Gewalt gegen Kinder. Kinder werden durch militärische Operationen verletzt und getötet, und Berichten zufolge sind sie von den sich verschlechternden humanitären Bedingungen unverhältnismäßig stark betroffen (UNHCR 14.11.2016).

Laut UNICEF sind Kinder im Irak seit der Intensivierung der Kämpfe in einer endlosen Schleife von Gewalt und Armut gefangen. Mehr als fünf Millionen Kinder sind auf dringende humanitäre Hilfe angewiesen. Seit 2014 sind 1.075 Kinder getötet worden, mehr als 150 Kinder in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 (UN 22.6.2017).

Der IS veröffentlicht regelmäßig Videos von Kindersoldaten in seinen Reihen. Es liegen Berichte über Umerziehungskampagnen an mehreren Tausend Kindern in den vom IS beherrschten Gebieten vor (AA 7.2.2017). Darüber hinaus wurde gemeldet, dass bewaffnete Gruppen, die gegen den IS kämpfen, einschließlich der Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitischer Stämme, Kurdischer Arbeiterpartei (PKK) und sonstiger bewaffneter kurdischer Gruppen sowie turkmenischer und jesidischer Selbstverteidigungsgruppen, Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl USDOS 3.3.2017).

Zahlreiche Jugendliche sind nach Angaben der Vereinten Nationen wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt. Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut IKRK werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 7.2.2017). Eine große und Berichten zufolge steigende Zahl von Kindern wird willkürlich festgenommen, für terroristische Handlungen verantwortlich gemacht und teilweise für lange Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt in Hafteinrichtungen, Polizeistationen und Rehabilitationszentren der irakischen Regierung und der KRG-Behörden untergebracht (UNHCR 14.11.2016).

Die Sicherheitslage, die Einquartierung von Binnenvertriebenen und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten findet kein regulärer Schulunterricht statt (AA 7.2.2017). Über 3,7 Millionen Kinder im Schul-Alter sind von der derzeitigen Krise im Irak betroffen. Am Ende des Schuljahres 2016 hatten nur 60 Prozent der vom Konflikt betroffenen Kinder Zugang zu irgendeiner Art von Bildung (OCHA 7.3.2017).

UNICEF schätzt, dass sich die Zahl der arbeitenden Kinder seit 1990 verdoppelt hat, und nunmehr 575.000 beträgt (HRW 12.1.2017).

[…]

IDP-RückkehrerInnen und 'quasi-staatliche' Einschränkungen der Bewegungsfreiheit

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind es mit Stand Juli 2017 rund zwei Millionen IDPs, die in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt sind (IOM 15.7.2017).

[…]

Laut REACH, einer Initiative der NGOs IMPACT und ACTED sowie des operativen UN-Satellitenanwendungsprogramm UNOSAT, gibt es im Irak im Allgemeinen eine Präferenz von Binnenvertriebenen, in ihre Herkunftsregionen zurückzukehren, manche würden jedoch noch nicht zurückkehren, da sie bezüglich des Schutzes ernsthaft besorgt seien, und es beim Zugang zu Basisdienstleistungen Probleme gäbe (REACH 12.2016). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden, da einige Städte weitgehend zerstört sind (AA 7.2.2017). Den diesbezüglich größten Bedarf gibt es in erst vor kurzem zurückeroberten Gebieten mit schweren Schäden an der Infrastruktur, beispielsweise in Fallujah und Ramadi. Hingegen sind in Gebieten wie Tikrit und Muqdadiya, in denen es bereits seit mehr als einem Jahr Rückkehrer gibt, deutliche Verbesserungen beim Zugang zu Basisdiensten und beim Wiederaufbau von grundlegender Infrastruktur zu sehen. Eine grundsätzliche Sorge betrifft jedoch den Mangel an ausreichenden Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, was wiederum den Zugang zu Basisdiensten blockiert (REACH 12.2016). Die Stadt Tikrit ist insofern nennenswert – und noch am ehesten als Erfolgsmodell zu sehen (WP 23.11.2016), als sie eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilization Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), sind inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückgekehrt. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt. Auch ist auf lange Sicht der oben erwähnte Erfolg fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden sind, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde - die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen muss (WP 23.11.2016). Neben Tikrit sind auch Viele in die Städte Fallujah (Anm: s. dazu auch weiter unten in diesem Abschnitt) und Ramadi zurückgekehrt, in denen ebenfalls wie in Tikrit v.a. Sunniten leben. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilization Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge können dabei eine Rolle spielen (WP 23.11.2016). Die Sicherheit von Rückkehrern ist also von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 7.2.2017). Darüber hinaus müssen sich Rückkehrer Sicherheitsüberprüfungen unterziehen und von verschiedenen lokalen Akteuren in den Rückkehrgebieten − einschließlich der Streitkräfte, die das betreffende Gebiet kontrollieren, örtlicher Behörden und Stämme − eine Rückkehrerlaubnis einholen. Dabei kommen die oben erwähnten Diskriminierungen ebenfalls zum Tragen. In der Provinz Babil beispielsweise gibt es derzeit verschiedene Versuche, die Demographie zugunsten der schiitischen Bevölkerung zu verschieben. So wird einer erheblichen Anzahl an Binnenflüchtlingen sunnitischen Glaubens auch mehrere Jahre nach der Rückeroberung vom IS die Rückkehr in die Provinz verwehrt und sunnitischer Zuzug generell unterbunden (BAMF 17.7.2017). Nicht nur die PMF, sondern auch Peschmerga-Kämpfer und andere kurdische Sicherheitskräfte verwehrten zehntausenden arabischen Bewohnern der KRI, die im Zuge des Konflikts vertrieben worden waren, eine Rückkehr in ihre Heimat (AI 22.2.2017, vgl AA 7.2.2017), und es kam im Zuge dessen auch zur Zerstörung von Häusern vermeintlicher IS-Kollaborateure (AA 7.2.2017). Auch Turkmenen und anderen ethnoreligiösen Gruppen wurde eine Rückkehr von Seiten der Peschmerga oder der PMF verwehrt (USDOS 10.8.2016). In einigen Fällen wurden die kurdischen Sicherheitskräfte und die mit den PMF verbündeten Streitkräfte sogar beschuldigt, nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze sunnitisch-arabische und sunnitisch-turkmenische Dörfer vorsätzlich im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen oder zur Verhinderung einer Rückkehr zerstört zu haben, um ihre Kontrolle über das Gebiet zu konsolidieren (UNHCR 14.11.2017). Das Bemühen bestimmter Akteure, das Rückkehren von IDPs zu verhindern, hat verschiedenste Gründe, v.a. aber auch jenen, dass es oft im Interesse dieser Gruppen liegt, das Gebiet selbst für sich in Anspruch zu nehmen, es einzunehmen, oder als Druckmittel für zukünftige Streitigkeiten bzw Verhandlungen über territoriale 'Tauschgeschäfte' benutzen zu können (Lattimer 26.4.2017).

Zum Teil entscheiden sich Binnenvertriebene dennoch für eine Rückkehr, weil sie in den Gebieten, in die sie geflüchtet sind, unter schwierigen und häufig extrem prekären Umständen leben und Unterbringung, Gesundheits-, Nahrungsmittel- und Wasserversorgung notdürftig und oft unzureichend sind. Aus Bagdad wird berichtet, dass Binnenvertriebene aus Anbar aufgrund von Sicherheitsbedenken zurückkehren, insbesondere nach Angriffen auf Al Salam, das drittgrößte Binnenvertriebenenlager in Bagdad (UNHCR 14.11.2016).

Die Lage in den rückeroberten Gebieten ist zudem vor allem durch IEDs (Improvised explosive device) und Minen stark gefährdet sowie durch logistische Schwierigkeiten, mangelnde Schulen, eine allgemeine prekäre Sicherheitslage sowie Konflikte zwischen Milizen geprägt (ÖB 12.2016). Der IS versieht Häuser, öffentliche Plätze und Straßen in den von ihm aufgegebenen Gebieten regelmäßig mit Minen und , denen Rückkehrer zum Opfer fallen (UNHCR 14.11.2016). Das Beschlagnahmen und Zerstören des Besitzes von Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten und die Inbesitznahme dieses Eigentums, auch durch die vormaligen Nachbarn, machen (neben dem Problem, dass es in diesen Gebieten kaum Möglichkeiten zur Sicherung der Existenzgrundlage gibt) eine Rückkehr in befreite Gebiete für viele Angehörige von Minderheiten oft unzumutbar (ÖB 12.2016; vgl UNHCR 14.11.2016). Fallujah beispielsweise war vor etwa einem Jahr vom IS zurückerobert worden. Die dortigen Stabilisierungsbemühungen schreiten fort - etwa 60 Prozent der Stadtbewohner haben wieder Wasserzugang. Gleichwohl sind die Wohngebiete noch nicht im selben Maße von Minen geräumt, und die Stadt ist nach wie vor regelmäßig Ziel von Terrorangriffen des IS (BAMF 26.6.2017). Die irakische Regierung hat laut Berichten Schwierigkeiten, ein umfassendes und wirksames Machtmonopol zu errichten, und die Möglichkeiten des Staates und seiner Institutionen, das Recht durchzusetzen und seine Bürger zu schützen, sind weiterhin schwach ausgeprägt (UNHCR 14.11.2016). Spannungen und Ausbrüche von Gewalt wurden auch im Zusammenhang mit den Machtkämpfen verschiedener Akteure in ehemals vom IS kontrollierten Gebieten gemeldet, insbesondere in Gebieten, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der Regionalregierung von Kurdistan (KRG) beansprucht werden ('umstrittene Binnengrenzgebiete') und v.a. in ethnisch gemischten Provinzen (UNHCR 14.11.2106; vgl USDOS 3.3.2017)."

1.5. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass der IS aus der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Parteien zurückgedrängt worden sei. Eine konkrete Verfolgung auf Grund ihrer Religion oder Ethnie lasse sich, insbesondere im Lichte der Länderfeststellungen, nicht feststellen. So lebe auch ein Bruder des Erstbeschwerdeführers weiterhin in Mossul. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass schiitische Milizen Angehörige der Volksgruppe der Turkmenen und des sunnitischen Glaubens "immer wieder" angreifen würden und dass die Sicherheitslage im Großraum Mossul angespannt sei. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen könne aber keine systematische Verfolgung von sunnitischen Turkmenen festgestellt werden. Es sei Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft und der turkmenischen Volksgruppe möglich, im Irak zu leben, zu arbeiten, staatliche und politische Posten zu besetzen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Es sei den beschwerdeführenden Parteien möglich, sich in ihrer Herkunftsregion, konkret Tal Afar, niederzulassen. Dies zeige sich auch in den in den Länderfeststellungen aufgezeigten vermehrten Rückkehren ehemaliger Bewohner dieser Region. Aus den Feststellungen zur Lage im Irak, insbesondere zum "Großraum Mossul/Tal Afar", könne nicht abgeleitet werden, dass die beschwerdeführenden Parteien alleine schon auf Grund ihrer bloßen Anwesenheit im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder durch bürgerkriegsähnliche Ereignisse ausgesetzt wären.

1.6. Dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin entgegnet das Bundesverwaltungsgericht, dass sich zwar durch die Einflussnahme schiitischer Milizen im Irak ein durchwegs konservativerer Lebensstil (auch im Hinblick auf Kleidungsvorschriften für Frauen) zu etablieren beginne. Die Zweitbeschwerdeführerin habe aber bereits im Irak (mit Unterstützung durch den Erstbeschwerdeführer) ein selbstbestimmtes Leben geführt, sodass nicht festgestellt werden könne, "dass damit ein Maß an Diskriminierung erreicht wird, welches Asylrelevanz entfaltet".

1.7. Abschließend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin arbeitsfähig und gesund seien. Sie verfügten über Schulbildung und Berufserfahrung und seien daher in der Lage ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, um sich und ihre Kinder zu versorgen. Darüber hinaus könnten die beschwerdeführenden Parteien mit der Unterstützung durch ihre im Herkunftsland verbliebenen Verwandten rechnen.

2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende auf Art144 B VG gestützte Beschwerde in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die beschwerdeführenden Parteien, als Angehörige der turkmenischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, trotz angespannter Sicherheitslage im Großraum Mossul, nach Tal Afar zurückkehren könnten. Begründend führt es aus, dass Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft in Tal Afar arbeiten, staatliche und politische Posten besetzen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten. Dies zeige sich auch in den vermehrten Rückkehren.

2.1. Aus den Länderberichten geht hervor, dass es für Sunniten besonders schwierig sei, an Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten gelebt hatten. Sunniten würden unter dem Pauschalverdacht stehen, mit dem IS zu sympathisieren. An manchen Orten würden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. In Gebieten, die vom IS zurückerobert worden seien, komme es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern auf Grund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS. Das irakische Parlament erkennt die Verfolgung der Turkmenen durch den IS als Völkermord an.

2.2. Soweit das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass Personen vermehrt nach Tal Afar zurückkehren würden, wird darauf hingewiesen, dass den Länderberichten nicht zu entnehmen ist, inwiefern die Zurückkehrenden, der sunnitischen Glaubensgemeinschaft und/oder der turkmenischen Volksgruppe angehören. Für den Verfassungsgerichtshof ist auch nicht ersichtlich, auf welche Länderinformationen das Bundesverwaltungsgericht seine Annahme stützt, dass Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft in Tal Afar arbeiten, staatliche und politische Posten besetzen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten. Das Bundesverwaltungsgericht hat es verabsäumt, sich mit den oben erwähnten Länderberichten auseinanderzusetzen und sich darauf beschränkt, das Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung auszuführen. Eine nachvollziehbare Begründung seiner allgemeinen rechtlichen Ausführungen bleibt es schuldig (vgl VfGH 13.12.2017, E940/2017).

3. Darüber hinaus konnte das Bundesverwaltungsgericht nicht feststellen, dass die Zweitbeschwerdeführerin "einen, nicht schon im Irak im Wesentlichen gelebten neuen – westlichen – Lebensstil angenommen hat". Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt es aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin unter einem Leben als "moderne" Frau eine Lebensweise verstehe, die es Frauen ermögliche, kein Kopftuch zu tragen, einer Arbeit nachzugehen, Kinder zu erziehen und zu studieren. Ein solches Leben habe, so das Bundesverwaltungsgericht, die Zweitbeschwerdeführerin bereits vor der Ausreise aus dem Irak geführt: Sie habe sich nicht an religiöse Bekleidungsregeln gebunden gesehen, verfüge über Schulbildung und sei einer Erwerbstätigkeit nachgegangen.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten gegenüber der Zweitbeschwerdeführerin allein damit, dass die Zweitbeschwerdeführerin bereits vor ihrer Ausreise aus dem Irak ein selbstbestimmtes Leben geführt habe und dass ihr – vor diesem Hintergrund – keine asylrelevante Verfolgung durch schiitische Milizen drohe. Damit verabsäumt es das Bundesverwaltungsgericht, sich mit den aktuellen Länderberichten auseinanderzusetzen, aus denen hervorgeht, dass schiitische Milizen konservativere kulturelle Normen und Konventionen einführen "bzw sogar gewaltsam erzwingen". Die Milizen würden die Rechte von Frauen nicht nur in Gebieten einschränken, die unter ihrer Kontrolle stehen, sondern auch in Gebieten, auf die die Milizen großen Einfluss ausüben. Laut Länderberichten wird auch von Übergriffen auf bzw Morden an Frauen berichtet, die die "falsche" Kleidung tragen.

3.2. Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar davon ausgeht, dass die Zweitbeschwerdeführerin auch schon vor ihrer Ausreise ein "modernes" Leben geführt hat, hat es das Bundesverwaltungsgericht verabsäumt, die geänderten Machtverhältnisse in der Herkunftsregion der Zweitbeschwerdeführerin ausreichend zu berücksichtigen: Aus den Länderberichten ergibt sich, dass schiitische Milizen im Jahr 2017 an der Tal Afar-Offensive zur Befreiung der Stadt vom seit 2014 herrschenden IS teilgenommen haben und dass Tal Afar für die schiitischen Milizen ein besonders wichtiges Ziel ist, weil es dort vor der Eroberung durch den IS einen signifikanten schiitischen Bevölkerungsanteil gegeben hat. Vor diesem Hintergrund hätte das Bundesverwaltungsgericht prüfen müssen, ob die Stadt Tal Afar aktuell unter dem Einfluss schiitischer Milizen steht und ob der Zweitbeschwerdeführerin in Tal Afar eine asylrelevante Verfolgung durch schiitische Milizen droht. Der bloße Verweis darauf, dass die Zweitbeschwerdeführerin vor der im Juni 2014 beginnenden IS-Herrschaft ein "modernes" Leben geführt hat, ist nicht ausreichend.

4. Überdies enthalten die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte Ausführungen zur Situation von Kindern im Irak. Daraus geht hervor, dass insbesondere Kinder Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre waren und sind. Sie werden durch militärische Operationen verletzt und getötet und sind von den sich verschlechternden humanitären Bedingungen unverhältnismäßig stark betroffen. Der Irak sei eines der tödlichsten Länder für Kinder. Berichten zufolge setzten sowohl die Einheiten der Volksmobilisierung (hauptsächlich bestehend aus schiitischen Milizen) als auch der IS und sonstige bewaffnete Gruppen, wie turkmenische Selbstverteidigungsgruppen, Kindersoldaten ein.

4.1. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte in den Herkunftsländerinformationen hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua).

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt eine Auseinandersetzung mit den Länderberichten und der Frage, ob der zum Zeitpunkt der Entscheidung zwölfjährigen Drittbeschwerdeführerin, dem neunjährigen Viertbeschwerdeführer, dem achtjährigen Fünftbeschwerdeführer und der zweijährigen Sechstbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art2 und Art3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (VfGH 11.6.2018, E4469/2017 ua; 25.9.2018, E1764/2018 ua; 11.12.2018, E2025/2018 ua). Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht die Minderjährigkeit der Dritt- und Sechstbeschwerdeführerin und des Viert- und Fünftbeschwerdeführers im Rahmen seiner Abwägung nach Art8 EMRK berücksichtigt, lässt es bei der Prüfung nach Art2 und Art3 EMRK außer Acht, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien nicht bloß um "arbeitsfähige und gesunde Personen mit hinreichender Schulbildung und Berufserfahrung" handelt, sondern um eine Familie mit vier minderjährigen Kindern. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, in Bezug auf die Dritt- und Sechstbeschwerdeführerin und den Viert- und Fünftbeschwerdeführer, begründungslos ergangen.

III. Ergebnis

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 654,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 566,80 enthalten.

Rückverweise