JudikaturVfGH

B1446/2012 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
21. Februar 2014

Im Verwaltungsstrafverfahren liegt eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantien dann vor, wenn der UVS, der insofern als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige - über volle Kognitionsbefugnis sowohl im Tatsachen- als auch im Rechtsfragenbereich verfügende - Gericht iSd Art6 EMRK einschreitet, einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, sofern keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen.

§51e VStG ist im Lichte des Art6 EMRK auszulegen, der den Prüfungsmaßstab für den VfGH bildet. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen. Dem entspricht es, wenn der EGMR bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl EGMR 12.11.2002, Fall Döry, Appl 28394/95, Z37 ff).

Die Beschwerdeführerin beantragte gleichzeitig mit ihrem Einspruch ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung um insbesondere zu klären, inwiefern die mit den Behördenvertretern vor Ort behauptetermaßen vereinbarte Verlegung des Versammlungsortes eine Bestrafung nach §2 Abs1 VersammlungsG ausschließen würde. Zum Beweis "der einvernehmlichen Verlegung" führte sie insgesamt vier "verantwortliche Beamte" als Zeugen an. Wie aus dem, dem VfGH vorliegenden Verwaltungsakt zu entnehmen ist, blieb diese - zumindest für die Strafhöhe - entscheidungserhebliche Frage zum Sachverhalt ungeklärt, da die im Akt dokumentierten Angaben widersprüchlich sind.

Die belangte Behörde sah, obzwar der Sachverhalt hier offensichtlich nicht hinreichend geklärt erscheint und entgegen dem Antrag der Beschwerdeführerin, im konkreten Fall - in einer den Garantien des Art6 EMRK widersprechenden Weise - von einer mündlichen Verhandlung ab. Die vergleichsweise geringe Höhe der von der Erstbehörde verhängten Geldstrafe ist dabei ohne Belang (vgl VfSlg 16894/2003).

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