Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Müller und den Richter MMag. Klaus in der Rechtssache der Antragstellerin Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, Wiedner Hauptstraße 84 86, 1051 Wien, gegen den Antragsgegner A* B* , geboren am **, **, wegen Insolvenzeröffnung, über den Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27.6.2025, ** 8, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
Am 21.5.2025 beantragte die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen ( SVS, Antragstellerin ) beim Erstgericht mit Rückstandsausweis vom selben Tag, über das Vermögen des A* B* ( Antragsgegner ) das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Dieser sei bei der Antragstellerin versichert und Unternehmer im Sinne des § 182 IO. Er schulde für den Zeitraum 1.12.2022 bis 31.3.2025 Beiträge in Höhe von EUR 18.781,05 und sei zahlungsunfähig. Vor dem Bezirksgericht Favoriten werde zu ** Exekution geführt. Ein Kostenvorschuss nach § 71a Abs 1 IO werde nicht erlegt (ON 1).
Im Auskunftsverfahren ermittelte das Erstgericht, dass der Antragsgegner seit 1.12.2018 laufend bei der SVS als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger gemeldet ist (ON 2.8). Eine Firmenbuchabfrage ergab, dass der Antragsgegner Komplementär der - infolge Konkurses aufgelösten - C* KG, FN **, sowie der - infolge rechtskräftiger Abweisung eines Konkursantrags mangels kostendeckenden Vermögens gemäß § 39 FBG aufgelösten - D* KEG, FN **, ist (ON 2.3, ON 2.4).
Erhebungen des Erstgerichts im Grundbuch, im KFZ Zentralregister, wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit und in der Liste der Vermögensverzeichnisse verliefen negativ (ON 2.2).
Eine Abfrage im E Register ab dem Jahr 2022 ergab insgesamt 16 aktuelle Exekutionsverfahren hinsichtlich des Antragsgegners. Betreibende Gläubiger waren in sieben Fällen die Antragstellerin, ferner die ÖGK, die Republik Österreich, die E* AG, die F* GmbH und weitere Gläubiger (ON 2.9).
Mit Beschluss vom 22.5.2025 gab das Erstgericht dem Antragsgegner bekannt, das Insolvenzeröffnungsverfahren schriftlich abzuführen. Es trug ihm auf, bis 24.6.2025 einen Kostenvorschuss von EUR 4.000, für die Anlaufkosten des Konkursverfahrens zu überweisen, das ausgefüllte Vermögensverzeichnis zu retournieren und sollte er die Zahlungsunfähigkeit bestreiten Belege über die Vollzahlung oder Ratenvereinbarungen samt einem Nachweis der Anzahlung betreffend der Antragstellerin, des Finanzamts, der ÖGK sowie der weiteren Exekution führenden Gläubiger vorzulegen (ON 3).
Der Beschluss wurde zur Abholung am 30.5.2025 hinterlegt und dem Überbringer der Hinterlegungsanzeige (offenbar: I* B*) am 11.6.2025 ausgefolgt.
Das Finanzamt teilte am 28.5.2025 mit, dass ein Zahlungsrückstand des Antragsgegners in Höhe von EUR 67.891,60 bestehe, Exekution geführt werde und keine aufrechte Zahlungsvereinbarung getroffen worden sei (ON 4.2).
Die ÖGK gab am 27.5.2025 bekannt, Forderungen in Höhe von EUR 6.455,68 und EUR 26.466,97 zu haben. Es werde Exekution geführt (ON 5).
Die SVS teilte am 11.6.2025 mit, dass keine Zahlungen eingelangt seien und kein Kostenvorschuss erlegt werde (ON 6 und 7).
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht die Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners fest und erklärte, das Insolvenzverfahren mangels Kostendeckung nicht zu eröffnen. Die Antragstellerin habe eine Forderung in Höhe von EUR 18.781,05 glaubhaft gemacht. Die Zahlungsunfähigkeit ergebe sich daraus, dass die Beitragsrückstände bis Dezember 2022 zurückreichen würden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Schuldner über Vermögen verfüge, welches zumindest ausreiche, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Die Antragstellerin habe sich nicht bereit erklärt, einen Kostenvorschuss zu erlegen.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Antragsgegners mit dem Antrag auf Abänderung, das Konkursverfahren zu eröffnen.
Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Der Rekurs ist im Sinne des implizit enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt .
1. Der Antragsgegner wendet sich in seinem Rekurs nicht gegen die vom Erstgericht festgestellte Zahlungsunfähigkeit. Er behauptet jedoch, erst am 4.7.2025 vom gegenständlichen Verfahren Kenntnis erlangt zu haben und über mehr als die notwendigen EUR 4.000, zu verfügen, um die (Anlauf )Kosten des Konkursverfahrens abzudecken. Er sei bereit, die notwendige Summe auf ein Gerichtskonto einzuzahlen oder in bar zu erlegen. Er beantrage die Eröffnung des Konkursverfahrens.
2. Ob der Antragsgegner vom Beschluss vom 22.5.2025 (ON 3) und damit vom gegenständlichen Insolvenzeröffnungsverfahren Kenntnis hatte oder nicht, kann dahingestellt bleiben, weil nach ständiger Rechtsprechung neben dem Bestand einer Insolvenzforderung und der Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners die weitere von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Vorhandensein kostendeckenden Vermögens ist. Solches liegt nach § 71 Abs 2 IO dann vor, wenn das Vermögen des Antragsgegners zumindest ausreicht, um die im Gerichtshofverfahren üblicherweise mit EUR 4.000,-- veranschlagten Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken.
3. Eine wesentliche Grundlage für die Erhebungen zum kostendeckenden Vermögen bildet das vom Antragsgegner zu unterfertigende Vermögensverzeichnis, zu dessen Vorlage er nach den §§ 71 Abs 4, 100, 100a und 101 IO vom Gericht anzuhalten ist. Auch ein Vermögensverzeichnis nach § 47 EO entbindet das Gericht nicht von seiner Pflicht nach § 100 IO, den Antragsgegner zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach den §§ 100, 100a IO anzuhalten (OLG Wien 6 R 166/21g; 6 R 389/19g, 6 R 365/19v uva). Im Unterschied zum Exekutionsverfahren sind in dem im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erstellenden Vermögensverzeichnis insbesondere auch Angaben zur Beurteilung von Anfechtungsansprüchen zu machen (§ 100a Abs 2 IO; siehe auch § 185 IO).
Vor Fassung des angefochtenen Beschlusses wurde ein Vermögensverzeichnis des Antragsgegners nicht eingeholt Angesichts der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Sanktionsmöglichkeiten (§§ 100, 101 IO) und der amtswegigen Erhebungspflicht ist das Erstgericht nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates befugt und verpflichtet, falls der ordnungsgemäßen Ladung zu einer Einvernahmetagsatzung keine Folge geleistet wird, die zwangsweise Vorführung zu einer solchen anzuordnen (vgl Mohr , IO 11 § 71 E 48 ff). Daran kann auch die beschlussmäßige Aufforderung zur Leistung des Kostenvorschusses an den Antragsgegner nichts ändern.
Das Unterbleiben dieses Ladungs- und (sodann allfälligen) Vorführversuchs begründet einen Verfahrens mangel, der, weil er gegen zwingende Verfahrens vorschriften der IO verstößt, auch wenn dies im Rekurs nicht geltend gemacht wird, von Amts wegen wahrgenommen werden muss ( Mohr , IO 11 § 71 E 75).
4. In Stattgebung des Rekurses war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben. Das Erstgericht wird das Insolvenzeröffnungsverfahren fortzusetzen und das Vorliegen von kostendeckendem Vermögen neuerlich zu prüfen haben. Im Zweifel wird von dessen Vorliegen auszugehen und der Konkurs unverzüglich zu eröffnen sein.
5. Im übrigen wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass dem Antragsgegner auch die Möglichkeit einer Antragstellung nach den §§ 183 ff IO offen steht. § 183 IO sieht für natürliche Personen eine Ausnahme vom Kostendeckungsprinzip vor. Danach ist ein Insolvenzantrag trotz Fehlens eines zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens dann nicht abzuweisen, wenn der Schuldner ein genaues Vermögensverzeichnis und einen Zahlungsplan vorlegt, dessen Annahme beantragt und die Erfüllung bescheinigt, und wenn er weiters glaubhaft macht, dass seine Einkünfte die Kosten des Verfahrens voraussichtlich decken werden. Dies gilt auch in einem auf Gläubigerantrag eingeleiteten Insolvenzeröffnungsverfahren (RS0117184).
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