JudikaturOLG Wien

16R36/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
18. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden und die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Mag. Janschitz in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. am **, Außendienstmitarbeiter, **, vertreten durch Dr. Alois Autherith, LL.M., und andere Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wider die beklagten Parteien 1. DI B* , **, und 2. C* AG, **, beide vertreten durch Dr. Christian Gamauf, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 38.516,65 s.A. und Feststellung (Streitwert: EUR 5.000,--), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 29.000,--) gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 27. Dezember 2024, **-73, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 3.307,41 (darin EUR 551,23 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20.6.2021 ereignete sich auf der ** im Ortsgebiet von ** ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem Motorrad ** mit dem Kennzeichen ** und der Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten zum Unfallzeitpunkt aufrecht haftpflichtversicherten PKW ** mit dem Kennzeichen ** beteiligt waren. Das Alleinverschulden am Verkehrsunfall trifft den Erstbeklagten.

Die Zweitbeklagte zahlte dem Kläger, der bei dem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, außergerichtlich ein Schmerzengeld von EUR 9.900,-- sowie EUR 1.800,-- als Ersatz für Pflege- und Haushaltshilfekosten.

Der Kläger begehrte (zuletzt) die Zahlung eines weiteren Schmerzengeldes von EUR 37.100,--, weiteren Schadenersatz für vermehrte Bedürfnisse bei der Körperpflege und der Gartenarbeit in Höhe von EUR 975,-- und für Rezeptgebühren und Behandlungskosten von EUR 441,65 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Er brachte - soweit für das Berufungsverfahren von Relevanz - vor, dass er bei dem Unfall schwere Verletzungen, und zwar eine Gehirnerschütterung, einen Bruch der zweiten und dritten Rippe links, eine Prellung des Brustkorbs und ein Schädelhirntrauma erlitten habe. Die unmittelbar nach dem Unfall aufgetretene Sprachstörung habe sich zurückgebildet. Er leide aber nach wie vor an erheblichen Sensorikausfällen auf der gesamten linken Körperhälfte; sein Kopf fühle sich links taub an, auch im Mund bestehe nur zur Hälfte ein ausgeprägter Geschmackssinn. Das linke Ohr weise eine erhebliche Hörbeeinträchtigung auf; weiters leide er an einem ziehenden Schmerz im Hals und in der linken Schulter sowie einem permanenten, brennenden, kribbelnden Schmerz im linken Oberarm und am hinteren Oberkörper und Rücken. Das Temperaturempfinden auf der linken Körperhälfte sei massiv beeinträchtigt. Auch im Unterleib bestehe eine halbseitige Gefühlsstörung, ebenso am linken Bein. Die linke Fußfläche sei massiv gefühlsgestört, was erhebliche Probleme beim Aufsteigen und Gehen mit sich bringe. Reflexe auf der linken Körperhälfte seien nicht auslösbar, das Hautgefühl im Bereich der linken Körperhälfte sei gestört. Es liege eine andauernde Hemihypästhesie der gesamten linken Körperhälfte vor. Insgesamt sei daher ein Schmerzengeld von EUR 47.000,-- angemessen.

Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wendeten im Wesentlichen ein, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt bei einer Größe von 180 cm 142 kg schwer und damit adipös gewesen sei; er habe schon vor dem Unfall an Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Hyperlipidämie und Bewegungsmangel gelitten. Weder die linksseitigen Sensorikausfälle bzw Taubheitsgefühle (Hemihypästhesie) und Problemen beim Gehen noch die linksseitigen Temperaturempfindungsstörungen, die linksseitige Gefühlsstörung im Unterleibs- bzw Genitalbereich, die linksseitige Beeinträchtigung des Geschmackssinns, ziehende und/oder brennende bzw kribbelnde Schmerzen auf der linken Körperseite sowie die Hörbeeinträchtigung links seien auf den Unfall zurückzuführen. Die durch den Unfall erlittenen Schmerzen seien mit der geleisteten Zahlung von EUR 9.900,-- abgegolten.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Zahlungsbegehren im Umfang von EUR 8.444,46 sA sowie dem Feststellungsbegehren unbekämpft statt und wies das Mehrbegehren von EUR 30.072,15 sA ab.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung neben dem oben wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalt noch weitere aus den Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung ersichtliche Feststellungen zugrunde, auf die verwiesen wird und von denen noch Folgende (teilweise leicht gekürzt) hervorgehoben werden:

Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt rund 140 kg schwer, dies bei einer Körpergröße von 180 cm. An Vorerkrankungen litt er an einer arteriellen Hypertonie, einer Hypercholinesterinämie und an Diabetes mellitus.

Der Kläger erlitt bei dem Verkehrsunfall am 20.6.2021 ein stumpfes Thoraxtrauma mit Bruch der 2. und 3. Rippe links und Einblutung in den linken Schulterblattheber sowie Entwicklung einer muskulären Dysbalance des linken Schultergürtels, weiters eine Schädigung des Hirnstamms mit Einblutung. Nach dem Unfall bestand vorübergehend eine verzögert aufgetretene, schmale Flüssigkeitsansammlung unter der harten Hirnhaut über der rechten Großhirnhemisphäre (subdurales Hygrom). Auf Grund der Lokalisation und Ausprägung der Verletzung an Mittelhirn und Brücke ist von Dauerfolgen (und zwar herabgesetztem Berührungsempfinden sowie Temperaturempfinden im Bereich des Gesichts und der linken Körperhälfte, neuropathischen Schmerzen im Bereich der linken Körperhälfte sowie einem herabgesetzten Hörvermögen links) auszugehen. Spätfolgen sind aus neuroradiologischer Sicht nicht auszuschließen.

Auf Grund des Verkehrsunfalls musste der Kläger in der unfallchirurgischen Abteilung (bis 22.6.2021) und an der neurologischen Abteilung des Landesklinikums D* stationär behandelt werden. Am 25.6.2021 wurde er an die neurologische Abteilung des Landesklinikums E* transferiert, wo er bis 7.7.2021 stationär behandelt wurde. Anschließend fand bis 19.8.2021 ein stationärer Aufenthalt an der Neurorehabilitation des Landesklinikums F* statt. Von 6.10.2021 bis 10.11.2021 absolvierte er einen stationären Aufenthalt im neurologischen Rehabiltitationszentrum G*. Der Kläger befand sich bis Februar 2022 im Krankenstand, ab März 2022 begann er wieder zu arbeiten.

Insgesamt erlitt der Kläger und wird in Zukunft dadurch 2 Tage starke Schmerzen, 20 Tage mittelstarke Schmerzen und 55 Tage leichte Schmerzen erleiden. Zusätzlich erlitt er auf Grund der Verletzung der Schulter zwei Tage mittelstarke Schmerzen und 14 Tage leichte Schmerzen. Zukünftig sind aus der Verletzung im Schulterbereich keine Beschwerden zu erwarten, allfällige Schmerzen hängen mit vorbestehenden degenerativen Veränderungen der langen Bizepssehne und dem Sehnenobergrätenmuskel zusammen.

In rechtlicher Hinsicht mittelte das Erstgericht das angemessene Schmerzengeld unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzungen und deren Folgen sowie der Art, Dauer und Stärke der Schmerzen und der damit verbundenen Unlustgefühle, der Dauerfolgen und der zukünftigen Schmerzen mit EUR 18.000,-- aus. Davon seien die bereits außergerichtlich bezahlten EUR 9.900,-- abzuziehen, sodass ein restlicher Schmerzengeldanspruch von EUR 8.100,-- berechtigt sei.

Gegen die Abweisung eines Teilbetrags von EUR 29.000,-- sA richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsstattgebung durch Zuspruch weiterer EUR 29.000,-- sA abzuändern.

Die Beklagten beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Der Kläger beanstandet in der allein ausgeführten Rechtsrügedas vom Erstgericht mit EUR 18.000,-- ausgemittelte Schmerzengeld als zu gering und vertritt die Auffassung, ihm gebühre ein um EUR 29.000,-- höheres Schmerzengeld. Das Erstgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er aufgrund der erlittenen Verletzungen erheblich und dauerhaft beeinträchtigt sei, was direkte Auswirkung auf seine Lebensführung habe. Er könne beispielsweise nur Treppen, nicht aber auf eine Leiter steigen, weil er auf der linken Fußfläche kein Gefühl habe. Er sei bei wesentlichen Verrichtungen im Haushalt und auch im Garten massiv beeinträchtigt und benötige dabei erhebliche Unterstützung. Seiner Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter könne er trotz der starken gesundheitlichen Einschränkungen nur deshalb weiter nachgehen, weil er dabei hauptsächlich sitzen könne. Arbeiten mit längerem Stehen oder Gehen wären ihm gar nicht bzw. nicht im größeren Ausmaß möglich. Zu 2 Ob 242/09s habe der Oberste Gerichtshof bei vergleichbaren Verletzungen ein Gesamtschmerzengeld von EUR 80.000,-- als angemessen betrachtet.

2. Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RS0031307). Es kann nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falls, der körperlichen und seelischen Schmerzen sowie der Art und Schwere der Verletzung nach freier Überzeugung des Richters im Rahmen einer Globalbemessung festgesetzt werden (RS0031415, insb. [T12]; RS0031307). Bei der Bemessung des Schmerzengelds ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RS0031075). Schmerzperioden können dabei zur Orientierung als Bemessungshilfe herangezogen werden, stellen jedoch keine Berechnungsmethode dar (RS0031415 [T18]).

3. Diese Grundsätze zieht der Berufungswerber nicht in Zweifel. Er wendet sich auch nicht gegen die Heranziehung von Schmerzperioden und Schmerzengeldsätzen als Bemessungshilfe, kritisiert allerdings, das Erstgericht habe nur einen geringfügig höheren Betrag als den sich anhand der Tagessätze rein rechnerisch ergebenden Betrag von EUR 16.550,-- zugesprochen.

4. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass sich unter Heranziehung der im OLG-Sprengel Wien aktuell üblichen Tagessätze (von EUR 120,-- für leichte, EUR 240,-- für mittlere und EUR 360,-- für starke Schmerzen als Untergrenze; vgl. Hartl , Schmerzengeldsätze in Österreich in Euro [Stand: Februar 2025], AnwBl 2025, 243) aufgrund der festgestellten (vergangenen sowie zukünftigen) Schmerzperioden (2 Tage starke, 22 Tage mittlere und 69 Tage leichte Schmerzen) als Untergrenze ein Betrag von EUR 14.280,-- errechnet. Demnach überschreitet das vom Erstgericht als angemessen ausgemittelte Schmerzengeld von EUR 18.000,-- den sich rein rechnerisch ergebenden Betrag aber nicht nur geringfügig, sondern um mehr als ein Viertel. Dass sich das Erstgericht im Rahmen der Bemessung an Schmerzperioden und Tagessätzen orientiert, ist – wie ausgeführt – grundsätzlich nicht zu beanstanden, hat es doch ohnehin den besonderen Umständen im Einzelfall Rechnung getragen, indem es den vom Kläger ins Treffen geführten bleibenden Verlust an Lebensqualität infolge der gesundheitlichen Dauerfolgen durch einen Zuschlag von mehr als 25 % auf den sich anhand der Tagessätze ergebenden Betrag berücksichtigte.

5. In der vom Berufungswerber zitierten Entscheidung 2 Ob 242/09s hielt der Oberste Gerichtshof zwar ein Schmerzengeld von EUR 80.000,-- für angemessen, die dortige Klägerin litt aber nicht nur unter Gefühlsstörungen (dort im Bereich des Gesäßes sowie im Schambein- und Afterbereich und an der Rückseite des Oberschenkels und einer Überempfindlichkeit an der Fußsohle innenseitig), sondern sie hatte durch den Unfall ein Schädelhirntrauma mit Hirnkontusion, ein stumpfes Thoraxtrauma mit Rippenserienfraktur beidseits und Lungenkontusion, ein stumpfes Bauchtrauma mit Milz-, Leber- und Nierenparenchymverletzung, eine komplexe Beckenfraktur C3 beidseits mit inkomplettem Conus-Cauda-Syndrom, eine Bogenfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers und Querfortsatzfrakturen der gesamten Lendenwirbelkörper erlitten. Außerdem führten die Verletzungen zu einer Stuhl-, Wind- und Harninkontinenz sowie einer Erregungs- und Orgasmusstörung; sie empfand Berührungen an gefühlsgestörten Körperpartien als unangenehm; im Bereich des Kreuz-Darmbein-Gelenks hatte sie bei längerem Sitzen oder beim Anlehnen auf harter Lehne einen tiefsitzenden Schmerz, der sich beidseits in Richtung Gesäß und Oberschenkel ausbreitete. Außerdem litt sie unter Empfindlichkeit bei Wetterwechsel, allmonatlichen Schwindelzuständen sowie psychischen Beeinträchtigungen und Depression (vgl dazu 2 Ob 242/09s laut Danzl, Das Schmerzengeld [online]). Damit waren die bei der Klägerin zu 2 Ob 242/09s eingetretenen Verletzungen und die daraus resultierenden Dauerfolgen aber weitaus schwerwiegender als jene, an denen der Kläger auf Grund der Lokalisation und Ausprägung der Verletzung an Mittelhirn und Brücke leidet. Die Berufung zeigt mit ihrem Verweis auf die Entscheidung 2 Ob 242/09s daher im Ergebnis keinen vergleichbaren Fall auf, der bei ähnlich gelagerten Verletzungen mit vergleichbaren Schmerzperioden zu einem höheren Schmerzengeldzuspruch geführt hätte.

Der unberechtigten Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung war nicht zu beantworten.