19Bs164/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen bedingter Entlassung aus der strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 28. Mai 2025, GZ **-12, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Der am ** geborene A* wurde mit rechtskräftigem Urteil des Geschworenengerichts am Landesgericht Krems an der Donau vom 20. Mai 2021, AZ **, der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach „§§ 269 Abs 1 erster Fall, 15 StGB“, der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB, der Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB (hinsichtlich der Fakten I./ und III./) seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er
1./ am 22. Dezember 2020 in **
A./die Polizeibeamten B* und C*,
l./ die gerade im Begriff standen, ihn festzunehmen, mit Gewalt an der Amtshandlung gehindert, indem er ihnen Faustschläge gegen den Körper versetzte;
2./ durch die zu Punkt I./A./1./ geschilderten Angriffe Beamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben am Körper verletzt, wodurch
a./ B* einen Bruch des Nasenbeins und eine Hautabschürfung oberhalb des linken Auges sowie Hämatome im Bereich des linken Unterarms und
b./ C* eine zumindest einen Tag dauernde Rötung am Kopf erlitt;
3./ zu töten versucht, indem er die Polizeibeamten erstechen wollte, wozu er
a./ mit schnellen Schritten auf den Polizeibeamten C* zuging, wobei er ein Kampfmesser in der rechten Hand hielt, um mit diesem auf C* einzustechen, was der Beamte jedoch durch die Abgabe eines Warnschusses in die Luft verhindern konnte;
b./ mehrmals auf den oberen Rückenbereich des AI B* einstach, diesen in weiterer Folge zu Boden stieß und als der Beamte unter ihm am Rücken zu liegen kam, versuchte, immer wieder auf den Oberkörper des Polizeibeamten einzustechen, wobei es B* jedoch gelang, die rechte Hand des A* zu ergreifen, sodass es ihm - unter größter Anstrengung - möglich war, tödliche Stichverletzungen abzuwehren, wobei er durch die Angriffe des A* zwei Stichverletzungen im Bereich des linken Schulterblattes sowie eine Stichverletzung rechts unterhalb des Schulterblattes, verbunden mit einer mantelförmigen Luftfüllung der rechten Brusthöhle, eine Stichverletzung im Bereich des linken Oberarms, mehrere Schnittverletzungen auf dem Kopf und unter dem linken Ohr, eine Rissquetschwunde am Hinterkopf und eine Beschädigung des linken ellenseitigen Seitenbandes des Daumens erlitt;
B./ den Polizeibeamten C*
l./ mit Gewalt, indem er mit seinem Messer auf den Unterschenkel des Beamten einstach, als dieser den Angriff des A* auf seinen Kollegen B* beenden wollte, an einer Amtshandlung zu hindern versucht;
2./ durch die zu Punkt I./B./l./ geschilderte Handlung C*, sohin einen Beamten, der dadurch eine Stichverletzung an der Innenseite der linken Wade erlitt, während der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt;
II./ von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 22. Dezember 2020, wenn auch nur fahrlässig, ein Kampfmesser der Marke ** und eine Machete besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war;
III./ am 23. Dezember 2020 in der Justizanstalt ** den Justizwachebeamten D*
A./ als dieser ihm den Haftmeldezettel zur Unterfertigung durch das Haftraumgitter übergeben wollte, mit Gewalt an der Amtshandlung gehindert, indem er plötzlich mit seinen Händen durch die Gitterstäbe griff, den Beamten am Hals packte und versuchte, dessen Kopf gegen das Gitter zu drücken;
B./ durch den zu Punkt III./A./ geschilderten Angriff einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben verletzt, wobei D* eine Kratzwunde an der rechten Wange sowie Rötungen an der linken Wange erlitt.
A* wird seit 10. November 2021 (derzeit) mit der Diagnose kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und emotional-instabilen Anteilen (ICD-10: F61.0) - seit 19. April 2022 in der Justizanstalt ** - angehalten. Das urteilsmäßige Strafende fällt auf den 22. Dezember 2037.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Landesgericht Krems an der Donau als zuständiges Vollzugsgericht anlässlich der jährlichen Überprüfung der Maßnahme gemäß § 25 Abs 3 StGB gestützt auf die forensische Stellungnahme der Justizanstalt ** vom 29. Jänner 2025 (ON 7) und das psychiatrische, neurologische und kriminalprognostische Gutachten des Sachverständigen DI Dr. E* vom 1. August 2023 (ON 11.1 im Beiakt AZ ** des Landesgerichts Krems an der Donau) die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in einem forensisch therapeutischen Zentrum fest und wies die Anträge des Untergebrachten auf bedingte Entlassung sowie auf Anhörung ab (ON 12).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich dessen unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung erhobene (ON 13 S 2), zu ON 14 ausgeführte Beschwerde, die berechtigt ist.
Gemäß § 47 Abs 2 StGB ist eine bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme dann zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht.
Der im Verfahren AZ ** des Landesgerichts Krems an der Donau beigezogene Sachverständige DI Dr. E* konnte die Einweisungsdiagnose (kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, emotional-instabilen und schizotypischen Anteilen – vgl ON 7 S 11) hinsichtlich der schizotypischen Persönlichkeitszüge nicht bestätigen, sondern ging von einer „am besten als Persönlichkeitsstörung einzuordnenden“ „brüchigen Persönlichkeitsstruktur“ aus. Zwar werde zum Untersuchungszeitpunkt die Brüchigkeit der Persönlichkeit durch die äußere, haltgebende, wenn auch aufgezwungene Lebenssituation sowie die intensive Beschäftigung mit religiösen Inhalten, Yoga und Meditation kompensiert und daher nicht sichtbar. Jedoch seien die Persönlichkeitsdefizite – wenn auch aktuell verdeckt – mit großer Wahrscheinlichkeit weiterhin vorhanden, sodass von einer tiefgreifenden und anhaltenden pathologischen Verzerrung der Grundmodalitäten von Wahrnehmung, Auffassung, Willensbildung, Handlungsplanung und Selbststeuerung gesprochen werden müsse. Die Störung sei daher weiterhin dem Rechtsbegriff einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung zuzuordnen. Davon ausgehend bejahte der Experte die dem Untergebrachten zu erstellende Gefährlichkeitsprognose (ON 11.1 im Beiakt AZ ** des Landesgerichts Krems an der Donau, insbesondere S 33 ff).
Im Verfahren wegen der Entscheidung über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung und bedingte Entlassung ist die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie oder Psychologie nicht zwingend vorgeschrieben, sondern nur geboten, wenn dies beweismäßig im Hinblick auf den Gesundheitszustand und die Wesensart des Verurteilten zur Klärung der Notwendigkeit der Anstaltsunterbringung erforderlich ist ( Haslwanter in Höpfel/Ratz , WK 2StGB § 47 Rz 15; Birklbauer, SbgK § 47 Rz 87; RIS-Justiz RS0087517; Pieber in Höpfel/Ratz, WK² StVG § 162 Rz 18, § 17 Rz 8).
Angesichts der Tatsache, dass sich A* seit nahezu vier Jahren im Maßnahmenvollzug befindet, DI Dr. E* ihm bei der Untersuchung am 11. Mai 2023 (ON 11.1 S 19 im Beiakt AZ ** des Landesgerichts Krems) einen weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befund attestierte und die Persönlichkeitsdefizite lediglich mit großer Wahrscheinlichkeit als weiterhin gegeben einschätzte (ON 11.1 S 336 und S 38 im Beiakt AZ ** des Landesgerichts Krems), sowie unter Berücksichtigung der forensischen Stellungnahme der Justizanstalt **, wonach der Beschwerdeführer insbesondere durch die Inanspruchnahme von Psychotherapie, das Fehlen disziplinärer Verfehlungen und ein von den Abteilungsbeamten als ruhig, engagiert und zuvorkommend beschriebenes Verhalten (ON 7 S 17 ff) einen positiven Verlauf aufweist, reichen die vom Vollzugsgericht herangezogenen Entscheidungsgrundlagen für eine abschließende Beurteilung der weiteren Notwendigkeit der Unterbringung nicht aus.
Zur Abklärung, ob nach wie vor zu befürchten ist, dass A* sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit (vgl Haslwanter in Höpfel/Ratz , WK 2StGB Vor §§ 21–25 Rz 4 und RIS-Justiz RS0089988 [T7]) eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen (§ 21 Abs 2 StGB) begehen werde, wird das Erstgericht daher eine aktuelle Sachverständigenexpertise einzuholen und danach neuerlich zu entscheiden haben, ob die einweisungsrelevante Gefährlichkeit noch weiter besteht.