JudikaturOLG Wien

32Bs153/25x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Marchart und die fachkundige Laienrichterin Hofrätin Mag. Killinger, BA MA als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache der A*wegen Nichtgewährung des Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 11. April 2025, GZ *-9, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen .

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Vollzugsgericht einer Beschwerde der A* gegen den Bescheid des Leiters der Justizanstalt ** vom 13. März 2025, GZ **, mit dem deren Antrag auf Vollzug des mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 2. Dezember 2024 (rechtskräftig am 6. Dezember 2024), AZ **, verhängten (unbedingten) Strafteils in der Dauer von zwei Monaten, in Form des eüH abgewiesen worden war (ON 2.27), nicht Folge.

Begründend hielt das Erstgericht – soweit entscheidungsrelevant - wortwörtlich fest wie folgt:

Mit ihrer am 16. Dezember 2024 bei der Justizanstalt ** eingelangten Eingabe (ON 1.5) beantragte A* den Vollzug ihrer Freiheitsstrafe im Form des elektronisch überwachten Hausarrestes (in der Folge EüH).

[…]

Mit Verbesserungsauftrag vom 23. Dezember 2024 (ON 1.43) wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, ausständige Unterlagen, und zwar eine Haushaltsbestätigung der Wohngemeinde, eine Kopie der E-Card beidseitig, einen aktuellen Versicherungsdatenauszug, Einkommensnachweise für Oktober, November und Dezember 2024, eine Kopie eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises sowie die OEGK Anmeldung der B* GmbH vorzulegen.

Mit Eingabe vom 16. Jänner 2025 (ON 1.45) übermittelte die Beschwerdeführerin die Haushaltsbestätigung, Kopien der E-Card, des Führerscheines und des Reisepasses, den Versicherungsdatenauszug, die Lohnzettel der C* GesmbH sowie der B* GmbH für jeweils Oktober bis Dezember 2024 sowie die OEGK Anmeldung der B* GmbH und der C* GesmbH.

Mit Schreiben vom 17. Jänner 2025 (ON 2.9) wurde der Verein Neustart mit der Durchführung der Erhebung im Sinne des §§ 29c iVm 15 BewHG beauftragt. Der Verein Neustart führte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 4. Februar 2025 (ON 2.10) zusammengefasst aus, dass sich aus sozialarbeiterischer Sicht keine Anhaltspunkte ergeben, dass ein Missbrauch der beantragten Vollzugsform anzunehmen wäre. Aus diesem Grund erscheine A* aus sozialarbeiterischer Sicht für den elektronisch überwachten Hausarrest geeignet.

Laut Abschlussbericht der PI D* vom 7. Februar 2025, zu GZ: ** (ON 2.18), wurde am 4. Februar 2025 ein Diebstahl eines Kaffeevollautomaten in der E* in **, angezeigt. Die Beschuldigtenvernehmung von A* fand am 4. Februar 2025 bei der PI D* statt, im Rahmen dessen sie sich hinsichtlich des Vorwurfs des Diebstahls geständig verantwortete (ON 2.17).

A* wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Murau vom 11. März 2025, **, wegen des Vergehens des Diebstahles nach § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch zufolge hat A* am 2. Februar 2025 in ** eine fremde bewegliche Sache, nämlich einen Kaffeevollautomaten der Marke ** im Wert von EUR 1.699,00 Verfügungsberechtigten der E* mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Im Rahmen des Parteiengehörs am 13. März 2025 (ON 2.26) wurde insbesondere auf das Urteil des Bezirksgerichts Murau vom 11. März 2025, **, Bezug genommen. Die Beschwerdeführerin gab dazu an, dass sie die Justizanstalt am 11. März 2025 darüber telefonisch informiert habe. Sie wisse nicht, warum sie das neue laufende Strafverfahren der Behörde nicht mitgeteilt habe und könne auch nicht sagen, warum sie den Diebstahl begangen habe. Es sei ihr alles zu viel gewesen und sie habe ein Blackout gehabt.

Weiters gab sie an, dass sie am 5. Februar 2025 ihren Arbeitsplatz gekündigt und am 17. Februar 2025 eine neue Stelle als Reinigungskraft bei der Firma F* in ** angenommen habe. Sie könne nicht sagen, warum sie die Kündigung bzw den Arbeitsplatzwechsel nicht sofort der Behörde gemeldet habe.

Mit Bescheid des Leiters der Justizanstalt ** vom 13. März 2025 wurde der Antrag auf Bewilligung des EüH abgewiesen (ON 2.27).

[...]

Rechtlich erwog das Erstgericht, dass zum Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen für den elektronisch überwachten Hausarrest jedenfalls gegeben sein müssen, die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall die erforderlichen Unterlagen jedoch nicht fristgerecht und vollständig vorgelegt habe. Erst im Zuge des Parteiengehörs vom 13. März 2025 habe sie angegeben, am 5. Februar 2025 gekündigt zu haben und seit 17. Februar 2025 einer neuen Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Firma F* in ** nachzugehen. Dem Antrag habe eine inhaltliche Berechtigung daher schlicht nicht zuerkannt werden können. Zudem weise die Beschwerdeführerin laut Strafregisterauskunft seit dem Jahr 2017 fünf Verurteilungen – drei davon wegen beharrlicher Verfolgung nach § 107a StGB – auf, und habe sich nach Antragsstellung am 16. Dezember 2024 nicht davon abhalten lassen während des eüH-Verfahrens am 2. Februar 2025 erneut zu delinquieren. Sie habe die erkennende Behörde zudem erst am Tag der Hauptverhandlung am 11. März 2025 telefonisch von der neuerlichen Verurteilung in Kenntnis gesetzt. Dies unterstreiche die mangelnde Kooperationsbereitschaft und unzureichende Vertrauenswürdigkeit der Beschwerdeführerin, wodurch die Gefahr des Missbrauchs des eüH vorliege.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der A* (ON 11.1), mit der diese nunmehr die im Hinblick auf ihre neue Beschäftigung bislang fehlenden Unterlagen vorlegt und ausführt, dass sämtliche Bewilligungsvoraussetzungen gegeben seien. Der unbedingte Strafteil betrage zwei Monate, es liege ein geeigneter Wohnsitz und die Zustimmung aller im Haushalt lebender Personen vor. Die nachgereichten Unterlagen würden auch ein aufrechtes Arbeitsverhältnis sowie den erforderlichen Kranken- und Unfallversicherungsschutz und ein zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes ausreichendes Einkommen belegen. Aus dem vorliegenden Sozialbericht ergebe sich keine relevante Rückfallsgefahr und ein Missbrauch sei nicht anzunehmen. Auch die erstgerichtliche Annahme einer mangelnden Kooperationsbereitschaft sei unbegründet. Es sei insbesondere hervorzuheben, dass sie zwischenzeitlich an ihrer Resozialisierung arbeite, was durch die vorgelegten Unterlagen belegt werde. Ein mögliches Kommunikationsproblem im bisherigen Verfahren rechtfertige die Ablehnung nicht. Das Vollzugsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass gerade der eüH sie in ein stabiles Umfeld eingliedern, ihr geregelte Tagesstrukturen ermöglichen und die Rückfallprophylaxe begünstigen würde, sondern seine Entscheidung auf eine formelhafte Risikoannahme gestützt. Auch die Feststellung der fortgesetzten Delinquenz nach Antragstellung könne für sich alleine noch keine Abweisung des Antrages rechtfertigen. Die Verurteilung vom 1. (wohl gemeint 11.) März 2025 wegen Diebstahls weise nicht auf eine aktuelle Rückfallgefährdung wegen der hier fallkonkreten Verurteilung wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung hin. Sie sei im höchsten Maße bestrebt, sich in Zukunft derart wohl zu verhalten, dass sie keine wie immer geartete Haft mehr zu verbüßen habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Hat das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben noch – um das Ermessen anders auszuüben – abändern ( Pieber in WK 2StVG § 16a Rz 5; Drexler / Weger, StVG 5 § 16a Rz 2 mwN).

Die Bewilligung eines eüH hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen dieser Vollzugsform abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Dabei zu treffende Ermessensentscheidungen bewirken gemäß § 16a Abs 2 StVG keine Rechtswidrigkeit.

Nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG ist der Vollzug einer Freiheitsstrafe in Form des eüH auf Antrag zu bewilligen, wenn unter anderem nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs 2 StVG) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird.

Die Vollzugsform des eüH setzt ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Kooperationsbereitschaft voraus. Im Rahmen der nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG aufzustellenden Risikoprognose hinsichtlich eines Missbrauchs des eüH stellen bereits begangene strafbare Handlungen Risikofaktoren dar, die neben den Wohnverhältnissen und dem sozialen Umfeld des Verurteilten in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr einzufließen haben. Darüber hinaus sind etwa die Gefährlichkeit des Betroffenen, Art und Beweggrund der Anlasstat oder früherer Verurteilungen, der nunmehrige Lebenswandel und die Chancen auf ein redliches Fortkommen nach der Haft als weitere Aspekte zu berücksichtigen. Dabei besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen die Entscheidung anhand der gesetzlichen Kriterien zu begründen ist ( Drexler / Weger, StVG 5 § 156c Rz 14 mwN).

Die Gewährung eines eüH ist mit einem entsprechenden Vertrauensvorschuss verbunden, zumal keine dem geschlossenen Vollzug vergleichbare physische Überwachungsmöglichkeit besteht. Missbrauchsgefahr liegt demnach dann vor, wenn jeweils aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Verurteilter den eüH zur Begehung einer strafbaren Handlung ausnützt, flüchten wird oder diese Vollzugsform im konkreten Fall sonst nicht mit den Vollzugszwecken (§ 20) in Einklang gebracht werden kann ( Drexler / Weger, StVG 5 § 156c Rz 15 mwN). Gefahrenträchtig sind dabei auch fortgesetzte Delinquenz nach Antragstellung und eine negative Verlässlichkeitsprognose, wenn also der Antragsteller eine nur mangelnde Kooperationsbereitschaft bzw Paktfähigkeit zeigt, indem er etwa im Bewilligungsverfahren unrichtige Angaben macht, Fakten verschweigt oder etwa Änderungen im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung nicht mitteilt ( Drexler / Weger, StVG 5 § 156c Rz 15/1 mwN).

Gegenständlich wich das Erstgericht weder von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung ab, wonach eine negative Missbrauchsprognose zur Ablehnung eines Antrags auf eüH führt, noch wurden dabei vorzunehmende Ermessensentscheidungen außerhalb des gesetzlichen Rahmens bzw in unvertretbarer Weise getroffen, stellen doch - wie bereits ausgeführt – sowohl fortgesetzte Delinquenz nach Antragstellung als auch die Annahme mangelnder Paktfähigkeit bzw Kooperationsbereitschaft eine tragfähige Grundlage für die Annahme einer negativen Verlässlichkeitsprognose dar.

Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die nunmehr vorgelegten Unterlagen (Vermögensbekenntnis neu ON 11.2 und Versicherungsdatenauszug ON 11.3) stützt, ist diese darauf zu verweisen, dass im gegenständlichen Verfahren Neuerungsverbot besteht, weil Beschlüsse des Vollzugsgerichts das nicht als erste Instanz entscheidet nach§ 16 Abs 3 StVG nur wegen Rechtswidrigkeit angefochten werden können (vgl Pieber in WK 2StVG § 121a Rz 3; OLG Wien in stdRsp, beispielsweise 33 Bs 48/14x, 33 Bs 226/16a, 32 Bs 18/24t) und gemäß § 17 Abs 2 Z 2 iVm Z 1 StVG die Bestimmung des § 65 AVG, wonach Neuerungen im Berufungsverfahren zulässig wären, nicht anzuwenden ist. Die erstmals mit dem Rechtsmittel vorgelegten Unterlagen sind daher im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Wien ebenso unbeachtlich wie die bereits zuvor, jedoch ebenfalls nach Beschlussfassung durch das Vollzugsgericht, übermittelten Urkunden (ON 10).

Im übrigen hat sich das Erstgericht entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, keineswegs unreflektiert auf ihr getrübtes Vorleben und damit auf eine formelhafte Risikoannahme gestützt, sondern neben dem durch insgesamt fünf - teils einschlägige – Vorstrafen getrübten Vorleben, insbesondere auch die erneute Delinquenz der Beschwerdeführerin während des laufenden Erhebungsverfahrens sowie den Umstand, dass diese die Justizanstalt nicht über das gegen sie laufende Strafverfahren, sondern erst über ihre bereits erfolgte Verurteilung und auch über die Änderung ihrer – für die Bewilligung des eüH essentiellen – Beschäftigung erst im Zuge des Parteiengehörs, sohin über einen Monat nach Kündigung ihres früheren Arbeitsplatzes, informiert hat (Protokoll Parteiengehör ON 2.26), zu Recht ins Kalkül einbezogen, zumal die Beschwerdeführerin auch nicht darzulegen vermochte, weshalb sie diese Umstände nicht ehestmöglich mitgeteilt hat, und basierend auf diesen Erwägungen im Rahmen der gesetzlichen Parameter eine nachvollziehbare und schlüssig begründete Entscheidung innerhalb des zustehenden Ermessensspielraums getroffen.

Der Verweis auf die sozialarbeiterische Einschätzung des Vereins Neustart, wonach sich keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch der beantragten Vollzugsform durch die Beschwerdeführerin ergeben hätten, schlägt fehl, da das Vollzugsgericht an diese nicht gebunden ist und der Erhebungsbericht (vgl Erhebungsbericht des Vereins Neustart ON 2.10) zudem in Unkenntnis der oben angeführten – die Missbrauchsgefahr begründenden – Umstände erstattet wurde.

Da die in §§ 156b und 156c StVG genannten Voraussetzungen für die Gewährung eines eüH nach den Intentionen des Gesetzgebers kumulativ vorliegen müssen, wobei das Fehlen auch nur einer dieser Voraussetzungen zur Ablehnung des Antrags führt ( Drexler / Weger, StVG 5 § 156d Rz 5 mwN), war der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.