JudikaturOLG Wien

33R36/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Immaterialgüterrecht
03. Juli 2025

Kopf

Im Namen der Republik

Das Oberlandesgericht Wien erkennt als Berufungs- gericht *** in der Patentrechtssache der Antragstellerin *** gegen den Antragsgegner *** , wegen teilweiser Nichtigerklärung des österreichischen Patents Nr. 520 686, über die Berufung der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 3.10.2024, N 5/2021, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die Antragstellerin ist schuldig, dem Antragsgegner dessen mit EUR 3.685,20 (darin enthalten EUR 614,20 USt) bestimmte Berufungsbeantwortungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Antragsgegner ist Inhaber des am 12.12.2017 angemeldeten österreichischen Patents Nr. 520 686 (in der Folge: „Streitpatent“). Verfahrensrelevant ist dessen Anspruch 1, der am 22.1.2021 durch Teilverzicht eingeschränkt wurde. Er lautet wie folgt (wobei die Einschränkung durch Unterstreichung kenntlich gemacht wird):

„(a) Verfahren zur Aufbereitung von bei der Herstellung von Stärken, insbesondere von chemisch modifizierten Stärken, anfallendem und gelöste Salze und organische Verbindungen enthaltendem Abwasser (S1), dadurch gekennzeichnet, dass

(b) das Abwasser (S1) oder ein die gelösten Salze und die organischen Verbindungen des Abwassers (S1) im Wesentlichen enthaltendes, vorbehandeltes Abwasser (S1) einem Membrantrennverfahren unterzogen wird,

(c) in der eine Trennung des dem Membrantrennverfahren zugeführten Abwassers (S1) in einen ersten Volumenstrom (S3) mit im Vergleich zum zugeführten Abwasser (S1) höherer Konzentration an gelösten Salzen und in einen zweiten Volumenstrom (S2) mit im Vergleich zum zugeführten Abwasser (S1) verringerter Konzentration an gelösten Salzen erfolgt,

(d) wobei der erste Volumenstrom (S3) einer thermischen Behandlung zur Abtrennung der gelösten Salze und zur Abtrennung eines dritten, einen Anteil der organischen Verbindungen des Abwassers (S1) enthaltenden Volumenstroms (S9) unterzogen wird,

(aus Anspruch 5) und der dritte Volumenstrom (S9) oder ein von ihm abgeleiteter Volumenstrom einer selektiven Auftrennung zur Abtrennung und Rückgewinnung der im dritten Volumenstrom (S9) enthaltenen organischen Verbindungen unterzogen wird.

Die Antragstellerin begehrt die teilweise Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang des Anspruchs 1. Der Anspruch 1 sei nicht neu und ermangle einer erfinderischer Tätigkeit.

Der Antragsgegner beantragte den Antrag abzuweisen und bestritt das Vorliegen der behaupteten Nichtigkeitsgründe.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts den Antrag ab und hielt das eingeschränkte Streitpatent aufrecht.

Dagegen richtet sich die Berufung der Antragstellerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Streitpatent im Umfang des Anspruchs 1 für nichtig erklärt werden.

Der Antragsgegner stellt in seiner Berufungsbeantwortung den Antrag, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Nach § 1 Abs 1 PatG ist eine Erfindung nur dann patentierbar, wenn sie neu ist (§ 3), sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und gewerblich anwendbar ist. Erfüllt ein Patent diese Anforderungen nicht, ist es für nichtig zu erklären (§ 48 Abs 1 Z 1 PatG).

Die Berufungswerberin bestreitet ausschließlich, dass sich die Erfindung für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hätte. Wie sie richtig vorträgt, kann zur Prüfung dieser Frage der (vom Europäischen Patentamt als „could/would-approach“ bezeichnete) Aufgabe-Lösungs-Ansatzes herangezogen werden werden, der sich in folgende drei Phasen gliedert (4 Ob 17/15a, Gleitlager; 4 Ob 228/18k, Glatirameracetat [Pkt 3]).

1. Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik:

1.1In Übereinstimmung mit den zutreffenden Ausführungen der Nichtigkeitsabteilung und der ausdrücklichen Erklärung der Berufungswerberin ist nächstliegender Stand der Technik im vorliegenden Fall das Dokument D1 (= Beilage ./G). Deren unstrittiger Inhalt kann dem Berufungsverfahren ohne Weiteres zugrunde gelegt werden (RS0121557). Dabei gehört alles zum Stand der Technik, was sich aus der Warte der Fachperson zumindest implizit aus dieser Veröffentlichung ableiten lässt (vgl 4 Ob 80/18w [Pkt 5.2]; 4 Ob 29/23b [Pkt 8.4]).

1.2 Auf eine wörtliche Wiedergabe der gesamten, in hohem Maße technischen Veröffentlichung kann an dieser Stelle - wie schon vor der Nichtigkeitsabteilung - verzichtet werden. Kurz zusammengefasst offenbart es der Fachperson ein Verfahren zur Aufbereitung von bei der Herstellung von Stärken, insbesondere von chemisch modifizierten Stärken, anfallenden, gelöste Salze und organische Verbindungen enthaltendem Abwasser (D1: Absätze [0001], [0019], [0021]) wobei das Abwasser mit hohem Anteil an organischen Verbindungen in einem Membranbioreaktor behandelt wird, ein Eluent in einem Kationentauscher behandelt wird und ein weiterer Eluent daraus einem Nanofiltrationsschritt unterzogen wird (D1: Zusammenfassung [006] und [008]). Nach dem Membrantrennverfahren im Membranbioreaktor und dem Kationentauscher wird der natriumsulfathaltige Eluent gekühlt und das auskristallisierte Natriumsulfat durch Zentrifugation abgetrennt. Danach wird das Filtrat nochmals über einen Kationentauscher und einen Aktivkohlefilter behandelt (D1: Fig. 1 und Fig. 2, Absätze [0021], [0041], [0042], [0043]).

2. Bestimmung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe:

2.1 Wie dargelegt beschreibt D1 ein Abwasseraufbereitungsverfahrens zur Rückgewinnung von (anorganischen) Salzen. Das Berufungsgericht stimmt mit der Rechtsmittelwerberin darin überein, dass die objektiv technische Aufgabe, deren Lösung das Streitpatent unternimmt, darin besteht, die Rückgewinnung von verwertbaren Rohstoffen insbesondere in Bezug auf organische Verbindungen im Vergleich zu D1 zu erhöhen.

Dies ergibt sich insbesondere aus Absatz [0005] ( „Es besteht somit das Ziel der Erfindung darin, die Behandlung des bei der Herstellung von Stärken, insbesondere von chemisch modifizierten Stärken anfallenden Abwassers zu verbessern und insbesondere ein Verfahren zur Aufbereitung des Abwassers unter Rückgewinnung verwertbarer Inhaltsstoffe bereitzustellen“ ), [0008] („ Diese Ausführung kann beispielsweise dann vorteilhaft sein, wenn ein Teil der organischen Verbindungen in einer Biomasseanlage verwertet werden soll, um […] das Gesamtverfahren somit wirtschaftlicher zu gestalten “) sowie [0010] („ Die rückgewonnenen organischen Verbindungen […] stellen einen wirtschaftlich verwertbaren Rohstoff dar “) des Streitpatents.

3. Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre:

3.1 Als Fachmann hat die Nichtigkeitsabteilung einen Diplomingenieur der Umweltschutz- und Verfahrenstechnik mit Kenntnissen und Erfahrung in Chemie, Umweltbiotechnologie, Verfahrenstechnik und Abwasserrecycling herangezogen. Das wird von der Berufungswerberin ausdrücklich als richtig zugestanden und daher der Entscheidung zugrunde gelegt.

3.2Das Berufungsgericht stimmt weiters mit der Rechtsmittelwerberin darin überein, dass die Frage, ob die Lösung der gestellten Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre, eine Rechtsfrage darstellt (RS0123155 [T3] [T4]). Denn die angesprochene Fachperson ist nicht mit einer tatsächlich existierenden Person gleichzusetzen. Eine dem Gebot der Rechtssicherheit genügende einheitliche Beurteilung einer Erfindung wäre auf der Grundlage individueller Kenntnisse und Fähigkeiten auch gar nicht möglich. Fachkundiges Denken, Erkennen und Vorstellen wird deshalb bemüht, um mit dem auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblichen Fachwissen sowie den durchschnittlichen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der dort tätigen Fachleute und dem hierdurch geprägten Verständnis vom Inhalt einer technischen Lehre eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen. Die maßgebliche Sicht selbst ist unmittelbarer Feststellung entzogen. Dies gilt nicht nur für das sinnvolle Verständnis einer Lehre zum technischen Handeln, sondern gleichermaßen für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Stand der Technik diese technische Lehre nahegelegt hat (ausführlich und überzeugend BGH X ZR 213/01 [Rn 34]).

3.3Der rechtlichen Beurteilung des „Naheliegens“ vorgelagert sind aber Tatfragen und zwar soweit es auf das Fachwissen ankommt, über das der Durchschnittsfachmann auf dem betreffenden Gebiet verfügt (4 Ob 80/18w mwN).

Die Nichtigkeitsabteilung hat auf Seite 21 seiner Entscheidung zwar nicht formal getrennte, aber doch eindeutig als solche erkennbare und klar dem Tatsachenbereich zuzuordnende Feststellungen zum Fachwissen des Durchschnittsfachmanns getroffen (vgl RS0043110 [T2], [T3]). Es scheint dem Berufungsgericht angezeigt, sie in entscheidungswesentlichem Umfang hervorzuheben:

„Unter diesem Begriff [des Membranbioreaktors; Anm. des Berufungsgerichts] werden Bioreaktoranlagen zusammengefasst, bei denen ein Bioreaktor mit einer UltrafiItrations- bzw. Dialyse-Einheit gekoppelt wird. Ein MBR wird in der biologischen Abwasserbehandlung verwendet, um im Abwasser enthaltene organische (und anorganische) Substanzen durch biologische Prozesse abzubauen […].

‚COD‘ ist die englische Abkürzung von „Chemical oxygen demand", deutsch CSB: chemischer Sauerstoff-Bedarf. Der COD/CSB ist ein Parameter der chemischen Wasseranalyse zur summarischen Erfassung (Summenparameter) der oxidierbaren (= reduzierend wirkenden) Inhaltsstoffe eines Gewässers oder Abwassers. Neben einigen anorganischen Stoffen [Fe(ll), reduzierte Schwefel-Verbindungen] handelt es sich dabei oft nahezu ausschließlich um organisches Material. COD/CSB bezeichnet daher den Sauerstoffbedarf zur Oxidation organischer Stoffe […] und wird als Maß für den Gehalt an organischem Material in Abwasser verwendet: Je höher der COD/CSB desto höher die Konzentration organischen Materials […].“

3.4 Davon ausgehend kann der Argumentation der Berufungswerberin nicht beigetreten werden. Sie macht zusammengefasst geltend, die Rückgewinnung organischer Verbindung sei eine für den Fachmann naheliegende Optimierungsmaßnahme. Er wäre ohne Weiteres veranlasst, irgend eine beliebige organische Verbindung auf irgend eine beliebige Weise selektiv abzutrennen, wie es das Streitpatent, das hinsichtlich des konkreten Auftrennungsverfahrens keine Vorgaben enthalte, unternehme. Offenbar gehe das Patent selbst davon aus, die Auswahl eines Verfahrens sei für den Durchschnittsfachmann reine Routine.

3.4.1Wird die Fachperson vor die Aufgabe gestellt, die Wirtschaftlichkeit des Abwasseraufbereitungsverfahrens von Dokument D1 zu erhöhen und zwar hinsichtlich der Rückgewinnung von verwertbaren Rohstoffen, könnte die Fachperson zwar anstelle eines Aktivkohlefilters eine selektive Auftrennung zur Abtrennung und Rückgewinnung der organischen Verbindungen in Betracht ziehen. Die technische Lösung anstelle eines unselektiven Reinigungsschritts, wie einer Aktivkohleeinheit, einen selektiven Reinigungsschritt, wie eine Destillation, vorzusehen, liegt durchaus im allgemeinen Fachwissen einer Fachperson auf diesem Gebiet. Die Fachperson hatte aber keine Veranlassung, einen Vorteil darin zu sehen (vgl aber RS0071157 [T1]).

Denn im dritten Volumenstrom (S9), der Benennung im Streitpatent entsprechend oder dem Filtrat nach der Zentrifugation wie in D1 genannt, sind für die Fachperson keine nennenswerten Mengen an organischen Lösungsmitteln zu erwartet gewesen. Aus diesem Volumenstrom organische Rückstände zu extrahieren wird die Fachperson nicht als wirtschaftlich ansehen. Die Fachperson liest nämlich aus D1 (insbesonders Absatz [0043]) lediglich, dass durch eine optionale Aktivkohleeinheit aus diesem Volumenstrom letzte Reste von organischen Lösungsmitteln und Schwermetallen entfernt werden können. Eine Aktivkohleeinheit dient in Fachkreisen aufgrund ihrer Kapazitäts- und Beladungsgrenzen als einer der letzten Reinigungsschritte, wie dieser auch wörtlich im Absatz [0043] als „polishing step“ oder Reinigungsschritt bezeichnet wird.

3.4.2 D1 liefert der Fachperson aber auch weitere Hinweise, dass der besagte dritte Volumenstrom (S9), der Benennung im Streitpatent entsprechend oder das Filtrat nach der Zentrifugation wie in D1 genannt, keine nennenswerten Mengen an organischen Lösungsmitteln enthält. Einerseits durch die Offenbarung von D1 betreffend das verwendete Membrantrennverfahren (Absätze [0010]-[0012], [0035]) und weiters durch die Angaben betreffend der „COD“-Messwerte (Figur 4 und Absatz [0044]).

Das in D1 beschriebene Membrantrennverfahren wird in einem Membranbioreaktor durchgeführt. Unter einem Membranbioreaktor versteht die Fachperson – wie festgestellt wurde - Bioreaktoranlagen, bei denen ein Bioreaktor mit einer Ultrafiltrations- oder Dialyse-Einheit gekoppelt wird. Ein Membranbioreaktor wird in der biologischen Abwasserbehandlung verwendet, um im Abwasser enthaltene organische (und anorganische) Substanzen durch biologische Prozesse abzubauen und zu entfernen. Die Behandlung von Abwasser in einem Membranbioreaktor dient daher der Abreicherung oder Entfernung von organischem Material im Abwasser. Der Fachperson wird durch D1 somit ein Trennverfahren offenbart, bei dem die organischen Substanzen, wie organische Lösungsmittel entfernt werden sollen. Die Fachperson wird allein daraus schließen, dass nach der Behandlung des Abwassers mittels eines Membranbioreaktors eine wirtschaftlich gewinnbringende Abtrennung von organischen Substanzen, insbesondere organischen Lösungsmitteln, nicht mehr sinnvoll ist, da keine nennenswerten Mengen von organischen Substanzen mehr in diesem Volumenstrom enthalten sind.

3.4.3 Dass der Volumenstrom nach dem Membranbioreaktor keine nennenswerten Anteile an organischen Substanzen mehr aufweist, belegt auch Figur 4 in D1. Die Figur 4 zeigt COD-Messwerte vor und nach dem Membranbioreaktor. Die Figur 4 in D1 zeigt klar die Abnahme des COD-Werts des Abwassers durch die Behandlung im Membranbioreaktors. Das Abwasser vor der Behandlung im Membranbioreaktor zeigt COD-Werte links der gestrichelten Linie von 300 bis über 1000 und sinkt nach der Behandlung im Membranbioreaktor rechts der gestrichelten Linie auf unter 100 ab. Dies belegt der Fachperson, dass der Volumenstrom nach der Behandlung im Membranbioreaktor keine nennenswerten Anteile an organischen Substanzen mehr aufweist. Der Fachperson wird durch D1 nicht nahegelegt, beliebige selektive Rückgewinnungsschritte für anorganische Lösungsmittel anzuwenden, da die Fachperson beim Verfahren von D1 keinen Volumenstrom findet, bei dem die selektive Rückgewinnung die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens D1 erhöhen könnte.

3.5 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wird durch D1 und das allgemeine Wissen einer Fachperson daher nicht nahegelegt, sodass der unberechtigten Berufung ein Erfolg zu versagen war.

4.Die Entscheidung über die Berufungsbeantwortungskosten beruht auf §§ 41, 50 ZPO (iVm § 122 Abs 1 PatG).

5.Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands beruht auf § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO (iVm § 143 Abs 1 PatG) und ergibt sich aus der hohen Bedeutung von Patentansprüchen im Wirtschaftsleben.

6.Die ordentliche Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO (iVm § 143 Abs 1 PatG) nicht zulässig.

Oberlandesgericht Wien

1011 Wien, Schmerlingplatz 33

Abt. 33, am 3.7.2025