JudikaturOLG Wien

8Rs37/25g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Dietrich Wiedermann und Tanja Sehn-Zuparic in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, **, **, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.11.2024, **-24, gemäß den §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, erachtet hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend. Es genügt damit eine auf die wesentlichen Punkte beschränkte Begründung (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a 2.Satz ZPO).

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger ab 1.4.2024 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen, ab. Außerdem sprach es aus, dass vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens 6 Monaten beim Kläger nicht vorliegt und kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung besteht. Weiters erkannte es, dass kein Anspruch auf medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation besteht.

Das Erstgericht stellte den auf den Seiten 2 bis 3 des angefochtenen Urteils ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den verwiesen wird.

Hervorzuheben ist, dass das Erstgericht feststellte, dass der Kläger mit seinem Leistungskalkül beispielsweise noch Tätigkeiten als Objektsicherheitskraft oder Poststellenmitarbeiter ausüben kann und es für diese Tätigkeit auf dem gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt jeweils mehr als 100 Arbeitsplätze gibt.

Soweit für das Berufungsverfahren relevant, kam das Erstgericht rechtlich zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht invalid - und zwar weder nach § 255 Abs 3 noch nach § 255 Abs 3a ASVG - sei. Der Kläger genieße keinen Berufsschutz. Er sei somit auf den gesamten Arbeitsmarkt verweisbar. Er könne die beispielhaft angeführten Verweisungstätigkeiten noch verrichten, weshalb Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG nicht vorliege. Die Voraussetzungen für eine Invalidität gemäß § 255 Abs 3a ASVG lägen ebenfalls nicht vor, weil die dem Kläger noch möglichen Tätigkeiten das geringste Anforderungsprofil überstiegen und er aufrecht beschäftigt sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich rechtlicher Feststellungsmängel mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Zur Mängelrüge:

Unter Punkt 1.1. der Mängelrüge erblickt der Kläger eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens darin, dass das Erstgericht nicht ein berufskundliches Sachverständigengutachten eingeholt habe, das er zum Beweis dafür beantragt habe, dass er auf Grund seines medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage sei, den Anforderungen der Verweisungsberufe nachzukommen bzw für die mangelnde Anzahl an vorhandenen Arbeitsplätzen in diesen Berufen.

Diese Mängelrüge geht ins Leere.

Der Kläger führt nicht an, welche streitentscheidenden Feststellungen des Erstgerichts er ohne den behaupteten Verfahrensfehler zu widerlegen können glaubt. Damit reichen die Berufungsausführungen nicht aus, um die Mängelrüge gesetzmäßig zur Ausführung zu bringen (RS0043039 [T3]; 6 Ob 86/12h mwN; ständige Rechtsprechung des OLG Wien).

Diese Mängelrüge geht aber auch deswegen ins Leere, weil der Kläger die – vom Erstgericht auch zitierte – ständige Rechtsprechung negiert, wonach es keiner näheren Feststellungen hierüber bedarf, wenn die Anforderungen an einen Verweisungsberuf gerichtsbekannt sind (RS0084528), und dass es bei allgemein gängigen Verweisungsberufen keiner detaillierten Erhebung über die Anzahl der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze bedarf (RS0085078). Bei den Anforderungen an Verweisungsberufe, die weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit ausgeübt werden und bei denen die Aufgabenstellung und die damit verbundene körperliche und psychische Belastung als bekannt vorauszusetzen sind, handelt es sich um offenkundige Tatsachen (RS0040179 [T9]).

Auch die Anforderungen in den vom Erstgericht herangezogenen Verweisungsberufen einer Objektsicherheitskraft oder eines Poststellenmitarbeiters sind in diesem Sinne offenkundig. Eine nähere Auseinandersetzung damit erübrigt sich, weil der Berufungswerber nicht behauptet, dass die Anforderungen an diese Verweisungsberufe nicht offenkundig wären.

Ausgehend von dieser Rechtslage war daher die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens im gegenständlichen Fall nicht erforderlich.

Unter Punkt 1.2. der Mängelrüge beanstandet der Kläger, dass das Erstgericht eine Parteienvernehmung nicht durchgeführt habe, die er zum Beweis dafür beantragt habe, dass er auf Grund seines medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage sei, den Anforderungen der Verweisungsberufe nachzukommen.

Auch diese Mängelrüge geht ins Leere.

Der Kläger führt hier ebenfalls nicht an, welche streitentscheidenden Feststellungen des Erstgerichts er ohne den behaupteten Verfahrensfehler zu widerlegen können glaubt. Damit reichen diese Berufungsausführungen nicht aus, um die Mängelrüge gesetzmäßig zur Ausführung zu bringen (vgl RS0043039 [T3]; 6 Ob 86/12h mwN; ständige Rechtsprechung des OLG Wien).

Aber auch bei inhaltlicher Prüfung dieser Mängelrüge wäre für den Kläger nichts gewonnen.

Medizinische Fachfragen – wie hier die verfahrensrechtliche Frage der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers – sind grundsätzlich nicht durch Zeugen- oder durch Parteienvernehmung zu klären, sondern durch Sachverständige ( Neumayr in ZellKomm 3§ 75 ASGG Rz 8 mwN; stRsp). Der Versicherte muss (lediglich) die Möglichkeit haben, seine Beschwerden und Befindlichkeiten dem medizinischen Sachverständigen vorzutragen (stRsp).

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger ausreichend Möglichkeit, seine Beschwerden und Befindlichkeiten den im erstinstanzlichen Verfahren beigezogenen medizinischen Sachverständigen vorzutragen. Gegenteiliges wird in der Berufung – zu Recht – nicht behauptet.

Demzufolge ist die Argumentation des Klägers, dass er insbesondere die Schlussfolgerungen der Sachverständigen hinsichtlich seines Gesundheitszustandes und seiner gesundheitlichen Einschränkungen hätte widerlegen können, verfehlt.

Da die Mängelrüge nicht berechtigt ist und keine Tatsachenrüge erhoben wurde, übernimmt das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO).

Zur Rechtsrüge:

Die Rechtsrüge beschränkt sich darauf, einen rechtliche Feststellungsmangel zu behaupten. Konkret vermisst der Kläger zusammengefasst eine Feststellung, wonach es ihm möglich sei, in angemessener Zeit eine Vollzeitbeschäftigung in den angeführten Verweisungsberufen zu finden.

Der Kläger verkennt hier die Rechtslage.

Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG ist nicht bereits dann gegeben, wenn der Versicherte nicht in der Lage ist, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen. Diesfalls ist nämlich der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit, nicht jedoch der der Invalidität gegeben (RS0084863; Sonntag in Sonntag, ASVG 16 § 255 Rz 8).

Dass dieser Grundsatz bei der Härtefallregelung des § 255 Abs 3a ASVG durchbrochen wird (Näheres dazu s. SonntagaaO Rz 8 und Rz 139h), ist hier nicht näher zu behandeln, weil das Erstgericht zutreffend - und vom Kläger nicht bekämpft – dargelegt hat, dass hier die Voraussetzungen für eine Invalidität gemäß § 255 Abs 3a ASVG nicht vorliegen.

Der unberechtigten Berufung war daher nicht Folge zu geben.

Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung selbst zu tragen, weil für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte ergeben.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten war.