18Bs94/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen Widerrufs der bedingten Entlassung bei einer vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. März 2025, GZ **-212, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wird.
Begründung:
Text
Der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. August 2018, rechtskräftig seit 2. April 2019, AZ B*, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher [nunmehr: forensisch-therapeutisches Zentrum] gemäß § 21 Abs 1 StGB eingewiesen, weil er am 24. Februar 2018 in C* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistig, seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte, nämlich einer unbehandelten paranoiden Schizophrenie, D*
I./ gefährlich mit dem Tod bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ein ca. 30 cm langes Fleischmesser gegen sie richtete und auf sie zuging;
II./ widerrechtlich gefangen gehalten hat, indem er ihr über längere Zeit verboten hat, die Wohnung zu verlassen und er zu ihr meinte, dass, widrigenfalls, sie schon sehen werde, was passiert,
sohin Taten begangen hat, die jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und die ihm, wäre er zur Tatzeit nicht aufgrund seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) gewesen, als
zu I./ Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB,
zu II./ Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB
zuzurechnen gewesen wären.
Mit Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 20. September 2022, AZ E*, wurde A* am 26. September 2022 gemäß § 47 StGB unter Bestimmung einer fünfjährigen Probezeit und Anordnung von Bewährungshilfe sowie Erteilung der Weisungen, in einer geeigneten betreuten Nachsorgeeinrichtung (entsprechend F* C*, **) Wohnsitz zu nehmen, die dortige Hausordnung einzuhalten und an tagesstrukturierenden Maßnahmen teilzunehmen, laufend fachärztlich-psychiatrische Behandlung und Kontrolle in Anspruch zu nehmen und die verordnete Medikation (inkl. Depotneuroleptikum) einzunehmen, was mit Blutspiegelkontrollen zu überprüfen ist (alles idealerweise im G*), eine ambulante Psychotherapie zu absolvieren (idealerweise wöchentlich beim H*), sowie Abstinenz von Alkohol, Drogen und sonstigen psychoaktiven Substanzen einzuhalten, was regelmäßig mittels Drogenscreening bzw. CDT-Wert-Bestimmung zu überprüfen ist, bedingt entlassen (ON 12).
In weiterer Folge kam es zu mehrfachen Weisungsänderungen und förmlichen Mahnungen.
Am 11. Februar 2025 beantragte die Staatsanwaltschaft Wien nach Einholung eines Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen Dr. I* (ON 190) den Widerruf der bedingten Entlassung sowie die Verhängung der Widerrufshaft (ON 192). Antragsgemäß wurde sodann über A* - nach dessen gerichtlich angeordneter Festnahme am 12. Februar 2025 - am 13. Februar 2025 aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 3 StVG (§ 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit a StPO) die Widerrufshaft mit Frist bis 26. Februar 2025 verhängt (ON 197 und 198). Mit Beschluss vom 25. Februar 2025 setzte das Erstgericht diese nach Durchführung einer Haftprüfungsverhandlung aus demselben Haftgrund mit Wirksamkeit bis 12. März 2025 fort (ON 203).
Mit dem bekämpften Beschluss widerrief das Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 54 Abs 1 StGB die mit Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 20. September 2022, AZ E*, angeordnete bedingte Entlassung des A* aus der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. August 2018, rechtskräftig seit 2. April 2019, AZ B*, gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordneten Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A* (ON 216).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt im spruchgemäßen Umfang Berechtigung zu.
Vor der Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung hat das Vollzugsgericht stets in die Akten über das Straf- oder Unterbringungsverfahren Einsicht zu nehmen und „womöglich“ den Entlassenen, wenn ein Bewährungshelfer bestellt worden ist, auch diesen zu hören (§ 180 Abs 2 StVG) .Von der persönlichen Anhörung des Entlassenen kann dann abgesehen werden, wenn sie wegen seines Zustandes nicht oder nur unter erheblicher Gefährdung seiner Gesundheit möglich wäre, wenn er der gerichtlichen Ladung nicht Folge leistet, damit aber Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, oder wenn seine Anhörung nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand durchführbar ist (vgl § 495 Abs 3 zweiter Satz StPO; Pieber,WK² StVG § 180 Rz 15 ff; Mayerhofer/Salzmann,Nebenstrafrecht6 Band 2 StVG § 180 Rz 1; RIS-Justiz RS0101849). Dem Bewährungshelfer ist Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme einzuräumen (vgl Pieber , aaO).
Da das Erstgericht diese Verfahrensbestimmung unbeachtet gelassen (dem Beschwerdeführer und seinem Verteidiger wurde lediglich die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt [ON 204]) hat, obwohl die Durchführung der Anhörung ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich gewesen wäre, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung der in § 180 Abs 2 StVG vorgesehenen Anhörung aufzutragen.