JudikaturOLG Wien

14R191/24x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
08. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Mag. Koch als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Bartholner und Mag. Schaller in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Lukas Bittighofer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B*, **, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 52.846,-- sA und Feststellung (Streitwert: EUR 10.000,--; Gesamtstreitwert: EUR 62.846,--), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 8.11.2024, **-19, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 3.761,82 (darin EUR 626,97 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am ** geborene Kläger war bis 28.6.2024 Schüler des öffentlichen Zentrums für Inklusion und Sonderpädagogik in **. Die Beklagte ist Schulerhalterin dieser Schule. Am 26.9.2022 nahm der Kläger in dieser Schule an einer Turnstunde teil, bei der er sich im Zuge der Absolvierung eines Trainingsparcours bei der Verwendung des Trainingsgeräts „Pedalo“ durch einen Sturz am Kniegelenk verletzte.

Mit der am 3.6.2024 eingebrachten Klage begehrte der Kläger gestützt auf den Titel der Amtshaftung EUR 52.846,-- Schadenersatz, bestehend aus Heilungskosten, Verdienstentgang und Schmerzengeld, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen Ansprüche aus dem Vorfall vom 26.9.2022.

Er brachte dazu im Wesentlichen vor, er habe am 26.9.2022 als Schüler des öffentlichen Zentrums für Inklusion und Sonderpädagogik, **, dessen Schulerhalterin die Beklagte sei, an einer Turnstunde teilgenommen, und sich bei dieser bei der Benützung des Trainingsgeräts „Pedalo“ durch einen Sturz am Knie verletzt. Die Lehrkräfte der Beklagten hätten ihre Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, sie sei nicht passiv legitimiert. Der Unfall habe sich im Rahmen des Turnunterrichts in der allgemeinen Sonderschule**, ereignet. Während der Durchführung des Parcours habe der Kläger bei der Station „Pedalo“ nach 0,5 m das Gleichgewicht verloren und sei dabei zu Sturz gekommen. Die Beklagte sei gesetzliche Schulerhalterin der genannten Schule. Die Lehrer seien aber im Turnunterricht funktionell als Organe des Bundes (Republik Österreich) tätig gewesen. Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht werde bestritten.

Mit dem angefochtenen Urteilwies das Erstgericht die Klage aufgrund des eingangs wiedergegebenen, durch das insoweit übereinstimmende Parteivorbringen unstrittigen Sachverhalts ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Rechtlich folgerte es im Wesentlichen, nach § 1 Abs 3 AHG hafte die Beklagte als organisatorischer Rechtsträger zwar grundsätzlich solidarisch mit der Republik Österreich. Gemäß § 333 Abs 1 ASVG iVm § 335 Abs 3 ASVG sei eine Haftung der Beklagten als Schulerhalterin aber auch nach dem AHG ausgeschlossen, weil sich der Unfall nach dem Vorbringen (beider Parteien) im Rahmen einer Turnstunde in der Schule ereignet habe, und daher im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem Schulbesuch des Klägers.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers mit dem Abänderungsantrag, der Klage stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur Nichtigkeit:

Soweit die Berufung eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO verwirklicht sieht (Berufung S 2), ist dieser Einwand unbegründet: Nichtigkeit wegen mangelnder Überprüfbarkeit eines Urteils liegt nur dann vor, wenn die Fassung des Urteils so mangelhaft ist, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, oder wenn das Urteil mit sich selbst im Widerspruch steht, oder für die Entscheidung überhaupt keine Gründe angegeben sind ( Kodek in Rechberger ZPO 5§ 477 ZPO Rz 37).

Eine inhaltliche Überprüfung des Urteils ist hier entgegen der Ansicht der Berufung allerdings auf Basis des zwischen den Parteien unstrittigen, und daher nicht eigens feststellungsbedürftigen, eingangs wiedergegebenen Sachverhalts möglich. Es wird dazu auf die Behandlung der Rechtsrüge verwiesen. Die beanstandete Nichtigkeit liegt daher nicht vor.

2. Zur Rechtsrüge:

2.1.1.Die Berufung vertritt den Standpunkt, das Erstgericht habe die Klagsabweisung von Amts wegen auf das „Dienstgeberhaftungsprivileg“ des § 333 Abs 1 iVm § 335 Abs 1 ASVG gestützt, obwohl die Beklagte dazu kein Vorbringen erstattet habe; die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG dürfe vom Gericht aber nicht von Amts wegen aufgegriffen werden. Weiters begründe die Verwertung überschießender Feststellungen eine unrichtige rechtliche Beurteilung.

2.1.2. Diese Ansicht wird vom Berufungsgericht nicht geteilt.

Nach ständiger Rechtsprechung ist zwar auf die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen, dies bedeutet jedoch lediglich, dass der Richter die tatsächlichen Voraussetzungen des Haftungsausschlusses nicht von Amts wegen zu erforschen hat (RS0085007 [T1]). So wie der Einwand eines Mitverschuldens muss auch der Einwand des Haftungsausschlusses nicht ausdrücklich erhoben werden, sondern es genügt, wenn sich dem (Tatsachen )Vorbringen eine entsprechende (Tatsachen)Behauptung entnehmen lässt (RS0085007 [T2]; 1 Ob 90/08d mwN). Entscheidend ist daher nicht eine vorgebrachte rechtliche Qualifikation/Beurteilung, sondern vielmehr das von den Parteien vorgebrachte Tatsachensubstrat.

Durch das - im Übrigen von beiden Parteien, und daher unstrittig - erstattete Tatsachenvorbringen über den Eintritt der Verletzung des Klägers im Rahmen des Turnunterrichts in der von der Beklagten erhaltenen Schule wurden aber sämtliche Tatsachen für eine Anwendung des § 335 Abs 3 ASVG vorgebracht (vgl die hiezu einschlägige Entscheidung 1 Ob 90/08d), zumal diese Bestimmung lediglich vorsieht, dass bei den in einem Ausbildungsverhältnis stehenden Pflichtversicherten für die Anwendung der §§ 333 f ASVG der Träger jener Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt, dem Dienstgeber gleichgestellt ist.

Aus dieser Rechtslage folgt, dass das Erstgericht § 333 ASVG rechtlich sehr wohl anzuwenden hatte, weil alle Sachverhaltselemente zur Anwendung dieser Bestimmung Gegenstand des - im vorliegenden Fall sogar insofern übereinstimmenden - Tatsachenvorbringens der Parteien waren (vgl 1 Ob 90/08d).

„Überschießende Feststellungen“ bestehen schon allein deshalb nicht, weil das beiderseitige deckungsgleiche Tatsachenvorbringen der Parteien einen insoweit unstrittigen, nicht eigens feststellungsbedürftigen Sachverhalt ergibt.

2.2.Soweit die Berufung eine Verfassungswidrigkeit der §§ 333 Abs 1 iVm 335 Abs 1 ASVG ins Treffen führt (Berufung S 4-8), genügt ein Verweis auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 3.3.2021, G 17/2020-14, in welchem der Verfassungsgerichtshof ausführte, dass eine solche Verfassungswidrigkeit nicht vorliege, weil der Haftungsausschluss nach § 335 Abs 3 ASVG Teil eines Systems von Begünstigungen und Einschränkungen in der Unfallversicherung sei, das in seiner Gesamtheit sachlich ausgewogen sei. Die inkriminierte Regelung ist daher nicht verfassungswidrig.

Auch der Oberste Gerichtshof hat im Übrigen bereits mehrmals ausgesprochen, dass keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 333 ASVG bestehen (RS0017545, RS0031306).

3. Zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

Als wesentlichen Verfahrensmangel macht die Berufung unterbliebene Personalbeweise und die unterbliebene Einholung von Sachverständigengutachten zum Beweis der Verletzung einer Aufsichtspflicht und dadurch zugefügter Schäden geltend (Berufung S 8, 9).

Da das Erstgericht aber überhaupt keine Feststellungen zu diesen Themen getroffen hat, handelt es sich hier bei richtiger Betrachtung allerdings um eine - der Rechtsrüge zuzuordnende - Rüge rechtlicher Feststellungsmängel, nicht aber um die Darstellung von Verfahrensmängeln. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens wird daher nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht.

Da - wie die Berufungsbeantwortung zutreffend ausführt - die Haftung der Beklagten aufgrund des zur Anwendung gelangenden Haftungsprivilegs rechtlich bereits dem Grunde nach ausgeschlossen ist - wozu auf die Behandlung der Rechtsrüge verwiesen wird - liegen auch keine rechtlichen Feststellungsmängel vor.

4. Soweit die Berufung schließlich eine „ Vorlage an den VfGH wegen Verfassungswidrigkeit“ anregt (Berufung S 9), ist festzuhalten, dass sich der Verfassungsgerichtshof - wie oben bereits erörtert - mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Haftungsausschlusses nach § 333 Abs 1 ASVG iVm § 335 Abs 1 ASVG aber bereits in seinem Beschluss vom 3.3.2021, G 17/2020-14 - im Übrigen im Zusammenhang mit einer beim erkennenden Senat des Berufungsgerichts anhängig gewesenen einschlägigen Rechtssache - auseinandergesetzt hat. Dazu wird auf die bisherigen Ausführungen verwiesen.

Es bestehen somit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Haftungsprivilegs für den Schulerhalter; eine Befassung des Verfassungsgerichtshofs ist daher nicht erforderlich.

5. Der unberechtigten Berufung ist der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands konnte entfallen, weil der in einem Geldbetrag bestehende Teil des Entscheidungsgegenstands EUR 30.000 übersteigt (siehe Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 500 Rz 5).

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zu lösen war.