JudikaturOLG Wien

30Bs27/25b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat am 7. April 2025 durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 84 Abs 4 StGB über dessen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. September 2024, GZ ** 50, in der in Gegenwart der Oberstaatsanwältin HR Mag. Riener sowie in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Wolm durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* im zweiten Rechtsgang des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt (A./I./) und hiefür unter Einbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs des Urteils vom 7. Juni 2023 (ON 27) (A./II./), unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 83 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Zudem wurde er gemäß § 369 Abs 1 (zu ergänzen: iVm § 366 Abs 2) StPO dazu verhalten, der Privatbeteiligten B* 1.920 Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 16. Juni 2022 in ** B* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr einen Kopfstoß gegen den Kopf versetzte, wodurch diese eine Schädelprellung mit einer 24 Tage nicht übersteigenden Gesundheitsschädigung erlitt (A./I.).

Dem bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch vom 7. Juni 2023 (ON 27) zufolge, der für den Strafausspruch zu berücksichtigen war, hat er zudem am 16. Juni 2022 in ** C* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm ebenfalls einen Kopfstoß gegen den Kopf versetzte, wodurch dieser eine Schädelprellung erlitt (A./II).

Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen nahm eine unbekannte Person in einer Sporthalle die Handtasche der Frau des Angeklagten an sich und lief davon. Beim Absuchen der näheren Umgebung erblickte der Angeklagte eine Gruppe von mehreren Personen, darunter die späteren Opfer B* und C*, an einer Bushaltestelle.

Der Angeklagte ging irrig davon aus, dass es sich bei der Handtasche von B* um die seiner Frau gehandelt habe, woraufhin er ihr ihr die Tasche entreißen wollte. B* ließ jedoch nicht los und C* beugte sich im Versuch, dazwischen zu gehen, mit seinem Oberkörper zwischen den Angeklagten und B*. Der Angeklagte geriet darüber ihn Wut, dass ihm die beiden Minderjährigen die Tasche nicht sofort überließen und versetzte ihnen unmittelbar nacheinander heftige Kopfstöße, wodurch B* eine Schädelprellung mit folgend mehrtägig wiederkehrenden Kopfschmerzen erlitt, die nach ca. zwei Wochen als physisch ausgeheilt zu betrachten waren und zu drei Tagen mittelstarken und zehn Tagen leichten Schmerzen führten.

In seiner Beweiswürdigung stützte sich das Erstgericht auf die Angaben der Zeugen B*, C*, D*, E*, F*, G* H* und I* H*, die es trotz verschiedener Differenzen für glaubhaft befand, wohingegen es die leugnende Verantwortung des Angeklagten als bloße Schutzbehauptung verwarf. Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite leitete es aus dem objektiven Tathergang ab.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen zweier Vergehen sowie die Begehung strafbarer Handlungen unter Anwendung von Gewalt als Volljähriger gegen zwei minderjährige Opfer als erschwerend, mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel sowie die „längere Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren“.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig wegen Nichtigkeit Schuld und Strafe angemeldete (ON 54), fristgerecht in diesen Punkten und darüber hinaus auch wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche ausgeführte (vgl zur Zulässigkeit RIS-Justiz RS0115811) Berufung des Angeklagten (ON 56).

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.

In Geltendmachung des Nichtigkeitsgrunds nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO moniert der Rechtsmittelwerber zunächst, dass der Angeklagte irrtümlich einen Sachverhalt angenommen habe, der die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließen würde. Er sei von einem Herausgabeanspruch seiner Ehefrau ausgegangen und zudem berechtigterweise davon, das staatliche Hilfe zur Sicherung bzw. Verwirklichung des Anspruchs zu spät gekommen wäre, sodass er irrtümlich vom Vorliegen einer Selbsthilfesituation ausgegangen sei. Dabei habe er durch das anfängliche bloße Ergreifen der Tasche das schonendste Mittel gewählt.

Nachdem sich B* und C* gegen die Selbsthilfe des Angeklagten gewehrt hätten, sei dadurch eine Notwehr-/Nothilfesituation für den Angeklagten entstanden, in der die Kopfstöße deren Angriff verlässlich beendet hätten und somit berechtigt gewesen seien.

Für die gesetzmäßige Ausführung einer Rechtsrüge wird nicht nur ein striktes Festhalten am gesamten Urteilssachverhalt gefordert, sondern der auch ausschließlich auf dieser Basis geführte Nachweis, dass dem Erstgericht bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts, sei es auch zur Folge eines Feststellungsmangels, ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Dabei darf weder ein konstatierter Umstand übergangen werden, noch die Entscheidungsgrundlage eigenmächtig erweitert werden (RISJustiz RS0099671 [T3]).

Mit seinem Vorbringen, dass der Angeklagte lediglich versucht habe, B* die Handtasche zu entreissen und dies das schonendste verfügbare Mittel gewesen sei, entfernt er sich diesen Vorgaben zuwider vom festgestellten Urteilssachverhalt, wonach er gerade nicht nur die Handtasche an sich nehmen wollte, sondern sein Opfer darüber hinaus (aus Wut) vorsätzlich durch einen heftigen Kopfstoß am Körper verletzte.

Auch die weiteren Ausführungen des Berufungswerbers zum Vorliegen einer vermeintlichen Notwehr- oder Nothilfesituation orientieren sich nicht am festgestellten Urteilssachverhalt. Indem der Angeklagte versucht, das einheitliche Tatgeschehen in mehrere Teilaspekte zu zerlegen und auf diese Weise eine gesondert zu betrachtende Notwehr- bzw. Nothilfesituation seinerseits zu konstruieren, finden diese Überlegungen in der festgestellten zeitlichen Abfolge der Geschehnisse keine Deckung.

Wie schon das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 4. April 2024 (ON 38) darlegte, kommt (Putativ-)Nothilfe nicht in Betracht, weil der (vermeintliche) Angriff nicht mehr gegenwärtig war. Ebenso wenig kann die Handlung des Angeklagten durch (Putativ-)Selbsthilfe gerechtfertigt sein, zumal in diesem Zusammenhang die vorsätzlich Zufügung einer Körperverletzung jedenfalls unverhältnismäßig ist. Die Berufung wegen Nichtigkeit musste daher erfolglos bleiben.

Der Berufung wegen Schuld ist vorauszuschicken, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem aus der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang und aus den allgemeinen Erfahrungssätzen logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (Kirchbacher, StPO 15 § 258 Rz 8). Die Frage der Glaubwürdigkeit des Angeklagten oder der Zeugen und die Beweiskraft deren Aussagen sind der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten.

Selbst wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, vermag dies noch keine Zweifel an der Beweiswürdigung des unter dem persönlichen Eindruck der unmittelbaren Beweisaufnahme stehenden Tatrichters zu wecken. Aus dem Grundsatz „in dubio pro reo“ lässt sich nämlich keine negative Beweisregel ableiten, die das erkennende Gericht - im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen - verpflichten würde, sich für die aus Sicht des Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336).

Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Erwägungen vermag die Schuldberufung keine Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts zu wecken. Das Erstgericht unterzog die wesentlichen Verfahrensergebnisse einer denkrichtigen und lebensnahen Würdigung und legte mit umfassender Begründung, zugleich aber auch in vom Gesetz geforderter gedrängter Darstellung (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) überzeugend dar, wie es zu den Feststellungen über die entscheidenden Tatsachen gelangte.

Dabei konnte es sich zum objektiven Tathergang insbesondere auf die nachvollziehbar für glaubwürdig befundenen Angaben des Opfers und der weiteren vernommenen Zeugen Zeugen C*, D*, E*, F*, G* H* und I* H*, stützen und legte unter Würdigung sämtlicher wesentlicher in der Hauptverhandlung vorgekommener Beweisergebnisse schlüssig und lebensnah dar, wie es zu den Feststellungen gelangte und aus welchen Gründen es den Angaben der Zeugen folgte.

Soweit der Rechtsmittelwerber vermeintliche Widersprüche in den Aussagen der einzelnen Zeugen verortet, ist er darauf zu verweisen, dass sich das Erstgericht mit diesen Widersprüchen umfassend und nachvollziehbar auseinandersetzte.

Dem gegenüber begründete das Erstgericht empirisch einwandfrei und auch für das Rechtsmittelgericht schlüssig, warum es der leugnenden Einlassung des Angeklagten keinen Glauben schenkte, zumal dieser beispielsweise weiterhin in Abrede stellte, dass zwei noch vor Ort von der Polizei mit den vollständigen Daten als anwesend aufgenommene Zeugen überhaupt anwesend gewesen seien und für die durch einen Befund der Klinik J* (ON 2.13) und Lichtbilder (ON 2.17) objektivierte Verletzung des Opfers keine Erklärung hatte.

Dem Erstgericht bei der Beweiswürdigung unterlaufene Fehler vermochte die Berufung nicht aufzuzeigen, ist doch der vom erkennenden Gericht gewonnenen unmittelbare persönliche Eindruck entscheidend für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussagen der in der Hauptverhandlung Vernommenen.

Das Vorliegen der subjektiven Tatseite leitete das Erstgericht zulässigerweise und schlüssig aus dem objektiven Tathergang ab, was bei leugnenden Tätern in der Regel methodisch auch gar nicht anders möglich ist (RISJustiz RS0098671, RS0116882, Ratz in WK StPO § 281 Rz 452).

Zusammengefasst gelingt es dem Berufungswerber somit nicht, Zweifel an der umfassenden und schlüssigen Beweiswürdigung des Erstgerichts zu wecken. An der Lösung der Schuldfrage bestehen daher keine Bedenken.

In seiner Berufung wegen Strafe begehrt der Berufungswerber die Anwendung des § 37 StGB und vermeint, dass die Voraussetzung für die Verhängung einer Geldstrafe vorlägen. Zunächst ist dem entgegen zu halten, dass § 83 StGB ohnehin alternativ die Möglichkeit der Verhängung einer Geldbuße vorsieht, die Anwendung des § 37 StGB somit schon grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Völlig zutreffend hat das Erstgericht von der Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe im konkreten Fall aber keinen Gebrauch gemacht, weil angesichts der Täterpersönlichkeit, insbesondere der mit Blick auf zwei minderjährige Opfer deutlich überzogenen Reaktion des Angeklagten und seiner daraus ableitbaren niedrigen Hemmschwelle zur Tatbegehung nicht davon auszugehen ist, dass die Verhängung einer Geldstrafe als ausreichend anzusehen wäre, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Inwieweit angesichts der nicht unbeträchtlichen Verletzung zweier minderjähriger Opfer ein nur geringer Erfolgsunwert und ein geringer Gesinnungsunwert vorliegen sollten, ist nicht ersichtlich.

Das Erstgericht hat die Strafzumessunggründe im Wesentlichen vollständig erfasst und richtig gewichtet, wobei zu ergänzen ist, dass eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer insbesondere mit Blick auf das Erfordernis der Einholung von Sachverständigengutachten und das Vorliegen von zwei Rechtsgängen samt zweimaliger Anrufung des Rechtsmittelgerichts nicht vorliegt. Durch die ohnehin nur mit einem Drittel des zur Verfügung stehenden Strafrahmens ausgemessene und zudem zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe kann sich der Berufungswerber nicht als beschwert erachten und wird die verhängte Strafe sowohl spezial als auch generalpräventiven Erfordernissen gerecht.

Zuletzt erweist sich auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche als unberechtigt.

Das Erstgericht hat die für die Privatbeteiligtenzusprüche erforderlichen Feststellungen zum objektiven Tathergang und zur subjektiven Tatseite des Angeklagten getroffen. Ausgehend von den festgestellten Verletzungen und Schmerzperioden erweist sich im Sinne des § 273 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0031614) und gestützt auf § 1325 ABGB der Schmerzengeldzuspruch von 1.920 Euro als nicht überhöht.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.