JudikaturOLG Wien

5R166/24d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
13. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schrott-Mader als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Guggenbichler und Mag. Jelinek in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geb am **, Polizist, **, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei B* AG, HRB **, **, D-**, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen EUR 27.400 sA, über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 25.400) gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 30.8.2024, **-89, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.721,95 (darin EUR 434,60 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe :

Der Kläger kaufte am 16.03.2010 den mit einem ** ausgestatteten Neuwagen der Marke ** mit der Fahrgestellnummer ** zum Preis von EUR 27.400. Er erhielt das Fahrzeug im Juni 2010 mit einem Kilometerstand von Null und nutzte es bis zuletzt uneingeschränkt, sodass das Auto, das grundsätzlich eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 km hat, Ende Mai 2024 einen Kilometerstand von 435.500 aufwies.

Per 15.11.2023 hatte das verfahrensgegenständlicheFahrzeug bei einem Kilometerstand von etwa 395.000 einen objektiven Händlerverkaufswert von ca EUR 4.300, einen Marktwert von ca EUR 3.200 und ein Händlereinkaufswert von ca EUR 1.000. Diese Werte sind nur bedingt praktisch vorliegend, da es kaum einen Händler geben wird, der es riskiert ein Fahrzeug mit einem so hohen Kilometerstand mit gesetzlicher Gewährleistung zu verkaufen. Es wird daher auch kaum einen Händler geben, der ein Fahrzeug mit diesem hohen Kilometerstand ankauft, maximal für den Export. Diese Situation und die angeführten Werte änderten sich bis Mai 2024, dem Schluss der Verhandlung erster Instanz, nicht nennenswert. Erst durch eine oder mehrere unbedingt erforderliche Reparaturen, die den Wert erreichen oder übersteigen - und solche Reparaturen sind kurzfristig jederzeit möglich, das Klagsfahrzeug hat seine Ziellaufleistung bereits erreicht bzw deutlich überschritten - sinkt der Wert dann Richtung Null bzw Richtung Materialwert (ca EUR 100). Dann ist das Fahrzeug zu „Ende“ gefahren. Grundsätzlich gab und gibt es derzeit, weil in einem Fahrzeug ein **-Motor mit einem Thermofenster bzw eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, keinen am Markt zu beobachtenden Wertnachteil.

Der Kläger begehrte die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises von EUR 27.400 samt 4 % Zinsen seit Klagszustellung, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges.

Hilfsweise begehrte er die Rückzahlung von EUR 8.000 aus dem Titel der Vermögensschädigung aufgrund eines Minderwerts des Fahrzeugs von 30 % des Kaufpreises. Weiters erhob er – ebenfalls hilfsweise – ein Feststellungsbegehren.

Das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden und daher schon bei Übergabe mangelhaft gewesen. Der Kläger sei von der Beklagten vorsätzlich in die Irre geführt und geschädigt worden, zumal deren Angaben zum Fahrzeug inklusive der Bewerbung in den Medien bewusst unrichtig gewesen seien. Ein Benutzungsentgelt habe sich der Kläger gegenüber der Beklagten als vorsätzlich schädigender Fahrzeugherstellerin nicht anrechnen zu lassen, da dies dem Effektivitätsgebot der Bestimmungen des Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 der Richtlinie 2007/46 und Art 5 Abs 2 der VO Nr 715/2007 widersprechen würde.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte Klagsabweisung und wendete - soweit im Berufungsverfahren noch relevant - ein, selbst wenn der Kläger mit seinem Begehren durchdringen sollte, müsse er alles zurückstellen, was er aus dem Vertrag zu seinem Vorteil erhalten habe. Das bedeute, dass der Kläger ein dem verschafften Nutzen angemessenes Benutzungsentgelt zu entrichten habe. Der Kläger habe sich dabei den Nutzungsvorteil für die gesamte Dauer der Fahrzeugnutzung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz anrechnen zu lassen.

Zuletzt forderte die Beklagte die Anrechnung eines Benützungsentgelts von EUR 47.730,80 im Wege des Vorteilsausgleichs. Unter Zugrundelegung eines Kaufpreises von EUR 27.400, der zur erwartenden Laufleistung des Fahrzeugs von 250.000 Kilometern und den vom Kläger mit dem Fahrzeug zurückgelegten 435.500 km ergebe sich durch die lineare Berechnungsmethode dieser Betrag, der einer allenfalls zu Recht bestehenden Hauptforderung als Gegenforderung entgegengehalten werde.

Mit dem angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht die Klagsforderung als mit EUR 2.000 zu Recht, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von EUR 2.000 samt Anhang Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Es traf die auf den Seiten 2 und 9-20 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen, auf die verwiesen wird und die eingangs der Berufungsentscheidung auszugsweise wiedergegeben wurden, und folgerte rechtlich - soweit für das Berufungsverfahren noch relevant - die Beklagte sei wegen Arglist und wegen der Verletzung von Schutzgesetzen zum Ersatz des dem Kläger entstandenen Schadens verpflichtet. Im Rahmen der Vorteilsanrechnung sei jedoch - auch bei einem Anspruch nach § 874 ABGB - alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem Vertrag zu seinem Vorteil erhalten habe, somit nicht nur das zurückzustellende Fahrzeug selbst, sondern auch dessen tatsächliche Nutzung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Der Kläger müsse sich für den in der Nutzung des Fahrzeugs liegenden Vorteil daher ein Benutzungsentgelt anrechnen lassen, das im Rahmen des Vorteilsausgleichs bereits durch Abzug von der Klagsforderung zu berücksichtigen sei.

Der Kläger habe das Fahrzeug rund 14 Jahre genutzt und 435.500 km zurückgelegt, in dieser Zeit sei es stets uneingeschränkt nutzbar und fahrtauglich gewesen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und Heranziehung von § 273 ZPO sei ein zwischen dem Marktwert und dem Händler-Einkaufswert liegender Betrag von EUR 2.000, gegen den der Kläger das Fahrzeug zurückstellen könne, angemessen und sachgerecht.

Gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Klagstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Der Berufungswerber vertritt zusammengefasst die Rechtsansicht, es habe keine Vorteilsanrechnung zu erfolgen. Er habe mindestens Anspruch auf den Marktwert des Fahrzeugs, der EUR 3.200 betrage, was das Erstgericht infolge unrichtiger Rechtsansicht nicht festgestellt habe.

2.Es entspricht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu vergleichbaren Sachverhalten im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“, dass es auch im Fall deliktischer Haftung für Schadenersatz wegen arglistiger Irreführung nach § 874, § 1295 Abs 2 ABGB über Einwendung zu einer schadenersatzrechtlichen Vorteilsausgleichung zu kommen hat, in deren Rahmen alles zu berücksichtigen ist, was der Geschädigte aus dem (ungewollten) Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat, also auch seine tatsächliche Nutzung (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz - 2 Ob 5/23h; 6 Ob 158/22m; 4 Ob 160/23t; 5 Ob 178/24y).

3.Dass der Grundsatz der Vorteilsanrechnung auch bei einem deliktischen Schadenersatzanspruch gegen den Motorenhersteller vorzunehmen ist, lag bereits der Entscheidung 2 Ob 5/23h zugrunde und widerspricht auch nicht den Vorgaben der Entscheidung des Gerichtshof der Europäischen Union vom 21. März 2023 in der Rechtssache C 100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG. Dort stellte der EuGH zwar klar, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer einer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadenersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist, wobei in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes es aber Sache der Mitgliedstaaten ist, diese Modalitäten festzulegen. Die Anrechnung des Nutzungsvorteils für die tatsächliche Nutzung des in Rede stehenden Fahrzeugs wäre nach der Entscheidung des EuGH nur dann unionsrechtlich pönalisiert, wenn sie es dem Fahrzeugkäufer praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren würde, angemessenen Ersatz zu erhalten.

Ebenso hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass der lineare Berechnungsmodus eine angemessene Entschädigung des Fahrzeugkäufers gewährleistet und den Erhalt eines angemessenen Schadenersatzes nicht unmöglich macht oder übermäßig erschwert (10 Ob 2/23a Rz 40; vgl auch 8 Ob 1/24s Rz 34).

4.Das vom Kläger angesprochene „Verbot der Vorteilsanrechnung bei vorsätzlicher Schädigung“ ist dem nationalen Recht fremd, zumal die Vorteilsanrechnung den Zweck hat, einen Vorteil des Geschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, durch Vergleich des Zustands des Vermögens des Geschädigten vor und nach der Schädigung zu berücksichtigen (RS0022834, RS0022726). Die Vorteilsanrechnung hängt daher grundsätzlich nicht vom Grad des Verschuldens des Schädigers ab. Die Frage der objektiv abstrakten oder subjektiv konkreten Schadensberechnung ist hier nicht von Relevanz, zumal der Kläger Naturalersatz durch Zug um Zug Rückabwicklung anstrebt. Warum der in der Berufung bemühte Effektivitätsgrundsatz und die anzustrebende Abschreckungswirkung es europarechtlich gebieten sollten, gerade dem Motorenhersteller die Berufung auf einen Gebrauchsnutzen des Fahrzeugs und eine Vorteilsanrechnung zu verbieten, kann der Berufungswerber nicht begründen.

5. Zur Höhe des Klagszuspruchs:

Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (RS0134263) ist ein Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (2 Ob 82/23g; 2 Ob 5/23h).

Diese Berechnungsmethode wäre in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die tatsächlich gefahrenen Kilometer die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs um ein Vielfaches übersteigt, nach zutreffender Ansicht des Erstgerichts nicht sachgerecht.

Im Einzelfall kann zur Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts auch § 273 ZPO herangezogen werden (RS0018534 [T5]). Richtig ist, dass nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung etwa eine Angemessenheitskorrektur nach § 273 ZPO geboten ist, wenn der Geschädigte aufgrund der linearen Berechnungsmethode für das Benützungsentgelt im Ergebnis nur einen Betrag erhielte, der den aktuellen Zeitwert des zurückzugebenden Fahrzeugs unterschreitet (1 Ob 34/24t; 3 Ob 121/23z).

DieAnwendung von § 273 hat jedoch stets unter Bedachtnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalles zu erfolgen. Bei der gemäß § 273 ZPO nach freier Überzeugung zu erfolgenden Schadensfestsetzung ist dem Gericht ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt.

Ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichts begegnet die Ausmittlung des Nutzungsentgelts durch das Erstgericht keinen Bedenken. Ein Ermessensfehler wird nicht aufgezeigt.

Der Berufung war daher nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 Abs 1, 41 ZPO. Da die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat, ist ihr – wie verzeichnet – die in Deutschland zu entrichtende (allgemein bekannte) Umsatzsteuer von 19 % zuzusprechen (RIS-Justiz RS0114955 [T 12]).

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen. Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO genannten Qualität und von den über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung waren nicht zu lösen.