JudikaturOLG Linz

9Bs162/25z – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
24. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Dr. Engljähringer als Vorsitzende, die Richterin Mag. Kuranda und den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* B*wegen der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (idF BGBl I 2015/163) und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 7. Februar 2025, Hv*-23, nach der in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Zentner, der Privatbeteiligtenvertreterin C* für das Amt für Betrugsbekämpfung als Finanzstrafbehörde, des Angeklagten A* B* und seines Verteidigers Mag. Haumer, LL.M. durchgeführten Berufungsverhandlung am 24. September 2025 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird in seinem Strafausspruch dahin abgeändert, dass die Geldstrafe auf EUR 70.000,00 und die Ersatzfreiheitsstrafe auf zwei Monate herabgesetzt wird. Gemäß § 43a Abs 1 StGB iVm § 26 FinStrG wird ein Teil der Geldstrafe in Höhe von EUR 35.000,00 mit zweijähriger Probezeit bedingt nachgesehen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der ** geborene A* B* der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2013/14 und BGBl I 2019/62 (I.), der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2015/163 (II.) und der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG idF BGBl I 2013/14 und BGBl I 2018/62 (III.) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 21 Abs 1 und Abs 2 FinStrG nach dem Strafsatz des § 33 Abs 5 FinStrG (idF BGBl I 2013/14 bis BGBl I 2018/62) und des § 38 Abs 1 FinStrG (idF BGBl I 2015/163) zu einer Geldstrafe von EUR 85.000,00, für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Gemäß § 26 Abs 1 FinStrG iVm § 43a Abs 1 StGB wurde ein Teil der verhängten Geldstrafe in Höhe von EUR 30.000,00 unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen.

Nach dem Schuldspruch hat A* B* jeweils vorsätzlich im Zuständigkeitsbereich des Amts für Betrugsbekämpfung als zuständige Finanzstrafbehörde als handelsrechtlicher Geschäftsführer der D* GmbH (FN **), sohin als gemäß § 80 BAO für die abgabenrechtlichen Belange zuständiger Entscheidungsträger des Verbandes

I.) zwischen 19. Oktober 2017 und 3. Dezember 2019 vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch die Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen, in denen er (großteils) auf Scheinrechnungen beruhende Betriebsausgaben zu Unrecht gewinnmindernd geltend machte, mit Bekanntgabe des Erstbescheids eine Abgabenverkürzung an Körperschaftsteuer bei der D* GmbH in einer Gesamthöhe von EUR 87.390,75 bewirkt, und zwar

1.) mit 19. Oktober 2017 in Höhe von EUR 30.000,00 für das Veranlagungsjahr (Wirtschaftsjahr) 2015/2016;

2.) mit 23. Februar 2018 in Höhe von EUR 35.668,25 für das Veranlagungsjahr (Wirtschaftsjahr) 2016/2017;

3.) mit 3. Dezember 2019 in Höhe von EUR 21.722,50 für das Veranlagungsjahr (Wirtschaftsjahr) 2017/2018;

II.) in mehreren zeitlich nicht genauer konkretisierbaren Einzelangriffen zwischen April 2016 und August 2018 jeweils durch die Nichtabgabe von Kapitalertragsteueranmeldungen bezüglich verdeckter Gewinnausschüttungen (aufgrund von Zahlungen von Scheinrechnungen, wobei diese Beträge abzüglich einer Provision in bar zurückflossen und zum Teil von B* entnommen wurden) und Nichtabfuhr der hiefür zu entrichtenden Kapitalertragsteuer binnen einer Woche ab jeweiligem Zufluss der verdeckten Ausschüttung (in einer Gesamthöhe von insgesamt EUR 258.067,00) Verkürzungen an Kapitalertragsteuer in einem Gesamtbetrag von insgesamt EUR 69.468,43, nämlich

Jahr: VGA (EUR) KESt (EUR)

a) 2016 66.250,00 16.718,75

b) 2017 130.968,00 36.016,20

c) 2018 60.849,00 16.733,48

Summen: 258.067,00 69.468,43

bewirkt, wobei er die Finanzvergehen gewerbsmäßig mit der Absicht ausgeführt hat, sich durch ihre wiederkehrende Begehung einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, und bereits zwei solche Taten begangen hat;

III.) im Zeitraum Jänner 2016 bis Dezember 2018 – teils als abgabenrechtlicher Verantwortlicher der Rechtsvorgängerin E* KG (FN **) – unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 EStG 1988 sowie dazu ergangener Verordnungen entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung der nachfolgenden Lohnabgaben in einer Gesamthöhe von EUR 73.461,89 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten hat, indem er die Lohnkonten gar nicht oder nur völlig unzureichend führte, insbesondere Lohnbestandteile inoffiziell ohne Erfassung auf den jeweiligen Lohnkonten auszahlte, sowie die geschuldeten Lohnabgaben bei Fälligkeit nicht abführte, wodurch folgende Verkürzungen an Lohnsteuer (LSt), Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (DB) sowie Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag (DZ) bewirkt wurden:

Lohnzeiträume: LSt DB DZ

01/2016 bis 12/2016 4.104,13 1.181,25 94,50

01/2017 bis 12/2017 36.918,19 9.559,85 839,35

01/2018 bis 12/2018 16.431,10 3.967,35 366,17

Summen: 57.453,42 14.708,45 1.300,02

Gegen den Strafausspruch dieses Urteils wendet sich die Berufung des Angeklagten mit dem Ziel der Herabsetzung der verhängten Geldstrafe bei gleichzeitiger Erhöhung des bedingt nachgesehenen Teils dieser Geldstrafe gemäß § 26 FinStrG (ON 26).

Die Oberstaatsanwaltschaft und die Privatbeteiligte beantragten die Bestätigung des Ersturteils.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht mildernd das umfassende Geständnis, die vollständige Schadensgutmachung und den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, erschwerend dagegen das Zusammentreffen von mehreren Vergehen und den langen Tatzeitraum. Die Bemessung des unbedingt verhängten Strafteils im Rahmen von rund zwei Dritteln der verhängten Geldstrafe erachtete das Erstgericht geboten, um bei solcherart schwer aufzudeckenden und systematisch durchgeführten Abgabenverkürzungen über den aufgezeigten längeren Deliktszeitraum die allgemeine Normentreue zu stärken und gleichartige Vorgangsweisen durch andere Abgabenpflichtige hintanzuhalten. Aufgrund des unbelasteten Vorlebens des Angeklagten sah das Erstgericht allerdings die bedingte Nachsicht eines Teils der ausgesprochenen Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren und damit einen möglichst langen Beobachtungszeitraum für gerechtfertigt (US 11).

Der Strafzumessungskatalog bedarf, wie die Berufung zutreffend aufzeigt, insofern einer Korrektur, als vorliegend der Strafmilderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB zur Anwendung kommt, weil die letzte Tat des Angeklagten auf 3. Dezember 2019 datiert, daher bereits vor längerer Zeit, nämlich außerhalb der fünfjährigen Rückfallsverjährungsfrist des § 39 Abs 2 StGB (vgl Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 34 Rz 15) begangen wurde und sich der Angeklagte seither wohlverhalten hat.

Außerdem liegt der Milderungsgrund der überlangen Verfahrensdauer nach § 34 Abs 2 StGB vor. Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sind nach der Judikatur des EGMR zu Art 6 EMRK Umfang und Schwierigkeit des Falles, die Art der Verfahrensführung durch die Strafverfolgungsbehörden sowie das Verhalten des Beschuldigten. Der Beginn des Verfahrens wird mit dem Zeitpunkt der Kenntnis des Beschuldigten darüber angenommen, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat Ermittlungen mit dem Ziel strafrechtlicher Verfolgung geführt werden und seine Lage dadurch in erheblicher Weise beeinträchtigt wird. Bei einer Steuerprüfung etwa, die zur Aufdeckung von Finanzvergehen führt, beginnt die Frist des Art 6 Abs 1 EMRK erst mit der Mitteilung über die Einleitung des Finanzstrafverfahrens. Beendet ist das Verfahren mit der Entscheidung letzter Instanz ( Riffel in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 34 Rz 43). Der Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB deckt zwei Fallgruppen ab: den allgemeinen Milderungsgrund der aufgrund der individuellen (Mehr-)Belastung unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer einerseits und die durch Säumnisse staatlicher Organe zu verantwortende unverhältnismäßig (iSd Art 6 Abs 1 EMRK unangemessen) lange Verfahrensdauer als Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art 6 EMRK anderseits (RIS-Justiz RS0132858). Während im ersten Fall der Milderungsgrund im Rahmen der Gesamtabwägung der Erschwerungs- und Milderungsgründe bei der Strafbemessung unmittelbar zu berücksichtigen ist, ist er im zweiten Fall iSd Art 41 EMRK Wiedergutmachung und Entschädigung für eine Konventionswidrigkeit: Die Grundrechtsverletzung ist explizit anzuerkennen und, sofern diese Feststellung für eine adäquate Wiedergutmachung nicht ausreicht, durch eine ausdrückliche und messbare Reduzierung der verhängten Strafe zu kompensieren. Zu diesem Zweck sind alle wesentlichen Verzögerungen, zu denen es im Lauf des Verfahrens gekommen war, und deren Gründe festzustellen ( Riffel in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 34 Rz 56).

Fallkonkret wurde am 15. März 2019 eine Hausdurchsuchung unter anderem in den Geschäfts- und Büroräumlichkeiten der D* GmbH angeordnet und diese am 22. März 2019 in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt. Sowohl in der Anordnung der Hausdurchsuchung vom 15. März 2019 als auch in der Niederschrift der Steuerfahndung über diese Hausdurchsuchung vom 22. März 2019 wird der Angeklagte bereits als Verdächtiger geführt. Da die Durchführung einer Hausdurchsuchung die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens voraussetzt, muss davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte spätestens mit 22. März 2019 von der Einleitung des gegen ihn geführten Finanzstrafverfahrens Kenntnis erlangt hat. Nach dem Akteninhalt datieren die Niederschrift über die Schlussbesprechung gemäß § 149 Abs 1 BAO anlässlich der Außenprüfung gemäß § 147 BAO, die am 27. September 2021 in Anwesenheit von Vertretern des Finanzamts, des Angeklagten und seiner steuerlichen Vertretung durchgeführt wurde, vom 21. März 2022 (ON 2.3) sowie vom 24. März 2022 (ON 6). Die Vernehmung eines Verdächtigen (Mitarbeiter einer der vom Angeklagten gegründeten Scheinfirmen) erfolgte am 1. Juni 2022 (ON 8.2). Eine Stellungnahme der steuerlichen Vertretung des Angeklagten als Geschäftsführer der D* GmbH zur Niederschrift des Finanzamts Österreich vom 24. März 2022 datiert vom 12. Mai 2022 (ON 9). Es ist daher davon auszugehen, dass die Ermittlungen mit Sommer 2022 abgeschlossen waren. Erst am 16. Oktober 2024 brachte das Amt für Betrugsbekämpfung als Finanzstrafbehörde den Abschlussbericht gemäß § 100 Abs 2 Z 4 StPO bei der Staatsanwaltschaft ein (ON 2.2 und ON 3.2). Damit sind zwischen dem Abschluss der Ermittlungen und Einbringung des Abschlussberichts mehr als zwei Jahre vergangen. Darin ist eine längere Phase behördlicher Inaktivität zu erblicken, die als Konventionsverletzung durch eine messbare Reduzierung der verhängten Strafe zu kompensieren ist. Das Berufungsgericht erachtet einen Strafteil von EUR 14.000,00 als adäquate Wiedergutmachung für die nicht vom Beschuldigten zu vertretende Verfahrensverzögerung. Aufgrund des Hinzutretens eines weiteren Milderungsgrundes konnte daher die verhängte Geldstrafe tat- und schuldangemessen auf EUR 70.000,00 und die im Fall ihrer Uneinbringlichkeit zu bestimmende Ersatzfreiheitsstrafe auf zwei Monate herabgesetzt werden.

Das tadellose Vorleben des Angeklagten und sein Wohlverhalten seit der letzten Tat am 3. Dezember 2019 bei überlanger Verfahrensdauer und vor allem die vollständige Schadensgutmachung rechtfertigen die Annahme, dass es nur eines effektiven Vollzugs der Hälfte der über ihn verhängten Geldstrafe bedarf, um den Berufungswerber in Hinkunft von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten, wobei – auch mit Rücksicht auf die lange Verfahrensdauer und die weiteren, sozialprognostisch gewichtigen Milderungsgründe – mit einer auf zwei Jahre verkürzten Probezeit das Auslangen gefunden werden kann. Der gemäß § 26 Abs 1 FinStrG iVm § 43a Abs 1 StGB bedingt nachgesehene Teil der verhängten Geldstrafe beträgt damit EUR 35.000,00, sodass der unbedingte Teil ohnehin mehr als 10% des strafsatzbestimmenden Wertbetrags von EUR 230.321,07 (§ 26 Abs 1 letzter Satz FinStrG) ausmacht.