7Bs102/25m – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Mag. Hemetsberger als Vorsitzende, die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger und den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 13. Juni 2025, Hv1*-16, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die über A*, geboren am ** in **/Türkei, verhängte Untersuchungshaft wird aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Tatausführungs-gefahr gemäß § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit b, c und d StPO fortgesetzt.
Dieser Beschluss ist durch die Haftfrist nicht mehr begrenzt.
Text
Begründung:
Beim Landesgericht Steyr behängt gegen A* zu B* ein Strafverfahren wegen jeweils des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB (I./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./), dem der Strafantrag der Staatsanwaltschaft Steyr vom 26. Mai 2025 (ON 7) samt in der Hauptverhandlung vom 11. Juni 2025 erfolgter Ausdehnung (ON 13, 12) zugrunde liegt.
Danach habe der Angeklagte C* D* E* in F*
I./ im Zeitraum 21. März 2025 bis 9. Juni 2025 widerrechtlich in einer Weise, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt, sohin beharrlich verfolgt, indem er sie unzählige Male anrief, ihr unzählige Nachrichten (SMS, WhatsApp, Telegram, Snapchat, Voicemails) übermittelte, Kontaktaufnahmen über Dritte (Bruder, Mutter, Vater, Onkel, Bekannte, Verwandte) mittels schriftlicher Nachrichten tätigte, bei Verwandten anrief und über Facebook kontaktierte und Bekannte zu ihr schickte, mithin im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines sonstigen Kommunikationsmittels oder über Dritte Kontakt zu ihr herstellte;
II./ am 8. Mai 2025 durch die Übermittlung eines Emojis eine Ente mit einem Messer in der Hand zeigend zumindest mit der Zufügung einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.
Der Angeklagte wurde nach staatsanwaltschaftlicher Antragstellung und gerichtlicher Anordnung seiner Festnahme in der Hauptverhandlung vom 11. Juni 2025 (ON 13, 12 und ON 12) am selben Tag um 14.45 Uhr festgenommen (ON 14). Nachdem er unmittelbar darauf in das Forensisch-therapeutische Zentrum F* eingeliefert worden war (ON 14), wurde über ihn – dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend (ON 1.6) – nach seiner Vernehmung (ON 15) am 13. Juni 2025 wegen des dringenden Verdachts der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB aus den Haftgründen der Tatbegehungs- sowie Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit b, c und d StPO die – durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzte - Untersuchungshaft verhängt (ON 16).
Die vom Angeklagten dagegen erhobene Beschwerde (ON 22) erweist sich als nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte/Angeklagte einer bestimmten Tat dringend verdächtig, er sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Ramiin WK-StPO § 173 Rz 2f mwN). Es ist die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann, ein Schuldbeweis ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0107304 [auch T3]).
Nach den bisherigen Verfahrensergebnissen ist A* dringend verdächtig, im Sinne der oben dargestellten Vorwürfe die Vergehen der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB begangen zu haben.
Die dringliche Verdachtslage gründet sich in objektiver Hinsicht auf die von C* E* vorgelegten Screenshots, Lichtbilder, Chat-Inhalte und Audiosequenzen (zB ON 4.14, ON 6.8, 6.9 [Telegram Audiosequenz „… am Ende wird es dir leid tun, dass du dich nicht gemeldet hast ...“] und 6.12), insbesondere aber auf ihre vom Erstgericht für glaubhaft, lebensnah und nachvollziehbar befundenen Schilderungen des Tathergangs (ON 4.6 und 4.7 sowie ON 13, 8 ff). Demnach habe sie der zur Tatzeit unter anderem wegen eines Aggressionsdeliktes zu ihrem Nachteil (vgl Einstweilige Verfügung vom 3. Dezember 2024, ON 4.9 und Pos 10 in der Strafregisterauskunft ON 9) in Strafhaft befindliche Angeklagte, unmittelbar nachdem sie die Beziehung zu ihm am 21. März 2025 beendet hatte, weil er sie überwachen ließ, mit zahlreichen Nachrichten und Anrufen unter verschiedenen Nummern, teilweise auch anonym kontaktiert, worauf sie aber seither nicht mehr reagiert habe. Er habe bei ihrer Mutter in der Arbeit angerufen (vgl ON 6.12, 13), ihrem Bruder sei ein Zettel in den Postkasten gelegt worden (vgl ON 4.12, 4) und am 22. März 2025 und einige Tage darauf habe sie ein Freund des Angeklagten zu Hause aufgesucht (vgl Lichtbild ON 4.16). Einmal (laut Screenshot am 8. Mai 2025, vgl ON 4.14, 2) habe er ihr ein Emoji geschickt, nämlich eine ein Messer in der Hand haltende Ente, die auf sie gezeigt habe, welches sie als Anspielung dahingehend verstanden habe, dass er ihr wehtun möchte (ON 4.7, 4 und ON 13, 11). In der Hauptverhandlung vom 11. Juni 2025 berichtete die Zeugin unter Vorlage handschriftlicher Aufzeichnungen davon, dass auch nach der Beschuldigteneinvernahme des Angeklagten zum gegenständlichen Tatvorwurf am 15. Mai 2025 (ON 4.4 und 4.5) weitere Kontaktaufnahmen durch ihn in Form von anonymen Anrufen und per Telegram erfolgt seien. Dabei räumte sie zunächst ein, dass sie nicht wisse, ob die Nachrichten von ihm stammen würden. Da sie aber aktuell mit keinen anderen Leuten schreibe und nur mit ihrer Mama und ihrem Bruder rausgehe, käme auch dafür nur der Angeklagte in Frage (ON 13, 11f und 13.1).
Der Angeklagte gestand in der Hauptverhandlung zu (vgl ON 13, 2f und 6f), dass C* E* Ende März den Kontakt (fast ganz) abgebrochen habe, und er ihr im Zeitraum März bis Mai 2025 – nicht jedoch darüber hinaus – eigentlich die ganze Zeit über, manchmal mit ein zwei Wochen Pause dazwischen, sehr viele Nachrichten geschrieben und geschickt habe und Kontaktaufnahmen auch über Dritte, konkret durch einen Freund, welcher die Zeugin aufgesucht habe, und durch eine Freundschaftsanfrage an den Onkel der Zeugin versucht habe. Ob er auch den Entensmiley mit dem Messer geschickt habe, könne er nicht sagen. Den Beschwerdeausführungen zuwider räumte er auch ein, dass C* E* eigentlich nicht wirklich etwas geschrieben habe, sie habe ihm (nur) Smileys, etwa am vierten Mai zu seinem Geburtstag geschickt (ON 13, 2 und 5).
Mit Blick auf die in der Hauptverhandlung vorgespielten Sprachnachrichten der C* E* (ON 13, 9) vermag die Verantwortung des Angeklagten, die Zeugin habe die Beziehung zu ihm nicht beendet und er habe sich bloß Sorgen um sie gemacht, die dringliche Verdachtslage nicht zu entkräften. Angesichts der vorliegenden Screenshots in Zusammenschau mit den im wesentlichen konsistenten Angaben der Zeugin ändert auch der Versuch des Angeklagten, die Anzeige der C* E* als Vergeltungsaktion dafür darzustellen, dass er eine polizeiliche Anzeige gegen sie erhoben habe, an dieser Einschätzung noch nichts.
Die abstrakte Eignung der Tathandlungen, das Opfer in seiner Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen (dass das Verhalten des Täters Veränderungen der Lebensweise beim Betroffenen nach sich gezogen hat, muss zur Vollendung des § 107a StGB nicht nachgewiesen werden [vgl Wach in Hinterhofer, Kommentar zum Strafgesetzbuch § 107a StGB Rz 59]) ergibt sich unter anderem aus den anschaulichen Schilderungen der C* E*, wonach sie sich zu Hause einsperre und die Vorhänge zuziehe. Auch verlasse sie das Haus nur mehr, wenn es sein müsse, und sie werde dabei eigentlich immer von ihrer Mutter begleitet (ON 4.6, 4 und ON 13,9f). Dass – wie nach der Verdachtslage indiziert – zahlreiche tägliche Nachrichten und Anrufe, das Vorbeischicken eines Dritten und wiederholte Versuche der Kontaktaufnahme über (nahe) Angehörige beginnend mit der Beendigung der Beziehung durch das Opfer über einen Zeitraum von mehreren Wochen durch den Ex-Partner, der gerade eine Haftstrafe (ua auch) wegen eines Aggressionsdeliktes zum Nachteil des Opfers verbüßt, eine solche Eignung aufweisen, ist hier dringend anzunehmen.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung ist auch mit Blick auf die laut vorliegendem Screenshot (vgl ON 4.14, 2) unmittelbar danach versandten gebrochenen und brennenden Herzen ausreichend indiziert, dass das inkriminierte Emoji mit der Ente vom Angeklagten stammt. Angesichts der erfolglosen Versuche der Kontaktaufnahme durch den Angeklagten über Wochen in Zusammenschau mit der Tatsache, dass der Angeklagte auch schon im November 2024 gegen C* E* tätlich geworden ist, kann dem Bedeutungsinhalt dieses Emojis die Drohung mit der Zufügung einer Körperverletzung unterstellt werden.
Der dringende Tatverdacht zur subjektiven Tatseite, wonach der Angeklagte es zumindest ernsthaft für möglich gehalten und sich billigend damit abgefunden habe, C* E* durch die oben beschriebenen Verhaltensweisen im oben genannten Zeitraum in einer Weise, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, beharrlich zu verfolgen und die Genannte durch das übermittelte Emoji ernstlich mit Verletzungen am Körper zu bedrohen, wobei es ihm darauf angekommen sei, sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, ist schon aufgrund des nach der Verdachtslage objektiv Geschehenen dringend indiziert (vgl RIS-Justiz RS0098671; RS0116882).
Ausgehend von dem iSd § 173 Abs 1 StPO als dringend einzustufenden Tatverdacht in Richtung §§ 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 und 107 Abs 1 StGB sind in Übereinstimmung mit dem Erstgericht auch die Haftgründe der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit b, c und d StPO zu bejahen.
Der Angeklagte wurde seit dem Jahr 2008 – kriminologisch betrachtet (RIS-Justiz RS0092151) – unter Berücksichtigung von zwei Bedachtnahmeverurteilungen gemäß §§ 31, 40 StGB bereits achtmal wegen auf gleicher schädlicher Neigung beruhender strafbarer Handlungen verurteilt.
Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO ist anzunehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Straftat, wenn er entweder wegen einer solchen Straftat bereits verurteilt worden ist oder wenn ihm nunmehr wiederholte oder fortgesetzte Handlungen angelastet werden.
Die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit c StPO wiederum liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß eine strafbare Handlung mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe begehen, die ebenso wie die ihm angelastete strafbare Handlung gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die Straftaten, deretwegen er bereits zweimal verurteilt worden ist.
Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit d StPO liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Verfahrens die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) ausführen.
Gegenständlich ist aufgrund der wiederholten bzw fortgesetzten Tatbegehung sowie aufgrund der einschlägigen Vorstrafenbelastung des unter anderem bereits zwei Mal wegen eines Delikts gegen die Freiheit verurteilten Angeklagten (vgl Pos 8 und 10 in ON 9), der bereits wiederholt das Haftübel verspürt hat, insbesondere aber aufgrund der Tatsache, dass er nach der Verdachtslage sogar während des Strafvollzugs zu Hv2* des Landesgerichts Steyr neuerlich strafbare Handlungen gegen C* E* gesetzt habe und ihn nicht einmal die polizeiliche Einvernahme am 15. Mai 2025 von weiteren Stalking-Handlungen abzuhalten vermocht haben, konkret zu befürchten, er werde auf freiem Fuß noch vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens weitere rechtsgutidente strafbare Handlungen (insbesondere auch gegen die Freiheit und vor allem auch gegen C* E*) mit nicht bloß leichten Folgen bzw mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe, wie die hier angelasteten Vergehen der beharrlichen Verfolgung und der gefährlichen Drohung begehen, sowie die angedrohte Tat ausführen.
Die vorliegenden Haftgründe sind fallkonkret als dermaßen gewichtig anzusehen, dass sie durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO zumindest derzeit nicht substituiert werden können. Bei dieser Bewertung kommt auch den nach der Verdachtslage gegebenen Kontaktaufnahmen bis zuletzt maßgebliche Bedeutung zu.
Da die seit Mitte Juni andauernde Untersuchungshaft weder zur Bedeutung der dem Angeklagten angelasteten strafbaren Handlungen noch zu der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Sanktion (aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB bis zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe oder 1080 Tagessätze Geldstrafe) außer Verhältnis steht, war der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.
Mitteilung gemäß § 174 Abs 4 iVm Abs 3 Z 5 iVm § 175 Abs 5 StPO:
Nach Einbringen der Anklage ist die Wirksamkeit eines Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft durch die Haftfrist nicht mehr begrenzt; Haftverhandlungen finden nach diesem Zeitpunkt nur statt, wenn der Angeklagte seine Enthaftung beantragt und darüber nicht ohne Verzug in einer Hauptverhandlung entschieden werden kann.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu.