12Rs57/25a – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durc h die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Bernhard Kreutzer, MBA (Kreis der Arbeitgeber) und Martin Gstöttner (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch Dr. Gerhard Paischer, Rechtsanwalt in Braunau am Inn, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihren Angestellten Mag. B*, Landesstelle **, wegen Weitergewährung von Rehabilitationsgeld über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. April 2025, Cgs*-32, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 22. Februar 2021 hat die Beklagte den Antrag des Klägers vom 22. September 2020 auf Gewährung einer Invaliditätspension abgelehnt, jedoch ausgesprochen, ab 1. Oktober 2020 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2024 hat sie ausgesprochen, vorübergehende Invalidität liege nicht mehr vor und medizinische Maßnahmen der Rehabilitation seien nicht mehr zweckmäßig, dem Kläger das Rehabilitationsgeld mit 30. Juni 2024 entzogen und dies damit begründet, der Kläger habe trotz entsprechender Aufklärung über die Mitwirkungspflicht und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung am Berufsfindungsverfahren nicht gehörig mitgewirkt.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Klage mit dem Begehren auf Gewährung des Rehabilitationsgelds im gesetzlichen Ausmaß durch die Beklagte über den 30. Juni 2024 hinaus und dem Vorbringen, er habe die Mitwirkungspflicht nicht verletzt.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Der Entscheidung liegt – zusammengefasst – folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Schreiben vom 8. März 2024 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihn eine Mitwirkungspflicht am Prognose- und Berufsfindungsverfahren trifft und das Rehabilitationsgeld entzogen werden kann, wenn er nicht ordnungsgemäß mitwirkt.
Mit Schreiben vom 18. März 2024 wurde er von der Beklagten zum Prognose- und Berufsfindungsverfahren am 22. April 2024 geladen.
Der Kläger fand sich an diesem Tag im C* D* ein. Beim Kundenportal wurde ihm eine Raumnummer aufgeschrieben, wo er sich nach Bezug des Zimmers im Wohnheim ehestmöglich einzufinden habe. Anschließend wurde ihm das Zimmer gezeigt. Den genannten Kursraum suchte er nicht auf, sondern blieb bis 11.45 Uhr im Zimmer.
Dann begab er sich zum Speisesaal und traf dort auf den zuständigen Reha-Coach. Dieser beschimpfte ihn nicht, sondern fragte ihn, wo er gewesen sei, und teilte ihm mit, dass er bereits viele Termine gehabt hätte.
Daraufhin ist der Kläger einfach gegangen und nach Hause gefahren. Das Prognose- und Berufsfindungsverfahren wurde daher abgebrochen.
Der Abbruch war medizinisch nicht begründet bzw erforderlich. Eine Schulungsunfähigkeit lag nicht vor. Aufgrund seines Leistungskalküls ist dem Kläger die Teilnahme am Prognose- und Berufsfindungsverfahren im C* in D* zumutbar.
In rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts ist das Erstgericht zum Ergebnis gelangt, der Kläger habe seine Mitwirkungspflicht zumindest leicht fahrlässig verletzt; die Entziehung sei daher zu Recht erfolgt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die unbeantwortet gebliebene, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1 Im Berufungsverfahren ist nicht strittig, dass der Kläger auf die Folgen eines (Fehl-)Verhaltens ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl RIS-Justiz RS0083949 ) und ihm die Teilnahme am Berufsfindungsverfahren nicht aus medizinischen Gründen unzumutbar war.
Strittig ist nur noch, ob er die Mitwirkungspflicht schuldhaft in einer Weise verletzt hat, die zum Entzug des Rehabilitationsgelds führt.
2 In der Mängelrüge moniert der Kläger, das Erstgericht hätte mangels entsprechenden Vorbringens der Beklagten nicht feststellen dürfen, dass der Reha-Coach ihn entsprechend instruiert habe, und den Reha-Coach von Amts wegen als Zeuge laden müssen; es liege daher ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz vor.
2.1 Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrunds der Mangelhaftigkeit erfordert die Anführung der für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen, die bei Durchführung eines mangelfreien Verfahrens zu treffen gewesen wären (RIS-Justiz RS0043039 ). Welche Feststellungen bei Einvernahme des Reha-Coachs zu treffen gewesen wäre, ist der Berufung jedoch nicht zu entnehmen, sodass diese (insofern) nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
2.2 Im angefochtenen Urteil wurde überdies gar nicht festgestellt, der Kläger sei vom Reha-Coach instruiert worden, sondern vielmehr, dass er „beim Kundenportal des C*“ informiert wurde, was er am Vormittag tun hätte sollen.
Der Einvernahme des Reha-Coachs bedurfte es daher nicht.
2.3 Das Gericht darf die bei seiner Beweisaufnahme hervorkommenden Umstände nur insoweit berücksichtigen, als sie im Parteivorbringen Deckung finden. Gehen die Feststellungen darüber hinaus, dürfen sie nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrunds oder der erhobenen Einwendungen halten. Werden der Entscheidung (unzulässige) überschießende Feststellungen zugrunde gelegt, wird damit nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, sondern die Sache rechtlich unrichtig beurteilt. (RIS-Justiz RS0040318 , insb [T2])
2.3.1 Inhaltlich macht der Kläger folglich mit der Behauptung, die Beklagte habe kein entsprechendes Vorbringen erstattet, – ebenso wie teilweise in der Tatsachenrüge – eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.
2.3.2 Die inhaltlich kritisierten Feststellungen finden jedoch im Vorbringen der Beklagten in der Klagebeantwortung (ON 4 S 3) Deckung, das sie auf den Abbruchsbericht (Blg ./13) stützt.
3 In der Tatsachenrüge bekämpft der Kläger (erkennbar) die kursiv wiedergegebene Feststellung zur Instruktion am Kundenportal des C* in D*.
3.1 Die Geltendmachung des Berufungsgrunds der unrichtigen Beweiswürdigung erfordert die bestimmte Angabe, welche Beweise das Erstgericht unrichtig gewürdigt hat, aus welchen Erwägungen sich dies ergibt und welche Tatsachenfeststellungen bei richtiger Beweiswürdigung auf Grund welcher Beweismittel zu treffen gewesen wären (RIS-Justiz RS0041835 , insb [T4, T5]).
3.2Das Erstgericht hat die (wohl) bekämpfte Feststellung ausdrücklich auf den Abbruchsbericht (Blg ./13) gestützt. Den Ausführungen der Berufung ist nicht zu entnehmen, warum es seinen Feststellungen nicht diese, sondern die – teilweise widersprüchlichen – Angaben des Klägers (vgl PV ON 31.3 S 2, wo er etwa zunächst angegeben hat, beim Essen habe ihn „dann gleich ein Herr beschimpft“, und im folgenden Absatz, dieser habe ihn „nicht beschimpft“) zugrunde legen hätte müssen. Auch der Kläger hat grundsätzlich ausgesagt, dass er an diesem Vormittag angerufen wurde, aber angegeben, er habe nicht verstanden, was diese Person wollte, und auch nicht nachgefragt (PV ON 31.3. S 2).
3.3 Insofern ist die Tatsachenrüge weder gesetzmäßig ausgeführt noch inhaltlich berechtigt.
4 In der Rechtsrüge wendet sich der Kläger gegen die Bejahung einer Verletzung der Mitwirkungspflicht.
4.1 Das Erstgericht hat in seiner Entscheidung auf die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs zu 10 ObS 62/24a verwiesen. Danach betrifft die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit einen für die Entziehung der Leistung (dort: einer Invaliditätspension) nach § 99 Abs 1 ASVG relevanten Umstand, der aufgrund der unberechtigten Weigerung des Klägers, sich am Berufsfindungsverfahren zu beteiligen, nicht beurteilt werden kann und die Weigerung, sich der für das Verfahren nach § 99 Abs 1 ASVG notwendigen Beobachtung zu unterziehen, stellt einen Grund für die Entziehung nach § 99 Abs 2 iVm § 305 ASVG dar (insb Rz 20, 22).
4.2In seiner Berufung verweist der Kläger auf § 143a [konkret:] Abs 5 ASVG, der dem Krankenversicherungsträger die Verfügung des Ruhens des Rehabilitationsgelds bei Vereitelung oder Verzögerung der im Rahmen des Case Managements vorgesehenen Abläufe oder Maßnahmen durch wiederholte Verletzungen der Mitwirkungsverpflichtungen ermöglicht. Diese Bestimmung soll aber (nur) bewirken, dass lediglich geringfügige Verletzungen der Mitwirkungspflichten nicht zur Entziehung des Rehabilitationsgelds führen, und richtet sich an den Krankenversicherungsträger (vgl die ErlRV zum SVAG 321 BlgNR 25 GP 6).
Er legt aber nicht dar, warum die zitierte Entscheidung auf den Entzug von Rehabilitationsgeld nicht übertragen werden könne (bejahend Atria in Sonntag, ASVG 16 § 99 Rz 16a).
4.3 Der Kläger hat die Mitwirkungspflicht schon dadurch nicht bloß geringfügig verletzt, dass er „einfach gegangen und nach Hause gefahren ist“, nachdem er vom Reha-Coach auf seine Abwesenheit am Vormittag hingewiesen worden war. Auf die Vorgänge am Vormittag dieses Tages kommt es nicht entscheidend an; sie ergänzen aber das Bild der (gezielten) Vereitelung der Einleitung des Berufsfindungsverfahrens.
4.4 Die Entziehung ist so lange gerechtfertigt, solange sich der Kläger trotz objektiver Fähigkeit weigert, an Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken (vgl OGH 10 ObS 62/24a [Rz 22]).
Auch wenn der Kläger in seiner Einvernahme als Partei angegeben hat, er hätte einen neuen Antrag auf Einleitung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gestellt (ON 31.3 S 2), hat er nicht behauptet, er wäre (nun doch) bereit, an einem Berufsfindungsverfahren teilzunehmen. Vielmehr erachtet er die Teilnahme an „derartig lang dauernden Kursen“ „gemäß der dokumentierten Verunstaltung [als] mit seiner Menschenwürde nicht vereinbar“.
Dem vermag sich der Berufungssenat nicht anzuschließen. Die unstrittig noch bestehende Verunstaltung vermag die im Interesse der Versichertengemeinschaft normierten Mitwirkungspflichten nicht aufzuheben.
4.5 Andere Gründe für eine Unzulässigkeit der Entziehung (vgl etwa OGH 10 ObS 25/23h [Rz 48]), ergeben sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen des Klägers.
5 Der Berufung musste daher insgesamt der Erfolg versagt bleiben.
6Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch im Berufungsverfahren nach Billigkeit trotz Unterliegens rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
7Die ordentliche Revision ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu lösen war.