JudikaturOLG Linz

8Bs74/25a – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
02. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Mag. Reinberg als Vorsitzende und Mag. Haidvogl, BEd, sowie den Richter Mag. Grosser in der Übergabesache betreffend A* über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 20. März 2025, HR1*-143, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Punkt III./ und damit im Umfang der Abweisung des Aufschubs der Übergabe wegen (medizinischer) Vollzugsuntauglichkeit, aufgehoben und an das Landesgericht Salzburg zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung verwiesen.

Text

Begründung:

Beim Landesgericht Salzburg war gegen den georgischen Staatsangehörigen A* ein Verfahren betreffend dessen Übergabe zur Strafvollstreckung an die georgischen Behörden anhängig. Die Übergabe wurde mit Beschluss vom 1. Juni 2021 zu GZ HR* (ON 87), rechtskräftig mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 3. August 2021 (ON 96), bewilligt.

Am 14. Dezember 2021 beantragte der Betroffene den Aufschub seiner Auslieferung wegen (medizinischer) Vollzugsuntauglichkeit (ON 106).

Noch vor Entscheidung über diesen Antrag durch den Leiter der Gerichtsabteilung B* beantragte A* am 1. August 2024 die Wiederaufnahme seines Übergabeverfahrens samt Zuerkennung aufschiebender Wirkung für diesen Antrag bis zur rechtskräftigen Erledigung (ON 138) und brachte dazu – soweit wesentlich – vor, dass seit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz Berichte in georgischen Medien betreffend Todesfälle und schlechte Gesundheitsversorgung in Haftanstalten in Georgien veröffentlicht worden seien, das österreichische Außenministerium von einer Krankenbehandlung in öffentlichen Krankenhäusern in Georgien dringend abrate, Georgien durch den EGMR im Jahr 2023 wegen Anwendung von Folter und inhumaner Behandlung von Strafgefangenen gerade in jenem Gefängnis, in dem der Betroffene inhaftiert werden soll, verurteilt wurde und sich aus dem Jahresbericht des US Department of State (USDOS) für das Jahr 2023 eine unzureichende gesundheitliche Versorgung von Strafgefangenen in Georgien ergebe.

Mit Beschluss vom 14. August 2024 (ON 140) erklärte die Präsidentin des Landesgerichts Salzburg jenen Richter (Leiter der Gerichtsabteilung B*) für ausgeschlossen; (erkennbar) für die Entscheidung über die Wiederaufnahme sowie den dazugehörigen Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung (§ 39 ARHG iVm § 43 Abs 4 StPO) und übertrug die Strafsache (in diesem Umfang) der Leiterin der Gerichtsabteilung C*.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. März 2025 (nunmehr) zu GZ HR1* (ON 143) wies diese Richterin den Antrag auf Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens ab (Punkt I./), hemmte die Durchführung der Auslieferung bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung (Punkt II./) und wies den Antrag des Betroffenen auf Aufschub der Übergabe wegen (medizinischer) Vollzugsuntauglichkeit ab (Punkt III./).

Gegen die Abweisung seines Wiederaufnahmeantrags sowie seines Antrags auf Aufschub der Übergabe wegen (medizinischer) Vollzugsuntauglichkeit (und damit ausschließlich gegen I./ und III./) richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Betroffenen, die teilweise berechtigt ist.

Rechtliche Beurteilung

Das Auslieferungsverfahren ist nach § 39 ARHG auf Antrag der betroffenen Person oder der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen wiederaufzunehmen, wenn sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben, die geeignet erscheinen, entweder alleine oder in Verbindung mit den Auslieferungsunterlagen und dem Ergebnis allfälliger Erhebungen erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Beschlusses zu bewirken . Als neu gelten in diesem Zusammenhang Tatsachen oder Beweismittel, wenn das Gericht von ihnen nicht zu einem Zeitpunkt Kenntnis erlangt hat, zu dem ihre Verwertung noch möglich war oder wenn sie der Antragsteller dem Gericht erfolglos angeboten hat ( Göth-Flemmich/Riffelin WK² ARHG § 39 Rz 5f).

Eine Auslieferung bedeutet für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung und ist damit unzulässig (§ 19 ARHG), wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 EMRK unvereinbar ist. Der Beschwerdeführer hat die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss (RIS-Justiz RS0123229; vgl auch RIS-Justiz RS0123201). Dass Übergriffe, wie sie auch in jedem Rechtsstaat vorkommen können, nicht auszuschließen sind, macht die Auslieferung nicht unzulässig (RIS-Justiz RS0118200). Das Fehlen oder die Verweigerung einer angemessenen medizinischen Betreuung kann eine Verletzung von Art 3 EMRK begründen, nicht aber ein bloß erschwerter Zugang dazu ( Göth-Flemmich/Riffelin WK² ARHG § 19 Rz 11 mzH).

In seinem Wiederaufnahmeantrag (ON 138) und seiner Beschwerde (ON 145) nimmt der Betroffene Bezug auf einen Bericht in einem georgischen Medium vom 12. September 2023 über den Tod eines 68-jährigen Gefängnisinsassen mit gesundheitlichen Problemen, einen weiteren Medienbericht aus dem Jahr 2024, in dem die Vermutung angestellt wird, ein Häftling sei infolge unangemessener Behandlung verstorben, einen Bericht vom 6. Mai 2022, wonach dem georgischen Ex-Präsidenten der Tod drohe, wenn er nicht vom Gefängnis in eine moderne Klinik gebracht würde sowie einen weiteren Artikel vom 7. Februar 2023, wonach eine Aussetzung der Haftstrafe zu dessen medizinischer Behandlung abgelehnt worden war. Aus diesen Unterlagen zieht der Wiederaufnahmewerber den Schluss, dass eine Auslieferung nach Georgien – entgegen den Zusicherungen der dortigen Behörden – eine erhebliche Gefahr für sein Leben darstellen würde. Mit diesem Vorbringen und den dazu vorgelegten Unterlagen kann er keine (erheblichen) Bedenken an der Richtigkeit des Beschlusses, mit dem die Übergabe für zulässig erklärt wurde, erwecken, weil er dabei zum einen die von den georgischen Behörden erfolgten und nach wie vor aufrechten individuellen Zusicherungen (ON 61, S 5f; ON 85, S 9f) übergeht bzw bloß unsubstantiiert deren Irrelevanz behauptet und zum anderen sich aus den Medienberichten keine konkreten Anhaltspunkte für eine individuelle Gefahr iSd Art 3 EMRK ableiten lassen. Die vorgelegten Artikel stellen – wie das Erstgericht richtig ausführt – weder einen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen Todesfällen und den Umständen in Haftanstalten her, noch sind derartige Medienberichte über Einzelschicksale geeignet, die dem Auslieferungsbeschluss zugrunde liegenden Informationen offizieller Stellen zu widerlegen. Diesbezüglich kann auf die umfassende Begründung im bekämpften Beschluss (ON 143, S 3ff) verwiesen werden.

Gleiches gilt auch für die vorgelegte Länderinformation des österreichischen Außenministeriums, da sich aus Empfehlungen für österreichische Reisende keine Rückschlüsse auf die Situation georgischer Gefängnisinsassen ziehen lassen.

Das Urteil des EGMR aus dem Jahr 2023, auf das sich der Antragsteller bezieht, ist schon deshalb kein taugliches neues Beweismittel, da derartige Rechtsakte als Wiederaufnahmegrund nur dann in Betracht kommen, wenn in ihnen neue Beweismittel genannt werden ( Lewischin WK StPO § 353 Rz 43). Das geschieht im vorgelegten Urteil des EGMR nicht, wobei ergänzend festzuhalten ist, dass der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt über zehn Jahre zurückliegt und schon aufgrund der seither verstrichenen Zeitspanne keine Rückschlüsse auf die aktuelle Situation zulässt.

Schließlich ist dem Erstgericht auch darin beizupflichten (ON 143, S 4ff), dass ein Bericht des USDOS als eine mehrerer Quellen der Länderinformation der BFA-Staatendokumentation Stand 2020 (ON 33, S 27) bereits der Auslieferungsentscheidung zugrunde lag und sich aus der aktualisierten Fassung keine relevanten Änderungen insbesondere mit Blick auf die medizinische Versorgung, die Gesundheitsvorsorge und die psychische Gesundheitsfürsorge, die auch in der Vergangenheit als mangelhaft bzw nicht ausreichend beschrieben wurden (ON 33, S 27), ergeben.

Insgesamt werden demnach vom Wiederaufnahmewerber keine tauglichen neuen Tatsachen oder Beweismittel dargetan und ist die seinen Wiederaufnahmeantrag abweisende Entscheidung (Punkt I./) somit nicht zu kritisieren.

Das Rechtsmittelgericht kann einen Beschluss aufheben und an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter sinngemäßer Anwendung des § 293 Abs 2 StPO (unter anderem) verweisen, wenn das Erstgericht örtlich oder sachlich unzuständig oder nicht gehörig besetzt war oder wenn ein gesetzlich ausgeschlossener Richter den Beschluss gefasst hat (§ 89 Abs 2a Z 1 StPO). Dass ein Richter nach der Geschäftsverteilung nicht berufen war, begründet gleichfalls eine nicht gehörige Gerichtsbesetzung (SSt 2004/52 = EvBl 2005/38; Kirchbacher StPO 15 § 281 Rz 20; Ratzin WK StPO § 281 Rz 105ff).

Zuständig für die Entscheidung über den am 14. Dezember 2021 gestellten Antrag auf Aufschub der Übergabe ist jener Richter, welcher in erster Instanz über die Übergabe entschieden hat (§ 37 iVm § 26 Abs 2 ARHG). Dies ist im konkreten Fall jener (Leiter der Gerichtsabteilung B*), welcher im Übrigen auch die (bisherigen) Entscheidungsgrundlagen einholte (Gutachtensaufträge ON 109, ON 110, ON 119; Gutachten ON 112, ON 116, ON 123; Anfrage an georgische Behörden ON 127). An der Zuständigkeit dieses Richters für die Entscheidung über den genannten Antrag hat sich auch durch den Beschluss der Präsidentin des Landesgerichts Salzburg vom 14. August 2024 (ON 140) nichts geändert. Insbesondere rechtfertigte dieser Beschluss keine „Übertragung des Aktes in die Abteilung C*“ (vgl ON 144). Diesfalls hat somit über den Antrag auf Aufschub der Übergabe eine unzuständige Richterin entschieden.

Im Ergebnis war daher der Beschwerde teilweise Folge zu geben, der bekämpfte Beschluss in seinem Punkt III./ aufzuheben und an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zu verweisen (§ 89 Abs 2a Z 1 StPO)

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.