JudikaturOLG Linz

11Rs41/25s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
21. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Senatspräsident Dr. Robert Singer als Vorsitzenden, Mag. Herbert Ratzenböck und Dr. Patrick Eixelsberger sowie die fachkundigen Laienrichter DI Dr. Siegfried Pfandler (Kreis der Arbeitgeber) und Andreas Hauer (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **straße **, **, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum und Mag. a Andrea Blum, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **,**, **, wegen Alterspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Februar 2025, Cgs* 12, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Mit Bescheid vom 1.10.2024 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 14.8.2024 auf Zuerkennung einer Alterspension mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin das für die Alterspension erforderliche Lebensalter erst am 8.12.2030 erreiche.

Die Klägerin begehrte mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Gewährung einer Alterspension „ab Antragstellung“ im gesetzlichen Ausmaß. Aufgrund eines Fehlers in ihrem alten Reisepass sei die Klägerin viele Jahre mit dem Geburtsdatum **.**.1967B* geführt worden. Mittlerweile sei ihr Geburtsdatum vom Standesamt B* richtiggestellt worden. Ihr sei auch eine neue Geburtsurkunde, ein neuer Reisepass und ein neuer Staatsbürgerschaftsnachweis mit dem Geburtsdatum **.**.1960 ausgestellt worden. Sie habe das für die Alterspension notwendige Lebensjahr jedenfalls erreicht.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Im Zuge des Antrages auf Ergänzung der Versicherungszeiten zur Feststellung der Kontoerstgutschrift zum 1.1.2014, unterfertigt am 5.5.2014, habe die Klägerin angegeben, dass sie am **.**.1967 geboren sei. Alle von der Klägerin vorgelegten Dokumente, aus welchen nunmehr das Geburtsdatum **.**.1967 hervorgeht, seien nach dem Zeitpunkt der ersten Angabe der Klägerin gegenüber dem beklagten Versicherungsträger ausgestellt worden. Es sei daher das Geburtsdatum **.**.1967 maßgeblich.

Mit dem angefochtenen Urteilwies das Erstgericht die Klage ab. Es legte den auf der Seite 1 ersichtlichen Sachverhalt zugrunde, auf den gemäß § 500a ZPO verwiesen wird. Diese Feststellungen sind auszugsweise wie folgt wiederzugeben:

Die Klägerin gab erstmals in einem Antrag vom 5.5.2014 auf Ergänzung der Versicherungszeiten zur Feststellung der Kontoerstgutschrift zum 1.1.2014 gegenüber der Beklagten an, am **.**.1967 geboren zu sein. Die Klägerin unterzeichnete diesen vom Ehegatten ausgefüllten Antrag. Sie konnte das darin ausgewiesene Geburtsdatum lesen und verstehen. Sie erachtete damals dieses Datum als richtig.

Auch in von ihr unterzeichneten und vom Ehegatten ausgefüllten Anträgen an das Arbeitsmarktservice auf Gewährung von Notstandshilfe, etwa vom 15.10.2019 und vom 2.7.2023, war als Geburtsdatum der Klägerin der **.**.1967 ausgewiesen.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt während der „Coronapandemie“ veranlasste die Klägerin eine Änderung ihres Geburtsdatums in Syrien und danach auch eine Änderung des Geburtsdatums in Österreich.

Die Klägerin hat keine Urkunden vorgelegt, die vor dem 5.5.2014 ausgestellt wurden und aus denen sich ein anderes Geburtsdatum als jenes lautend auf den **.**.1967 ergibt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin bereits das 60. Lebensjahr vollendet hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Klägerin tatsächlich am **.**.1960 geboren ist.

In der rechtlichen Beurteilungvertrat das Erstgericht die Ansicht, dass die Klägerin keine vor dem Zeitpunkt ihrer ersten Angabe am 5.5.2014 gegenüber dem beklagten Versicherungsträger ausgestellte Urkunde vorgelegt habe, aus der sich ein anderes Geburtsdatum ergebe. Ein offensichtlicher Schreibfehler sei nicht behauptet worden und habe dafür das Beweisverfahren auch keine Anhaltspunkte hervorgebracht. Daher sei gemäß § 358 ASVG das von der Klägerin zunächst gegenüber der Beklagten angegebene Geburtsdatum maßgeblich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

A. Zur Beweisrüge:

Die Berufung bekämpft die Feststellungen, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin bereits das 60. Lebensjahr vollendet hat und die Klägerin tatsächlich am **.**.1960 geboren ist. Ersatzweise soll festgestellt werden, dass die Klägerin am **.**.1960 geboren sei und daher das Regelpensionsalter erfüllt habe.

Dazu ist auszuführen, dass sich das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung eingehend und für den Berufungssenat nachvollziehbar mit den diesbezüglichen Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat, sodass darauf grundsätzlich verwiesen werden kann (§ 500a ZPO). Besonders hervorzuheben sind dabei die vom Erstgericht im Detail dargelegten Ungereimtheiten in den Angaben der Klägerin, mit denen sich die Berufung nicht einmal ansatzweise befasst. Soweit die Berufung darauf verweist, dass die Klägerin, wäre sie tatsächlich im Jahr ** geboren, bereits mit 10 Jahren geheiratet und mit 11 Jahren ihr erstes Kind bekommen hätte, ist zu entgegnen, dass weder die Heirat noch die Geburt des ersten Kindes urkundlich belegt sind und dass selbst die Richtigkeit der darauf bezogenen Angaben nicht mit Sicherheit darauf schließen lässt, dass die Klägerin im Jahr 1960 geboren ist, wie auch das Erstgericht in Bezug auf die Geburt des Kindes betont. Die im Akt befindlichen Urkunden, aus denen das Geburtsdatum **.**.1960 hervorgeht, hat das Erstgericht ohnedies berücksichtigt. Auch wenn dabei, wie die Berufung hervorhebt, das Standesamt in B* nach einem aufwendigen Verfahren, insbesondere unter Berücksichtigung verifizierter syrischer Dokumente, das Geburtsdatum der Klägerin korrigiert hat, ist daraus für die Klägerin nichts zu gewinnen, gilt diese Entscheidung doch nicht zwangsläufig auch für das vorliegende Sozialrechtsverfahren. Vor diesem Hintergrund konnte das Erstgericht die bekämpften Feststellungen unbedenklich treffen.

Das Berufungsgericht übernimmt daher die bekämpften Feststellungen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde (§ 498 Abs 1 ZPO).

B. Zur Rechtsrüge:

Die Berufung meint, dass § 358 ASVG nicht gänzlich jede Berichtigung des Geburtsdatums ausschließe.

Dazu ist auszuführen:

1.1 § 358 ASVG lautet:

„Für die Feststellung des Geburtsdatums der versicherten Person ist die erste schriftliche Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger heranzuziehen. Von dem so ermittelten Geburtsdatum darf nur dann abgewichen werden, wenn

1. der zuständige Versicherungsträger feststellt, dass ein offensichtlicher Schreibfehler vorliegt oder

2. sich aus der Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.“

1.2 Bei dieser Regelung handelt es sich um eine gesetzliche Vermutung (Tatsachenvermutung). Sie ist als Regel über die Beweislast zu verstehen und gehört demselben Rechtsgebiet an wie die Normen, auf denen der zu beurteilende Anspruch beruht. Damit stellt diese Bestimmung eine Norm des materiellen Rechts dar, die auch von den Sozialgerichten anzuwenden ist (RS0117421 [T1]).

2. Nach § 358 ASVG ist demnach für die Feststellung des Geburtsdatums eines Versicherten dessen erste schriftliche Angabe gegenüber dem Versicherungsträger heranzuziehen. Von dem so ermittelten Geburtsdatum darf soweit hier relevantnur abgewichen werden, wenn sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellt wurde, ein anderes Geburtsdatum ergibt (§ 358 Z 2 ASVG). Damit sollen nicht nur der Verfahrensaufwand bei der Feststellung des Geburtsdatums verringert, sondern auch eine missbräuchliche Geltendmachung altersabhängiger Ansprüche vorgebeugt und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Änderung von Geburtsdaten ausländischer Staatsbürger vermieden werden (10 ObS 11/24a mwN).

3.1 Darauf aufbauend wendet sich die Klägerin in ihrer Berufung (zu Recht) nicht dagegen, dass die erste schriftliche Angabe ihres Geburtsdatums grundsätzlich in ihrem Antrag auf Ergänzung der Versicherungszeiten erfolgte (vgl 10 ObS 11/24a und 10 ObS 76/09p [Antrag auf Feststellung von Versicherungszeiten]). Sie anerkennt auch, dass die im Akt befindlichen Urkunden, aus denen das Geburtsdatum **.**.1960 hervorgeht, die Voraussetzungen des § 358 Z 2 ASVG nicht erfüllen, weil diese erst lange nach der ersten Angabe des Geburtsdatums ausgestellt wurden.

3.2 Die Berufung macht geltend, dass im Fall der Klägerin offensichtlich keine Missbrauchsabsicht vorliege und das tatsächliche Geburtsdatum verifiziert habe werden können, weshalb auch das Geburtsdatum vom Standesamt in Österreich korrigiert worden sei und im Fall der Klägerin eine Berichtigung auch von der Beklagten vorgenommen habe werden müssen. Dem ist jedoch einerseits zu erwidern, dass nach ständiger Rechtsprechung auch einer berichtigten Eintragung in einem Personenstandsbuch keine größere Beweiskraft als einer gewöhnlichen Eintragung zukommt (RS0071328, RS0071324) und österreichische Sozialversicherungsträger und Gerichte daran nicht gebunden sind (vgl 10 ObS 11/24a, 10 ObS 124/16g ua). Andererseits ist der Klägerin eine Verifizierung ihres Geburtsdatums im sozialgerichtlichen Verfahren nicht gelungen (vgl oben A.) und würde der mit der Regelung des § 358 ASVG auch verfolgte Zweck der Reduktion des Verfahrensaufwands bei der Feststellung des Geburtsdatums unterlaufen werden, wenn über die Fälle des § 358 ASVG hinaus eine Korrektur des Geburtsdatums zugelassen werden würde.

4. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass hier für die Feststellung des Geburtsdatums der Klägerin ihre erste schriftliche Angabe gegenüber dem beklagten Versicherungsträger im Antrag vom 5.5.2014 maßgeblich ist, wird doch nicht einmal in der Berufung das Vorliegen eines offensichtlichen Schreibfehlers im Sinn des § 358 Z 1 ASVG behauptet und fehlt es an Urkunden von der Qualität des § 358 Z 2 ASVG.

C. Ergebnis, Kosten und Zulässigkeitsausspruch:

1. Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Mangels tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten des Verfahrens kommt ein Kostenersatzanspruch der Klägerin nach Billigkeit nicht in Betracht.

3. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil sich das Berufungsgericht an der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs orientiert und diese auf den Einzelfall angewendet hat.