JudikaturOLG Linz

2R54/25m – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
23. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht hat durch die Richter Mag. Bernhard Telfser als Vorsitzenden, Dr. Werner Gratzl und Mag. Christine Mayrhofer in der Insolvenzeröffnungssache der Antragsstellerin Österreichische Gesundheitskasse , **straße **, **, gegen die Antragsgegnerin A* B* KG , vertreten durch C* B*, geb. **, Geschäftsführerin, beide **gasse **, **, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 10. März 2025, Se*-10, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

begründung:

Mit Schriftsatz vom 3. Jänner 2025 beantragte die Österreichische Gesundheitskasse wegen einer offenen Beitragsforderung für den Zeitraum März bis November 2024 in Höhe von EUR 2.389,47 samt Zinsen und Kosten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldnerin. Die Zahlungsunfähigkeit iSd § 66 Abs 1 und 2 IO sei mit dem Zeitraum der rückständigen Beiträge unter Bedachtnahme auf § 69 Abs 2 IO glaubhaft gemacht. Zudem werde auf die gegen die Beitragsschuldnerin eingebrachten Exekutionsverfahren verwiesen.

Die Erhebungen des Erstgerichts zeigten, dass gegen die Antragsgegnerin am 3. Jänner 2025 sechs (registermäßig) offene Exekutionsverfahren anhängig waren und zwar vier der Antragstellerin sowie je eines der D* E* GmbH und der F* GmbH.

Bei der Einvernahmetagsatzung am 29. Jänner 2025 hat die persönlich haftende Gesellschafterin die Forderung der Antragsstellerin zur Gänze anerkannt. Sie bestritt aber zahlungsunfähig zu sein. Die beiden Kunden (einerseits das G*, andererseits die H*) würden ihre Reinigungsarbeiten immer pünktlich bezahlen. Die Gesellschafterin unterfertigte ein Vermögensverzeichnis, welches kein nennenswertes verwertbares Vermögen ausweist und zwei Geschäftskonten anführt, die sich im Minus befinden. An sonstigen Gläubigern gab sie neben der ÖGK, die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (EUR 554,90), das Finanzamt (EUR 2.300,00), die I* (EUR 1.200,00), die D* E* GmbH (EUR 2.700,00) und die F* GmbH (EUR 3.390,45) an.

Das Erstgericht eröffnete der Antragsgegnerin, dass es aufgrund des Inhalts des Vermögensverzeichnisses von ihrer Zahlungsunfähigkeit ausgehe. Es räumte ihr die Möglichkeit ein, innerhalb einer Woche (also bis 5. Februar 2025) das Vorliegen einer bloßen Zahlungsstockung zu bescheinigen. Für Letzteres seien eine Zurückziehung des Insolvenzantrags durch die Antragsstellerin, die Beibringung einer schriftlichen Bestätigung des Finanzamts über das Nichtbestehen eines fälligen Rückstands sowie eine Bereinigung aller offenen Exekutionen erforderlich.

Am 6. Februar 2025 teilte die Antragsstellerin mit, dass die Beiträge bis einschließlich November 2024 bezahlt wurden. Sie ersuche daher um einen Beschluss, dass Zahlungsfähigkeit vorliege. Eine telefonische Rückfrage beim Finanzamt am 17. Februar 2025 ergab, einen offenen Rückstand von EUR 3.815,95, wovon EUR 2.331,24 vollstreckbar seien.

Mit Aktenvermerk vom 6. März 2025 hielt das Erstgericht fest, dass eine Regulierung der Schulden der Gläubigerinnen D* E* GmbH und F* GmbH nicht gelungen sei, weshalb einerseits exekutive Schritte seitens der E* GmbH eingeleitet worden seien, andererseits bei F* GmbH die Gesamtschuld noch offen sei, ohne dass ein Ratenansuchen gestellt worden sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 10. März 2025 sprach das Erstgericht daraufhin aus, dass die Antragsgegnerin zahlungsunfähig sei, jedoch mangels kostendeckenden Vermögens der Insolvenzantrag abgewiesen und kein Insolvenzverfahren eröffnet werde. Die nicht bloß vorübergehende Zahlungsunfähigkeit ergebe sich aus dem Unterbleiben der Bescheinigung der Regulierungen der andrängenden Gläubiger sowie daraus, dass aktuell eine weitere Exekution der K* AG (E* BG Rohrbach) neben den Exekutionen der D* E* GmbH und der F* GmbH noch immer offen sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin , mit dem erkennbaren Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Abweisung des Insolvenzantrags abzuändern.

Die Antragsstellerin erstattete keine Rekursbeantwortung.

Dem Rekurs kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Schuldnerin macht geltend, sowohl die Rückstände beim Finanzamt als auch bei der Antragsstellerin zur Gänze beglichen zu haben. Die offenen Exekutionen beim Bezirksgericht Rohrbach könne sie spätestens Ende März 2025 begleichen. Leider habe sie kein Schreiben per Post erhalten, weil sie zwar „die elektronische Zustellung habe“, aber noch keine ID. Daher habe sie die Schreiben nicht öffnen bzw. lesen können. Diesbezüglich habe sie aber am 7. April 2025 einen Termin bei der Landespolizeidirektion.

1. Zur gesetzmäßigen (elektronischen) Zustellung:

Das Rekursvorbringen führt zur Prüfung eines Zustellmangels. Das Vorbringen im Rekurs in Verbindung mit dem Zustellnachweis zum bekämpften Beschluss, wonach der Beschluss an die Antragsgegnerin an den elektronischen Zustelldienst am 10. März 2025 übergeben wurde, zeigt, dass die Antragsgegnerin davon verständigt wurde, dass der angefochtene Beschluss für sie zur Abholung bereit liegt.

Nach § 35 Abs 6 ZustG gilt die Zustellung als am ersten Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung bewirkt, wobei Samstage nicht als Werktage gelten. Sie gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass die elektronischen Verständigungen nicht beim Empfänger eingelangt waren, doch wird sie mit dem dem Einlangen einer elektronischen Verständigung folgenden Tag innerhalb der Abholfrist (Abs 1 Z 3) wirksam. Nach Absatz 7 des § 35 ZustG gilt die Zustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger (1.) von der elektronischen Verständigung keine Kenntnis hatte oder (2.) von diesen zwar Kenntnis hatte, aber während der Abholfrist von allen Abgabestellen (§ 2 Z 4) nicht bloß vorübergehend abwesend war, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an eine der Abgabestellen folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das Dokument abgeholt werden könnte.

Wie sich aus dem Rekursvorbringen ergibt, wurde die Antragsgegnerin von der elektronischen Zustellung verständigt, sie hatte davon Kenntnis und sie war auch nicht ortsabwesend. Damit ist aber von einer gesetzmäßigen elektronischen Zustellung nach § 35 Abs 6 und 7 ZustG auszugehen. Darauf, dass der Empfänger das zugestellte Schriftstück nachweislich gesehen hätte, kommt es bei der elektronischen Zustellung nach § 35 ZustG nicht an (OLG Linz vom 17. Mai 2022 R 45/23k). Die mangelnde Einsehbarkeit wegen des Erfordernisses der elektronischen Identifikation durch den Empfänger fällt in seine Sphäre. Damit liegt kein Zustellmangel vor.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet weder gegen die Versäumung einer Tagsatzung noch gegen die Versäumung einer Frist statt (§ 259 Abs 4 IO).

2. Zur inhaltlichen Entscheidung:

Gemäß § 70 Abs 1 IO ist auf Antrag eines Gläubigers das Insolvenzverfahren unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Nach § 70 Abs 4 IO ist bei der Entscheidung nicht zu berücksichtigen, dass der Gläubiger den Insolvenzeröffnungsantrag zurückgezogen hat oder seine Forderung nach Antragstellung befriedigt wurde; die Befriedigung des antragstellenden Gläubigers oder eine mit ihm geschlossene Stundungsvereinbarung reicht für sich allein nicht aus, um das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften. Der Schuldner hat vielmehr glaubhaft zu machen, dass er auch alle anderen Gläubiger fälliger Forderungen befriedigen kann oder Zahlungsvereinbarungen mit ihnen getroffen hat, also ganz allgemein zu einer geregelten und pünktlichen Zahlungsweise zurückgekehrt ist (Mohr, IO11 [2012], § 70 E 239 f, 243 f und 271 ff). Demnach ist im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht bloß eine auf den/die antragstellenden Gläubiger bezogene, sondern eine umfassende Betrachtung der Zahlungs-(un)fähigkeit anzustellen.

Im Gesetz findet sich keine Definition der Zahlungsunfähigkeit. § 66 Abs 2 und 3 IO hält lediglich fest, dass Zahlungsunfähigkeit insbesondere anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen einstellt, aber nicht voraussetzt, dass Gläubiger andrängen; der Umstand, dass der Schuldner Forderungen einzelner Gläubiger ganz oder teilweise befriedigt hat oder noch befriedigen kann, begründet für sich allein nicht die Annahme, dass er zahlungsfähig ist. Nach der Rechtsprechung liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner mangels bereiter Mittel nicht bloß vorübergehend außerstande ist, fällige Geldforderungen regelmäßig zu begleichen. Symptome einer Zahlungsunfähigkeit sind beispielsweise Nichtleistung nach Verurteilung in mehreren Verfahren, nach fruchtlosen Mahnungen und ergebnislosen Exekutionen sowie die Tilgung immer nur der dringlichsten Verbindlichkeiten (RS0064528). Anhängige Exekutionen zur Befriedigung stellen ein deutliches Indiz für das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit dar, zumal sich gewöhnlich niemand ohne finanzielle Not der Zwangsvollstreckung und den damit verbundenen Kosten aussetzt, ebenso Rückstände an Sozialversicherungsbeiträgen und Abgaben sowie die Nichtbegleichung von Löhnen und Gehältern ( Dellinger in Konecny/Schubert , Kommentar zu den Insolvenzgesetzen [1999], § 66 KO Rz 65; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht 4II/2 [2004], § 66 KO Rz 67 und 69 mwN). Zahlungsunfähigkeit liegt also vor, wenn der Schuldner bei redlicher Gebarung nicht alle seine Verbindlichkeiten zum Fälligkeitszeitpunkt erfüllen kann, weil auf Dauer Zahlungsmittel fehlen. Eine bloße Zahlungsstockung setzt demgegenüber voraus, dass die erforderlichen Zahlungsmittel alsbald und mit großer Wahrscheinlichkeit beschafft werden können. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (19.1.2011, 3 Ob 99/10w; RS0126559, RS0126561) ist Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 66 IO anzunehmen, wenn der Schuldner mehr als 5 % aller fälligen Schulden nicht begleichen kann. Eine bloße Zahlungsstockung liegt danach vor, wenn eine ex-ante Prüfung ergibt, dass der Schuldner mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer kurzen, für die Beschaffung der benötigten Geldmittel erforderlichen, im Durchschnittsfall drei Monate nicht übersteigenden Frist alle seine Schulden pünktlich zu zahlen in der Lage sein wird; eine noch längere Frist setzt voraus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit der Beseitigung der Liquiditätsschwäche zu rechnen ist.

Ob Zahlungsunfähigkeit im soeben dargelegten Sinn vorliegt, kann das Insolvenzgericht immer nur anhand darauf hinweisender Indizien beurteilen. Als solche kommen in erster Linie anhängige Prozesse und Exekutionen oder sich auf andere Weise manifestierende Zahlungs- und Beitragsrückstände in Betracht. Ist aufgrund derartiger Umstände die Zahlungsunfähigkeit indiziert, liegt es am Schuldner, das Gegenteil bzw das Vorliegen einer bloß vorübergehenden Zahlungsstockung zu bescheinigen. Dazu ist es notwendig, das gesamte bestehende Obligo offenzulegen und ‒ etwa durch Vorlage eines entsprechenden Finanz- bzw Tilgungsplans ‒ das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Begleichung aller fälligen Verbindlichkeiten bzw die Möglichkeit der raschen Rückkehr zu einer pünktlichen Zahlungsweise gegenüber allen Gläubigern zu dokumentieren ( Mohr, IO 11 , § 70 E 235 ff).

Nach § 260 Abs 2 IO können in Rekursen neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel angeführt werden. Maßgeblich ist daher die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel. Demnach ist es der Instanz verwehrt, erst nach Beschlussfassung erster Instanz entstandene neue Tatsachen (nova producta) zu berücksichtigen; von ihr verwertet werden können hingegen bisher nicht bekannte, aber zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung bereits eingetreten gewesene Tatumstände (nova reperta) sowie neue Beweise für zu berücksichtigende Tatsachen (RS0065013 [T1] und (T2]).

Unter Beachtung dieser rechtlichen Leitlinie zeigt sich, dass das Erstgericht die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin im konkreten Fall zutreffend verneinte. Diese konnte nur die Zahlung der Beitragsrückstände bei der Antragsstellerin sowie beim Finanzamt nachweisen, nicht aber, worauf es entscheidend ankommt, die Zahlung oder Zahlungsvereinbarung betreffend aller anderen offenen Verbindlichkeiten. Auch wenn man zugunsten der Schuldnerin die Zahlungen an das Finanzamt am Tag der Beschlussfassung durch das Erstgericht als nova reperta berücksichtigt, ist sie darauf zu verweisen, dass die weitere bloße Ankündigung, künftig Zahlung an die weiteren Gläubiger leisten zu wollen oder die Verbindlichkeiten ehebaldigst regulieren zu wollen, keine Berücksichtigung mehr finden kann.

Das Erstgericht hat daher im konkreten Fall nach der Aktenlage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zutreffend bejaht (§§ 52 IO, 526 Abs 3, 500a ZPO). Stichhaltige Argumente dagegen sind dem Rekurs nicht zu entnehmen.

Der Rekurs bleibt erfolglos.

Der Revisionsrekurs ist gemäß §§ 252 IO, 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.