9Bs31/25k – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Maßnahmenvollzugssache der A* wegen Widerrufs der bedingten Entlassung nach § 54 Abs 1 StGB über die Beschwerden der Betroffenen gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Steyr vom 17. Jänner 2025, BE1*-75, und vom 28. Jänner 2025, BE1*-83, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Den Beschwerden wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die mittlerweile 80-jährige A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 24. April 2018, Hv*, nach § 21 Abs 1 StGB (nunmehr:) in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen, wobei gleichzeitig gemäß (dem damals noch geltenden) § 45 Abs 1 StGB die Unterbringung unter Erteilung von Weisungen bedingt nachgesehen wurde (ON 7). Jeweils den §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB subsumierte Anlasstaten waren, dass die Betroffene in zwei Angriffen im Oktober 2017 unter dem (nunmehr:) maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer wahnhaften Störung mit fixiertem Wahnsystem, aufgrund derer sie zu den Tatzeitpunkten zurechnungsunfähig war, ihren Sachwalter durch Drohungen mit dem Tod zum Nicht-Betreten ihrer Wohnung genötigt hatte, indem sie – je in der Absicht, dass ihre Ankündigungen an den Sachwalter weitergeleitet werden – zum einen telefonisch gegenüber einer Mitarbeiterin der Pflegschaftsabteilung beim Bezirksgericht Salzburg sinngemäß deponierte, sie (A*) werde ein Blutbad anrichten, wenn ihr Sachwalter am 16. Oktober 2017 ihre Wohnung betreten sollte, sie werde ihr Hab und Gut auch mit Waffengewalt verteidigen, Waffen habe sie sich besorgt; und zum anderen wenige Tage später in einem persönlichen Gespräch gegenüber dem Gerichtsvorsteher äußerte, sie werde den Sachwalter keinesfalls in ihre Wohnung lassen, zur Not verteidige sie dies mit einem Messer, wobei sie zur Untermauerung ihrer Äußerung auf ein Schussattentat in Las Vegas verwies und anmerkte, dass sie sich, wenn sie so in die Enge getrieben werde, eben auch gewaltsam verteidigen werde. Die Taten ereigneten sich in Reaktion auf eine Mitteilung des Sachwalters an die Betroffene, dass sie dem Vermieter oder einem Installateur Zutritt in ihre Wohnung gewähren müsse, um eine allfällig notwendige Heizkörperreparatur zu bewerkstelligen, wobei nach Wohnungsöffnung durch die Polizei festgestellt wurde, dass sich die Wohnung in einem völlig verwahrlosten Zustand befand und Fenster ausgehängt und Heizkörper zerbrochen worden waren.
Die Betroffene hielt sich in der Folge in der Sonderpflegeabteilung für psychiatrische, psychogeriatrische und gerontopsychiatrische Patienten in der Landesklinik ** auf, ehe die bedingte Nachsicht der Unterbringung wegen anhaltender Weigerung, die verordneten Medikamente einzunehmen, und diagnostizierter Exacerbation der Grunderkrankung einer paranoiden Schizophrenie letztlich mit 23. März 2023 (vgl ON 6, 1) nach § 54 Abs 1 StGB widerrufen werden musste (ON 19).
Da ihr die Anstalt nach durchgeführter Unterbrechung der Unterbringung (ON 10) im Oktober 2023 einen signifikanten Behandlungserfolg (ON 11) und der daraufhin vom Vollzugsgericht beigezogene psychiatrisch-neurologische Sachverständige Univ.Doz. Dr. B* ausreichend abgeklungene Gefährlichkeit (ON 17) attestiert hatten, wurde die Betroffene mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 29. Februar 2024, BE2*, gemäß § 47 StGB aus der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme mit fünfjähriger Probezeit bedingt entlassen (ON 25); gleichzeitig wurden ihr die Weisungen erteilt, (1.) im Wohnverband C* Gemeinnützige Genossenschaft ** zu wohnen sowie (2.) das aktuelle medizinisch-psychiatrische Betreuungskonzept unter Einhaltung bestimmter Eckpunkte (Befolgung der Hausordnung, Teilnahme an der Tagesstruktur, regelmäßige fachärztlich-psychiatrische Kontrollen, regelmäßige Einnahme der angeordneten Medikation samt Nachweis durch entsprechende Laborkontrollen und Anpassung der Medikation je nach psychopathologischem Zustand) – unter näher geregelten Nachweispflichten hierüber – fortzuführen.
Als Konsequenz wiederholter Quartalsmeldungen der angesprochenen Nachsorgeeinrichtung „D*“ (vgl ON 31; ON 41 f), dass die Betroffene gegen die Hausordnung verstoße und sich weigere, die verordneten Psychopharmaka unter Observanz einzunehmen sowie Blutspiegelkontrollen zu dulden, erfolgte durch das (mittlerweile nach § 179 Abs 1 StVG zuständige, vgl ON 35) Erstgericht am 13. August 2024 eine förmliche Mahnung (ON 43), die der Betroffenen am 19. August 2024 auch tatsächlich zuging (./ zu ON 43; ON 44).
Nach Einlangen weiterer Quartalsberichte seitens C* (ON 52; ON 64) und Einholung eines psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen Prim. Dr. E* (ON 66; ON 81) verhängte das Erstgericht mit dem nun angefochtenen Beschluss vom 17. Jänner 2025 (ON 75) die Widerrufshaft gemäß § 180 Abs 3 zweiter Fall StVG über die Betroffene aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr und widerrief sodann mit hier ebenfalls bekämpftem Beschluss vom 28. Jänner 2025 (ON 83) nach §§ 54 Abs 1, 53 Abs 2 StGB die bedingte Entlassung der A* aus der strafrechtlichen Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum iSd § 21 Abs 1 StGB.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wenden sich jeweils Beschwerden der Betroffenen (ON 74, 6 und ON 86), die jedoch ohne Erfolg sind.
Zum Widerruf der bedingten Entlassung (ON 83) :
Die bedingte Entlassung aus einer der in den §§ 21 bis 23 StGB bezeichneten Anstalten ist unter den im § 53 StGB genannten Voraussetzungen – hier konkret nach dessen Abs 2, also dass der Rechtsbrecher während des vom Gericht bestimmten Zeitraums eine Weisung trotz förmlicher Mahnung mutwillig nicht befolgt – zu widerrufen, wenn sich aus den dort genannten Umständen ergibt, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, noch besteht (§ 54 Abs 1 StGB).
Zur Sicherstellung der Alternativen des § 53 Abs 2 StGB hat es das Gericht bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung in der Hand, (unter anderem) durch sachgerechte Weisungen ein breit gefächertes Kontrollsystem zu schaffen, um prompt auf Veränderungen in der Symptomatik des Probanden reagieren zu können. Umgekehrt ist daher auch beim Widerruf der bedingten Entlassung kein zu strenger Maßstab anzulegen ( Haslwanter in WK 2 StGB § 54 Rz 9 mvH). Ein Rechtsbrecher mit einer psychischen Störung iSd § 21 StGB, dem aus Gründen, die mit der zu behandelnden Störung zusammenhängen, die Therapiebereitschaft fehlt, handelt „mutwillig“, weil mutwillig nichts anderes als vorsätzlich bedeutet ( Haslwanter in WK 2 StGB § 54 Rz 10 mN).
Zum bisherigen Verlauf der Probezeit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das aktenkonforme und vollständige Referat des Erstgerichts im (Widerrufs-)Beschluss ON 83, 2 ff verwiesen. Ihm ist zusammengefasst zu entnehmen, dass der Betreuungsalltag der Betroffenen de facto ab ihrer bedingten Entlassung am 6. März 2024, und auch nach ihrer förmlichen Mahnung vom 13. August 2024, durchgängig vom – ohnedies stets auch offen erklärten (zB ON 41, 5; ON 42, 1 f; ON 64, 1 f; ON 76, 1; ON 81, 9 ff) – Fehlen ihrer Compliance und demgemäß von einem mutwilligen Nicht-Befolgen des Großteils der aufgetragenen Weisungen geprägt war.
So war die Beschwerdeführerin dem jüngsten unbedenklichen Quartalsbericht der Nachsorgeeinrichtung vom 31. Dezember 2024 zufolge (ON 64; vgl außerdem den Auszug aus der Betreuungsdokumentation in ON 81, 9 ff und die Quartalsberichte ON 31, ON 41 f und ON 52) entgegen ihrer eigenen ausweichenden Einlassung (ON 74, 4 ff) kaum führbar, weil sie sich weder an die Hausordnung, noch an die gerichtlichen Weisungen hielt, die sie, ebenso wie die Vorgaben zu einer Tagesstruktur, generell als nicht sinnvoll erachtet. Zu ihren Mitbewohner:innen war sie oft maßregelnd, manipulativ und aufhetzend, wodurch es immer wieder zu Konfliktsituationen und Anspannungen im Gruppenverband kam. Unverändert verweigerte sie eine Medikamenteneinnahme unter Sicht und die Facharztvisiten samt Blutspiegelkontrollen. Schon im März 2024 hatten die Betreuungsverantwortlichen von C* zudem schlüssig geschildert (ON 31, 5), dass die Betroffene in einem unbeobachteten Moment scharfe Messer eingekauft und diese in ihrem Zimmer aufbewahrt hatte; eines dieser Messer hatte sie anschließend einem Mitbewohner übergeben, der es jedoch an die Betreuer:innen weiterreichte; dies mündete in einen Streit zwischen dem Mitbewohner und der Betroffenen, der aber durch das Betreuungspersonal vor Ort deeskaliert werden konnte. Abgesehen von allgemein gezeigtem, sozial unverträglichem, verbal-aggressivem Verhalten und – der Beschwerdeargumentation zuwider – (auch) tätlichen Übergriffen der Rechtsmittelwerberin auf Mitbewohner im Dezember 2024 (ON 81, 9 f) kam es in der Nachsorgeeinrichtung am 5. Jänner 2025 zu einem bedrohlichen Vorfall mit zunehmend angespannter Stimmung, bei dem die Betroffene einen Mitbewohner körperlich bedrängte und dabei neben den Küchenmessern stand, die dort beiläufig verwahrt waren; sie wurde wild und schrie, dass das ihre Messer seien, und verbot dem Mitbewohner, sich zum Kaffeekränzchen dazu zu setzen (ON 81, 10).
Dass die Betroffene, wie sie in der Beschwerde (ON 86) einwendet, mit ihrer Eingabe vom 9. September 2024, welche tags darauf beim Erstgericht einlangte (ON 49, 1), auch einen Befund ihres Hausarztes zur Bestätigung des Medikamentenspiegels übergeben habe, ist unwahrscheinlich, weil die damit offenkundig angesprochene (./2 zu ON 86) Laboruntersuchung erst am 23. Oktober 2024 beauftragt und am 28. Oktober 2024 abgeschlossen wurde; zudem genügt die Anmerkung, dass der dort ausgewiesene Risperidon-Wert den therapeutischen Bereich neuerlich (vgl ON 52, 2) unterschritt.
Soweit das Rechtsmittel unter Hinweis auf das fortgeschrittene Alter der Betroffenen und Plausibilitätserwägungen kritisiert, es seien ihr aufgrund ihrer starken körperlichen Einschränkungen brachiale Gewalthandlungen gar nicht mehr zuzutrauen, spricht dagegen neben ihrer selektiven Umtriebigkeit in der Wohneinrichtung, die sie immerhin (im Umfang ihres jeweiligen eigenen Gutdünkens) auch zur Gartenarbeit befähigte (ON 52, 1), der glaubwürdige Bericht der Sachverständigen Prim. Dr. E*, dem zufolge die Betroffene beim Untersuchungstermin am 15. Jänner 2025 entgegen deren Theatralik vor Ort am selben Morgen noch voll beweglich war und bei Bedarf auch ohne Unterstützung das Sitzmöbel wechseln sowie später die Toilette eigenständig nutzen konnte (ON 81, 8 f und 19).
Der (zentralen) Rechtsmittelkritik zuwider ist aus dem früheren Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz. Dr. B* (ON 17), welches im Jänner 2024 Basis für die bedingte Entlassung der Betroffenen war, nichts zu gewinnen. Denn im Kern beruhte die (weniger isoliert, sondern in einer Gesamtschau zu lesende) seinerzeitige Gefährlichkeitseinschätzung auch dieses Experten unmissverständlich auf der – aus aktueller Sicht aber unverwirklicht gebliebenen – Grundanforderung, dass das nämliche Weisungsregime eingehalten und engmaschig kontrolliert bzw effektiv durchgesetzt würde, und der Prognose, dass bei einer Verschlechterung der psychotischen Symptomatik akuter Handlungsbedarf bestehe (ON 17, 31 ff).
Mit den überzeugenden Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr. E* (ON 66 und ON 81, 15 ff) leidet die Betroffene unverändert an einer paranoiden Schizophrenie (F20.0), wobei die krankheitsimmanente spezifische Gefährlichkeit bislang mangels jeglicher Krankheits- und Behandlungseinsicht der Rechtsmittelwerberin nicht erfolgreich abgebaut werden konnte. Vielmehr war die Betroffene (bereits während ihres UdU-Aufenthalts) ausschließlich selbstbestimmt, unkooperativ, ohne Realitätsbezug und behandlungsablehnend und seit ihrer bedingten Entlassung praktisch keinerlei Anforderungen ausgesetzt, die zu einer Reduktion der Gefährlichkeit führen hätten können, indem ausgehend von der Verordnung einer insuffizienten Medikamentendosis selbst deren unterlassene Einnahmen und Kontrollen sowie die Nichtteilnahme an der Tagesstruktur toleriert wurden. Die Betroffene lebt mittlerweile seit Jahrzehnten ausgeprägt wahnhaft in der subjektiven Gewissheit, von sämtlichen mit ihr befassten Behörden und dem medizinischen Behandlungssystem bedroht und mit Medikamenten vergiftet zu werden. Jene „widerrechtlichen Übergriffe“ gedenkt sie nicht zu dulden, sondern sie ist entschlossen, ihre vermeintlichen Interessen notfalls auch mit brachialer Gewalt zu verteidigen. Dazu bedient sie sich zwar oftmals der Mittel der Drohung und Nötigung; sie hatte aber zurückliegend auch schon ihren damaligen Anwalt mit einem Messer in den Hals gestochen. Mit anderen Worten lag und liegt die einweisungskausale spezifische Gefährlichkeit der Betroffenen aufgrund ihrer psychopathologischen Instabilität, Impulsivität und Unberechenbarkeit praktisch durchgängig vor. Da die ihr gegenüber im Rahmen der extramuralen Betreuung gezeigte Toleranz umsetzungstechnisch offenkundig an Grenzen gestoßen ist, sind bei der Betroffenen, wenn ihren diversen Wünschen nicht entsprochen wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit binnen Kurzem wieder Eskalationen auch handgreiflicher Art zu erwarten, wobei auch tätliche Attacken unter Einsatz etwa eines Messers gegen Personen ihres unmittelbaren Umfelds mit der Folge schwer(st)er Stichverletzungen in sensiblen Körperregionen des Opfers („Blutbad“) konkret zu befürchten sind.
Extramurale Betreuungsalternativen unter Weisungsänderungen sind bei der in der Vergangenheit gezeigten kategorischen Ablehnung jeglicher Therapiekonzepte durch die Betroffene ohne Aussicht, woran im Licht ihrer aktuellen stationären Unterbringung auch der Beschwerdehinweis, sie nehme derzeit wieder Medikamente ein, noch nichts zu ändern vermag.
Zur Verhängung der Widerrufshaft (ON 75) :
Wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die bedingte Entlassung widerrufen wird und die Begehung weiterer mit Strafe bedrohter Handlungen – im Sinn akuter Tatbegehungsgefahr ( Pieber in WK 2 StVG § 180 Rz 25) – unmittelbar bevorsteht, ist die Festnahme des bedingt Entlassenen zulässig. Für das weitere Verfahren gelten die Bestimmungen des 9. Hauptstücks der StPO sinngemäß mit der Maßgabe, dass die Haft bis zur Entscheidung über den Widerruf einen Monat nicht übersteigen darf (§ 180 Abs 3 StVG).
Die nicht ausgeführte Beschwerde der Betroffenen (ON 74, 6) zeigt eine rechtsfehlerhafte Einschätzung des Erstgerichts in Bezug auf das Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen der §§ 54 Abs 1, 53 Abs 2 StGB, den angenommenen Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit der Widerrufshaft (RIS-Justiz RS0120790 [T4]) auf Basis des im Entscheidungszeitpunkt umfassend vorhandenen Verfahrenssubstrats (vgl insbesondere auch ON 66) sowie der Formalerfordernisse nicht auf. Es genügt daher an dieser Stelle der Verweis auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts im angefochtenen Beschluss und auf die obigen Erwägungen im Zusammenhang mit dem – rechtskräftigen – Widerruf der bedingten Entlassung der Betroffenen aus der vorbeugenden Maßnahme.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.