9Bs318/24i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A* *wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Einspruch gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Linz vom 3. Dezember 2024, GZ1* (= ON 15 in GZ2* des Landesgerichts Linz), in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Einspruch wird abgewiesen.
Die Anklageschrift ist rechtswirksam.
Text
BEGRÜNDUNG:
Mit Anklageschrift vom 3. Dezember 2024 (ON 15) legt die Staatsanwaltschaft dem am ** geborenen A* dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./) und den Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1a StGB (II./) sowie nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (III./) subsumierte Verhaltensweisen zur Last.
Demnach habe er am 9. Juli 2024 in **
I./ eine wehrlose Person unter Ausnützung dieses Zustandes dadurch missbraucht, dass er mit ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung vornahm, indem er sich im Zuge eines Saunaaufenthaltes mit seiner Hand über den linken Oberschenkel zum Intimbereich der rechts neben ihm sitzenden B* herantastete, ihren Slip zur Seite schob, einen oder mehrerer Finger in ihre Vagina einführte und dabei kreisende Bewegungen vornahm, wobei er den Zustand der B*, die aufgrund ihrer starken Alkoholisierung in Kombination mit einem Migräneanfall und der Saunatemperatur zum Widerstand unfähig war, ausnutzte;
II./ unmittelbar im Anschluss an die unter I./ angeführte Tathandlung eine Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem A* – nachdem die ebenfalls in der Sauna aufhältige C* dessen Hand vom Intimbereich der B* wegschlug – mit seiner Hand wiederum an den Oberschenkel der C* fasste, welche seine Hand jedoch auch von ihr sofort wegschlug;
III./ eine Person durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, indem er kurze Zeit nach den unter I./ und II./ angeführten Tathandlungen im Bereich des Schwimmteichs völlig nackt und hinter der nur mit Slip und BH bekleideten B* stehend dieser an die Brüste fasste und mehrmals versuchte, sie am Hals zu küssen, wobei A* dabei auch die Hand von B* zu seinem erigierten Penis führte und B*, nachdem sie ihre Hand sofort wegzog und auch die Küsse des A* abwehrte, an ihrem Hintern die Handbewegungen des sich selbst befriedigenden A* spürte, woraufhin B* von diesem wegging.
Ausschließlich gegen Punkt I./ des Anklagetenors richtet sich der auf § 212 Z 2 und Z 3 StPO gestützte Einspruch des Angeklagten (ON 17), mit dem er primär die Einstellung des Verfahrens in diesem Umfang anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Der Einspruch, zu dem die Oberstaatsanwaltschaft keine Stellungnahme abgegeben hat, ist nicht berechtigt.
Bei der Erhebung eines Anklageeinspruchs hat das Oberlandesgericht die Zulässigkeit der Anklage und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts von Amts wegen nach allen Richtungen und auf das Vorliegen der Voraussetzungen zu prüfen ( Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 215 Rz 4).
Gemäß § 210 Abs 1 StPO ist Voraussetzung für die Einbringung einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft unter anderem das „Naheliegen“ einer Verurteilung aufgrund eines ausreichend geklärten Sachverhalts. Ausreichend geklärter Sachverhalt bedeutet, dass entsprechend dem Grundsatz der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) die Strafverfolgungsorgane alle be- und entlastenden Tatsachen, die für die Beurteilung der Tat und des Angeklagten von Bedeutung sind, sorgfältig ermittelt haben, sodass sie sich ein objektives Bild darüber machen können, wie sich die gegenständliche Tat zugetragen hat. Es muss aufgrund des ausreichend ermittelten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegen (Verurteilungswahrscheinlichkeit). Dazu muss ein einfacher Tatverdacht bestehen, was bedeutet, dass vom Gewicht der be- und entlastenden Indizien her bei deren Gegenüberstellung mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten sein muss. Dabei kommt es ausschließlich auf den Tatverdacht und nicht auf Rechtsfragen an ( Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 210 Rz 4f).
Anhaltspunkte dafür, dass sich aus dem angeklagten Lebenssachverhalt keine gerichtlich strafbare Handlung ableiten ließe oder sonst ein rechtlicher Grund vorläge, der die Verurteilung des Angeklagten ausschließen würde (§ 212 Z 1 StPO), sind dem vorliegenden Akteninhalt nicht zu entnehmen.
Nach dem vom Angeklagten primär relevierten Einspruchsgrund des § 212 Z 2 StPO ist eine Anklage unzulässig und das Verfahren einzustellen (§ 215 Abs 2 StPO), wenn Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz hinreichend geklärten Sachverhalts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angeklagten auch nur für möglich zu halten und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Um der Entscheidung des erkennenden Gerichts nicht vorzugreifen, kommt eine Einstellung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht freilich nur dann in Betracht, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte der Tat keinesfalls überwiesen werden könne, dass somit Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz eingehender Ermittlungen nicht ausreichen, um bei lebensnaher Betrachtung eine Verurteilung auch nur (entfernt) für möglich zu halten. Solange irgendeine Möglichkeit besteht, Zweifel durch weitere Beweisaufnahme auszuräumen, ist ausschließlich § 212 Z 3 StPO anzuwenden, dem zufolge das Oberlandesgericht die Anklageschrift zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts (bloß) zurückzuweisen hat ( Kirchbacher, StPO 15 § 212 Rz 4). Der Bereich zwischen Verurteilungsmöglichkeit undwahrscheinlichkeit berechtigt das Oberlandesgericht bei ausermitteltem Sachverhalt also nicht zu einer endgültigen Verfahrenseinstellung nach § 212 Z 2 iVm § 215 Abs 2 StPO. Dem Oberlandesgericht kommt gleichsam eine Missbrauchskontrolle in jenen Fällen zu, in denen die Staatsanwaltschaft anklagt, obwohl so gut wie überhaupt keine Verurteilungsmöglichkeit besteht. Ansonsten ist über die erhobenen Vorwürfe bei vorhandener Verurteilungsmöglichkeit im Zuge der Hauptverhandlung zu entscheiden ( Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 212 Rz 19).
Der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO käme hingegen nur dann zum Tragen, wenn eine ausreichende Grundlage an Ermittlungsergebnissen zur Durchführung einer Hauptverhandlung noch nicht vorläge und von zweckentsprechenden Ermittlungen eine solche erwartet werden könnte. Die Ermittlungsergebnisse bilden dann eine ausreichende Grundlage zur Durchführung einer Hauptverhandlung, wenn ein einfacher Tatverdacht eine Verurteilung nahelegt. Dazu muss vom Gewicht der belastenden und entlastenden Indizien her bei der Gegenüberstellung mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten sein. Die naturwissenschaftliche Wahrscheinlichkeit muss also mehr als 50% betragen, wobei ein objektiver Maßstab anzuwenden ist. Bei der Verurteilungswahrscheinlichkeit kommt es ausschließlich auf den Tatverdacht an und nicht auf Rechtsfragen. Der Tatverdacht muss sich jedoch nicht nur auf das Vorliegen des tatbestandsrelevanten Sachverhalts erstrecken, sondern auch auf das Fehlen von Tatsachen, die einen Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs-, Strafausschließungs-, Strafaufhebungsgrund oder ein Verfolgungshindernis bilden. Damit der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO nicht vorliegt, müssen auch sonst die Ermittlungen soweit gediehen sein, dass sie die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen. Dazu gehört, dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können ( Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 212 Rz 14ff).
Da sich der Anklageeinspruch ausschließlich gegen die Annahme der subjektiven Tatseite zu Punkt I./ des Anklagetenors richtet, ist vorab zum inkriminierten Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB festzuhalten, dass die Wehrlosigkeit – der hier in Frage kommende Grund, nach dem die sexuelle Selbstbestimmung ausgeschlossen sein kann – entweder körperliche oder psychische Gründe haben kann. Von der Rechtsprechung werden exemplarisch eine bewusstlose, infolge Alkoholgenusses willenlose oder schlafende bzw gerade aus dem Schlaf erwachende Person sowie mittelschwere Alkoholisierung und tiefer Schlaf als tatbildlich erachtet (vgl Philipp in Höpfel/Ratz , WK 2StGB § 205 Rz 7 mwN).
Gemessen an dem von der Staatsanwaltschaft – unter Bezug auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens – dargestellten (einfachen) Tatverdacht ist eine Verurteilung auf Basis des angeklagten Lebenssachverhalts entgegen der Ansicht des Angeklagten sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht auch hinsichtlich Punkt I./ des Anklagetenors durchaus im Bereich des Möglichen.
Wie auch im Einspruch ausgeführt, stehen zur Bewertung des Zustandes der B* zum inkriminierten Tatzeitpunkt neben den Wahrnehmungen des Angeklagten derzeit insbesondere die Angaben der Zeuginnen B* und C* zur Verfügung. Dass sich B* in einem Zustand der Wehrlosigkeit befunden hat, ist jedoch bereits durch die ersten Angaben dieser Zeugin (ON 2.12, 6) sowie jene der Zeugin C* (ON 2.11, 6) hinreichend indiziert. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die damals gerade 17 ½-jährige B* aufgrund vorherigen Alkoholkonsums und der Temperaturen in der Sauna samt einhergehenden Kopfschmerzen in einem derart beeinträchtigten Zustand befunden hat, dass sie sich ihren eigenen Angaben zufolge schlapp gefühlt habe und nicht in der Lage gewesen sei, etwas zu tun. Die Zeugin C* bestätigte auch in ihrer kontradiktorischen Einvernahme vor Gericht den von der Zeugin B* beschriebenen Schockzustand bzw die Bewegungsstarre (ON 12, 4f). Allein das Ergebnis der Messung des Blutalkoholgehalts mit (lediglich) 0,36 mg/l vermag diese Einschätzung bei der hier anzustellenden Bewertung mit Blick auf die Messung (erst) um 5.10 Uhr und die darüber hinaus zu beurteilenden Umstände, wie die von der Zeugin vorgegebene Migräne, die fehlende Gewöhnung der jungen Zeugin an Alkohol sowie die Temperaturen in der Sauna zu fortgeschrittener Zeit und die damit einhergehende Müdigkeit nicht entscheidend zu relativieren.
Auch wenn der Angeklagte in seinem Einspruch auf Passagen in der Aussage der Zeugin B* verweist, wonach diese nicht wisse, ob der Angeklagte ihren Zustand bemerkt habe (ON 11.1, 11f) oder ihren Zustand ausnutzen habe wollen (ON 11.1, 19), darf nicht übersehen werden, dass sie an anderer Stelle schon davon spricht, dass man ihre Abwehrbewegung deuten hätte können (ON 11.1, 12). Alles in allem lässt sich die vom Angeklagten in seinem Einspruch primär relevierte subjektive Tatseite (rechtsstaatlich vertretbar) aber ohnehin bereits aus dem objektiven Handlungsablauf ableiten (RIS-Justiz RS0116882; RS009867; Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Rz 452). Ausgehend davon, dass nach den bisherigen Erkenntnissen kein vernünftiger Grund erkennbar ist, warum die beiden Zeuginnen den Angeklagten bewusst wahrheitswidrig belasten sollten, ist von dem für die Anklageerhebung einfachen Verdacht auszugehen, dass der über 20 Jahre ältere Angeklagte den Zustand der Zeugin B* so wie von ihr beschrieben und wie von der Zeugin C* wahrgenommen, demnach die Wehrlosigkeit der Zeugin B* ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat.
Die Erhebungsergebnisse reichen bei der anzustellenden Gesamtabwägung somit aus, um darauf die für eine Anklageerhebung erforderliche einfache Tatverdachtslage zu stützen. Die vorliegenden Beweismittel und Erhebungsergebnisse rechtfertigen auch die Anordnung einer Hauptverhandlung. Inwieweit letztlich die der Anklagebegründung zu entnehmenden Belastungsmomente zu verifizieren sein und ausreichen werden, den Angeklagten im Sinn der Anklage zu überführen, muss dem erkennenden Gericht nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten bleiben, dem durch die Einspruchsentscheidung nicht vorzugreifen ist (§ 215 Abs 5 StPO). Somit hat die Staatsanwaltschaft – selbst unter Berücksichtigung der (auch im Einspruch zum Ausdruck kommenden) leugnenden Verantwortung des Angeklagten zu I./ – einen Tatverdacht mit naheliegender Verurteilungswahrscheinlichkeit, auch bezogen auf das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB, aktenkonform und dem Gesetz entsprechend angenommen, sodass weder der Einspruchsgrund des § 212 Z 2 noch jener des § 212 Z 3 StPO vorliegt.
Da auch keine wesentlichen formellen Mängel der Anklageschrift bestehen und demnach auch keine Einspruchsgründe des § 212 Z 4 bis 7 StPO vorliegen, war der Einspruch abzuweisen und die Rechtswirksamkeit der Anklage festzustellen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein Rechtsmittel nicht zu (§ 214 Abs 1 StPO).