JudikaturOLG Graz

6Rs68/24b – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
17. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier und den Richter Mag. Schweiger sowie die fachkundigen Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch die Klein, Wuntschek Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen, per Adresse Landesstelle **, wegen Angehörigenbonus, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. August 2024, **-9, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen (I.) und zu Recht erkannt (II.):

Spruch

I. Das Berufungsverfahren wird fortgesetzt .

II. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung und der Gesetzesbeschwerde gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG (VfGH G 149/2024-7) selbst zu tragen.

Die Revision ist nichtnach § 502 Abs 1 ZPO zulässig .

Text

Entscheidungsgründe:

Der (am ** geborene) Kläger verfügt resultierend aus einem Pensionsbezug im Kalenderjahr 2023 über ein durchschnittliches Nettomonatseinkommen von EUR 2.033,18. Er pflegt seinen Vater, der Pflegegeld der Stufe 4 bezieht, seit mindestens einem Jahr in häuslicher Umgebung alleine bzw überwiegend.

Mit Bescheid vom 21. März 2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 25. Jänner 2024 auf Gewährung des Angehörigenbonus ab, weil sein monatliches Netto-Jahresdurchschnittseinkommen im Kalenderjahr, welches der Antragstellung vorangegangen sei, höher als EUR 1.500,00 gewesen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Klagemit dem auf Zahlung des Angehörigenbonus ab dem 1. Juli 2023 gerichteten Begehren. Begründend bringt der Kläger vor, dass seine Nettopension im Jahr 2023 durchschnittlich monatlich EUR 2.017,87 betragen habe. Er erfülle alle sonstigen Voraussetzungen nach § 21h BPGG, nur sei sein Einkommen um durchschnittlich EUR 517,87 netto monatlich zu hoch. Er könne sich gar nicht in der Pensionsversicherung als pflegender Angehöriger versichern, weil das gesetzlich nicht vorgesehen sei. Für pflegende Angehörige, die bereits eine Selbst- oder Weiterversicherung in der Pensionsversicherung hätten, würde keine Zuverdienstgrenze bestehen. In der - für den Kläger maßgeblichen - Variante des Angehörigenbonus nach § 21h BPGG werde mit dem im Pflegegeldrecht sonst herrschenden Prinzip, dass es weder auf das Einkommen noch auf das Vermögen ankommen solle, gebrochen. Die Zuverdienstgrenze sei systemwidrig und verfassungsrechtlich bedenklich. Pflegende Angehörige, die gesamtvolkswirtschaftlich einen enormen Beitrag leisteten, ungleich zu behandeln, stelle eine unnötige Härte dar und sei eine aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Der in § 21h BPGG vorgesehene Fixbetrag sei sachlich nicht gerechtfertigt, auch weil nur auf das Einkommen des/der pflegenden Angehörigen abgestellt und nicht berücksichtigt werde, wie viele Personen von diesem Einkommen leben müssten. Der Angehörigenbonus könne unschwer zu den „Leistungen, die aufgrund von Behinderung oder eines Pflegebedarfs gewährt werden“, gezählt werden. §§ 21g und 21h BPGG würden für gleiche Sachverhalte differenzierende Regelungen hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen vorsehen. Diese stünden aber mit dem Angehörigenbonus als Unterstützungsleistung zu Gunsten des pflegenden Angehörigen in keinem Zusammenhang.

Die Beklagtebeantragt Klagsabweisung und wendet ein, dass der Kläger resultierend aus einem Pensionsbezug im Kalenderjahr 2023 ein durchschnittliches Netto-Monatseinkommen von EUR 2.033,18 bezogen habe. Die Voraussetzungen des § 21h Abs 2 Z 2 BPGG seien damit nicht gegeben. Der Verfassungsgerichtshof habe wiederholt darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber im Beihilfenrecht ein weiter, durch das Sachlichkeitsgebot begrenzter, rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme. Das Entstehen von Härtefällen allein mache eine Regelung noch nicht unsachlich. Pflegende Angehörige, die aufgrund der Pflegetätigkeit ihre Erwerbstätigkeit aufgeben würden oder eingeschränkt hätten, bedürften nachvollziehbar einer besonderen Unterstützung. Demgegenüber hätten Pensionistin ihre Erwerbstätigkeit ohnehin bereits eingestellt.

Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgerichtdas Klagebegehren auf Grundlage des eingangs dargestellten und unstrittigen Sachverhalts ab. In rechtlicher Hinsicht vertritt es den Standpunkt, dass das monatliche Nettodurchschnittseinkommen des Klägers im Kalenderjahr 2023 den Grenzbetrag von EUR 1.500,00 nach § 21h Abs 2 Z 2 BPGG überstiegen habe. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers würden nicht geteilt. Der Verfassungsgerichtshof habe wiederholt darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber im Beihilfenrecht ein weiter, durch das Sachlichkeitsgebot begrenzter, rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beteiligt sich nicht am Berufungsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Zu I.:

Da der Kläger gleichzeitig mit der Berufung beim Verfassungsgerichtshof einen Parteienantrag auf Normenkontrolle gestellt hat, sprach das Berufungsgericht mit Beschluss vom 31. Oktober 2024 aus, dass gemäß § 62a VfGG mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu G 149/2024-2 innegehalten wird. Am 27. Juni 2025 langte der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 16. Juni 2025, G 149/2024-7, ein, mit dem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung des Antrags des Klägers

„• '2. das monatliche Netto-Jahresdurchschnittseinkommen des nahen Angehörigen oder der nahen Angehörigen im Kalenderjahr, welches der Antragstellung vorangeht, einen Betrag von 1.500 Euro pro Monat nicht übersteigt. Für die Ermittlung der Höhe dieses Einkommens ist der § 264 Abs. 5 ASVG sinngemäß anzuwenden und vom Jahresbruttoeinkommen die einbehaltenen SV-Beiträge, Kammerumlage, Wohnbauförderung und die insgesamt einbehaltene Lohnsteuer oder die Einkommensteuer in Abzug zu bringen. Als monatliches Netto-Jahresdurchschnittseinkommen gilt ein Zwölftel des so ermittelten Betrages. Der Nachweis ist durch den letzten rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid, durch Lohnzettel, eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, eine Einkommensteuererklärung, eine wahrheitsgemäße Erklärung über das Einkommen oder durch Bestätigungen der, die Einkommen auszahlenden Stellen, zu erbringen.'(siehe § 21h Abs. 2 Z.2 des Bundespflegegeldgesetzes in der aktuellen Fassung BGBl. I. Nr. 109/2024, welche am 19.07.2024 kundgemacht worden ist)

und

• ’g) Netto-Jahresdurchschnittseinkommen und monatliche Nettoeinkommen; Bruttoeinkommen und einbehaltene SV-Beiträge, Kammerumlage, Wohnbauförderung sowie die insgesamt einbehaltene Lohnsteuer oder die Einkommensteuer,'(siehe § 21h Abs.6 Z.2 lit.g des Bundespflegegeldgesetzes in der aktuellen Fassung BGBl. I. Nr. 109/2024, welche am 19.07.2024 kundgemacht worden ist)

und

• 'Wird nach der Gewährung in weiterer Folge die Einkommensgrenze gemäß Abs. 2 Z 2 in einem vorangegangenen Kalenderjahr überschritten, ist der Angehörigenbonus, mit dem auf die Feststellung folgenden Monat zu entziehen.'(siehe § 21h Abs. 9 zweiter Satz des Bundespflegegeldgesetzes in der aktuellen Fassung BGBl. I. Nr. 109/2024, welche am 19.07.2024 kundgemacht worden ist)

und

• '(11) Der in Abs. 2 Z 2 genannte Betrag ist mit Wirkung vom 1. Jänner 2025 und in der Folge mit Wirkung vom 1. Jänner jeden Jahres mit der Aufwertungszahl (§ 108a ASVG), der in Abs. 1 genannte Betrag ist mit Wirkung vom 1. Jänner 2025 und in der Folge mit Wirkung vom 1. Jänner jeden Jahres mit dem Anpassungsfaktor (§ 108f ASVG) zu vervielfachen und auf volle 10 Cent zu runden. Der Vervielfachung sind die für das jeweils vorangegangene Jahr ermittelten und gerundeten Beträge zugrunde zu legen. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat die sich ergebenden Beträge für jedes Jahr durch Verordnung festzustellen. Diese Verordnung kann auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden.'(siehe § 21h Abs. 11 des Bundespflegegeldgesetzes in der aktuellen Fassung BGBl. I. Nr. 109/2024, welche am 19.07.2024 kundgemacht worden ist)

als verfassungswidrig aufzuheben.“,

ablehnte, weil dieser keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Nach Vorliegen der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist das Verfahren gemäß § 528b Abs 3 ZPO fortzusetzen.

Zu II.:

In seiner Rechtsrüge hält der Kläger seinen im erstinstanzlichen Verfahren eingenommenen Standpunkt, dass § 21h BPGG verfassungswidrig sei, aufrecht. Wenn der Verfassungsgerichtshof dem Parteienantrag auf Normenkontrolle stattgebe, würde das Berufungsgericht nicht mehr aufgrund der in § 21h BPGG normierten Zuverdienstgrenze entscheiden können. Der vom Kläger im Kalenderjahr 2023 durchschnittlich ins Verdienen gebrachte Betrag wäre dann rechtlich irrelevant. Da die übrigen Voraussetzungen gemäß § 21h BPGG vorlägen, müsste der Berufung Folge gegeben werden.

Diesem Argument kommt keine Berechtigung zu.

Der Verfassungsgerichtshof führte in seinem Beschluss vom 16. Juni 2025, G 149/2024-7, aus, dass vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Beurteilung der sozialen Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden sozialen Maßnahmen das Vorbringen des Antrags, die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen ließen, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Die Berufung macht nur die Verfassungswidrigkeit der in § 21h BPGG normierten Zuverdienstgrenze geltend, sodass sich nach dem zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofs weitere Ausführungen erübrigen.

Pensionisten zählen nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 21g BPGG, da Bezieher einer monatlich wiederkehrenden Geldleistung aus einer eigenen Pensionsversicherung nach § 18a Abs 2 bzw § 18b Abs 1a ASVG von der Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kinds bzw von nahen Angehörigen ausgeschlossen sind.

Der Kläger müsste daher die weiteren, im Ergebnis strengeren Voraussetzungen nach § 21h Abs 2 BPGG erfüllen, was infolge der von ihm bezogenen Pension (§ 21h Abs 2 Z 2 BPGG) nicht der Fall ist.

Der Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.

Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit (für die Berufung und den Antrag auf Normenkontrolle) wurden weder behauptet noch ergeben sich solche aus der Aktenlage.

Die ordentliche Revision ist nicht zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen war.