1Bs57/25d – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Richter Mag. Redtenbacher als Vorsitzenden, die Richterin Mag a. Schwingenschuh und den Richter Mag. Wieland in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe nach § 46 StGB über die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 1. April 2025, GZ ** - 7, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Der am ** geborene, österreichische Staatsbürger, A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt Graz-Karlau Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß (§ 46 Abs 5 StGB) von sieben Jahren und vier Monaten (ON 3,2), wobei zu den zu Grunde liegenden Verurteilungen auf die im Akt („Ordner Beilagen“) befindlichen Urteilsausfertigungen sowie auf die aktenkonforme Darstellung (BS 2 f) im angefochtenem Beschluss verwiesen werden darf.
Das errechnete Ende der Strafzeit fällt auf den 2. Juni 2026 (ON 3,1). Die bedingte Entlassung zum Hälftestichtag am 2. Oktober 2022 (§ 152 Abs 1 Z 1 StVG) wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 8. August 2022, AZ **, abgelehnt. Der Zwei-Drittel-Stichtag am 22. Dezember 2023 (§ 152 Abs 1 Z 2 StVG) wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. November 2023, AZ **, abgelehnt. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Oktober 2024, AZ **, wurde sein Antrag vom 30. September 2024 auf bedingte Entlassung nach dem Vollzug von mehr als zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafe aus spezialpräventiven Gründen abgewiesen. Bereits im vorgenannten Beschluss wurde auf das mangelhafte Vollzugsverhalten sowie die notwendige Erprobung im Entlassungsvollzug vor einer allfälligen bedingten Entlassung hingewiesen (siehe Beschluss im „Ordner Beilagen“).
Mit Eingabe vom 11. März 2025 (ON 2) beantragte der Strafgefangene seine bedingte Entlassung nach dem Vollzug von mehr als zwei Drittel der über ihn verhängten Freiheitsstrafe.
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Erstgericht entsprechend der Stellungnahme des Leiters der Justizanstalt (ON 6.2), der auf das außerordentlich unangepasste Vollzugsverhalten explizit hinwies, und der Staatsanwaltschaft (ON 1.2) die bedingte Entlassung des Strafgefangenen nach dem Vollzug von mehr als zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafe aus spezialpräventiven Gründen ab (ON 7). Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige (§ 84 Abs 2 StPO) Beschwerde des Strafgefangenen (ON 8), mit der er unter Hinweis auf seine Läuterung, seine absolvierten Therapien, seine abgeschlossene Berufsausbildung, seinen sozialen Empfangsraum sowie die präventive Wirkung des Erstvollzugs seine bedingte Entlassung anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft inhaltlich nicht äußerte, ist nicht berechtigt.
Das Erstgericht hat im bekämpften Beschluss die Anlassverurteilungen, die weiteren Verurteilungen, die Stellungnahme des Strafgefangenen, des Anstaltsleiters und der Staatsanwaltschaft sowie die anzuwendende Norm, somit die Sach- und Rechtslage, zutreffend dargestellt, weshalb darauf identifizierend verwiesen wird (RIS-Justiz RS0115236 [T1], RS0119090 [T4]).
Das vom Erstgericht erstellte Prognosekalkül ist zudem nicht korrekturbedürftig. Die Person des Rechtsbrechers, sein Vorleben, sein Verhalten nach der Tat, sein privates Umfeld und seine Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit sind maßgebliche Beurteilungsgrundlage der das künftige Verhalten betreffenden Prognoseentscheidung ( Jerabek/Ropperin WK² StGB § 46 Rz 15/1, Jerabek/Ropperin WK² StGB § 43 Rz 21). Bei Entscheidungen nach § 46 Abs 1 StGB ist nach Abs 4 leg cit darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit sich die Verhältnisse seit der Tat durch Einwirkung des Vollzugs positiv geändert haben bzw ob negative Faktoren durch Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB ausgeglichen werden können ( Jerabek/Ropperin WK² StGB § 46 Rz 15/1). Der Vollzug der gesamten Freiheitsstrafe soll auf (Ausnahme-)Fälle evidenten Rückfallrisikos des Rechtsbrechers beschränkt bleiben ( Jerabek/Ropper, aaO § 46 Rz 17).
Der Strafgefangene weist – bereinigt um das Zusatzstrafenverhältnis – sechs Vorstrafen auf, wobei allesamt aus Aggressionsdelikten (zur gleichen schädlichen Neigung von Körperverletzung und Sachbeschädigung [RS0091417 [T3, T6]) resultieren. Bereits mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Juni 2016, AZ **, wurde dem Strafgefangenen auf Grund seiner hohen Neigung zu Aggressionshandlungen (vor allem im alkoholisierten Zustand) die Weisung einer Antiaggressionstherapie sowie einer Alkoholentwöhnungstherapie aufgetragen. Dessen ungeachtet delinquierte der Strafgefangene – trotz angeordneter Bewährungshilfe – nur rund zwei Monate später (Position 5. der Strafregisterauskunft [ON 5]). Trotz nunmehr dreier offenen Probezeiten setzte der Strafgefangene während eines laufenden Strafverfahrens neuerliche Straftaten (Position 6. der Strafregisterauskunft [ON 5]). Selbst vier offene Probezeiten und ein gewährter Strafaufschub reichten nicht aus, um den Strafgefangenen davon abzuhalten, einer anderen Person eine abgebrochene Bierflasche mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen (Position 7. der Strafregisterauskunft [ON 5]). Letztlich konnten auch die nunmehr in Vollzug gesetzten Strafen von (insgesamt) sechs Jahren und einem Monat nicht legalbewährend wirken, delinquierte der Strafgefangene doch erneut in Strafhaft massiv.
Wenn der Strafgefangene nunmehr in der Beschwerde auf den Erstvollzug und sein im Tatzeitraum juveniles Alter hinweist, so hat dies gewiss seine Berechtigung, wurden doch die Taten überwiegend als Jugendlicher bzw. junger Erwachsener gesetzt. Relativiert wird dies allerdings dadurch, dass die letzte Verurteilung (in Haft) – entgegen der Beschwerde (Datum der Tat: 20. Mai 2021) – im Alter von zweiundzwanzig Jahren und sechs Monaten ausgeführt wurde und sich der Strafgefangene bereits zuvor (zumindest) zweimal in Untersuchungshaft befand, was in der Regel eine ausreichende tatabhaltende Wirkung entfaltet, beim Strafgefangenen allerdings völlig wirkungslos blieb. Ebenso ist es zutreffend, dass der Strafgefangene in Haft seine Berufsausbildung ambitioniert vorantrieb (ON 6.5,4), was in Übereinstimmung mit den Ausführungen in der Beschwerde, angesichts des auch in der Metalltechnikbranche vorherrschenden Fachkräftemangels, ohne weiteres einen wirtschaftlichen Empfangsraum schaffen könnte. In Übereinstimmung mit dem Erstgericht ist allerdings der Kern des zur Straffälligkeit führenden Problems offenbar noch immer ungelöst. Laut dem im Verfahren des Landesgerichts für Strafsachen Graz, AZ **, eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Univ.-Prof. Dr. B* leidet der Strafgefangene primär an einer Psychischen und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch und an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (siehe auch ON 6.5,3f). Die in Haft laufenden und bereits beendeten Therapien (ON 6.5,4) sprechen zwar für eine gewisse Veränderungsbereitschaft, jedoch ist diese noch nicht so weit fortgeschritten, dass der Zweck des Strafvollzugs (§ 20 StVG) beim Strafgefangenen erfüllt ist. Bereits in dem zitierten Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz, AZ **, wurde darauf aufmerksam gemacht, dass auf Grund des mehrjährigen Vollzugs und der Massivität der Straffälligkeit vor einer bedingen Entlassung eine Erprobung und eine weitere Therapiearbeit (siehe auch OLG Wien, 19 Bs 203/22z) stattzufinden hat, um eine Risikoreduktion bewirken zu können. Diese – ursprünglich für Juni 2024 in der Außenstelle Maria Lankowitz (siehe ON 6.5,2) geplante, nunmehr jedoch suspendierte – Möglichkeit torpedierte sich der Strafgefangene durch sein überaus unangepassten Vollzugsverhalten (ON 6.6 [zu dessen Bedeutung für die bedingte Entlassung siehe RIS-Justiz RS0090874]) selbst. Überdies lassen die im Rahmen der Beschwerde getätigten Angaben (ON 8,1 [„ Im Rahmen der langen Haft wurde ich konfliktfähiger, reflektierter und habe einen adäquateren Umgang mit meiner Impulskontrolle sowie den Umgang mit Regeln und Krisen gelernt “]) auf eine eingeschränkte Selbstwahrnehmung schließen. Den Ausführungen zuwiderlaufend beschimpfte er nämlich noch im Februar 2025 den Richter in dem (letztlich [nicht rechtskräftig] durch Freispruch beendeten [ON 6.4,1]) Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz, AZ **, weswegen eine Geldbuße verhängt wurde. Bereits im Mai 2021, im Mai 2022 („ dumme Sau und blöde Fotze “) und im Mai 2023 benahm er sich Beamten gegenüber ungebührlich, was im Lichte seiner Vorstrafen auf eine nach wie vor bestehende Impulskontrollstörung schließen lässt. Im März 2025 wurde er zudem dabei betreten, als er Tabletten an Mitinsassen übergab und fünf Liter Maische besaß, was angesichts der konstatierten Suchtmittelproblematik (ON 6.5,3) auf eine tatsächlich nicht ausreichende Distanzierung hindeutet.
Das Bestehen einer Wohnmöglichkeit und eines sozialen Empfangsraums sind ebenso wie die bisherige Therapiearbeit des Strafgefangenen im Strafvollzug zwar positive Aspekte, vermögen aber an der negativen Risikoprognose nichts zu ändern. Dierisikorelevante Verleugnung der ganz offensichtlich weiterhin bestehenden – für die Anlasstaten kausalen – Impulskontrollstörung sowie die mangelnde Distanzierung von bewusstseinsbeeinträchtigenden Substanzen lässt derzeit auch die mögliche Erwägung von Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB nicht zu, zumal diese auch in der Vergangenheit nicht tatabhaltend wirkten. Vielmehr ist bei Gesamtwürdigung der dargestellten Umstände der weitere Vollzug der Strafe spezialpräventiv zur Erzielung künftiger Straffreiheit als deutlich wirksamer anzusehen als die bedingte Entlassung ( Jerabek/Ropper , WK 2StGB § 46 Rz 15/1; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 14 § 46 Rz 1; Tipold in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 46 Rz 7). Es wird daher weiterer Therapiearbeit des Beschwerdeführers im Rahmen der Strafhaft zur Risikoreduktion und daran anknüpfend einer Erprobung im Entlassungsvollzug bedürfen, um eine bedingte Entlassung andenken zu können, wobei ein ordnungsgemäßer Vollzug als Basis dafür dienen muss.
Der angefochtene Beschluss entspricht somit der Sach und Rechtslage, sodass der Beschwerde ein Erfolg zu versagen war.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 17 Abs 1 Z 3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO).