JudikaturOLG Graz

4R15/25w – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Unternehmensrecht
05. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch die Richterinnen Dr. in Angerer (Vorsitz), Mag. a Zeiler-Wlasich und Dr. in Jost-Draxl in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Michael Jägerndorfer, Rechtsanwalt in Berndorf, gegen die beklagte Partei B* GmbH , FN **, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in Seiersberg-Pirka, wegen EUR 50.000,00 samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 50.000,00), gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Dezember 2024, **, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 3.710,70 (darin EUR 618,45 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Thema des Berufungsverfahrens ist die Frage der Prospektpflicht eines Crowd-Funding- Finanzierungsmodells mittels Abschlusses von Nachrangdarlehen. Dem liegt folgender unstrittiger Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte, eine Unternehmerin, bot den Abschluss von Nachrangdarlehen öffentlich an und verwendete die über das Crowd-Funding lukrierten Beträge zur Finanzierung von Solarthermieanlagen. Die Beklagte veröffentlichte dafür keinen (Kapitalmarkt-)Prospekt.

Die vom Kläger, einem Verbraucher, gewährten Darlehen, waren Teil dieser Crowd-Funding-Initiative der Beklagten. Am 9. März 2015 und am 9. Jänner 2018 schlossen die Streitteile Darlehensverträge über jeweils EUR 25.000,00, welche Beträge der Kläger der Beklagten auch zuzählte. Die Mindestlaufzeit beider Darlehen betrug jeweils fünf Jahre. In beiden Verträgen findet sich folgende Vereinbarung:

Bei diesem Darlehen handelt es sich um ein qualifiziertes nachrangiges Darlehen. Der Darlehensgeber kann die Rückzahlung des Darlehens und die Zahlung von Zinsen solange und soweit nicht verlangen, als sie beim Darlehensnehmer einen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens herbeiführen würde. Wird tatsächlich ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Darlehensnehmers eröffnet, erhält der Darlehensgeber nur dann Zahlungen, wenn alle anderen nicht nachrangigen Gläubiger des Darlehensnehmers zuvor vollständig befriedigt wurden.

(Nur) Beim Abschluss des (zweiten) Darlehensvertrags vom 9. Jänner 2018 erklärte der Kläger, dass die Darlehenssumme 10 % seines Finanzvermögens oder das Doppelte seines monatlichen Nettogehalts nicht übersteige.

Beide Darlehensverträge wurden vom Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2020 gekündigt; danach erfolgte keine weitere Kündigungserklärung.

Im Prozess begehrt der Kläger von der Beklagten die (Rück-)Zahlung von EUR 50.000,00 samt 4 % Zinsen seit 1. Juli 2020. Soweit im Berufungsverfahren relevant, beruft er sich auf sein Rücktrittsrecht von den Darlehensverträgen gemäß § 5 KMG, weil die Beklagte ein prospektpflichtiges Angebot ohne vorhergehende Veröffentlichung eines (Kapitalmarkt-)Prospekts ausgegeben habe. Die Kündigung der Darlehensverträge selbst, spätestens aber die Klageführung habe seinen Rücktritt von den Verträgen implizit enthalten; ausdrücklich erklärte er mit Schriftsatz vom 24. September 2024 [ON 5, 5] seinen Rücktritt von den Verträgen.

Die Beklagte bestreitet das Vorliegen einer Prospektpflicht. Sie sei ab Beginn der Entgegennahme derartiger Darlehen in regelmäßigem und ständigem Austausch mit der Finanzmarktaufsicht (FMA) gestanden, die die Vertragsentwürfe als nicht prospektpflichtig bezeichnet habe. Nach Erörterung in der Tagsatzung vom 20. November 2024, wonach die Beklagte keine konkreten Tatsachen vorbringe, die die nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (4 Ob 47/16i, 6 Ob 97/18k) grundsätzlich bestehende Prospektpflicht bei qualifizierten Nachrangdarlehen erschüttern könnten, erklärte die Beklagte, dazu kein weiteres Tatsachenvorbringen zu erstatten, jedoch auf den Inhalt ihres Schriftsatzes ON 6 zu verweisen: Danach sei die Prospektpflicht in der Entscheidung 4 Ob 148/11d [richtig wohl: 4 Ob 184/11d] in einem ganz speziellen Fall, der mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar sei, bejaht worden. Die vom Erstgericht zitierten Entscheidungen seien hingegen für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Zudem habe die Finanzmarktaufsicht das Geschäftsmodell der Beklagten nicht untersagt.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtet das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 50.000,00 samt 4 % Zinsen seit 1. Juli 2020 an den Kläger. Rechtlichgelangt es zu dem Schluss, dass qualifizierte nachrangige Darlehen grundsätzlich Veranlagungen im Sinne des § 1 Abs 1 Z 3 KMG darstellten (4 Ob 47/16i; 6 Ob 97/18k) und die Beklagte trotz Erörterung keine konkreten Tatsachen vorgebracht habe, die diese Qualifikation im konkreten Fall als nicht anwendbar erscheinen ließen. Die den Abschluss der qualifizierten Nachrangdarlehen öffentlich anbietende Beklagte hätte daher gemäß § 2 Abs 1 KMG spätestens einen Bankarbeitstag vor der Veröffentlichung des Angebots einen nach dem KMG gebilligten Prospekt veröffentlichen müssen, was jedoch unterblieben sei. Der Kläger als Verbraucher iSd § 1 Abs 1 Z 2 KSchG könne daher gemäß § 5 Abs 1 KMG zeitlich unbegrenzt von den Darlehensverträgen zurücktreten und habe Anspruch auf die Rückzahlung der hingegebenen Beträge. Ihm stünden auch die sogenannten „Vergütungszinsen“ ab der Zuzählung der jeweiligen Darlehensbeträge zu, wovon der begehrte Beginn des Zinsenlaufs mit 1. Juli 2020 gedeckt sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in Klageabweisung. Der Kläger erstattet eine Berufungsbeantwortung .

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, ist nicht berechtigt .

Das Berufungsgericht hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend (§ 500a ZPO). Den ausschließlich gegen das Bestehen einer Prospektpflicht argumentierenden Berufungsausführungen ist nur das Folgende kurz zu erwidern:

1.1. § 1 Abs 1 Z 3 KMG definiert - in den zum jeweiligen Vertragsabschlusszeitpunkt geltenden Fassungen (gleichlautend) - den Begriff „ Veranlagungen “ als

Vermögensrechte, über die keine Wertpapiere ausgegeben werden, aus der direkten oder indirekten Investition vom Kapital mehrerer Anleger auf deren gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko oder auf gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko mit dem Emittenten, sofern die Verwaltung des investierten Kapitals nicht durch die Anleger selbst erfolgt. […]

Eine Veranlagung im Sinn dieser Bestimmung setzt eine gesellschafts- oder schuldrechtlich organisierte Risikogemeinschaft voraus, wobei es keinen Unterschied macht, ob diese rechtlich (etwa durch Beteiligung an einer Gesellschaft) oder bloß wirtschaftlich begründet ist (RIS-Justiz RS0127765).

1.2. Eine Nachrangabrede ist ein Rechtsgeschäft, bei dem der Gläubiger seine Forderung in der Liquidation oder im Insolvenzfall erst geltend machen kann, wenn alle nicht nachrangigen Gläubiger voll befriedigt wurden („einfache Nachrangabrede“). Ein qualifiziertes Nachrangdarlehenist dadurch gekennzeichnet, dass der Anleger nicht nur im Fall der Insolvenz nachrangig befriedigt wird, sondern auch dann keine Rückzahlung erhält, wenn sich die Gesellschaft in der Krise befindet. Sie bezweckt, dass die betreffende Verbindlichkeit bei der Prüfung der rechnerischen Überschuldung nicht berücksichtigt werden muss (3 Ob 228/22h mwN). Die qualifizierte Nachrangklausel schränkt daher das Versprechen des Darlehensnehmers auf Zahlung vereinbarter Zinsen und auf Rückzahlung des Kapitals für bestimmte Fälle ein (und höhlt sie damit aus) (RS0131613). Ob der Anleger überhaupt etwas erhält, hängt entscheidend von der wirtschaftlichen Gebarung der Emittentin ab.

1.3. Das Risiko des Totalverlusts, der Umstand, dass dieses Risiko von der wirtschaftlichen Gebarung bzw vom wirtschaftlichen Erfolg der Beklagten abhängt, und die mit fünf Jahren lange Kündigungssperrfrist bei den hier zu beurteilenden qualifizierten Nachrangdarlehen bedeuten eine Vergemeinschaftung der nachrangigen Gläubiger bzw das Vorliegen einer Risikogemeinschaft und damit das Vorliegen von VeranlagungeniSd § 1 Abs 1 Z 3 KMG (4 Ob 47/16i mwN insbesondere aus der Literatur; 6 Ob 97/18k).

2. § 1 Abs 1 Z 1 KMG definiert – für den Abschlusszeitpunkt der Darlehensverträge am 9. März 2015 und am 9. Jänner 2018 gleichlautend – den Begriff „ öffentliches Angebot “ als

eine Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Bedingungen eines Angebots […] von […] Veranlagungen und über […] Veranlagungen enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf […] dieser […] Veranlagungen zu entscheiden. […]

Von einem öffentlichen Angebote iSd KMG ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn es - direkt oder indirekt - an die Allgemeinheit erfolgte, also der intendierte Adressatenkreis prinzipell unbeschränkt war bzw an einen nur nach gewissen abstrakten Kriterien beschränkten Kreis von Adressaten gerichtet wurde und allen Personen, die diese Kriterien erfüllten, Zugang gewährte bzw gewähren sollte (RS0125643). Nach den Feststellungen bot die Beklagte den Abschluss von Nachrangdarlehen öffentlich an.

3.1. § 2 KMG bestimmt unter der Überschrift „ Prospektpflichtiges Angebot “ - für den Zeitpunkt des Abschlusses des (zweiten) Darlehensvertrags vom 9. Jänner 2018 ergänzt um den zweiten Satz des ersten Absatzes - Folgendes:

(1) Ein öffentliches Angebot darf im Inland nur erfolgen, wenn spätestens einen Bankarbeitstag davor ein nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erstellter und gebilligter Prospekt veröffentlicht wurde.

ERGÄNZEND für den zweiten Darlehensvertrag: Dies gilt nicht für öffentliche Angebote, die in den Anwendungsbereich des Alternativfinanzierungsgesetzes – AltFG, BGBl I Nr. 114/2015, fallen.

(2) Bei Veranlagungen ersetzt die Kontrolle gemäß § 8 Abs 2 die Billigung durch die FMA. […]

3.2. § 3 KMG regelt (weitere) Ausnahmen von der Prospektpflicht .

3.3. Bei dem hier vorliegenden Regel-Ausnahme-Verhältnisist es Sache der Beklagten, das Vorliegen einer Ausnahme nach § 3 KMG - hinsichtlich des zweiten Darlehensvertrags vom 9. Jänner 2018 allenfalls auch nach § 2 Abs 1 zweiter Satz KMG idF BGBl I Nr. 149/2017 - in erster Instanz zu behaupten und beweisen (vgl 4 R 47/16i [ErwGr 6.3. mwN]; 6 Ob 97/18k [ErwGr 1.3. mwN]).

3.4.Trotz Erörterung des Erstgerichts [ON 8.4, 3] und trotz des Hinweises des Klägers auf das AltFG [ON 5, 5 und ON 7, 2] behauptete die Beklagte keine Tatsachen, die rechtlich auf eine Ausnahme von der Prospektpflicht nach den zitierten Bestimmungen schließen ließen. Auch in ihrer Berufung vermag sie nicht schlüssig zu argumentieren, warum die genannten höchstgerichtlichen Entscheidungen, die jeweils qualifizierte Nachrangdarlehen zum Gegenstand hatten, für den hier zu beurteilenden Fall nicht einschlägig sein sollen und die ein „Second-Hand-Lebensversicherungsmodell“ betreffende Entscheidung 4 Ob 184/11d der Bejahung der Prospektpflicht im konkreten Fall entgegenstünde.

4.1. Für Verbrauchergeschäfte - wie dem auch hier vorliegenden - bestimmt § 5 KMG in der hier anzuwendenden Fassung (BGBl Nr. 625/1991) Folgendes:

(1) Erfolgt ein prospektpflichtiges Angebot ohne vorherige Veröffentlichung eines Prospekts […], so können Anleger, die Verbraucher im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG sind, von ihrem Angebot oder vom Vertrag zurücktreten.

(4) Das Rücktrittsrecht nach Abs 1 erlischt mit Ablauf einer Woche nach dem Tag, an dem der Prospekt […] veröffentlicht wurden […].

(5) Den Abs 1 bis 4 entgegenstehende Vereinbarungen zum Nachteil von Verbrauchern sind unwirksam.

4.2. Zweck des Rücktrittsrechts nach § 5 KMG ist der Schutz des Anlegers, der Verbraucher ist. Es dient der Absicherung der Erbringung der notwendigen Information für die Kaufentscheidung ihm gegenüber. Damit soll aber indirekt auch die Informations- und Prospektpflicht des Anbieters nach dem KMG gesichert werden (RS0125645 = 2 Ob 32/09h). Solange kein Prospekt veröffentlicht wurde, steht dem Verbraucher-Anleger das jederzeit ige Rücktrittsrecht – und zwar unbefristet– zu (RS0125646).

5.Der Berufung der Beklagten muss aus den angeführten Gründen ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren ist eine Folge dieser Sachentscheidung und gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat der Klägerin die (ohne ERV-Zuschlag, im Übrigen aber richtig) verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

6.Die ordentliche Revision ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen. Die (grundsätzliche) Prospektpflicht von qualifizierten Nachrangdarlehen ist durch die (bereits vom Erstgericht) zitierte höchstgerichtliche Judikatur gesichert. Ausnahmetatbestände brachte die Beklagte nicht vor.