Der Oberste Gerichtshof hat am 12. November 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz-Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi PMM in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Hinteregger in der Maßnahmenvollzugssache des * W*, AZ 189 BE 41/22i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen eine im Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 8. Juli 2025, AZ 18 Bs 174/25g (ON 229), geäußerte Rechtsansicht erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, und des Untergebrachten zu Recht erkannt:
In der Maßnahmenvollzugssache AZ 189 BE 41/22i des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt die in der Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 8. Juli 2025 (ON 229) vertretene Rechtsansicht, dass die Anhörung des Entlassenen zwingend persönlich vor dem zur Entscheidung berufenen Senat zu erfolgen habe, § 180 Abs 2 erster Satz StVG.
Gründe:
[1]In der Maßnahmenvollzugssache des * W*, AZ 189 BE 41/22i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, widerrief das Vollzugsgericht in einem Senat von drei Richtern (§ 162 Abs 3 StVG) mit Beschluss vom 3. Juni 2025 (ON 229 Punkt 1./) – nach zuvor erfolgter Anhörung des Genannten durch ein (einzelnes) Senatsmitglied (ON 227) – die (mit Beschluss vom 20. September 2022 [ON 12] gewährte) bedingte Entlassung aus der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB (idF vor BGBl I 2022/223) gemäß § 54 Abs 1 iVm § 53 Abs 2 StGB.
[2]Der dagegen von W* erhobenen Beschwerde (ON 231) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 8. Juli 2025, AZ 18 Bs 174/25g, dahin Folge, dass es den angefochtenen Beschluss aufhob und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung in Form der „Anhörung“ des bedingt Entlassenen durch das „Erstgericht als Senat von drei Richtern“ auftrug (ON 233). Zur Begründung führte das Beschwerdegericht im Wesentlichen aus, dass die in § 180 Abs 2 StVG normierte Anhörung „durch den gesamten Senat“ erforderlich sei, „damit sich alle an der Entscheidung beteiligten Richter einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen können“ (BS 5).
[3] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzt die in der Begründung dieses Beschlusses vertretene Rechtsansicht, dass die Anhörung des Entlassenen zwingend persönlich vor dem zur Entscheidung berufenen Senat von drei Richtern zu erfolgen habe, das Gesetz:
[4]Vor der Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung hat das Gericht stets in die Akten über das Strafverfahren Einsicht zu nehmen und womöglich den Entlassenen, wenn ein Bewährungshelfer bestellt worden ist, auch diesen zu hören (§ 180 Abs 2 erster Satz StVG).
[5] Diese Anhörungspflicht (vgl zu den sich aus dem Begriff „womöglich“ ergebenden Ausnahmen Pieberin WK² StVG § 180 Rz 16)dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Entlassenen und sichert dessen Recht auf Beteiligung am Widerrufsverfahren. Eine bindende Regelung darüber, auf welche Art und Weise die Anhörung stattzufinden hat, enthält das Gesetz nicht (vgl zum ähnlich gelagerten § 495 StPO Jerabek/Ropper , WK-StPO § 495 Rz 4 und 6; RISJustiz RS0101849, RS0117251). Die Rechtsansicht, dass diese im Fall der Entscheidung des Vollzugsgerichts in einem Senat von drei Richtern (§ 162 Abs 3 StVG) zwingend persönlich vor dem Senat stattzufinden habe, findet somit keine Grundlage in § 180 Abs 2 erster Satz StVG.
[6] In der Sache kam es dem Beschwerdegericht auf die Notwendigkeit des Verschaffens eines persönlichen Eindrucks vom Entlassenen an (BS 5 [ „Zweck einer unmittelbaren persönlichen Vernehmung“]), sodass es die Sachverhaltsklärung als mangelhaft erachtete und demzufolge kassatorisch entschied (§ 89 Abs 2a Z 3 zweiter Fall StPO). Da die Gewährung rechtlichen Gehörs von der Beweisaufnahme zu unterscheiden ist ( Ratz, Glosse zu 11 Os 117/23z, EvBl 2024/139, 441), wurde die verfehlte Auslegung des § 180 Abs 2 erster Satz StVG somit (im Ergebnis) nicht schlagend. Die Generalprokuratur hat daher zu Recht isoliert den Vorgang der in der Begründung der Entscheidung geäußerten Rechtsansicht als gesetzwidrig angefochten (vgl Ratz, Glosse zu 12 Os 38/21m, 39/21h, EvBl 2021/136, 950).
[7] Die Gesetzesverletzung wirkt demnach nicht zum Nachteil des W*, sodass es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat.
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