3Ob163/25d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen F*, geboren * 2010, in Obsorge ihrer Mutter, Mag. G*, vertreten durch die Dr. Anton Ullmann Mag. Manuela Reichl Rechtsanwälte GmbH in Mattighofen, Vater M*, Deutschland, vertreten durch Dr. Wulf Kern, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. August 2025, GZ 48 R 179/25s 81, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 29. April 2025, GZ 20 Pu 22/23a 67, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung eines Sonderbedarfs für die Ausübung des Dressurreitsports im Zeitraum von Jänner bis Mai 2024 von 8.795,86 EUR in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Der Vater hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Nach der Scheidung der Eltern verblieben die 2010 geborene F* und der 2014 geborene C* im Haushalt der Mutter. Der Vater erzielte in der Zeit von Jänner bis September 2024 ein durchschnittliches Einkommen von 4.575 EUR netto pro Monat. Er ist derzeit zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge von 670 EUR für F* und von 570 EUR für C* verpflichtet. Über einen zwischenzeitig gestellten Antrag der Kinder auf Erhöhung der Unterhalt sbeiträge wurde bislang noch nicht entschieden.
[2] F* hat zwei Dressurpferde, mit denen sie im Dressurreitsport aktiv und erfolgreich ist. Sie ist Teil des Talenteteams des Österreichischen Pferdesportv ereins (OEPS) und rangiert in der Dressurrangliste des OEPS auf dem *. Platz. Für 2023 wurde ihr ein Jugendpreis verliehen; 2024 wurde sie in den Dressurkader eines Bundeslandes aufgenommen. Bei einer Landesmeisterschaft 2024 belegte sie den zweiten und bei der Staatsmeisterschaft den dritten Platz. Im Juli 2024 nahm sie an der Europameisterschaft in Belgien in der Katego rie „Children“ teil.
[3] In der Zeit von Jänner bis Mai 2024 hatte sie für die wettkampfmäßige Ausübung des Dressurreitsports insgesamt 30.532,19 EUR an laufenden Kosten zu tragen, darin unter anderem Kosten für Gestüt, Tierarzt und Hufschmied, Startgeld und Reisekosten zu Turnieren. Abzüglich einer Förderun g von 1.440 EUR jährlich ergibt dies Kosten von 5.986,44 EUR pro Monat.
[4] Die Tochter begehrte von ihrem Vater anteiligen Sonderbedarf von 14.810,86 EUR. Bislang habe ihre Mutter die Kosten des von ihr ausgeübten Sports getragen. Die für eine wettkampfmäßige Ausübung des Dressurreitens erforderlichen Ausgaben könne ihre Mutter aber nicht mehr alleine aufbringen, sodass ihr Vater die Hälfte davon zu tragen habe.
[5] Der Vater sprach sich gegen den Antrag aus. Er sei über die sportliche Betätigung seiner Tochter nicht informiert worden und hätte dieser nicht nur wegen der hohen Verletzungsgefahr, sondern auch wegen der enormen Kosten, die in keiner Relation zur Einkommenssituation der Eltern und der erwartbaren Gewinne stünden, nicht zugestimmt.
[6] Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Zahlung eines einmaligen Betrags von 6.015 EUR; das Mehrbegehren wies es rechtskräftig ab. F* verfüge über ein besonderes sportliches Talent im Dressurreitsport, weshalb die dafür notwendigen Ausgaben einen Sonderbedarf begründeten. Bei einem Einkommen von 4.575 EUR monatlich betrage das Unterhaltsexistenzminimum 1.772 EUR, sodass dem Vater ein freier Betrag von 2.803 EUR verbliebe. Ziehe man davon die für F* und C* zu leistenden Unterhaltsbeiträge von 870 EUR und 730 EUR ab, so stünde ihm ein Betrag von 1.203 EUR monatlich zur Verfügu ng, aus dem zusätzliche Bedürfnisse seiner Kinder gedeckt werden könnten. Für die fünf Monate von Jänner bis Mai 2024 ergebe dies 6.015 EUR.
[7] D as Rekursgericht wies den Antrag des Kindes zur Gänze ab. Die Kosten für den von F* ausgeübten Reitsport begründeten zwar einen Sonderbedarf, weil sie über ein besonders förderungswürdiges Talent verfüge. Ein Sonderbedarf müsse vom Vater aber nur getragen werden, wenn ihm dies angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar sei. Das hänge auch davon ab, ob der Aufwand in einer intakten Familie gemacht worden wäre. Auch wenn im vorliegenden Fall keine angespannte finanziellen Verhältnisse vorlägen, sei zu berücksichtigen, dass die Sportausübung von F* über Jahre nicht bloß mit hohen, sondern mit außergewöhnlich hohen Kosten verbunden sei. Dies umso mehr, als die tatsächlichen Kosten sogar noch höher seien, weil in den geltend gemachten Kosten etwa die Anschaffungskosten der für Turnierteilnahmen notwendigen zwe i Pferde gar nicht enthalten seien. Es sei dem Vater daher nicht zumutbar, sich jahrelang mit dem Unterhaltsexistenzminimum zu begnügen, um seiner Tochter die weder dringende noch existenzielle Ausübung des wettkampfmäßigen Dressurreitsports zu ermöglichen.
[8] Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil in der Rechtsprechung noch nicht geklärt sei, ob der Sonderbedarf für die Förderung eines besonderen Talents auf den dadurch verursachten Mehraufwand beschränkt sei oder sämtliche, also auch die Kosten einer normalen Sportausübung in diesem Bereich erfasse.
[9] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts angestrebt wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] In seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Vater, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[12] 1.1. Der hier geltend gemachte Sonderbedarf ist jener Mehrbedarf eines unterhaltsberechtigten Kindes, der sich aus der Berücksichtigung der beim Regelbedarf bewusst außer Acht gelassenen Umstände des Einzelfalls ergibt ( RS0117791 ; RS0047564 ). Sonderbedarf wird durch die Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt ( RS0047539 ) und unter anderem dann anerkannt, wenn der Unterhaltsberechtigte über eine besondere Begabung verfügt, die im Hinblick auf eine berufliche Karriere gefördert werden soll (RS0107180; 7 Ob 40/25w Rz 6). Dies wird etwa auch im Fall eines besondere n sportlichen Talents bejaht, wenn der Unterhaltsberechtigte in den Kader eines Sportverbands aufgenommen wurde und bereits zahlreiche Wettbewerbe gewonnen hat (4 Ob 242/16s). Bei der Beurteilung, ob überhaupt ein Sonderbedarf vorliegt, sind die konkreten Lebensverhältnisse der Eltern zunächst nicht zu berücksichtigen (RS0109908 [T18]; RS0047531 [T8]).
[13] 1.2. Dass F* über ein in diesem Sinn föderungswürdiges sportliches Talent verfügt, ist im Revisionsrekursverfahren nicht mehr strittig.
[14] 2.1. Von der grundsätzlichen Qualifikation eines Aufwands als Sonderbedarf ist die Frage zu unterscheiden, ob dieser vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil auch zu decken ist. Dies hängt zunächst davon ab, wodurch der Sonderbedarf verursacht wurde ( RS0047560 ; RS0047543 ). Umso dringender oder existenzieller ein Sonderbedarf ist, desto eher ist der Unterhaltspflichtige damit zu belasten ( RS0107181 ). Zu berücksichtigen ist zudem, ob diesem die Deckung des Sonderbedarfs angesichts seiner Einkommen s- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist ( RS0107179 ; RS0109907 ).
[15] 2.2. Der Anspruch auf Sonderbedarf ist daher mit der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten begrenzt, dem ein zur angemessenen Lebensführung ausreichendes Einkommen verbleiben muss ( RS0047543 ; RS0047544 ; RS0109907 ). Als Richtsatz für die Belastungsgrenze des Unterhaltsschuldners orientiert sich die ständige Rechtsprechung am Unterhaltsexistenzminimum des § 291b EO, ohne dass dieses jedoch eine in jedem Fall gültige starre Untergrenze bildet ( RS0013458 [T2]; 8 Ob 16/19i Pkt 4.) . Vielmehr ist eine für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten nach den gegebenen Umständen tragbare Regelung zu treffen ( 9 Ob 70/19p Pkt 4.3.; 2 Ob 82/12s Pkt 5.; vgl RS0047455 [T4]; RS0013458 [T3]).
[16] 2.3. Bei Beurteilung der Zumutbarkeit ist nach ständiger Rechtsprechung auch darauf abzustellen, ob die Aufwendungen für den begehrten Sonderbedarf auch in einer intakten Familie unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögenssituation der gesamten Familie unter objektiven Gesichtspunkten in Betracht gezoge n würden (6 Ob 89/17g Pkt 2. ; RS0107182 ; RS0109907 [T1]).
[17] 3.1. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist dem Rekursgericht zwar darin zuzustimmen, dass sich eine intakte Familie in der Regel eher einschränken würde, wenn existenziell notwendige Kosten wie medizinisc he Behandlungen oder besondere Bedürfnisse eines Familienmitglieds aufgrund psychischer oder physischer Einschränkungen zu decken sind (v gl 4 Ob 242/16s Pkt 3.3.), wohingegen a uch verhältnismäßig gut situierte Eltern ihren Fokus nicht auf eine mehrjährige und kostenintensive Förderung selbst eines herausragenden sportlichen Talents legen würden, wenn es die finanziellen Mittel schlicht nicht erlauben.
[18] 3.2. Im Anlassfall ist mit Rücksicht auf das Vorbringen des Kindes davon auszugehen, dass es auf die Einkommens- und Vermögenssituation der gesamten Familie ankommt und die Mutter in der Lage und auch bereit ist, zur Deckung des Sonderbedarfs des Kindes beizutragen (vgl dazu RS0047553 ).
[19] Wird der Sonderbedarf aber teilweise anderweitig – hier etwa durch Förderungen und auch durch freiwillige Leistungen des betreuenden Elternteils – gedeckt, so kann sich der unterhaltspflichtige Elternteil nicht mehr uneingeschränkt darauf berufen, es fehle eine einvernehmliche Entscheidung über die Sportausübung und der daraus resultierende Sonderbedarf übersteige seine Leistungsfähigkeit. In diesem Fall kommt es vielmehr darauf an, ob der Sonderbedarf durch den dem Unterhaltspflichtigen zumutbare n und den von dritter Seite beigesteuerten Beitrag insgesamt gedeckt werden kann. Insofern ist d iese Situation daher nicht anders zu sehen als bei vergleichbaren freiwilligen Leistungen Dritter (vgl dazu Schwimann/Kolmasch Unterhaltsrecht 10 133 f), weil es für den Vater keinen Unterschied macht, wer sonst zur Deckung des Sonderbedarfs beiträgt. Ist dies die betreuende Mutter, so entspricht diese Situation auch dem unter objektiven Gesichtspunkten zu erwartenden Vorgehen einer intakten Familie, in der beide Elternteile ein Einkommen erzielen (vgl Gitschthaler , Unterhaltsrecht 5 Rz 653) und die Deckung des Sonderbedarfs durch Beiträge beider Eltern insofern leistbar ist, als dadurch das Fortkommen der Familie nicht beeinträchtigt wird.
[20] 3.3. In der vorliegenden Situation ist demnach nicht nur auf das Einkommen des Vaters und die diesem zumutbare Mehrbelastung von monatlich 1.203 EUR abzustellen. Vielmehr ist zudem entscheidend, ob die Ausübung des wettkampfmäßigen Dressurreitsports durch die dem Vater zumutbaren sowie die gesicherten freiwilligen Beiträge der Mutter und gegebenenfalls durch Dritte finanziert werden kann, ohne dass dadurch die existenziellen Bedürfnisse der Familie eingeschränkt werden. Dabei ist von den festgestellten Kosten von 5.986,44 EUR pro Monat auszugehen, weil das Kind diesen Betrag (auch nach dem Vorbringen im Revisionsrekurs) für die Ausübung seines Dressurreitsports als Sonderbedarf benötigt. Die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage stellt sich daher nicht.
[21] Angemerkt wird, dass die Entscheidung zu 4 Ob 242/16s für den Anlassfall nicht einschlägig ist, weil dem dort Unterhaltspflichtigen nach Abzug des Regelbedarfs nur ein Einkommen um das Unterhaltsexistenzminimum verblieb und ihm schon deshalb eine auch nur teilweise Deckung des Sonderbedarfs nicht zumutbar war.
[22] 4.1. Zusammenfassend lässt der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt eine abschließende Beurteilung dahin, ob dem Vater die teilweise Deckung des Sonderbedarfs seiner Tochter für die Ausübung des wettkampfmäßigen Dressurreitsports zumutbar ist und derartige Leistungen in einer intakten Familie erwartbar sind, noch nicht zu. Dazu sind vielmehr ergänzende Feststellungen zur Einkommens- und Vermögenssituation der gesamten Familie, insbesondere zu den von der Mutter dauerhaft leistbaren Beiträgen, sowie gegebenenfalls zur gesicherten Leistungen Dritter erforderlich. Dass das Kind bisher kein Vorbringen dazu erstattet hat (vgl RS0111406; RS0109908 [T8]), schadet nicht, weil keine Erörterung stattgefunden hat.
[23] 4.2. Im fortgesetzten Verfahren wird F* zur Ergänzung ihres Vorbringens anzuleiten und in der Folge der Sachverhalt im aufgezeigten Sinn zu verbreitern sowie erneut über das verbliebene Begehren zu entscheiden sein. Alle anderen Streitpunkte sind abschließend erledigt.
[24] 5. Ein Kostenersatz findet im Verfahren über Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes nicht statt (§ 101 Abs 2 AußStrG).