JudikaturOGH

5Ob109/25b – OGH Entscheidung

Entscheidung
Immobilienrecht
05. August 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in den verbundenen wohnrechtlichen Außerstreitsachen der Antragstellerin I* KG, FN *, vertreten durch Dr. Manfred Palkovits, Mag. Martin Sohm, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin S. * Gesellschaft mbHCo KG, FN *, vertreten durch die ENGINDENIZ Rechtsanwälte für Immobilienrecht GmbH in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 6 iVm § 9 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Mai 2025, GZ 40 R 196/24f 49, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin ist Mieterin von Räumlichkeiten auf der im Alleineigentum der Antragsgegnerin stehenden Liegenschaft und betreibt dort eine Kfz Werkstätte. Mitvermietet sind näher bezeichnete, auf der Hoffläche der Liegenschaft gelegene Kfz Abstellflächen. Im Oktober 2021 ließ die Antragstellerin im Bereich der Außenwand der Werkstatt im Hofbereich zwei Ladestationen für Elektroautos („Wallboxen“) montieren ohne eine Zustimmung der Antragsgegnerin da zu einzuholen.

[2] Das Erstgericht wies den Antrag, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die von der Antragstellerin angebrachten Elektro Ladestationen samt Verkabelung und Verbindung mit dem Mietobjekt der Antragstellerin zu dulden, mangels Verkehrsüblichkeit ab.

[3] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR nicht übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5]1. Voraussetzung für die Genehmigung der hier von der Mieterin bereits durchgeführten wesentlichen Veränderung ist unter anderem, dass diese der Übung des Verkehrs entspricht und einem wichtigen Interesse des Hauptmieters dient (§ 9 Abs 1 Z 2 MRG). Die Behauptungs-und Beweislast dafür, dass beide Voraussetzungen kumulativ vorhanden sind, trifft den Mieter (RS0069551 [T2]; RS0069662 [T1]; RS0069695 [T5]; RS0069725 [T1]). (Nur) Bei den nach § 9 Abs 2 Z 1 bis 5 MRG privilegierten Arbeiten wird das Vorliegen dieser Voraussetzungen unwiderlegbar vermutet (5 Ob 245/18t).

[6] 2. Die Antragstellerin verweist auf die durch die WEGNovelle 2022 geänderte Fassung des § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002, um eine Privilegierung (auch) der von ihr vorgenommenen Änderung nach § 9 Abs 2 zu argumentieren, kann aber keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzeigen. In der Entscheidung 5 Ob 173/19f (Rz 1.4) hat der Fachsenat (noch vor Inkrafttreten der WEG Novelle 2022 BGBl I Nr 222/2021) ausgesprochen, dass aus logischsystematischer Sicht der Katalog in § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002 mit dem der privilegierten Mieterinvestitionen in § 9 Abs 2 Z 1, 4 und 5 MRG zwar vergleichbar ist, sodass Judikatur zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann, dies allerdings mit der Maßgabe, dass die Rechtsstellung des dinglich berechtigten Wohnungseigentümers in Bezug auf derartige Veränderungen gegenüber den bloß schuldrechtlich berechtigten Mietern verbessert werden sollte. Die Materialien zur WEG Novelle 2022 (ErlRV 1174 Blg 27. GP 2 f) nehmen auf diese Entscheidung ausdrücklich Bezug und begründen damit die mit der WEGNovelle 2022 neu getroffene Regelung für Langsamladevorrichtungen, bei der die generellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme allgemeiner Teile in Form der Verkehrsüblichkeit und des wichtigen Interesses nicht mehr geprüft werden müssen, weil sie durch die Privilegierung unwiderlegbar vermutet würden. Dass der Gesetzgeber es übersehen hätte, anlässlich dieser Novelle § 9 Abs 2 MRG zu ändern, ist auszuschließen, sodass es schon an der für den Analogieschluss jedenfalls notwendigen planwidrigen Gesetzeslücke (vgl RS0098756) mangelt. Weshalb eine planwidrige Unvollständigkeit des § 9 Abs 2 MRG vorliegen sollte, führt die Antragstellerin in ihrem Revisionsrekurs auch nicht aus, wenn sie im Rahmen einer angeblich gebotenen „dynamischen Auslegungdes § 9 MRG“ lediglich auf dem Mieter zuzuerkennende Weiterentwicklungen in technischer, kommunikationstechnologischer, ökologischer und komfortmäßiger Hinsicht verweist. Sie behauptet auch gar nicht, dass es sich bei den von ihr angebrachten Vorrichtungen um Stationen zum Langsamladen handelt.

[7]3. Gegenstand der Prüfung der Duldungspflicht des Vermieters ist immer die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten (hier: bereits durchgeführten) Ausgestaltung (RS0113606 [T1]; RS0069695 [T6]). Ob die Voraussetzungen für die Duldungspflicht des Vermieters gegeben sind, hängt somit von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf (RS0113606). Nur im Fall einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hätte der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen (5 Ob 245/18t mwN). Dies ist hier nicht der Fall.

[8]4. Zur Voraussetzung der „Übung des Verkehrs“ liegt umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Danach ist auf objektive Umstände abzustellen (RS0069695 [T1]). Diese objektiven Umstände sind vom behauptungsund beweispflichtigen Mieter durch konkrete Tatsachen darzulegen, wenn sich die Verkehrsüblichkeit nicht aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergibt (5 Ob 245/18t mwN). Bei der Beurteilung der Verkehrsüblichkeit im Sinn des § 9 Abs 1 Z 2 MRG kommt es nicht auf die Verkehrsüblichkeit der vom Mieter mit seinen Veränderungsbegehren angestrebten Ausstattung des Mietgegenstands im Allgemeinen an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung als solche verkehrsüblich ist (5 Ob 245/18t [Klimagerät]; 5 Ob 100/18v [Einbau zweites Badezimmer]; 5 Ob 167/10k [Klimaanlage im Keller]).

[9] 5. Die Vorinstanzen gingen von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen aus, das Rekursgericht hat den dadurch vorgegebenen Rahmen bei der Beurteilung des Einzelfalls nicht überschritten. Dass sich die Verkehrsüblichkeit der Montage zweier Wallboxen an der Außenwand eines gemieteten Werkstattgebäudes nicht aus allgemeiner Lebenserfahrung ergibt, sodass die Voraussetzung der Verkehrsüblichkeit von der Antragstellerin zu behaupten und beweisen war, ist keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Die Stellungnahme der Wirtschaftskammer Österreich mag wie das Sachverständigengutachten nachweisen können, dass die Montage von Elektroladegeräten für Autowerkstätten von essenzieller Bedeutung ist (und daher – wie von den Vorinstanzen übereinstimmend angenommen – einem wichtigen Interesse der Antragstellerin dient); daraus ist aber nicht abzuleiten, schon nach allgemeiner Lebenserfahrung sei die Montage derartiger Wallboxen in ihrer konkreten Ausgestaltung allgemein verkehrsüblich. Damit hat das Rekursgericht den ihm eingeräumten Ermessensspielraum auch nicht überschritten. Dass es in der (Zurückweisungs)Entscheidung zu 5 Ob 330/99m als nicht korrekturbedürftig angesehen wurde, die Errichtung eines Personenaufzugs im Inneren einer Geschäftsräumlichkeit in bester Wiener Innenstadtlage nach allgemeiner Erfahrung als verkehrsüblich anzusehen, spricht nicht gegen die von den Vorinstanzen angenommene grundsätzliche Behauptungs und Beweislast der Antragstellerin.

[10]6. Ergibt sich die Verkehrsüblichkeit – wie hier – nicht schon aus der allgemeinen Lebenserfahrung, ist nach der Rechtsprechung darauf abzustellen, ob die konkrete Änderung unter Berücksichtigung der bestimmten Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines Umfelds als üblich anzusehen ist. Zu berücksichtigen sind neben der Beschaffenheit des Hauses auch das Umfeld, das Ausmaß des Eingriffs in die Bausubstanz und das Ausmaß der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile (5 Ob 112/24t; RS0126244 [T2, T3]). In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird unter dem maßgeblichen Umfeld in der Regel die „Gegend“ oder die „nächste“ oder „unmittelbare“ Umgebung verstanden (5 Ob 169/18s; 5 Ob 112/24t je mwN). Von einer Verkehrsüblichkeit ist dabei (nur) dann auszugehen, wenn in der so verstandenen Umgebung zumindest bei einem großen Teil der vergleichbaren Objekte vergleichbare Maßnahmen durchgeführt wurden (5 Ob 112/24t mwN). Die Beurteilung der Vorinstanzen, der Nachweis der Verkehrsüblichkeit im Sinne dieser Rechtsprechung sei der Antragstellerin hier nicht gelungen, ist nicht korrekturbedürftig.

[11] 7. Nach den Feststellungen wurden die Wallboxen an der Außenwand der Werkstatt im Hofbereich der Liegenschaft montiert. Warum die Außenwand der Werkstatt Bestandteil des Mietobjekts sein soll – wie die Antragstellerin behauptet – ist nach den Feststellungen nicht nachvollziehbar, weil ja nur gewisse Abstellplätze im Hofbereich Bestandteil des Bestandobjekts sind. Selbst wenn man aber mit der Antragstellerin davon ausgeht, die Inanspruchnahme allgemeiner Teile sei durch die Montage nur in geringem Umfang erfolgt, gibt es nach den Feststellungen im Umkreis von einem Kilometer von der Liegenschaft zwar vier öffentliche E Ladestationen, während nicht festgestellt werden konnte, dass es in Altbauten in der näheren Umgebung der Liegenschaft in Hofbereichen private E Ladestationen gäbe. Hinsichtlich „halböffentlicher“ Ladestationen stellte das Erstgericht nur solche eines Gewerbebetriebs im 5. und auf einer Liegenschaft im 4. Wiener Gemeindebezirk fest. Abgesehen davon, dass es sich dabei um relativ weit entfernte „halböffentliche“ Ladestationen handelt, die nach der vertretbaren Auffassung der Vorinstanzen nicht mehr in der näheren Umgebung zu finden sind, würden (nur) zwei derartige Ladestationen in Hofbereichen von Liegenschaften nach der im Einzelfall nicht korrekturbedürftigen Auffassung der Vorinstanzen noch keine Verkehrsüblichkeit im Sinn der dargestellten Rechtsprechung begründen.

[12]8. Dass die Änderungen einem wichtigen Interesse der Antragstellerin im Sinn des § 9 Abs 2 Z 1 MRG dienen würden, ist letztlich nicht mehr relevant, weil § 9 Abs 2 Z 1 MRG kumulativ die Voraussetzungen des wichtigen Interesses und der Verkehrsüblichkeit verlangt, die Antragstellerin aber den Beweis der Verkehrsüblichkeit der von ihr vorgenommenen Änderung nicht erbringen konnte.

[13] 9. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).