3Ob36/25b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei O* L*, Belarus, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die verpflichtete Partei R* Handelsgesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Michael Komuczky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 145.003,68 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 25. Oktober 2024, GZ 4 R 101/24p 12, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß
§ 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht erklärte die zwischen den Parteien ergangene Entscheidung des Internationalen Schiedsgerichts bei der Belarussischen Industrie und Handelskammer vom 3. Februar 2003 für Österreich für vollstreckbar und bewilligte der Betreibenden (einem belarussischen Staatsunternehmen) gegen die Verpflichtete zur Hereinbringung der titulierten Forderung von (umgerechnet) 145.003,68 EUR sA die Fahrnis und Forderungsexekution. Der vom Schiedsgericht (ohne zusätzliche Verzugszinsen) zugesprochene Kapitalbetrag von 155.474,92 USD setzt sich zusammen aus der „Hauptforderung“ (aushaftendem restlichen Kaufpreis für gelieferte Waren) von 77.737,46 USD und einer „Geldbuße für den Zahlungsverzug“ in identer Höhe.
[2] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[3] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es der Verpflichteten nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
[4] 1. Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche erfolgt gemäß § 614 Abs 1 Satz 1 ZPO nach den Bestimmungen der EO, soweit nicht nach Völkerrecht oder in Rechtsakten der Europäischen Union anderes bestimmt ist. Eine entsprechende Subsidiaritätsklausel enthält auch § 416 Abs 1 EO, weshalb zwischenstaatlichen Vereinbarungen der Vorrang zukommt. Hier kommt (unstrittig) das New Yorker UN Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958, BGBl 1961/200 (NYÜ) zur Anwendung, zu dessen Mitgliedstaaten auch Weißrussland und Österreich zählen (3 Ob 2/21x).
[5] 2. Die behauptete Nichtigkeit der Rekursentscheidung iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (iVm § 78 EO), die darin liegen soll, dass die angefochtene Entscheidung wegen des Übergehens von Teilen des Rekursvorbringens unüberprüfbar sei, liegt nicht vor.
[6] 3.1. Der Versagungsgrund des Art V Abs 1 lit b NYÜ liegt vor, wenn die Partei, gegen die der Schiedsspruch geltend gemacht wird, von der Bestellung des Schiedsrichters oder von dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden ist oder wenn sie aus einem anderen Grund ihre Angriffs oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte.
[7] Diese Bestimmung fordert lediglich, dass den Parteien Gelegenheit gegeben werden muss, ihren Standpunkt zu vertreten. Wenn sie jedoch von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch machen, etwa der Schiedsverhandlung mit der bloßen Behauptung fernbleiben, sie bzw ihre Mitarbeiter seien „verhindert“, kommt es dadurch zu keiner Verletzung der Bestimmung (3 Ob 122/10b).
[8] 3.2. Das Schiedsgericht hat dem Ersuchen der Verpflichteten um Vertagung der Verhandlung vom 23. September 2002, weil ihr Vertreter kein Visum erhalten habe, ohnehin stattgegeben. Entgegen der Ansicht der Verpflichteten hat sie in ihrem Telefax vom 15. November 2002 gerade nicht vorgebracht, dass ihr Vertreter erneut kein Visum für die Anreise zur Verhandlung vom 18. November 2002 erhalten hätte; vielmehr führte die Verpflichtete darin insoweit nur aus: „Wir danken Ihnen für die Einladung, können dieses Mal die Reise aber nicht unternehmen, anstatt dessen schicken wir Ihnen zusammen mit diesem Schreiben die notwendigen Unterlagen und die Korrespondenz.“
[9] 3.3. Ausgehend davon hat das Rekursgericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Verpflichteten durch die Entscheidung des Schiedsgerichts, die Verhandlung in Abwesenheit der Verpflichteten durchzuführen, diese also entgegen dem aus dem Telefax vom 15. November 2002 erkennbaren Wunsch der Verpflichteten nicht neuerlich zu vertagen, vertretbar verneint.
[10] 3.4. Gleiches gilt für den von der Verpflichteten gerügten Umstand, dass das Schiedsgericht die in ihrem Telefax vom 15. November 2002 genannten Zeugen nicht einvernommen und die von ihr vorgelegten Unterlagen zur behaupteten Schlechtlieferung durch die Betreibende seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt habe. Eine (angebliche) Mangelhaftigkeit des Schiedsspruchs, weil das Schiedsgericht Beweisanträge übergeht oder den Sachverhalt unvollständig ermittelt, ist der Verweigerung des rechtlichen Gehörs nicht gleichzuhalten (3 Ob 35/05a; 3 Ob 1091/91; RS0045092).
[11] 4.1. Der Versagungsgrund des Art V Abs 2 lit b NYÜ liegt vor, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats widerspräche. Die Verpflichtete behauptet einen Verstoß des Schiedsspruchs sowohl gegen den verfahrensrechtlichen als auch gegen den materiell rechtlichen österreichischen ordre public.
[12] 4.2. Die Prüfung der Versagungsgründe darf nicht auf eine Überprüfung des ausländischen Titels in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht hinauslaufen (Verbot der révision au fond), sondern sich nur darauf beziehen, ob die Annahmen des Schiedsgerichts in seinem Schiedsspruch einen Verstoß gegen den ordre public des Vollstreckungsstaats begründen. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Anerkennungs oder Exequaturgerichts, die inhaltliche Richtigkeit des Schiedsspruchs zu überprüfen. Zulässig und notwendig ist somit eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung nur im Rahmen der Vorbehaltsklausel des ordre public, ohne dass das Gericht des Vollstreckungsstaats zu überprüfen hätte, wie der Streitfall richtig zu entscheiden gewesen wäre. Bei dieser Vorbehaltsklausel handelt es sich um eine Ausnahmeregel, von der nur sparsamster Gebrauch gemacht werden darf, um den internationalen Entscheidungseinklang nicht unverhältnismäßig zu stören. Nicht ausreichend ist es, dass das Recht oder Rechtsverhältnis selbst dem ordre public widerspricht, vielmehr muss auch die Durchsetzung für die inländische Rechtsordnung untragbar sein (3 Ob 10/17t mwN).
[13] 4.3. Ob Verfahrensfehler des Schiedsgerichts für sich allein bzw in ihrer Gesamtheit gegen den verfahrensrechtlichen österreichischen ordre public verstoßen, kann stets nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dass das Rekursgericht einen durch die von der Verpflichteten geltend gemachten Verfahrensfehler des Schiedsgerichts bewirkten Verstoß des Schiedsspruchs gegen den verfahrensrechtlichen ordre public verneinte, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
[14] 4.4. Es trifft zu, dass die in einem ausländischen Schiedsspruch zuerkannte effektive Jahresverzinsung von 107,35 % (ausgehend von einem Zinssatz von 0,2 % täglich in Verbindung mit einer täglichen Kapitalisierung) als gegen den (materiell rechtlichen) österreichischen ordre public verstoßend erachtet wurde, und zwar mit der Begründung, dass diese Verzugszinsen bereits im ersten Jahr das begehrte Kapital überstiegen, was tragende Grundwertungen des österreichischen Schuldrechts (§ 1335 ABGB; Verbot des ultra alterum tantum ) verletze (3 Ob 221/04b). Die von der Verpflichteten relevierte Frage, ob dies auch für Verzugszinsen von 100 % gelte, stellt sich hier allerdings nicht. Das Schiedsgericht hat der Betreibenden nämlich keine bloßen Verzugszinsen zugesprochen, sondern – auf Basis der Zusatzvereinbarung der Parteien vom 12. September 2000 – eine (Konventional )Strafe für den (im Schiedsspruch bejahten) Fall des Zahlungsverzugs von mehr als 60 Tagen im Ausmaß von 2 % des überfälligen Betrags pro Verzugstag, und zwar gedeckelt mit dem geschuldeten Betrag, also 100 %. Die Durchsetzung dieser von einer Unternehmerin privatautonom eingegangenen Verpflichtung widerspricht nicht dem österreichischen ordre public, weshalb die Beurteilung des Rekursgerichts, dass auch der Versagungsgrund des Art V Abs 2 lit b NYÜ nicht verwirklicht ist, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung begründet.