JudikaturJustizDs2/15

Ds2/15 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Januar 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 8. Jänner 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden und die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Schroll sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Bydlinski und Dr. Jensik als weitere Richter in der Disziplinarsache gegen die Richterin des Bezirksgerichts ***** über die Beschwerde des Disziplinaranwalts gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 26. August 2015, GZ Ds 7/14 39, nach Anhörung des Generalprokurators gemäß § 60 Abs 1 OGH Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem genannten Beschluss wurde soweit von der Anfechtung umfasst der Antrag der Oberstaatsanwaltschaft Linz vom 20. Juli 2015 auf Suspendierung der Richterin des Bezirksgerichts ***** ***** vom Dienst abgewiesen (B./III./).

Unter einem leitete das Disziplinargericht gegen die Genannte gemäß § 123 Abs 1 RStDG die Disziplinaruntersuchung ein (B./I./), dies wegen des Verdachts, sie habe

1./ entgegen der Pflicht nach § 57 Abs 1 RStDG, die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten, in dem von ihr zum AZ 6 A 606/13b des Bezirksgerichts ***** geführten Verlassenschaftsverfahren in der mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2015 die Verfahrensbeteiligte W***** P*****, nachdem die Genannte zu Beginn der Verhandlung leise etwas zu ihrem Rechtsvertreter gesagt hatte, mit den Worten „Frau P***** sind Sie ruhig oder ich werfe sie aus dem Gerichtsaal“ angeschrien und damit gegen das Gebot nach § 52 Abs 3 Geo, notwendige Zurechtweisungen ohne Heftigkeit und unter Vermeidung jeder verletzenden Äußerung zu erteilen, verstoßen;

2./ entgegen § 57 Abs 1 RStDG, die Pflichten des Amts unparteiisch zu erledigen, und entgegen § 57 Abs 3 RStDG, sich im Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege und das Ansehen des Berufsstandes nicht gefährdet wird, in dem zu 1./ genannten Verfahren versucht, den Rechtsvertreter von W***** P*****, Rechtsanwalt Dr. Thomas G*****, bei einem mit diesem zwischen 8. und 24. Juni 2015 geführten Telefonat zur Zurücknahme eines von P***** persönlich gestellten Ablehnungsantrags zu bewegen, indem sie für diesen Fall ankündigte, den zum Nachlass gehörenden geschlossenen Hof im Sinn des Rechtsstandpunkts der Ablehnungswerberin wie eine Bauliegenschaft und nicht nur als landwirtschaftliche Liegenschaft zu bewerten.

Gemäß § 144 Abs 1 RStDG wurde das Disziplinarverfahren bis zum Abschluss des gegen die Beschuldigte (im Zusammenhang mit der zu B./I./2./ angeführten Äußerung) wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB bei der Staatsanwaltschaft ***** anhängigen Strafverfahrens unterbrochen (B./II./).

In Ansehung des weiteren Vorwurfs, sie habe entgegen der Pflicht nach § 57 Abs 1 RStDG, die ihr übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, in dem von ihr zum AZ 2 U 1/13b (nunmehr AZ 7 U 137/14s) des Bezirksgerichts ***** geführten Verfahren ihre Ausgeschlossenheit zur Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 13. November 2013 auf Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens erst am 5. Juni 2014 angezeigt und dadurch eine zumindest sechsmonatige Verfahrensverzögerung bewirkt, wurde die Disziplinarsache gemäß § 123 Abs 4 RStDG zur mündlichen Verhandlung verwiesen (C./).

Bezüglich weiterer Vorwürfe betreffend Verzögerungen in den Verfahren AZ 6 A 29/13z und 6 A 606/13b des Bezirksgerichts ***** (Verfahrensstillstände von rund vier und rund acht Monaten; Anzeige ON 14) wurden im Rahmen des gegenständlichen Disziplinarverfahrens (bisher lediglich) Vorerhebungen (§ 122 RStDG) durchgeführt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Ablehnung der Suspendierung richtet sich die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft Linz; sie schlägt fehl.

Das Oberlandesgericht begründete die Antragsabweisung sinngemäß damit, dass kein hinreichender Verdacht zu B./I./2./ vorliege.

Gemäß § 146 Abs 1 RStDG kann das Disziplinargericht ohne mündliche Verhandlung die Suspendierung des Beschuldigten vom Dienst verfügen, wenn dies mit Rücksicht auf die Natur oder Schwere der ihm zur Last gelegten Pflichtverletzung im dienstlichen Interesse liegt oder zur Wahrung des Standesansehens erforderlich erscheint. Bei der Entscheidung darüber handelt es sich um eine solche im Verdachtsbereich. Was die in Natur und Schwere von Pflichtverletzung bestehende Bedingung anlangt, genügt einfacher Tatverdacht (vgl RIS Justiz RS0072834, RS0072820). Ob er vorliegt, ist vom Beschwerdegericht eigenständig zu beurteilen.

Vorliegend gründet sich der Vorwurf von Pflichtverletzung zu B./I./2./ auf die im Amtsvermerk der Vorsteherin des Bezirksgerichts ***** vom 26. Juni 2015 festgehaltenen Angaben einer Zeugin vom Hörensagen, die ihre Behauptungen in der Folge am 22. Oktober 2015 im gegen die Beschuldigte geführten Strafverfahren deutlich abschwächte, während Rechtsanwalt Dr. G***** von seinem Recht auf Aussageverweigerung (§ 157 Abs 1 Z 2 StPO) Gebrauch machte (ON 13 S 10 ff und ON 12 im Verfahren AZ 12 St 203/15 der Staatsanwaltschaft *****). Die Beschuldigte wiederum stellte den Inhalt des Telefonats in einem Sinn dar, der keine Vorwürfe begründen würde (ON 31 S 7), und auch das von der Beschwerde ins Treffen geführte E Mail P*****s an ihren Rechtsvertreter vom 24. Juni 2015 (ON 24 S 19) gibt keinen Aufschluss über den Wortlaut der Äußerungen der Beschuldigten, sodass ein die Suspendierung tragender Tatverdacht auch aus der Sicht des Obersten Gerichtshofs nicht vorliegt.

Werden einem Beschuldigten mehrere Verfehlungen zur Last gelegt, so sind diese bei der Entscheidung über die Suspendierung nicht nur einzeln, sondern in ihrem Zusammenhang zu berücksichtigen. Danach ist zu beurteilen, ob sie (insgesamt) das in § 146 RStDG für maßgeblich erachtete Gewicht haben ( Fellner/Nogratnig RStDG GOG 4 § 146 Anm 10 mwN).

An sich zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass sich das Disziplinargericht bei der Prüfung der Suspendierung mit den weiteren gegen die Beschuldigte erhobenen Vorwürfen nicht auseinandergesetzt hat.

Zum Vorwurf von Verzögerungen in den Verfahren AZ 6 A 29/13z und 6 A 606/13b, jeweils des Bezirksgerichts *****, hat das Disziplinargericht bisher zwar weder die Disziplinaruntersuchung eingeleitet, noch die Sache zur mündlichen Verhandlung verwiesen (§ 123 Abs 1 und Abs 4 RStDG). Eine Suspendierung nach § 146 Abs 1 RStDG ist aber unabhängig von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens (§ 123 Abs 6 RStDG), was bereits daraus erhellt, dass § 123 Abs 1 und Abs 4 RStDG eine vorangegangene Vernehmung des Beschuldigten durch das Disziplinargericht erfordern, während das Provisorialverfahren nach § 146 RStDG zur Wahrung des rechtlichen Gehörs eine formlose Äußerungsmöglichkeit gegenüber dem die Dienstaufsicht führenden Vorgesetzten genügen lässt (RIS Justiz RS0072840).

Auch unter Berücksichtigung der schriftlichen „Rechtfertigung“ der Beschuldigten vom 5. August 2015 (Beilage ./B zu ON 31 S 1 ff) ist in diesen Verfahren ein hinreichender Verdacht jeweils mehrmonatiger Verfahrensverzögerungen zu bejahen.

Dies gilt auch für den Verdacht des unter B./I./1./ des Einleitungsbeschlusses angeführten Verstoßes gegen § 52 Abs 3 Geo und jenen einer (sechsmonatigen) Verzögerung im Verfahren AZ 2 U 1/13b des Bezirksgerichts *****.

Maßstab für eine Prüfung nach § 146 Abs 1 RStDG, ob eine Suspendierung im dienstlichen Interesse liegt oder zur Wahrung des Standesansehens erforderlich erscheint, ist ausschließlich die „Natur oder Schwere“ der zur Last gelegten Pflichtverletzung. Disziplinarrechtliche Vorbelastungen hingegen spielen der Beschwerde zuwider -in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Der Verdacht der drei Verfahrensverzögerungen und des beschriebenen § 53 Abs 2 Geo zuwider laufenden Verhaltens rechtfertigt aus Sicht des Obersten Gerichtshofs auch in der Gesamtschau weder aufgrund der Natur noch der Schwere der zur Last gelegten Pflichtverletzungen die von der Beschwerde begehrte Suspendierung, sodass in Einklang mit der Stellungnahme des Generalprokurators dem Rechtsmittel des Disziplinaranwalts ein Erfolg zu versagen war.

Rechtssätze
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