JudikaturJustizBsw21522/93

Bsw21522/93 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 1997

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Georgiadis gegen Griechenland, Urteil vom 29.5.1997, Bsw. 21522/93.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 13 EMRK - Wehrdienstverweigerung von geistlichen Würdenträgern der Zeugen Jehovas - Haftentschädigung und fair trial.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. ist Angehöriger der Zeugen Jehovas und bekleidet ein geistliches Amt. Er suchte bei der zuständigen Militärdienststelle um

Befreiung von der Wehrdienstpflicht an. Sein Antrag wurde abgelehnt:

Nur geistliche Würdenträger einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft hätten ein Recht auf Befreiung von der Wehrdienstpflicht, dies treffe auf die Zeugen Jehovas jedoch nicht zu. Ein dagegen erhobenes Rechtsmittel blieb erfolglos. Der Bf. wandte sich darauf mit einem Rechtsmittel an das Oberste Verwaltungsgericht.

In der Zwischenzeit trat der Bf. seinen Militärdienst an, verweigerte aber die Erfüllung seiner militärischen Pflichten. Er wurde wegen Ungehorsams verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Das Verfahren endete mit einem Freispruch durch das Militärgericht. Das Oberste Verwaltungsgericht hob die ablehnende Entscheidung der Militärdienststelle auf, da die Zeugen Jehovas gemäß seiner Entscheidungspraxis zu den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften gehörten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Bf. wegen wiederholten Ungehorsams in Untersuchungshaft. Er wurde daraufhin vom Militärgericht freigesprochen, ein allfälliger Anspruch des Bf. auf Haftentschädigung wurde jedoch von vornherein mit der Begründung verneint, seine Anhaltung wäre wegen seines eigenen grob fahrlässigen Verhaltens erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, iZm. der Verneinung eines allfälligen Anspruchs auf Haftentschädigung in seinem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 (1) EMRK verletzt worden zu sein.

Unbestritten ist, dass das Recht auf Haftentschädigung vermögenswerten Charakter hat, ein zivilrechtlicher Anspruch iSd. Art. 6 (1) EMRK liegt somit vor. Über den Zuspruch einer Entschädigung hätten die Zivilgerichte zu entscheiden gehabt. Art. 6

(1) EMRK ist anwendbar.

Im vorliegenden Fall hatte das Militärgericht einen Entschädigungsanspruch des Bf. von vornherein mit dem Hinweis auf dessen eigenes grob fahrlässiges Verhalten verneint. Das Gericht legte weder die Gründe für diese Entscheidung dar, noch prüfte es die Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen Anspruchs. Der Bf. hatte dadurch keine Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Haftentschädigung. Das Gericht wäre aber verpflichtet gewesen, dem Bf. in dieser Frage Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Ein Verfahren, in dem über zivilrechtliche Ansprüche ohne Anhörung der Parteien entschieden wird, ist mit der Konvention unvereinbar. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK, keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Anm: Vgl. insb. die vom GH zitierten Fälle Baraona/P, Urteil vom 8.7.1987, A/122, Zander/S, Urteil vom 25.11.1993, A/279-B (vgl. NL 93/6/10), Ruiz Torija/E, Urteil vom 9.12.1994, A/303-A und Kerojärvi/FIN, Urteil vom 19.7.1995, A/328.

Anm: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 27.2.1996 eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt, keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Anm: Vgl. den ähnlich gelagerten Fall Tsirlis und Kouloumpas/GR (= NL 97/4/7).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 29.5.1997, Bsw. 21522/93, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 178) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/97_4/Georgiadis.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.