JudikaturJustizBsw21351/93

Bsw21351/93 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
27. März 1998

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesachen J. J. gg. die Niederlande und K. D. B. gg. die Niederlande, Urteile vom 27.3.1998, Bsw. 21351/93 und Bsw. 21981/93.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof und Recht auf Waffengleichheit.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 50 EMRK:

NLG 9.750,- an den Bf. K. D. B. für Kosten und Auslagen (einstimmig).

NLG 1.000,- an den Bf. J. J. für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

1.) Im November 1991 wurde der landwirtschaftliche Betrieb des Bf. K.

D. B von Kontrollbeamten des Landwirtschaftsministeriums besichtigt. Der Bf. wurde verdächtigt, 12 Kühen aus seinem Viehbestand eine verbotene Substanz verabreicht zu haben. Bei 9 der 12 Kühe konnte die Substanz nachgewiesen werden, die Tiere wurden beschlagnahmt und ihre Notschlachtung angeordnet. Ein dagegen erhobenes Rechtsmittel blieb erfolglos, in der Folge wurden die Tiere notgeschlachtet. Der Bf. wandte sich an den Obersten Gerichtshof. Im Zuge des Verfahrens wurde vom Generalanwalt eine schriftliche Stellungnahme dem Gericht vorgelegt, in dem die Abweisung des Rechtsmittels empfohlen wurde. Weder der Bf. noch sein Verteidiger wurden von dieser Stellungnahme in Kenntnis gesetzt worden. Am 1.3.1993 wies das Gericht das Rechtsmittel ab.

2.) Im Dezember 1989 erhielt der Bf. J. J. einen Bescheid der Finanzbehörden mit der Vorschreibung einer Steuernachzahlung und einer Finanzstrafe Das dagegen erhobene Rechtsmittel wurde zurückgewiesen, mit der Begründung, der Bf. habe die Gerichtsgebühren nicht rechtzeitig entrichtet. Der Bf. wandte sich an den Obersten Gerichtshof. Im Zuge des Verfahrens wurde vom Generalanwalt eine schriftliche Stellungnahme dem Gericht vorgelegt, in der die Zurückweisung des Rechtsmittels empfohlen wurde. Der Bf. wurde über diese Stellungnahme nicht in Kenntnis gesetzt. Am 17.6.1992 wies das Gericht das Rechtsmittel zurück.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

In beiden Bsw. wird ua. eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf Waffengleichheit) behauptet, da die beiden Bf. in den Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof über die Stellungnahmen der Generalanwaltschaft nicht informiert wurden, und sie folglich keine Möglichkeit zur Entgegnung hatten. Festgehalten wird, dass die Generalanwaltschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit zu strenger Objektivität verpflichtet ist. Ihre Stellungnahmen haben vorwiegend den Zweck, den Obersten Gerichtshof zu unterstützen, insb. im Hinblick auf die Gewährleistung einer einheitlichen Rspr. Unter Berücksichtigung der Verfahrensgegenstände sowie der Bedeutung der Stellungnahmen der Generalanwaltschaft im Verfahren wurden die Bf. aber in ihrem Recht auf Waffengleichheit verletzt. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 50 EMRK:

NLG 9.750,- an den Bf. K. D. B. für Kosten und Auslagen (einstimmig).

NLG 1.000,- an den Bf. J. J. für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Anm.: Vgl. insb. die vom GH zitierten Fälle Vermeulen/B, Urteil v. 20.2.1996 (= NL 96/2/4 = ÖJZ 1996, 673), Van Orshoven/B, Urteil v. 25.6.1997.

Anm.: Die Kms. hatte in ihren Ber. v. 21.5.1997 (K.D.B./NL) bzw. 15.10.1996 (J.J./NL) eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt (einstimmig bzw. 26:4 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Urteile des EGMR vom 27.3.1998, Bsw. 21351/93 und Bsw. 21981/93, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1998, 75) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Urteile im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/98_2/J.J..pdf www.menschenrechte.ac.at/orig/98_2/K.D.B..pdf

Die Originale der Urteile ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.