JudikaturJustizBsw14212/10

Bsw14212/10 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2014

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Scholer gg. Deutschland, Urteil vom 18.12.2014, Bsw. 14212/10.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK - Verwertung der Aussagen anonymer verdeckter Ermittler.

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffend die polizeiliche Anstiftung (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die polizeiliche Anstiftung (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 EMRK und Abs.3 lit. d EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK und Abs. 3 lit. d EMRK (4:3 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Polizei Trier beauftragte im Juli 2007 einen Informanten namens S. mit der Überprüfung eines anonymen Hinweises, wonach der Bf. Amphetamine verkaufte. S. besuchte den Bf. am 18.7.2007 in dessen Motorradgeschäft, wo er vorgab, am Kauf eines Motorrads interessiert zu sein. Als er ihn am 14.8.2007 erneut aufsuchte, bot der Bf. ihm € 1.000,– dafür an, ein ehemaliges Mitglied seines Motorradclubs »Bandidos« zu verprügeln. Auf die Frage von S., ob er ihm Amphetamine verkaufen würde, wollte der Bf. wissen, an welcher Menge er interessiert sei und wieviel er zahlen würde. S. bot € 4.000,– pro Kilogramm, womit der Bf. einverstanden war. Er gab S. sofort eine Probe, die er in seiner Werkstatt aufbewahrt hatte.

Am 27.8.2007 genehmigte das Amtsgericht Trier die Beteiligung eines verdeckten Ermittlers namens C. an der Operation. Am 28.8., 20.9. und am 4.10.2007 erwarb S. jeweils 500 g Amphetamine vom Bf. Anlässlich des Kaufs am 4.10. fragte er diesen, ob er größere Mengen liefern könne. Nachdem der Bf. erklärt hatte, so viel liefern zu können, wie S. brauche – fünf oder zehn Kilogramm –, bestellte dieser 6,5 kg Amphetamine. Am 16.10.2007 wurde der Bf. bei der Übergabe dieser von einem gewissen B. zur Verfügung gestellten Menge an S. und C. verhaftet. Die Polizei fand weitere 10 g in der Wohnung des Bf. und zahlreiche Waffen in seiner Werkstatt. B. bestätigte vor der Polizei und dem Untersuchungsrichter, an dem Drogengeschäft am 16.10.2007 beteiligt gewesen zu sein.

Das Landgericht Trier verurteilte den Bf. am 31.7.2008 wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft. Es war nicht möglich, S. persönlich vorzuladen, da das Innenministerium Rheinland-Pfalz eine sogenannte Sperrerklärung abgegeben hatte. Darin argumentierte das Ministerium, die Identität von S. und C. müsse geheim bleiben, da ein hohes Risiko vom Bf. organisierter Racheakte bestünde. Es gäbe keine anderen Mittel, sie zu schützen, als ihre Identität geheim zu halten. Nach Ansicht des Landgerichts waren diese Gründe weder willkürlich noch offensichtlich unrechtmäßig.

In der Hauptverhandlung war der Führungsbeamte K. als Zeuge vom Hörensagen über die Beobachtungen des Informanten S. befragt worden. Die Verteidigung konnte schriftliche Fragen an S. richten, die von K. an ihn weitergeleitet wurden. Über die Antworten berichtete K. wiederum in der Verhandlung. Das Landgericht ließ die Aussagen des Informanten als Beweis zu und ging davon aus, dass sie von zahlreichen weiteren Beweisen untermauert wurden. Zudem wurden sie durch die Aussagen des verdeckten Ermittlers C. bestätigt, über die dessen Führungsbeamter L. in der Verhandlung berichtet hatte. Das Landgericht verneinte eine unzulässige Anstiftung des Bf. durch den Informanten S.

Die dagegen erhobene Revision wurde vom BGH am 12.12.2008 als unbegründet verworfen. Das BVerfG lehnte die Behandlung der Beschwerde des Bf. am 3.9.2009 ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).

Zulässigkeit

(37, 66) Der GH stellt fest, dass die Beschwerde weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig ist. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen der Unmöglichkeit, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen

(38) [...] Der Bf. behauptet, sein Recht, Fragen an die Belastungszeugen – nämlich den Informanten S. und den verdeckten Ermittler C. – zu stellen, sei verletzt, insbesondere weil es keine anderen Beweise gegen ihn gegeben habe. [...]

Relevante Grundsätze

(45) Nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK müssen grundsätzlich vor der Verurteilung eines Angeklagten alle Beweise gegen ihn zum Zweck einer kontradiktorischen Debatte in einer öffentlichen Verhandlung in seiner Anwesenheit vorgelegt werden. Ausnahmen von dieser Regel sind möglich, dürfen aber nicht gegen die Rechte der Verteidigung verstoßen, die in der Regel eine angemessene Gelegenheit des Angeklagten verlangen, einen Belastungszeugen zu befragen und in Zweifel zu ziehen [...].

(46) Der GH hat kürzlich in seinem Urteil im Fall Al-Khawaja und Tahery/GB klargestellt, dass die drei folgenden Elemente geprüft werden müssen, wenn ein Zeuge gegen den Angeklagten in der Hauptverhandlung abwesend ist. Erstens muss ein guter Grund für die Abwesenheit bestehen. Nimmt ein Zeuge aus Furcht nicht teil, ist es nach Ansicht des GH dann angemessen, seine Aussage ohne persönliches Erscheinen in der Verhandlung zuzulassen, wenn die Furcht auf Drohungen oder anderes Verhaltens seitens des Angeklagten oder jener, die in seinem Sinne handeln, zurückzuführen ist. Ein Angeklagter, der sich so verhalten hat, hat damit auf sein Recht auf Befragung solcher Zeugen verzichtet. Ist die Furcht nicht direkt auf Drohungen des Angeklagten oder seiner Handlanger zurückzuführen, sondern auf ihren schlechten Ruf, muss das Gericht angemessene Untersuchungen durchführen um festzustellen, ob objektive Gründe für diese Furcht vorliegen und ob diese durch Beweise untermauert sind. Bevor das Gericht einen Zeugen aus Gründen der Furcht von der Aussage befreit, muss es sich vergewissern, dass alle anderen Alternativen, wie Zeugenanonymität oder andere spezielle Maßnahmen, unangemessen oder undurchführbar wären.

(48) Zweitens muss der GH prüfen, ob die Aussage des abwesenden Zeugen, an den der Angeklagte keine Fragen stellen (lassen) konnte [...], der alleinige oder entscheidende Beweis [...] gegen den Angeklagten ist.

(49) Selbst wenn dies der Fall ist, wird die Zulassung der Aussage eines abwesenden Zeugen nicht automatisch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK nach sich ziehen. Der GH muss dann aber das Verfahren der genauesten Überprüfung unterziehen. Wegen der mit der Zulassung solcher Beweise verbundenen Gefahren würde sie einen sehr wichtigen Faktor bei der Abwägung darstellen und ausreichende ausgleichende Faktoren verlangen, einschließlich des Bestehens starker verfahrensrechtlicher Sicherungen. Der GH muss daher drittens prüfen, ob ausreichende ausgleichende Faktoren bestehen, einschließlich Maßnahmen, die eine faire und angemessene Einschätzung der Verlässlichkeit dieser Beweise erlauben.

(50) Die mit abwesenden und anonymen Zeugen verbundenen Probleme unterscheiden sich nicht grundlegend von einander. Ist der Verteidigung die Identität einer Person, die sie in Frage stellen will, unbekannt, können ihr die Details fehlen, anhand derer sie zeigen könnte, dass die Person voreingenommen, feindselig oder unzuverlässig ist und sie ist – genau wie bei einem abwesenden Zeugen – mit Schwierigkeiten bei der Bestreitung der Verlässlichkeit der Aussage konfrontiert.

Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall

(52) Im vorliegenden Fall konnte weder der Bf. noch sein Verteidiger den Polizeiinformanten S. und den verdeckten Ermittler C. persönlich befragen, sei es in der Hauptverhandlung oder zumindest im Vorverfahren. [...] Die Zeugen waren sowohl in der Hauptverhandlung abwesend als auch in dem Sinn anonym, dass ihre wahre Identität der Verteidigung nicht bekannt war [...].

(53) [...] Der GH muss prüfen, ob erstens ein guter Grund für die Geheimhaltung der Identität der Zeugen und ihre Abwesenheit in der Hauptverhandlung bestand. Der primäre Grund für ihre Abwesenheit lag darin, dass sie das Gericht wegen der Verweigerung der Offenlegung ihrer Identität durch das Innenministerium Rheinland-Pfalz nicht vorladen konnte. [...] Da somit eine staatliche Behörde für die Anonymität der Zeugen und ihre Abwesenheit von der Hauptverhandlung verantwortlich war, erachtet es der GH als notwendig, auch deren Begründung, die vom Gericht akzeptiert wurde, auf ihre Vereinbarkeit mit den in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu prüfen.

(54) Der vom Ministerium angegebene Grund für die Anonymität und Abwesenheit der Zeugen bestand in der Notwendigkeit, sie und ihre Angehörigen an Leib und Leben zu schützen. Bei der Entscheidung, ob die durch Furcht begründete Abwesenheit der Zeugen den Drohungen oder anderen Handlungen des Angeklagten oder jener, die in seinem Sinn handeln, zurechenbar ist, stellt der GH fest, dass der Bf. oder seine Handlanger S. nicht direkt in Hinblick auf eine mögliche Zeugenaussage bedroht haben. [...]

(55) [...] Wenn die Notwendigkeit, den Polizeiinformanten S. und den verdeckten Ermittler C. zu schützen, nicht direkt den Drohungen des Bf. und seiner Handlanger zuzurechnen ist, sondern ihrem schlechten Ruf, muss das Gericht angemessene Untersuchungen angestellt haben, um zu ergründen, ob durch Beweise untermauerte objektive Gründe für diese Furcht bestanden.

(56) Wie der GH dazu feststellt, billigte das Gericht die Begründung des Innenministeriums [...]. Demnach bestand ein hohes Risiko, dass der Bf. gewaltsame Racheakte organisieren würde. Er war Mitglied des Motorradclubs »Bandidos«, der für seine gewalttätigen und skrupellosen Handlungen gegen als Verräter angesehene Personen bekannt ist [...]. Der GH stellt weiters fest, dass der Bf. S. Geld dafür anbot, jemanden zu verprügeln, der angeblich seinen Motorradclub betrogen hatte, und ihn selbst einmal mit einer geladenen Waffe bedroht hatte. Angesichts dieser Faktoren und der vom Gericht in der Hauptverhandlung dahingehend erhobenen Beweise anerkennt der GH, dass das Gericht die Notwendigkeit des Schutzes von S. und C. als objektiv gerechtfertigt ansehen konnte. [...]

(57) Der GH muss weiters prüfen, ob die Befreiung der Zeugen von der Aussage in der Hauptverhandlung [...] der letzte Ausweg war. [...] Er akzeptiert, dass das Gericht die möglichen Alternativen als unzureichend ansah, um die Zeugen unter den gegebenen Umständen zu schützen. [...] Es lag damit sowohl für die Geheimhaltung der Identität der Zeugen als auch für ihre Abwesenheit in der Hauptverhandlung ein guter Grund vor.

(58) Zweitens muss der GH prüfen, ob die Aussagen der abwesenden und anonymen Zeugen der alleinige oder entscheidende Beweis gegen den Bf. waren. Dem Landgericht zufolge beruhten seine Feststellungen insbesondere auf den Aussagen von S., über die sein Führungsbeamter K. in der Hauptverhandlung berichtet hatte [...]. Diese Aussagen wurden durch weitere Beweise untermauert, einschließlich der der Polizei sofort nach jeder Transaktion übergebenen Drogen, der Tatsache, dass der Bf. bei der dritten Straftat auf frischer Tat ertappt wurde und der Tatsache, dass eine (wenn auch kleine) Menge an Amphetaminen in seiner Wohnung gefunden wurde. [...]

(59) Angesichts dieser Faktoren beruhte die Verurteilung wegen der ersten beiden Straftaten – auch wenn die danach beschlagnahmten Drogen Sachbeweise darstellten – nach Ansicht des GH entscheidend auf den Aussagen des Informanten S. Im Gegensatz dazu scheinen seine Aussagen in Hinblick auf die dritte Straftat zwar ein wesentlicher, aber nicht der entscheidende Beweis gegen den Bf. gewesen zu sein, stützte das Gericht seine Feststellungen doch auf das Geständnis des Mitangeklagten B. [...] und die Beweise, die durch das Ertappen auf frischer Tat erlangt wurden.

(60) Der GH muss daher drittens prüfen, ob ausreichende ausgleichende Faktoren bestanden, einschließlich starker verfahrensrechtlicher Sicherungen, die eine faire und angemessene Einschätzung der Verlässlichkeit der umstrittenen Zeugenbeweise erlaubten. Der wesentliche ausgleichende Faktor [...] bestand in der Möglichkeit des Bf., schriftliche Fragen an den Informanten S. zu stellen, auf die dieser antwortete, wobei die Antworten wiederum von seinem Führungsbeamten in der Hauptverhandlung wiedergegeben wurden.

(61) Überdies behandelte das Landgericht die Beweise vom Hörensagen mit besonderer Sorgfalt. Es prüfte ihre Verlässlichkeit im Licht der ihm vorliegenden unterstützenden Beweise. [...]

(62) Angesichts dieser Elemente stellt der GH fest, dass ausreichende ausgleichende Faktoren bestanden, die dem Gericht eine faire und angemessene Einschätzung der Verlässlichkeit der umstrittenen Zeugenbeweise erlaubten.

(63) Der GH kommt zu dem Schluss, dass das Verfahren gegen den Bf. insgesamt nicht wegen der Tatsache unfair war, dass er die Zeugen der Anklage S. und C. nicht persönlich befragen (lassen) konnte. Es hat daher keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 lit. d EMRK stattgefunden (4:3 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Zupancic, Richterin Yudkivska und Richter de Gaetano).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK wegen der polizeilichen Anstiftung

(64) Der Bf. behauptet weiters, das Strafverfahren wäre unfair gewesen, weil er von den als agents provocateurs handelnden Strafverfolgungsbehörden dazu provoziert worden sei, die Drogendelikte zu begehen, wegen derer er später verurteilt wurde. [...]

Relevante Grundsätze

(78) [...] Polizeiliche Tatprovokation findet dann statt, wenn die beteiligten Beamten sich nicht auf eine im Wesentlichen passive Ermittlung strafbarer Aktivitäten beschränken, sondern einen solchen Einfluss auf die Person ausüben, dass diese zur Begehung einer Tat verleitet wird, die ansonsten nicht begangen worden wäre [...]. Der Gedanke hinter diesem Verbot der Tatprovokation liegt darin, dass es Aufgabe der Polizei ist, Straftaten zu verhindern und nicht, zu solchen anzustiften.

(80) Zur Entscheidung, ob die Ermittlungen »im Wesentlichen passiv« waren, wird der GH die Gründe für die verdeckte Ermittlung und das Verhalten der beteiligten Stellen beurteilen. Der GH wird sich darauf stützen, ob objektive Verdachtsmomente dafür bestanden, dass der Bf. an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder der Begehung einer Straftat zugeneigt war.

(82) Um legitime Unterwanderung durch verdeckte Ermittler von der Verleitung zu einer Straftat zu unterscheiden, wird der GH überdies prüfen, ob der Bf. Druck ausgesetzt wurde, die Tat zu begehen. In Suchtgiftfällen hat der GH ein Verlassen der passiven Haltung etwa mit folgenden Verhaltensweisen der Ermittlungsbehörden assoziiert: wiederholtes Kontaktieren des Bf. oder Wiederholung des Angebots trotz anfänglicher Weigerung, beharrliche Aufforderungen, Erhöhung des Preises über den Durchschnitt oder Appelle an das Mitgefühl des Bf. durch die Erwähnung von Entzugserscheinungen.

(83) Bei der Anwendung dieser Kriterien liegt die Beweislast bei den Behörden. Es ist Sache der Strafverfolgungsbehörde nachzuweisen, dass keine Anstiftung erfolgt ist, vorausgesetzt die Behauptungen des Angeklagten sind nicht völlig unwahrscheinlich. [...]

Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall

(85) [...] Die folgenden Faktoren führten die Behörden zum Verdacht, der Bf. wäre dem Drogenhandel zugeneigt. Die Polizei unternahm drei Testkäufe unter Mithilfe des Polizeiinformanten S. erst nachdem die Staatsanwaltschaft von einem anonymen Informanten darauf aufmerksam gemacht worden war, dass der Bf. angeblich Amphetamine in erheblichen Mengen verkaufte. Außerdem war der Bf. zuvor wegen Handels mit Amphetaminen verurteilt worden, auch wenn diese Verurteilung 18 Jahre zurücklag [...].

(86) Überdies gab es weitere Elemente, die auf eine Beteiligung des Bf. an Drogenhandel hinwiesen. Als er vom Polizeiinformanten zum ersten Mal gefragt wurde, ob er ihm Amphetamine besorgen könne, akzeptierte der Bf. sofort den vorgeschlagenen Preis und zeigte damit, dass ihm der aktuelle Marktpreis vertraut war. Außerdem hatte er eine Probe in seiner Werkstatt vorrätig [...]. Weiters zeigte der Bf. insbesondere im Zuge des dritten Drogengeschäfts, dass er kurzfristig größere Mengen an Betäubungsmitteln liefern konnte.

(87) Angesichts dieser Elemente hatten die Behörden nach Ansicht des GH gute Gründe für den Verdacht, der Bf. wäre an Drogenhandel beteiligt oder der Begehung einer solchen Straftat zumindest zugeneigt.

(88) [...] Es war die Polizei, die durch ihren Informanten S. den Bf. kontaktiert hatte, um die Möglichkeit eines Drogengeschäfts zu ergründen. [...] Es wurde aber nicht gezeigt, dass der Informant S. [...] während der Ermittlungen über das Verhalten eines »gewöhnlichen« Kunden eines Drogenhändlers hinausging. Der Polizeiinformant übte keinen übermäßigen Druck auf den Bf. aus, um die Drogengeschäfte abzuschließen.

(89) Es wurde nicht dargelegt, dass der Polizeiinformant [...] den Bf. angespornt hätte, ihm Drogen zu verkaufen. Der Bf. seinerseits stimmte dem Drogengeschäft sofort zu. [...] Der angebotene Preis entsprach dem durchschnittlichen Marktpreis. [...] Der GH kommt daher zu dem Schluss, dass der Bf. durch den Informanten, der auf Anweisung der Polizei handelte, keinem unangemessenen Druck ausgesetzt wurde, jene Drogendelikte zu begehen, für die er später verurteilt wurde.

(90) Angesichts der obigen Ausführungen ist der GH davon überzeugt, dass die Polizei die Aktivitäten des Bf. in einer im Wesentlichen passiven Art und Weise ermittelte und den Bf. nicht dazu anstiftete, Drogendelikte zu begehen, die er nicht begangen hätte, wenn ihn an Stelle der Polizei ein gewöhnlicher Kunde angesprochen hätte. Die verdeckte Maßnahme war daher keine polizeiliche Anstiftung, wie sie in der Rechtsprechung des GH zu Art. 6 Abs. 1 EMRK definiert ist. Die folgende Verwendung der durch die verdeckte Maßnahme erlangten Beweise im Strafverfahren gegen den Bf. wirft daher kein Problem unter Art. 6 Abs. 1 EMRK auf.

(91) Dementsprechend hat keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen polizeilicher Anstiftung stattgefunden (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Teixeira de Castro/P v. 9.6.1998 = ÖJZ 1999, 434 = EuGRZ 1999, 660

Bannikova/RUS v. 4.11.2010

Al-Khawaja und Tahery/GB v. 15.12.2011 (GK) = NL 2011, 375

Sievert/D v. 19.7.2012 = NL 2012, 255

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 18.12.2014, Bsw. 14212/10, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2014, 509) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/14_6/Scholer.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
10