JudikaturJustiz9ObA26/23y

9ObA26/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der A*, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über den Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2023, GZ 10 Ra 115/22p 31, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 26. April 2022, GZ 8 Cga 52/21f 26, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass das Teilurteil des Erstgerichts einschließlich seiner in Rechtskraft erwachsenen Teile wie folgt zu lauten hat:

„A. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei mit den ihr zugehörigen Auslandsdienststellen (Koordinationsbüros und Projektbüros) einen einzigen, einheitlichen und ungeteilten Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG darstellt.

Die Klagebegehren, es werde festgestellt, dass

B.1. die Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen an den Auslandsdienststellen der beklagten Partei Arbeitnehmer im Sinne des § 36 Abs 1 ArbVG seien und

B.3. die LeiterInnen der Projektbüros der beklagten Partei keine leitenden Angestellten im Sinne des § 36 Abs 2 lit 3 ArbVG seien,

werden abgewiesen.

Die Parteien haben ihre Kosten selbst zu tragen.“

Die Parteien haben auch ihre Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Gemäß § 1 Abs 1 Entwicklungszusammenarbeitsgesetz (EZA G) hat der Bund Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen seiner internationalen Entwicklungspolitik zu leisten.

[2] Gemäß § 6 Abs 1 EZA G wurde dafür die Österreichische Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit mit beschränkter Haftung mit dem Firmenwortlaut Austrian Development Agency – ADA, hier die Beklagte, errichtet. Alleiniger Gründer und Eigentümer der Beklagten ist der Bund, der für die Zwecke dieses Abschnitts, einschließlich der Ausübung der Gesellschafterrechte und der Verwaltung der Anteilsrechte, vom Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten vertreten wird (§ 6 Abs 4 Satz 1 EZA G). Sitz der Beklagten ist in Wien (§ 6 Abs 2 EZA G).

[3] Die Beklagte richtete zur Durchführung ihrer Aufgaben elf Koordinationsbüros im Ausland ein (§ 13 EZA G), die jeweils von einem vor Ort befindlichen Leiter geführt werden. Daneben gibt es im Ausland dreizehn für eine bestimmte Dauer oder ein bestimmtes Projekt eingerichtete Projektbüros, die dem jeweiligen Koordinationsbüro zugeordnet sind und deren Führung einem „Teamleader“ obliegt. Die Koordinations- und die Projektbüros werden gemeinsam als Auslandsdienststellen der Beklagten bezeichnet. Arbeitgeber sämtlicher dort beschäftigter Personen ist die Beklagte, wobei die Anstellung der Mitarbeiter vor Ort teilweise nach dem jeweils lokal geltenden Arbeitsrecht erfolgt.

[4] Nach den Betriebsratswahlen 2012, 2016 und 2020 teilte die Geschäftsführung der Beklagten dem klagenden Betriebsrat mit, dass bei der Betriebsratswahl auch KoordinationsbüroleiterInnen sowie lokale Angestellte, die außerhalb der Zentrale der Beklagten ihren Arbeitsort hätten, vom Wahlvorstand zur Betriebsratswahl zugelassen worden seien. Dies entspreche nicht der Rechtsansicht der Geschäftsführung, wonach die Zentrale der Beklagten als ein Betrieb zu sehen sei und die Koordinationsbüros gemeinsam mit den Projektbüros als eigene Betriebe im Sinne des § 34 ArbVG zu qualifizieren seien. Darüber hinaus seien KoordinationsbüroleiterInnen als leitende Angestellte im Sinne des § 36 ArbVG zu beurteilen. Da die Geschäftsführung an einer guten Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat interessiert sei, fechte sie dieses Mal die Betriebsratswahl nicht an.

[5] Der Kläger begehrte im vorliegenden Verfahren zuletzt folgende Feststellungen:

[6] 1. Die Beklagte stellt samt den ihr zugehörigen Auslandsdienststellen (Koordinationsbüros und Projektbüros) einen einzigen, einheitlichen und ungeteilten Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG dar.

[7] 2. Die Klägerin vertritt sämtliche ArbeitnehmerInnen der Beklagten, einschließlich jener an den Auslandsdienststellen (Koordinationsbüros und Projektbüros).

[8] 3. Die ArbeitnehmerInnen an den Auslandsdienststellen sind Arbeitnehmer im Sinne des § 36 Abs 1 ArbVG.

[9] 4. Die Leiterin der Stabsstelle Recht, die Leiter der Abteilungen „Programme und Projekte International“ sowie „Finance und Administration“ und sämtliche Leiter der Koordinationsbüros sind keine leitenden Angestellten im Sinne des § 36 Abs 2 lit 3 ArbVG.

[10] 5. Die Leiter der Projektbüros sind keine leitenden Angestellten im Sinne des § 36 Abs 2 lit 3 ArbVG.

[11] 6. Das Einsichtsrecht des Betriebsrats gemäß § 89 Z 1 ArbVG umfasst die Anfertigung von Kopien.

[12] Der klagende Betriebsrat begründete diese Begehren zusammengefasst damit, dass sich aus § 14 Abs 4 EZA G ergebe, dass die Zentrale und die Auslandsdienststellen der Beklagten ein einheitlicher Betrieb seien. Den Auslandsdienststellen komme keine eigene Rechtspersönlichkeit zu. Sie seien auch nicht berechtigt, eigenständig Arbeitsverhältnisse zu begründen. Organisatorisch seien sie Teil eines einheitlichen Betriebs der Beklagten und arbeiteten dieser zu; sämtliche Entscheidungen würden in der Zentrale getroffen. Das Interesse des Klägers an der Feststellung resultiere daraus, dass die Geschäftsführung der Beklagten die mit der Rechtslage nicht vereinbare Auslegung vertrete, die Auslandsbüros stellten eigenständige Betriebe dar, deren Leiter leitende Angestellte im Sinne des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG seien. Die Beklagte verweigere dem Betriebsrat auch vollständige Auskünfte über Personaländerungen bei Gehältern und Versicherungsleistungen und stelle ihm im Gegensatz zur Vorgangsweise bis Anfang 2020 auch keine (elektronischen) Kopien der Gehaltsliste mehr zur Verfügung.

[13] Selbst wenn das Gericht zum Ergebnis käme, die Auslandsdienststellen seien als eigene Betriebe zu qualifizieren, bestehe ein weiteres abgeleitetes Feststellungsinteresse des Klägers daran, dass die Arbeitnehmer an den Auslandsdienststellen Arbeitnehmer im Sinne des § 36 Abs 1 ArbVG und deren Leiter keine leitenden Angestellten im Sinne des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG seien.

[14] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass es sich bei den Koordinationsbüros um eigenständige Betriebe handle, die über eine organisatorische Selbstständigkeit verfügten. Das ArbVG finde auf sie keine Anwendung, weil dessen Geltungsbereich auf Österreich beschränkt sei. Den Leitern der Koordinationsbüros komme eine fachliche und organisatorische Weisungsbefugnis zu; Arbeitsverhältnisse könnten sie in eigener Verantwortung auflösen. Die Projektbüros seien den jeweiligen Koordinationsbüros im selben Land zugeordnet, unterstellt und eingegliedert, womit eine Weisungsbefugnis der jeweiligen Leiter der Koordinationsbüros gegenüber den in ihrem Land tätigen Projektbüromitarbeitern bestehe. Der Begriff des Arbeitnehmers laut EZA G beziehe sich ausschließlich auf in Österreich beschäftigte Arbeitnehmer.

[15] Leitende Angestellte seien nur die Leiter jener Stabsstellen und Abteilungen, die ohne Vorgaben der Geschäftsführung ihre Mitarbeiter aussuchen würden, konkret die Leiter der Abteilungen „Finance und Administration“, „Programme und Projekte International“ sowie der Stabsstelle Recht. Auch die Leiter der Koordinationsbüros seien zur Erteilung von fachlichen und organisatorischen Weisungen an die Mitarbeiter befugt, sie würden Mitarbeitergespräche führen, Urlaub und Zeitausgleich genehmigen und alleine über die Aufnahme und Beendigung von Arbeitsverhältnissen entscheiden. Ihnen stehe ein Budgetrahmen von maximal 100.000 EUR jährlich zur Umsetzung von Kleinvorhaben zur Verfügung, die von ihnen direkt genehmigt und durchgeführt würden. Die Leiter der Projektbüros seien keine leitenden Angestellten, weil die Projektbüros nicht auf Dauer eingerichtet und keine selbstständige Organisationseinheit im Sinne des § 34 ArbVG seien, sondern organisatorisch den Koordinationsbüros zugeordnet.

[16] Mit Teilurteil stellte das Erstgericht fest, dass die Beklagte mit den ihr zugehörigen Auslandsdienststellen keinen einzigen einheitlichen und ungeteilten Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG darstelle (Punkt 1 des Klagebegehrens, Spruchpunkt A.1.). Die Klagebegehren zu den Punkten 3. (Spruchpunkt B.1.), teilweise 4. (Spruchpunkt B.2.) und 5. (Spruchpunkt B.3.) wies es ab. Über die restlichen Klagebegehren entschied es nicht. Zum alleine revisionsgegenständlichen Spruchpunkt A. vertrat es die Rechtsauffassung, dass die Bestimmungen des zweiten Teils des ArbVG auf alle in Österreich liegenden Betriebe anzuwenden seien. Betriebe, die von Österreichern im Ausland betrieben würden, fielen nicht in den Geltungsbereich. Schon aus § 14 Abs 4 EZA G ergebe sich, dass die Beklagte als Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG gelte. Daraus sei aber nicht ableitbar, dass im Hinblick auf das Territorialitätsprinzip auch im Ausland gelegene Dienststellen (Arbeitsstätten) dem österreichischen Betriebsbegriff unterlägen. Vielmehr sei zu überprüfen, ob im Ausland tätige Arbeitnehmer dem inländischen Betrieb zugehörig seien.

[17] Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung teilweise Folge. Es hob das Ersturteil in seinen Spruchpunkten A. und B.2. auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Im Übrigen (Spruchpunkte B.1. und B.3.) gab es der Berufung nicht Folge.

[18] Zur Aufhebung des Spruchpunkts A. vertrat es zusammengefasst die Auffassung, dass der Kläger ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung habe, weil die Beklagte eine gegenteilige Ansicht zur Frage des Vorliegens eines einheitlichen Betriebs vertrete und damit die Legitimität der Betriebsratswahl für die Zukunft in Frage stelle. Die gesetzliche Anordnung in § 14 Abs 4 Satz 2 EZA G, wonach die Beklagte als Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG gelte, sage nichts darüber aus, ob die Auslandsdienststellen der Beklagten einen einheitlichen Betrieb mit der Zentrale bildeten. Vielmehr diene die Bestimmung der Klarstellung, dass die Beklagte nicht unter die Ausnahme des § 33 Abs 2 Z 2 ArbVG falle. Ob ein einheitlicher Betrieb vorliege, sei vielmehr anhand der von der Rechtsprechung dazu aufgestellten Kriterien zu prüfen. Dazu fehlten aber ausreichende Feststellungen. Auch im Ausland gelegene unselbständige Betriebsteile eines in Österreich gelegenen Betriebs blieben betriebsverfassungsrechtlich Bestandteil des österreichischen Betriebs. Ob alle aus dieser Rechtslage resultierenden Konsequenzen im Ausland verwirklichbar seien, sei eine davon getrennt zu behandelnde Frage, die vom innerstaatlichen Recht des Landes, in dem sich der Betriebsteil befinde, abhänge und nur im Einzelfall entschieden werden könne.

[19] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts betreffend den Spruchpunkt A. richtet sich der Revisionsrekurs (richtig: Rekurs ) des Klägers mit dem Abänderungsantrag, dem Feststellungsbegehren stattzugeben.

[20] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung , dem Rekurs des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[21] Der Rekurs des Klägers ist zulässig und im Sinne einer Klagsstattgabe auch berechtigt.

[22] 1. Gemäß § 34 Abs 2 Satz 1 ArbVG hat das Gericht aufgrund einer Klage festzustellen, ob ein Betrieb im Sinne des Abs 1 vorliegt. Zur Klage im Sinne des Abs 2 leg cit ist bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses – das hier unstrittig gegeben ist – auch der Betriebsrat berechtigt.

[23] 2.1. Mit der EZA-Gesetz-Novelle 2003 wurden die rechtlichen Rahmenbedingung für die Österreichische Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit mit beschränkter Haftung (Austrian Development Agency, kurz ADA), hier die Beklagte, geschaffen (vgl ErlRV 81 BlgNR XXII GP 1; vgl § 6 EZA G).

[24] 2.2. Nach § 13 Abs 1 EZA G kann die Beklagte zur Durchführung ihrer Aufgaben im Ausland Koordinationsbüros einrichten. Dazu wird im Allgemeinen Teil der erläuternden Bemerkungen ausgeführt, dass der Betrieb der (damals bestehenden) österreichischen EZA Koordinationsbüros auf die Beklagte übergehen wird und die Bestellung von Leitern der Koordinationsbüros (§ 13 Abs 2 EZA G) und eine direkte Weisungserteilung an diese durch den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten (§ 13 Abs 2 und § 14 Abs 1 EZA G) vorgesehen ist, da diese Büros – insbesondere in Staaten, in denen es keine österreichischen Vertretungsbehörden gibt auch weiterhin, wenn auch nur in Einzelfällen Aufgaben der österreichischen Vertretungsbehörden wahrzunehmen haben (vgl ErlRV 81 BlgNR XXII GP 3).

[25] 2.3. § 14 Abs 4 Satz 1 EZA G normiert im Anschluss an § 13 leg cit, dass für alle Arbeitnehmer der Beklagen das Arbeitsverfassungsgesetz in der geltenden Fassung gilt. Nach § 14 Abs 4 Satz 2 EZA G gilt die Beklagte als Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG. Dazu wird in den erläuternden Bemerkungen festgehalten, dass alle Arbeitnehmer der Beklagten hinsichtlich ihrer Arbeitnehmerrechte vom Betriebsrat der Beklagten vertreten werden (ErlRV 81 BlgNR XXII GP 14).

[26] 3.1. Dem Berufungsgericht ist insofern zuzustimmen, als der Wortlaut des Gesetzes (§ 14 Abs 4 Satz 2 EZA G) allein keine klare Aussage darüber trifft, ob die Auslandsdienststellen der Beklagten einen einheitlichen Betrieb mit der Zentrale bilden. Die Gesetzesauslegung darf aber nicht bei der Wortinterpretation stehen bleiben (RS0008788 [T3]), insbesondere wenn sich dadurch für einzelne Bestimmungen kein Anwendungsgebiet ergibt, sie also sinnlos blieben (RS0010053). Lässt der Wortlaut eines Gesetzes – wie hier – mehrere Auslegungen zu, dann ist wenn möglich, der Wille des Gesetzgebers zu erforschen und allenfalls die Bestimmung in jenem Sinne auszulegen, der im Hinblick auf die übrige Rechtsordnung und, damit verbunden, auch auf die Zweckmäßigkeit, sinnvoller erscheint (RS0008769).

[27] 3.2. Ein Gesetz muss grundsätzlich nach den Verhältnissen ausgelegt werden, wie sie im Zeitpunkt seiner Anwendung bestehen. Das schließt aber nicht aus, bei der Beurteilung der Bedeutung eines im Gesetz verwendeten Begriffs auf den Zweck dieses Gesetzes und die Entstehungsgeschichte zurückzugreifen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzes mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt (RS0008874 [T1]). Ist die Ausdrucksweise des Gesetzes selbst zweifelhaft, dann können auch die Gesetzesmaterialien zur Auslegung einer Gesetzesbestimmung herangezogen werden (RS0008800). Wenngleich die historische Auslegung, also die Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien jedoch besonderer Vorsicht bedarf, weil diese nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen, hat diese Auslegung aber eine gewisse Vermutung der Richtigkeit für sich (RS0008776). Stehen jedoch die erläuternden Bemerkungen einer Regierungsvorlage im eindeutigen Widerspruch zum Gesetz können sie zur Auslegung des Gesetzes nicht herangezogen werden (RS0008892).

[28] 4.1. Zunächst folgt aus dem klaren Wortlaut des § 14 Abs 4 Satz 1 ArbVG, dass für alle Arbeitnehmer der Beklagen (als privater Rechtsträger) grundsätzlich der Anwendungsbereich des ArbVG eröffnet sein soll. Da § 14 Abs 4 Satz 2 ArbVG ausdrücklich bestimmt, dass die Beklagte als Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG gilt, gelten auch die Bestimmungen des II. Teils des ArbVG (§ 33 Abs 1 ArbVG) für die Beklagte.

[29] 4.2. Dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „alle Arbeitnehmer der ADA“ (die Frage, ob davon auch die LeiterInnen der Koordinationsbüros umfasst sind oder diese als leitende Angestellte iSd § 36 Abs 2 lit 3 ArbVG anzusehen sind [Spruchpunkt B.2. des Ersturteils] außen vor lassend) auch die Arbeitnehmer der Koordinationsbüros meint(e), folgt nicht nur aus der Systematik des Gesetzes, welches die Koordinationsbüros in der unmittelbar davor stehenden Bestimmung des § 13 EZA G näher regelt, sondern insbesondere aus der historischen Auslegung. Nach den erläuternden Bemerkungen ging der Betrieb der österreichischen EZA Koordinationsbüros auf die Beklagte über (vgl ErlRV 81 BlgNR XXII GP 3). Damit in Einklang steht auch die Feststellung, wonach Arbeitgeber sämtlicher in den Auslandsdienststellen beschäftigter Personen die Beklagte ist.

[30] 4.3. Die Rechtsauffassung des klagenden Betriebsrats, die Beklagte stelle samt den ihr zugehörigen Auslandsdienststellen (Koordinationsbüros und Projektbüros) einen einzigen, einheitlichen und ungeteilten Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG dar, ist zutreffend. Aus den erläuternden Bemerkungen kommt nämlich auch klar hervor, dass der Zweck der Bestimmung des § 14 Abs 4 EZA G sein soll, dass alle Arbeitnehmer der Beklagten hinsichtlich ihrer Arbeitnehmerrechte vom Betriebsrat der Beklagten (also von einem Betriebsrat) vertreten werden (ErlRV 81 BlgNR XXII GP 14). Damit soll erkennbar die Bildung einer großen Anzahl von Betriebsratskollegien verhindert werden, was bei einem weit verstreuten Netz von Arbeitsstätten, wie hier vor allem durch die bei Errichtung der Beklagten bereits bestehenden 14 EZA Koordinationsbüros (vgl ErlRV 81 BlgNR XXII GP 3), der Fall sein könnte. Dahinter steht der Arbeitnehmerschutzgedanke, der sich gerade für die sich im Ausland befindlichen Arbeitnehmer stellt.

[31] 4.4. Damit im Einklang stehen die zu § 13 EZA G bereits zitierten Erläuterungen, nach denen der Betrieb der österreichischen EZA Koordinationsbüros auf die Beklagte übergehen soll. Auch die systematisch-logische Auslegung stützt somit das Ergebnis der historischen Auslegung, weil § 13 EZA G nähere Bestimmungen zur Ausgestaltung der Koordinationsbüros enthält und im unmittelbaren Anschluss daran § 14 EZA G im Allgemeinen Regelungen für Arbeitnehmer der Beklagten (so zweifelsohne auch für diejenigen, die in den Koordinationsbüros tätig werden) trifft.

[32] 4.5. Bestimmt schon § 14 Abs 4 Satz 1 EZA G, dass das ArbVG für alle Arbeitnehmer der Beklagten in der (jeweils geltenden) Fassung zur Anwendung gelangt, kann aber der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden, die Bestimmung des § 14 Abs 4 EZA G in ihrer Gesamtheit diene lediglich der Klarstellung, dass die Beklagte nicht unter die Ausnahme des § 33 Abs 2 Z 2 ArbVG falle, nach der die Behörden, Ämter und sonstigen Verwaltungsstellen des Bundes, der Länder, Gemeindeverbände und Gemeinden vom Geltungsbereich des II. Teils des ArbVG ausgenommen sind. Hätte doch bei dieser Ansicht jedenfalls der zweite Satz des § 14 Abs 4 EZA G keine weitere inhaltliche Bedeutung, weil sich die Beklagte gerade dadurch auszeichnet, dass sie neben der Zentrale in Wien zahlreiche Koordinationsbüros im Ausland unterhält. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, eine überflüssige und damit inhaltslose Regelung getroffen zu haben (RS0008792). Die Bestimmung des § 14 Abs 4 EZA G ist daher vielmehr als Gesamtregelung anzusehen (vgl RS0008787). Bedingung für die Annahme eines einheitlichen Betriebs im Sinne des § 34 ArbVG ist, dass der Anwendungsbereich (sachlich und räumlich) des ArbVG für alle Arbeitnehmer (im In- und Ausland) überhaupt eröffnet ist. Diese Vorfrage (vgl RS0051038) löste der Gesetzgeber bereits durch die Erklärung der Anwendbarkeit des ArbVG für alle Arbeitnehmer der Beklagten, sodass eine gesonderte Prüfung des sachlichen (und auch räumlichen) Geltungsbereichs im Sinne des § 33 ArbVG nicht mehr stattzufinden hat. Der zweite Satz des § 14 Abs 4 EZA G bezieht sich auf die Bestimmung des § 34 ArbVG, der im ArbVG den Betriebsbegriff definiert.

[33] 5. Dieses Ergebnis führt, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, auch nicht zu einer Verletzung des dem II. Teil des ArbVG innewohnenden Territorialitäts-prinzips ( Windisch Graetz in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 33 ArbVG Rz 4 mwN). Richtig ist zwar, dass grundsätzlich die Bestimmungen des II. Teils des ArbVG (nur) auf alle in Österreich liegenden Betriebe anzuwenden sind (vgl aber 9 ObA 88/97z und Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 33 Rz 17 zur Anwendung österreichisches Betriebsverfassungsrechts auf unselbständige Arbeitsstätten im Ausland, die organisatorisch inländischen Betrieben zugehörig sind). § 14 Abs 4 Satz 1 EZA G statuiert für den vorliegenden Fall aber – erkennbar aus einem öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzgedanken heraus (vgl §§ 38, 39 Abs 1 ArbVG) – (auch) die (räumliche) Anwendbarkeit des II. Teils des ArbVG auf alle Arbeitnehmer der Beklagten.

[34] 6. Eine vergleichbare Regelung zu § 14 EZA G findet sich in § 135 Abs 1 und 2 UG 2022. Auch § 135 Abs 1 UG 2002 – ähnlich mit § 14 Abs 4 Satz 1 EZA G – wird als betriebsverfassungsrechtliche Norm verstanden, die eine vom allgemeinen System des ArbVG abweichende Regelung enthält, nach der die Universität betriebsverfassungsrechtlich mit sämtlichen (im In- und Ausland befindlichen) Universitätseinrichtungen und Dienststätten als einheitlicher Betrieb gilt ( Schrammel in Perthold Stoitzner , UG 3.01 § 135 Rz 9; Löschnigg , Forschungseinrichtungen österreichischer Universitäten im Ausland – personalrechtliche Implikationen in FS Pfeil 2022, 199 ff).

[35] 7. Zusammengefasst gilt die gemäß § 6 Abs 1 EZA G errichtete Österreichische Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit mit beschränkter Haftung (Austrian Development Agency – ADA) mit ihren im Ausland eingerichteten Koordinationsbüros und diesen zugeordneten Projektbüros als einheitlicher Betrieb im Sinne des § 34 Abs 1 ArbVG.

[36] 8. Da somit kein Raum für eine Überprüfung der zu § 34 ArbVG judizierten Kriterien verbleibt, konnte dem Klagebegehren zu Spruchpunkt A. in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen stattgegeben werden (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

[37] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG. In Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG – wie der vorliegenden – steht einer Partei ein Kostenersatzanspruch an die andere nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zu (§ 58 Abs 1 ASGG).