JudikaturJustiz9ObA227/00y

9ObA227/00y – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Dafert und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ljiljana J*****, Küchengehilfin, ***** vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Heufler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 99.097,13 sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Juni 2000, GZ 8 Ra 149/00s-23, womit über Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3. Februar 2000, GZ 29 Cga 153/99b-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur beklagten Partei ungeachtet der Erklärung der vorzeitigen Auflösung vom 19. 8. 1999 weiterhin aufrecht bestehe, wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 10. 8. 1992 im Allgemeinen Krankenhaus der beklagten Partei als Küchengehilfin in einem Vertragsbedienstetenverhältnis beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde gemäß § 45 der VBO 1995 mit Schreiben der beklagten Partei vom 19. 8. 1999 vorzeitig aufgelöst. Der Klägerin war bekannt, dass die Entnahme von vorportionierten Patientenessen für die Dienstnehmer untersagt ist. Am 8. 10. 1998 war eine Dienstanweisung in Form eines Rundschreibens an die Küchenmitarbeiter ergangen: "Aufgrund des wiederholt aufgetretenen Materialschwunds im Küchenbereich weist die Küchenleitung ausdrücklich darauf hin, dass vermehrt Kontrollen durchgeführt werden. Die Küchenleitung erinnert in Ihrem Interesse nachdrücklich daran, dass Personen, die beim Diebstahl ertappt werden, unverzüglich angezeigt werden und sämtliche Konsequenzen tragen müssen". Die Klägerin bestätigte mit ihrer Unterschrift, dieses Schreiben gesehen zu haben.

Am 18. 8. 1999 begann die Klägerin gemeinsam mit Zivka B***** um 11,00 Uhr ihren Dienst in der Küche des AKH. Gegen 14,00 Uhr verspürte die Klägerin, die seit dem frühen Vormittag nichts zu sich genommen hatte, heftigen Hunger und sagte zu Zivka B*****, sie müsse etwas essen. Über Initiative von Zivka B***** gingen beide zu einem Kühlraum, in dem vorportioniertes Patientenessen für die Abendausspeisung aufbewahrt wurde, entnahmen einen Teller mit "Salzburger Braten" und trugen ihn in die Küche. Wer den Teller getragen hat, kann nicht festgestellt werden. Beim Verlassen des Kühlraumes wurden sie zufällig vom Koch Andreas S***** beobachtet, der sie zur Rede stellte und aufforderte, das Essen zurückzubringen.

Die Klägerin und Zivka B***** gaben ihm zu verstehen, dass er sie nicht beachten solle, worauf er sich entfernte, um seinen Vorgesetzten zu verständigen. Als der Koch mit dem Vorgesetzten zurückkam, verzehrten die Klägerin und Zivka B***** in der Küche gemeinsam den "Salzburger Braten". Sie wurden vom Vorgesetzten zurechtgewiesen und aufgefordert, wieder an die Arbeit zu gehen. Nach Meldung des Vorfalles an den Küchenleiter, der die Personalabteilung der beklagten Partei verständigte, wurde die Klägerin und Zivka B***** am selben Tag schriftlich entlassen. Am Tag des Vorfalls wurden von den Patienten nicht alle abgezählten Portionen konsumiert. Etliche sind an die Küche zurückgegangen. Das Essen von Retourware war den Küchenbediensteten grundsätzlich gestattet. Die Klägerin war im Laufe ihres Dienstverhältnisses noch nie wegen eines ähnlichen Vergehens verwarnt worden.

Die Klägerin begehrte die im Spruch genannte Feststellung und dehnte das Klagebegehren im Übrigen dahingehend aus, dass die beklagte Partei auch das monatliche Arbeitsentgelt in Höhe von jeweils S 21.235,10 für die Monate Oktober 1999 bis Dezember 1999 und Jänner 2000 zuzüglich der gesetzlichen Sonderzahlungen von S 14.156,73 zu zahlen habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe eine gerichtlich strafbare Handlung gegen den Dienstgeber begangen, der den Vertrauensverlust nach sich gezogen habe. Für den Fall von Diebstahl im Küchenbereich seien Konsequenzen angedroht gewesen. Diese Dienstanweisung habe die Klägerin gekannt. Als sie zur Rede gestellt worden sei, habe sie dies mit einem herzhaften Lachen quittiert.

Das Erstgericht erkannte mit Teilurteil im Sinne des Feststellungsbegehrens. Die Entscheidung über das Zahlungsbegehren behielt es sich vor.

Die Dienstanweisung der beklagten Partei habe sich lediglich auf Diebstähle größeren Ausmaßes bezogen. Bei einer einfachen Küchenhilfe habe der Eindruck entstehen können, dass die Wegnahme einer einzelnen Essensportion zwar nicht erlaubt, aber nur eine minderschwerwiegende Ordnungswidrigkeit sei. Die Klägerin sei überdies von Zivka B***** zur Mitwirkung verleitet worden. Ein ausgeprägtes Schuldbewusstsein hätten beide nicht gehabt noch sei ein konkreter Schaden feststellbar gewesen. Eine besonders schwere Verletzung von Dienstpflichten, die schon bei einmaliger Begehung zur Vertrauensunwürdigkeit führt, liege nicht vor.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klägerin habe eine Handlung gesetzt, die sie nicht hätte setzen dürfen. In der Entnahme eines einzelnen Speisetellers sei kein übergroßer Unrechtsgehalt zu erblicken. Ein Zurückstellen des Tellers hätte nichts daran geändert, dass die Essensportion zur Essensausgabe an Patienten nicht mehr geeignet gewesen wäre. Im Hinblick auf das erste und einzige Mal, dass die Klägerin vorportioniertes Patientenessen genommen habe, sei ungeachtet der ergangenen Dienstanweisung die Entlassung der Klägerin nicht gerechtfertigt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen das Feststellungsbegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Dienstverhältnis kann gemäß § 45 Abs 1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (Vertragsbedienstetenordnung 1995 - VBO 1995), LGBl Nr 50/1995 idF LGBl Nr 34/1999, von der Gemeinde durch Entlassung aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden. Ein solcher wichtiger Grund liegt nach § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 insbesondere vor, wenn der Vertragsbedienstete sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens der Gemeinde unwürdig erscheinen lässt. Dieser Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit bedingt keine besondere Vertrauensstellung des Dienstnehmers (vgl Infas 2000, A 3). Ist ein Vermögensdelikt Grund für eine Entlassung, wird im Allgemeinen die Vertrauensunwürdigkeit subintelligiert, sodass besondere Umstände vorliegen müssen, die dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung ausnahmsweise nicht unzumutbar machen (Kuderna, Entlassungsrecht2 132; RdW 1996, 182; Infas 2000, A 3 ua). Bereits in ihrer Klage räumte die Klägerin ein, dass sie wisse, dass die Entnahme von Patientenessen "streng verboten sei". Sie habe nur von dem "für uns" bestimmten Essen etwas nehmen wollen. Ihr Versuch, das gesamte Verschulden ihrer Arbeitskollegin zuzuschieben, ist aber gescheitert.

Nach der Rechtsprechung kommt es bei einem solcherart strafgesetzwidrigen Verhalten des Dienstnehmers aus dem Bereich der Eigentumsdelikte normalerweise nicht auf den Wert der Sache an, auf den sich das verpönte Verhalten bezogen hat (Arb 11.609; Infas 2000, A 3; RIS-Justiz RS0029672), sofern es sich nicht um eine nahezu wertlose Sache handelt und die besonderen Umstände des Einzelfalles die Weiterbeschäftigung als noch zumutbar erscheinen lassen (Kuderna aaO 113; RIS-Justiz RS0029329). Dies ist hier nicht der Fall. Die gemeinsame Entwendung eines vorbereiteten Patientenessens durch die Klägerin und ihre Arbeitskollegin ungeachtet der gegenteiligen Dienstanweisung (vgl Kuderna aaO 113; RIS-Justiz RS0029849), zu der sich die Dienstgeberin zufolge wiederholtem Materialschwundes im Küchenbereich veranlasst gesehen hatte und ungeachtet einer aus- und nachdrücklichen Warnung vor den Konsequenzen eines allfälligen Zuwiderhandelns und trotz Kenntnis, dass die Entnahme von vorportioniertem Patientenessen untersagt ist, weiters ungeachtet des Umstandes, dass die Klägerin und ihre Arbeitskollegin vom Koch zur Rede gestellt worden waren und zu diesem Zeitpunkt das noch unberührte Patientenessen hätte zurückgestellt werden können, begründet als bewusstes Zuwiderhandeln gegen die Interessen und Anordnungen der Dienstgeberin einen Vertrauensbruch im Sinne des § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 (RIS-Justiz RS0029580). Selbst wenn die mehrjährige unbeanstandete Beschäftigung der Klägerin für die Beklagte in Betracht gezogen wird, aber auch berücksichtigt wird, dass die Arbeitskollegin die Initiatorin war, ändert dies nichts am Vorliegen eines nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Vertrauensverlustes, zumal gerade hier im Küchenbereich wegen des wiederholt aufgetretenen Schwundes, des Inhaltes des Rundschreibens samt der darin enthaltenen Warnung ein strenger Maßstab angebracht ist.

Für das Vorliegen eines allfälligen Schuldausschließungsgrundes ist der Dienstnehmer beweispflichtig (Kuderna aaO 72; RIS-Justiz RS0029868). Ein derartiger Nachweis ist nicht erfolgt. Das Erstgericht hat der Verantwortung der Klägerin, dass gesundheitliche Gründe sie veranlasst haben, etwas zu essen, keinen Glauben geschenkt (vgl im Übrigen die Zivka B***** betreffende Entscheidung 9 ObA 256/00p).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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