JudikaturJustiz9ObA212/02w

9ObA212/02w – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Oktober 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel und Rudolf Vyziblo als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien

1. Jovanka A*****, Bedienerin, ***** 2. Vitomirka J*****, Bedienerin, derzeit arbeitslos, ***** und 3. Dusanka K*****, Bedienerin, derzeit arbeitslos, ***** sämtliche vertreten durch Mag. Peter Civic, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gemeinde Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Heufler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1. EUR 10.171,22 brutto sA, 2. EUR 29.084,18 brutto sA, und 3. EUR 25.170,96 brutto sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2001, GZ 7 Ra 384/01v-53, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. April 2001, GZ 23 Cga 85/00p-42 (führender Akt), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.105,26 (darin EUR 350,88 Ust) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen, und zwar die Erstklägerin anteilig EUR 336,84 (darin EUR 56,14 USt), die Zweitklägerin anteilig EUR 947,37 (darin EUR 157,90 USt) und die Drittklägerin anteilig EUR 821,05 (darin EUR 136,84 USt).

Text

Entscheidungsgründe:

Sämtliche Klägerinnen waren als Hausarbeiterinnen (Bedienerinnen) bei der beklagten Partei beschäftigt, wobei auf die Dienstverhältnisse die Wiener VBO anzuwenden ist. Die Klägerinnen wurden am 20. 1. 2000 aus dem Grund des § 45 Abs 2 Z 2 Wiener VBO entlassen, weil sie beim Verlassen der Dienststelle dabei betreten worden waren, wie sie im Eigentum der beklagten Partei stehende Lebensmittel, teilweise auch Gebrauchsgegenstände mitnehmen wollten.

Die Erstklägerin war seit 15. 2. 1994, die Zweitklägerin seit 18. 1. 1973 und die Drittklägerin seit 16. 10. 1979 bei der beklagten Partei beschäftigt.

Zumindest seit 1985 müssen Dienstnehmer der beklagten Partei bei Dienstantritt im Krankenhaus Lainz unterschreiben, dass übrig gebliebene Lebensmittel nicht mitgenommen oder verzehrt werden dürfen. Jedenfalls ist es allen Dienstnehmern im Krankenhaus Lainz, und zwar auch den Klägerinnen, bekannt, dass übrig gebliebenes Essen nicht verzehrt oder mitgenommen werden darf. Mit Erlass vom 19. 2. 1986 wurde aus "gegebenem Anlass" neuerlich darauf hingewiesen, dass die Entnahme jedweder der Stadt Wien gehörenden Güter, unabhängig von deren materiellem Wert, also auch von geringwertigem Gut und Verbrauchsgütern, wie Medikamenten, Verbandmaterialien, Kanzleibedarfsgütern und Lebensmitteln für persönliche, nicht mit der Dienstausausübung zusammenhängende Zwecke, untersagt ist und sowohl disziplinäre wie auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen kann. Anlässlich einer Mitarbeiterbesprechung im Jahre 1989 oder 1990 wurde die Drittklägerin ausdrücklich von der Oberschwester auf dieses Verbot hingewiesen.

Das Patientenessen wird in den Abteilungsküchen vorbereitet und kommt von dort in die Stationsküchen. Warmes Essen wird direkt aus großen Töpfen an die Patienten ausgeschöpft, der Rest geht in den Töpfen zurück in die Abteilungsküche. Kaltes Essen, das es an vier Abenden pro Woche gibt, kommt vorportioniert auf Tellern und abgezählt in die Stationsküchen. Brot kommt im ganzen Laib, wird von den Schwestern in der Stationsküche aufgeschnitten und sodann in Scheiben vom Servierwagen weg an die Patienten ausgegeben. Jedes Essen, das dem Patienten vorgelegt, von diesem aber nicht gegessen wurde, wird weggeworfen. Es kommt vom Patientenwagen auf den Servierwagen zurück und mit dem Servierwagen in die Stationsküche, wo es Aufgabe der Stationsgehilfinnen oder der Bedienerinnen ist, dieses Essen wegzuwerfen. Es gibt dafür einen speziellen Container, dessen Inhalt auf Grund eines Vertrages mit einem Bauern als "Sautrank" abgeholt wird. Es ist den Stationshelferinnen und Bedienerinnen nicht erlaubt, zurückgekommenes oder nicht ausgegebenes Essen selbst zu essen oder mitzunehmen. Dies wurde auch von vorgesetzten Schwestern nie erlaubt. Kaltes Essen, das noch original eingeschweißt auf den Tellern ist und den Patienten nicht vorgelegt wurde, geht nicht zurück in die Abteilungsküche, sondern wird im Kühlschrank auf den Stationen aufbewahrt, um es zu einem späteren Zeitpunkt Patienten vorlegen zu können. Auch Brot, das nicht vorgelegt wurde, wird in den Stationen einen Tag aufbewahrt und dann weggeworfen. Genauso verhält es sich mit Obst, Milch oder Joghurt. Diese Lebensmittel werden zunächst im Kühlschrank aufbewahrt, um sie an Patienten ausgeben zu können, nach Ablauf des Aufbrauchsdatums werden diese Lebensmittel weggeworfen. Auch diese Lebensmittel dürfen von Bedienerinnen weder gegessen noch mitgenommen werden. Auch hinsichtlich dieser Lebensmittel erteilten vorgesetzte Schwestern keine Mitnahmeerlaubnis. Auf den Stationen befindet sich überdies verdünnbarer Saft in Kunststoffflaschen, welcher verdünnt an Patienten ausgegeben wird.

Am 18. 1. 2000 wurden um 17.30 Uhr Taschenkontrollen durchgeführt. Dabei waren der Dienststellenausschussvorsitzende sowie eine Oberaufseherin anwesend. Die drei Klägerinnen wurden beim Verlassen des Spitalsgeländes in der Nähe der Portierloge zurückgeholt; in einem Hinterzimmer der Portierloge wurden anschließend die Taschenkontrollen vorgenommen. Die Erstklägerin hatte zwei Packungen mit Mistsäcken, 2 Liter Milch, 2 kg Brot, eine Tasse Wurst und einen grünen Paprika mitgenommen. Die Lebensmittel stammten von einem Servierwagen, von wo sie die Erstklägerin weggenommen hatte. Die Wurst war noch original eingeschweißt, weil sie einem Patienten nicht vorgelegt worden war; auch der Paprika war nicht vorgelegt worden. Die Milchpackungen waren ungeöffnet, das Brot nicht aufgeschnitten, wobei nicht festgestellt werden kann, dass es sich um abgelaufene Ware handelte. In der Tasche der Zweitklägerin fanden sich ein Sack Früchtetee, 3 Liter Milch, 5 Zitronen und zwei Rollen Mistsäcke aus dem Eigentum der beklagten Partei. Den Tee nahm die Zweitklägerin, weil es auf der Station viel Tee gab, die Zitronen, weil ihr Mann krank war und sie nicht mehr einkaufen wollte. Die Milch hatte sie aus dem Kühlschrank genommen, wobei nicht feststellbar ist, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war. Die Drittklägerin hatte in ihrer Tasche Orangen, einen Paprika, Wurst, in Plastikfolie eingepackten Käse und einige Scheiben in Plastikfolie eingepacktes Brot; bei Orangen, Paprika und Wurst handelte es sich um Essen, welches auf dem Servierwagen vom Abendessen zurückgekommen war. Käse und Brot waren originalverpackt und somit einem Patienten nicht vorgelegt worden. Weiters hatte die Drittklägerin eine 1,5-Literflasche mit Himbeersirup zum Verdünnen bei sich, die Flasche war in einen Arbeitsmantel eingewickelt. Auch dieser Sirup stammte aus dem Eigentum der beklagten Partei. Es war nicht üblich, dass Bedienerinnen Lebensmittel mit nach Hause nahmen; wenn dies geschehen war, dann ohne Wissen und Willen der Dienstgeberin bzw deren Vertreter. Den Klägerinnen war bekannt, dass es ihnen nicht erlaubt war, übrig gebliebenes Essen mitzunehmen.

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Entlassung der Klägerinnen berechtigt war, zutreffend bejaht, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der Berufungsentscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberinnen entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Das Dienstverhältnis kann gemäß § 45 Abs 1 der Wiener Vertragsbedienstetenordnung 1995 von der Gemeinde durch Entlassung aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden. Ein solcher wichtiger Grund liegt gemäß § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 insbesondere dann vor, wenn der Vertragsbedienstete sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens der Gemeinde unwürdig erscheinen lässt. Der Entlassungsgrund der Vertrauenswürdigkeit nach § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 bedingt keine besondere Vertrauensstellung des Dienstnehmers. Gerade im Bereich der Eigentunmsdelikte kommt es normalerweise nicht auf den Wert der Sache an, auf den sich das verpönte Verhalten bezogen hat (RIS-Justiz RS0029672 T 11). Entgegen der Auffassung der Revisionswerberinnen entfernen sich die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte nicht wesentlich von denjenigen, welche den Entscheidungen 9 ObA 227/00y (= ARD 52065/49/01) und 9 ObA 256/00p (= RdW 2001, 364 = ARB 12.057 ua) zugrunde lagen, sodass die dort angestellten Erwägungen auch hier Gültigkeit haben. Den zitierten Entscheidungen kann insbesondere nicht entnommen werden, dass dort die Entlassungen nur deshalb als berechtigt angesehen wurden, weil die Dienstnehmerinnen unmittelbar vor der Tat auf das Verbot der Mitnahme von Lebensmitteln hingewiesen worden wären. Diesen Vorentscheidungen lagen ebenfalls Dienstverhältnisse der Entlassenen von mehrjähriger Dauer zu Grunde. Während die Drittklägerin im Jahre 1989 oder 1990 nochmals ausdrücklich auf das Verbot der Mitnahme von Lebensmitteln hingewiesen worden war, kommt bei Erst- und Zweitklägerin erschwerend hinzu, dass diese nicht nur mit Lebensmitteln, sondern überdies mit verpackten Mistsäcken aus dem Eigentum der beklagten Partei betreten wurden.

Zusammenfassend konnte keine der Klägerinnen Gründe dafür aufzeigen, dass es ausnahmsweise an der Unzumutbarkeit ihrer Weiterbeschäftigung gefehlt habe (vgl RIS-Justiz RS0029329). Der erstmalig in der Revisionsschrift erstattete Hinweis, dass die Kontrollmaßnahmen der beklagten Partei der Zustimmung des Betriebsrates nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG (hier, wenn überhaupt, wohl eher der Einbindung der Personalvertretung gemäß § 39 Abs 2 Z 1 Wr. VBO 1995) bedurft hätten, ist schon deshalb unbeachtlich, weil es sich hiebei um eine unzulässige Neuerung handelt. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, welchen Einfluss dies auf das Recht des Dienstgebers haben sollte, von seinem Entlassungsrecht Gebrauch zu machen, wenn der Dienstnehmer tatsächlich einen Entlassungsgrund gesetzt hat. Da die Vertrauensunwürdigkeit der Klägerinnen schon durch die von ihnen begangenen Eigentumsdelikte zu unterstellen ist (RIS-Justiz RS0060332), bedarf es keines Eingehens darauf, ob überdies auch medizinisch-hygienische Gründe das Mitnahmeverbot erklären können und inwieweit die Klägerinnen auch darauf hätten hingewiesen werden müssen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die unterliegenden Klägerinnen sind mangels einer Solidarhaftung nur zum anteilsmäßigen Kostenersatz zu verhalten, wobei der Anteil der Erstklägerin am Gesamtstreitwert ca 16 %, derjenige der Zweitklägerin 45 % und derjenige der Drittklägerin 39 % ausmacht. Entgegen der Kostennote der beklagten Partei ist keine besondere Entlohnung nach § 21 Abs 1 RATG zuzuerkennen, zumal nicht erkannt werden kann, dass das Studium der Revisionsschrift oder das Verfassen der Revisionsbeantwortung eine nach Art und Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigende Leistung des Rechtsanwalts verursachten. Ausgehend vom Ansatz nach TP 3c in Höhe von EUR 1.017,03 ergibt sich zuzüglich des Einheitssatzes von EUR 508,52 und des Streitgenossenzuschlages von EUR 228,83 eine Verdienstsumme von EUR 1.754,38. Dazu kommen EUR 350,88 an Umsatzsteuer. Der Kostenanspruch der beklagten Partei beläuft sich somit auf EUR 2.105,26. Dieser Betrag ist auf die drei Klägerinnen aufzuteilen.

Rechtssätze
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