JudikaturJustiz9ObA211/00w

9ObA211/00w – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. September 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Werner Hartmann und Rat DI Werner Conrad als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Michael G*****, Angestellter, ***** 2. Günter A*****, Angestellter, ***** beide vertreten durch Dr. Georg Grießer und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH Co KG, ***** vertreten durch Dr. Gottfried Korn und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1. S 233.647,31 brutto sA, und 2. S 208.869,73 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2000, GZ 7 Ra 85/00x-61, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12. Oktober 1999, GZ 25 Cga 111/94i (verbunden mit 25 Cga 99/94t)-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den Klägern die mit S 19.845 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.307,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Entlassungsgrundes gemäß § 27 Z 1 AngG zutreffend verneint. Es reicht daher aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Den Revisionsausführungen ist entgegenzuhalten:

Der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit erfordert keine konkrete Schädigung, sondern stellt darauf ab, ob für den Arbeitgeber vom Standpunkt vernünftigen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Interessen und Belange durch den Angestellten gefährdet sind. Dabei ist an das Verhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen, der nach den Begleitumständen des Einzelfalles und nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise angewendet zu werden pflegt (RIS-Justiz RS0040857; Arb 10.212; 9 ObA 129/99g).

Die Abschaffung der Nachtdienste, die für den Ausfall von "Läufern" als Nachtzusteller von Gratisexemplaren der Tageszeitung vorsorgen konnten, die Nichtzurverfügungstellung eines Budgets zur Organisation eines Nachtdienstes und die im Zusammenhang mit einem Vorhalt, wie unter diesen Voraussetzungen bei Ausfall von "Läufern" vorgegangen werden sollte, getätigten Äußerungen des Vorgesetzten der Kläger:

"Machen Sie es wie Sie wollen, Hauptsache es passt alles", "wie Ihr es jetzt macht, ist mir gleich, organisiert Euch das selber", waren objektive Umstände, die die Vorinstanzen dahin würdigten, dass den Klägern die Organisation der Nachtzustellung und daher auch der Vertretungsdienste freigestellt war. Wenn es sich auch von selbst versteht, dass kein Verhalten außerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen der Beklagten gestattet war, so hat doch der Arbeitgeber den Erstkläger als Leiter der Abteilung "Werbevorbereitung", der für die reibungslose Zustellung der Gratisexemplare der Tageszeitung zwischen 2.00 Uhr und 6.00 Uhr früh verantwortlich war und den Zweitkläger als Außendienstmitarbeiter sozusagen "im Regen stehen lassen" und keine klaren Richtlinien vorgegeben. Die Einsetzung eines von der Beklagten als "Schattenorganisation" bezeichneten ständigen telefonischen Bereitschaftsdienstes durch die Kläger, der den Ausfall eines "Läufers" nach eigenem Gutdünken auszugleichen hatte und dessen Bezahlung durch einen freiwilligen Beitrag eines in einem bevorzugten Rayon (Verdienst S 1.800 täglich) eingesetzten "Läufers" im Ausmaß von 1.000 S monatlich und einen vom Zweitkläger aus eigenen Mitteln geleisteten Beitrag von S 500 erfolgte, war daher allenfalls insofern organisationswidrig, als bisher kein solcher bezahlter Bereitschaftsdienst vorgesehen war und die Kürzung eines "Läuferentgelts" unabhängig von einem eigenen Ausfall nicht den üblichen "Läuferwerkverträgen" entsprach.

Da aber gerade die Absicht der Kläger dahin ging, die dienstlichen Interessen an der reibungslosen Zustellung durch diese Vorgangsweise zu gewährleisten, den Klägern keinerlei Richtlinien zur Organisation vorgegeben worden waren, wie es der Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers entsprochen hätte, er hiezu auch keine Mittel zur Verfügung stellte, aber auch die Organisation der Vertretung schon nach den "Musterverträgen" auch unkontrollierbare Möglichkeiten offenließ (da einerseits der "Läufer" selbst für seine Vertretung zu sorgen bzw den Vertretungsservice zu verständigen hat, wobei es Nachtdienste nicht mehr gab, ist es keine Fehlbeurteilung, dass den Klägern eine Pflichtwidrigkeit nicht bewusst, aber auch bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht erkennbar war, sodass sie kein Verschulden trifft (Kuderna Entlassungsrecht2 71 f, 87; 14 Ob 129/86). Nach den Feststellungen kam ihnen kein anderer Vorteil zu, als dass sie selbst nicht als Vertreter einspringen mussten, was aber ohnehin für den Leiter einer Abteilung und einen Außendienstmitarbeiter, der selbst die "Läufer" anwarb, nicht zu den selbstverständlichen Aufgaben gehörte. Bei der, wie die Revisionsbeantwortung bemerkt, "zynischen und lässigen Formulierung" des Vorgesetzten, sich die Vertretung selbst zu organisieren, bildete auch die Unterlassung einer Rückfrage oder Information des Dienstgebers durch die Kläger keine Vertrauensunwürdigkeit hervorrufende Pflichtverletzung. Daran ändert mangels konkreter Richtlinien durch die Arbeitgeber auch die höhere Verantwortung eines Abteilungsleiters nichts.

Selbst wenn durch die "Zusatzvereinbarung" mit dem bevorzugt eingesetzten Läufer dieser einen Vermögensnachteil erlitt, so geschah dies nicht wissentlich im Sinne des § 153 StGB, weil im Innenverhältnis zur Beklagten nicht einmal in den wesentlichen Grundzügen eine Vorgabe des Arbeitgebers zur Organisation der Vertretung gemacht wurde (9 Os 42/87) und der Beklagten kein Vermögensnachteil zugefügt wurde. Da sich der "Läufer" zu dieser Vereinbarung ohne Druck entschlossen hat, kann auch von einer strafbaren Handlung ihm gegenüber keine Rede sein.

Insgesamt gesehen scheitert die Berechtigung der Entlassung, ob nun eine außerhalb der Organisation der Beklagten stehende Vertretungsmöglichkeit durch die Kläger gewählt wurde, ob die Kläger die sogenannten "Gehlisten" durch den Bereitschaftsdienst erstellen ließen, was im zweiten Rechtsgang nicht mehr Inhalt der Feststellungen wurde und daher unbeachtlich ist, oder indirekt Dienstpflichten verletzt wurden, weil das Entgelt für den Bereitschaftsdienst nicht an den diesen Leistenden, sondern auf das Konto seiner Lebensgefährtin erfolgte und damit ein unberechtigter Arbeitslosengeldbezug ermöglicht wurde, auch daran, dass bei der allfälligen Verletzung von Dienstpflichten im Gegensatz zum Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit, der nicht vorliegt, eine Verwarnung erforderlich gewesen wäre (9 ObA 129/99g).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.