JudikaturJustiz9ObA11/23t

9ObA11/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. R*, vertreten durch Mag. Andreas Kulka, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Bekanntgabe (Streitwert 15.000 EUR) und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2022, GZ 8 Ra 53/22f 15, mit dem das Versäumungsurteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 7. April 2022, GZ 23 Cga 3/22m-5 für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem Rekurs wird, soweit das Berufungsgericht das Versäumungsurteil als nichtig aufgehoben und das Verfahren für nichtig erklärt hat, nicht Folge gegeben.

2. Im Übrigen, sohin im Umfang der Zurückweisung der Klage, wird dem Rekurs Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Entscheidung über den Einwand der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger war von November 2018 bis September 2019 für die Beklagte, die eine Fluglinie betreibt, als Pilot tätig.

[2] Der Kläger begehrte, die Beklagte dazu zu verpflichten, ihm die Identität jenes Versicherers bekannt zu geben, mit dem über Vermittlung der Beklagten im Mai 2019 ein Vertrag über die Versicherung der Berufsunfähigkeit des Klägers zustande gekommen sei, sowie die Feststellung, dass die Beklagte für jenen Schaden hafte, der ihm dadurch entsteht, dass sie dieser Verpflichtung nicht oder nicht so rechtzeitig nachkomme, dass ein Vermögensschaden des Klägers vermieden werde.

[3] Die Beklagte habe im Mai 2019 den bei ihr beschäftigten Piloten, darunter auch dem Kläger, den von ihr organisierten Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung für Piloten angeboten. Die Versicherung habe am 10. 5. 2019 beginnen sollen. Der Kläger habe sich für eine von mehreren zur Auswahl stehenden Varianten entschieden. Die entsprechende Versicherungsprämie sei von der Gehaltszahlung für Mai 2019 abgezogen worden. Ihm seien aber keine Unterlagen zum Versicherungsvertrag übermittelt worden, weshalb ihm weder die Bedingungen, denen der Versicherungsvertrag unterliege, noch die Identität des Versicherers bekannt seien.

[4] Er sei seit 3. 6. 2019 aufgrund gesundheitlicher Probleme dauernd berufsunfähig. Die Beklagte habe ihm mitgeteilt, dass der Versicherer eine Leistungspflicht nicht anerkenne, jedoch nicht, wer sein Vertragspartner als Versicherer sei. Er sei daher nicht in der Lage, seinen Anspruch auf eine Versicherungsleistung geltend zu machen. Gemäß Art 8 Abs 2 der VO (EG) 593/2008 sei auf den zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Vertrag österreichisches Recht anzuwenden. Die Beklagte treffe die aus dem mit dem Kläger abgeschlossenen Vertrag resultierende Nebenpflicht, ihm alle Informationen zu erteilen, die notwendig seien, damit er seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machen könne.

[5] Während seiner Beschäftigung habe er seinen Wohnsitz in Wien gehabt, von wo aus er seine Dienste angetreten habe. Da er einen Anspruch aus dem Beschäftigungsverhältnis geltend mache, sei das angerufene Arbeits- und Sozialgericht Wien gemäß § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG international und örtlich sowie gemäß § 3 ASGG sachlich zuständig.

[6] Die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung am 7. 4. 2022 und eine Gleichschrift der Klage wurden der Beklagten ohne Übersetzung am 2. 2. 2022 mit internationalem Rückschein in Marokko zugestellt. Da die vorbereitende Tagsatzung seitens der Beklagten unbesucht blieb, erließ das Erstgericht über Antrag des Klägers ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil, das der Beklagten am 26. 4. 2022 mit internationalem Rückschein in Marokko zugestellt wurde.

[7] Gegen dieses Versäumungsurteil erhob die Beklagte Berufung und Widerspruch.

[8] Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das Versäumungsurteil als nichtig auf, erklärte das Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück.

[9] Die Zustellung von Schriftstücken in Zivil- und Handelssachen richte sich im Rechtsverkehr zwischen Österreich und Marokko nach dem Haager Übereinkommen vom 15. 11. 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil und Handelssachen (Haager Zustellungsübereinkommen 1965 – HZÜ). Danach sei die direkte Übermittlung der Klage und der Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung per Post (mit internationalem Rückschein) grundsätzlich zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung sei es aber mit einem fair geführten Verfahren unvereinbar, wenn der Empfänger verfahrenseinleitende Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt erhalte, die nicht in seiner Sprache abgefasst und auch nicht übersetzt seien. Entgegen der Ansicht des Klägers könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die mit der Entgegennahme und Bearbeitung der Post befassten Mitarbeiter der Beklagten in Marokko über ausreichende Deutschkenntnisse verfügten und die Beklagte daher in der Lage gewesen sei, ihre Rechte effektiv zu vertreten, nur weil die Leistungen der Beklagten auch auf den österreichischen und deutschen Markt ausgerichtet seien. Da die Klage und die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung der Beklagten daher nicht wirksam zugestellt worden seien, sei das Versäumungsurteil als nichtig aufzuheben. Von der Nichtigkeit sei auch die vorbereitende Tagsatzung umfasst. Zusätzlich sei aber auch der von der Beklagten erhobene Einwand der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit berechtigt.

[10] Für Arbeitsrechtssachen iSd § 50 Abs 1 Z 1 ASGG sei gemäß § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG nach Wahl des Klägers auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt während des Arbeitsverhältnisses habe oder wo er ihn im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehabt habe. Voraussetzung dafür, dass der Kläger diesen Wahlgerichtsstand in Anspruch nehmen könne, sei, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis bestanden habe (a), es sich um eine Rechtsstreitigkeit im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis handle (b) und dass der Kläger während des Arbeitsverhältnisses oder im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel des angerufenen Gerichts gehabt habe (c).

[11] Nach der Rechtsprechung müsse der geltend gemachte Anspruch seine Wurzel im Arbeitsverhältnis haben. Dieser Zusammenhang sei im vorliegenden Fall zu verneinen. Dass das (behauptete) Arbeitsverhältnis Beweggrund für die Vermittlung des Versicherungsvertrages gewesen sei, rechtfertige noch nicht den für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit geforderten Zusammenhang. Das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit stelle einen Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 3 ZPO) dar, der zur Nichtigerklärung des Verfahrens und Zurückweisung der Klage führe.

[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss „so abzuändern, dass der Berufung nicht Folge gegeben wird“, in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung ohne Heranziehung eines Grundes für die Zurückweisung der Klage aufzutragen.

[13] Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Rekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

[15] 1. Der Beschluss, mit dem das Berufungsgericht erstmals einen Nichtigkeitsgrund aufgreift und das erstgerichtliche Verfahren unter Zurückweisung der Klage für nichtig erklärt, ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO mit Vollrekurs anfechtbar. Ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof unterliegt damit nicht den Beschränkungen des § 528 ZPO (RS0116348; RS0043861).

[16] 2. Nach der Rechtsprechung ist es mit einem fair geführten Verfahren unvereinbar, wenn der Empfänger (außerhalb des österreichischen Staatsgebiets) verfahrenseinleitende Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt erhält, die nicht in seiner Sprache abgefasst und auch nicht übersetzt sind, sodass eine solche Zustellung unwirksam ist (RS0110261; vgl auch RS0110260). Grundvoraussetzung jeder wirksamen Vertretung sei, dass der Betroffene verstehe, worum es gehe. Daran fehle es, wenn Schriftstücke zugestellt werden, die nicht in der Amtssprache des Zustelllandes abgefasst und auch nicht übersetzt seien (4 Ob 159/98f; 10 ObS 347/99y; 10 Ob 99/00g).

[17] Bereits das Berufungsgericht hat aufgezeigt, dass sich diese Rechtsprechung nicht ausschließlich auf natürliche Personen bezieht. Entgegen der Ansicht des Klägers ist allein aus dem Umstand, dass die Beklagte weltweit Flughäfen in unterschiedlichsten Ländern anfliegt, nicht darauf zu schließen, dass in diesem Unternehmen auch die entsprechenden Sprachen in ausreichendem Umfang und mit ausreichendem Sprachniveau vertreten werden, ist doch die relevante Sprache im weltweiten Flugverkehr Englisch. Auch das Vorhandensein verschiedensprachiger Websites bietet noch keine Grundlage für die Annahme, dass im Unternehmen diese Sprachen auch vertreten sind, sofern daraus nicht geschlossen werden kann, dass die Geschäftstätigkeit des Unternehmens besonders auf einen bestimmten Markt ausgerichtet ist oder dort eine relevante Zahl von Kunden bedient. Für eine solche Annahme bietet das Vorbringen des Klägers im vorliegenden Fall aber keine ausreichende Grundlage.

[18] Zu R echt ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Klage nicht wirksam zugestellt wurde und daher das Versäumungs urteil und das vorangegangene Verfahren wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten nichtig sind.

[19] In diesem Umfang war dem Rekurs des Klägers daher nicht Folge zu geben.

[20] 3. Der Kläger hat die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG gestützt. Die Verordnung (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (kurz: EuGVVO) sei nicht anwendbar, weil die Beklagte ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union habe.

[21] 4. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Österreich, die Beklagte ihren Sitz in Marokko. Dies schließt entgegen der Ansicht des Klägers eine Anwendbarkeit der EuGVVO nicht aus, da diese Verordnung in gewissen Fällen, darunter Klagen aus dem Arbeitsverhältnis, die Geltendmachung von Ansprüchen auch gegen Personen, die ihren Sitz außerhalb des Gebiets der Europäischen Union haben, regelt.

[22] 5. Der Kläger muss in der Klage alle jene Angaben aufnehmen, aus denen das Gericht seine Zuständigkeit erkennen kann. Dabei muss er Zuständigkeitstatbestände nicht in ihrer rechtlichen Konfiguration (richtig) benennen, er muss nur das dafür erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (RS0046204 [T4, T6]). Das gilt auch für die hier strittige Frage der internationalen Zuständigkeit (vgl 2 Ob 106/04h mwN).

[23] Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger zwar ausdrücklich auf den (Wahl-)Gerichtsstand nach § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG gestützt; es ist jedoch aus dem Vorbringen nicht ableitbar, dass er die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausschließlich auf diesen Gerichtsstand stützen wollte und nicht auf alle, die sich aus den Klagsangaben ableiten lassen (vgl 7 Ob 148/02v).

[24] 6. Zum Verhältnis des hier in Betracht kommenden Zuständigkeitstatbestands des Art 21 Abs 2 EuGVVO zu nationalen Zuständigkeitsvorschriften hat der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung vom 20. 10. 2022, ROI Land Investments Ltd gegen FD , C-604/20, ECLI:EU:C:2022:807, Stellung genommen und ausgeführt:

„Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist wie folgt auszulegen:

Der Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung von Art. 21 Abs. 2 der Verordnung verwehrt es selbst dann dem Gericht eines Mitgliedstaats, sich, wenn die Anwendungsvoraussetzungen dieses Art. 21 Abs. 2 erfüllt sind, auf die Vorschriften dieses Mitgliedstaats über die gerichtliche Zuständigkeit zu berufen, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger wären. Sind hingegen weder die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 noch diejenigen der übrigen Vorschriften, die in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung aufgeführt werden, erfüllt, steht es dem Gericht nach dieser letztgenannten Bestimmung frei, bei der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit die genannten Vorschriften dieses Mitgliedstaats anzuwenden.“

[25] Vorrangig ist daher in einem Fall wie dem v orliegenden die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO zu prüfen.

[26] 7. Abschnitt 5 der EuGVVO (Art 20 bis 23) trägt die Überschrift „Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge“. Art 20 Abs 1 EuGVVO nimmt eine Präzisierung zu den davon erfassten Streitigkeiten vor. Danach müssen den Gegenstand des Verfahrens ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag bilden. Art 21 EuGVVO betrifft die Klage eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Nach Art 21 Abs 1 EuGVVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, geklagt werden (lit a) oder in einem anderen Mitgliedstaat (lit b), vor dem Gericht des Orts, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat (i), oder wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Orts, an dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet oder befand (ii).

[27] Nach Art 21 Abs 2 EuGVVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gemäß Art 21 Abs 1 lit b EuGVVO verklagt werden.

[28] 8. Die Begriffe des individuellen Arbeitsvertrags und der Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag sind verordnungsautonom auszulegen (vgl etwa Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 20 EuGVVO 2012 Rz 9).

[29] 9. Weiters kommt es darauf an, ob der Kläger Ansprüche nach Art 20 EuGVVO 2012 geltend macht. Zu den Ansprüchen aus einem individuellen Arbeitsvertrag zählen nach der Lehre unter anderem alle Ansprüche aus einem aufrechten Arbeitsvertrag, aus der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses, aus einem nicht mehr bestehenden oder aufgelösten Arbeitsvertrag sowie Ansprüche, die erst nach Auflösung des Arbeitsvertrages entstanden sind, wie zB ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot (vgl ausführlich und mit weiteren Beispielen dazu Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 20 EuGVVO 2012 Rz 50 ff mwN; vgl auch Garber in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer , Internationales Zivilverfahrensrecht [18. Lfg 2015] Artikel 20 EuGVVO Rz 37 ff).

[30] Der EuGH hat wiederholt zu vergleichbaren Regelungen judiziert, dass der Umstand, dass eine Vertragspartei eine Klage wegen zivilrechtlicher Haftung gegen die andere Vertragspartei erhebt, noch nicht bedeutet, dass diese Klage einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ betrifft. Dies ist nur dann so, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen, so dass dessen Berücksichtigung für die Entscheidung über die Klage zwingend erforderlich wäre. Dies festzustellen sei als Sache des nationalen Gerichts angesehen (EuGH, C 548/12, Brogsitter , ECLI:EU:C:2014:148, Rn 23 und 24, 28; vgl auch Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón, C-47/14, Holterman Ferho Exploitatie BV ua [ECLI:EU:C:2015:309] Rn 33 f).

[31] 10. Im konkreten Fall hat die Beklagte nach dem Klagsvorbringen als Arbeitgeberin auch des Klägers ihren Arbeitnehmern den von ihr organisierten Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen angeboten und, nachdem der Kläger sich für eine der angebotenen Varianten entschieden hat, die entsprechenden Prämien vereinbarungsgemäß von seinem Gehalt eingezogen. Ob Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis arbeitsrechtliche Ansprüche darstellen könnten, muss hier nicht geprüft werden, da solche nicht geltend gemacht werden. Vielmehr handelt es sich, entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts um die Geltendmachung von Fürsorgepflichten des Arbeitgebers, der für seine Arbeitnehmer Zusatzleistungen durch Dritte organisiert hat und diesen daher auch die für die Geltendmachung von Ansprüchen erforderlichen Basisinformationen zur Verfügung zu stellen hat. Dazu kommt, dass nach dem Vorbringen des Klägers die Prämien (jedenfalls zunächst) von seinem Lohn abgezogen wurden. Behält der Arbeitgeber aber einen Teil des Entgelts mit der Begründung ein, dass damit eine Versicherungsprämie aus einer vom Arbeitnehmer über Vermittlung des Arbeitgebers abgeschlossenen Versicherung beglichen wird, ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Bekanntgabe des Rechtssubjekts, an das sein Gehalt ausbezahlt wurde, jedenfalls ein solcher aus dem Arbeitsverhältnis.

[32] 11. Wie bereits dargelegt, ist – soweit für den vorliegenden Fall von Relevanz – Voraussetzung für den Gerichtsstand des Art 21 Abs 1 lit b (i) EuGVVO, dass es sich um den Ort handelt, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.

[33] Im Hinblick auf die Besonderheiten der Arbeit im Verkehrssektor ist zur Bestimmung dieses Orts nach dem EuGH auf eine Reihe von Indizien abzustellen. Für den gewöhnlichen Arbeitsort kommt es auf den Ort an, von dem aus der Arbeitnehmer seine Dienste erbringt, zu dem er danach zurückkehrt und an dem sich seine Arbeitsmittel befinden. Die sogenannte „Heimatbasis“ bei Piloten sei dafür ein (gewichtiges) Indiz, jedoch nicht notwendigerweise damit gleichzusetzen (vgl EuGH C-168/16, C-169/16, Sandra Nogueira ua/Crewlink Ireland Ltd. und Miguel José Moreno Osacar/Ryanair Designated Activity Company [ECLI:EU:C:2017:688] Rz 61 ff).

[34] Wäre dieser Ort – wie vom Kläger behauptet – Wien, könnte daher die internationale Zuständigkeit zu bejahen sein.

[35] 12. Im Verfahren vor dem Erstgericht war allerdings die Beklagte noch nicht beteiligt. Nunmehr hat die Beklagte sowohl in der Berufung als auch im Widerspruch den Einwand der fehlenden internationalen Zuständigkeit erhoben und entsprechendes Tatsachenvorbringen erstattet.

[36] Zwischen den Parteien ist demnach strittig, ob ein Arbeitsvertrag im Sinn der EuGVVO vorliegt. Der Kläger hat dazu vorgebracht, auf Basis eines Arbeitsvertrags als Pilot beschäftigt gewesen zu sein. Die Beklagte behauptet eine Tätigkeit auf selbstständiger Basis. Auch zu den für die Beurteilung des gewöhnlichen Arbeitsorts des Klägers erforderlichen Umständen wurde unterschiedliches Vorbringen erstattet. Der Kläger behauptet, gewöhnlich seine Arbeit von Wien aus verrichtet zu haben, die Beklagte, dass der Kläger seinen Dienst von seiner Homebase in Marokko aus angetreten habe.

[37] Bei der Zuständigkeitsprüfung ist trotz Gegenbehauptungen des Beklagten dann nur von den Klagebehauptungen auszugehen, wenn diese sowohl zuständigkeitsbegründend als auch Anspruchsvoraussetzung sind doppelrelevante Tatsachen (RS0056159). Richtig ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das auf die für die Zuständigkeit relevanten Tatsachen im vorliegenden Fall nicht zutrifft, weshalb die widerstreitenden Tatsachenbehauptungen der Beklagten grundsätzlich zu berücksichtigen sind.

[38] Von den Vorinstanzen wurden aber bislang zu den widerstreitenden Vorbringen der Parteien noch keine Feststellungen getroffen. Daher lässt sich die internationale Zuständigkeit nach Art 21 Abs 2 EuGVVO noch nicht beurteilen, weil noch nicht feststeht, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht und ob der Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, in Österreich liegt.

[39] 13. Im Umfang der Zurückweisung der Klage ist daher die angefochtene Entscheidung zur Erhebung der erforderlichen Tatsachen aufzuheben. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist dazu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die internationale Zuständigkeit an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[40] 14. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.