JudikaturJustiz9Ob901/92

9Ob901/92 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith, Dr.Maier, Dr.Petrag und Dr.Bauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Insolvenz-Ausfallgeld-Fond beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, vertreten durch die Finanzprokuratur,

Wien 1, Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Dr.S***** D*****, Rechtsanwalt ***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der S-GmbH Co KG ***** S***** GmbH Co KG, wegen 116.931 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Jänner 1992, GZ 2 R 313/91-15, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.August 1991, GZ 14 Cg 101/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5658 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der ***** S***** GmbH Co KG wurde am 22.6.1990 das Ausgleichsverfahren und mit Beschluß vom 11.10.1990 das Konkursverfahren eröffnet; der Beklagte wurde zum Masseverwalter bestellt. F***** F***** war seit dem Jahre 1978 bei diesem Unternehmen beschäftigt. Ab 8.5.1990 wurden die laufenden Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis an ihn nicht ausgezahlt. Am 20.7.1990 begehrte er mit einem der Ausgleichsschuldnerin am 23.7.1990 zugegangenen Schreiben die Zahlung der rückständigen Junientlohnung und erklärte für den Fall des fruchtlosen Verstreichens der bis 27.7.1990 eingeräumten Nachfrist seinen vorzeitigen Austritt. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Am 4.7.1990 beantragte die Ausgleichsschuldnerin beim Ausgleichsgericht die Erteilung der "Ermächtigung, die Dienstnehmer kündigen zu dürfen". Der Ausgleichsverwalter stimmte diesem Antrag zu. Die Kammer für Arbeiter und Angestellte teilte als Vertreterin F***** F***** mit, keine einer Kündigungsermächtigung widersprechenden Gründe nennen zu können. Mit Beschluß des Ausgleichsgerichtes vom 25.7.1990 wurde der Ausgleichsschuldnerin die Ermächtigung erteilt, die namentlich angeführten Arbeitnehmer, darunter F***** F*****, gemäß § 20 c Abs 2 AO zu kündigen. Dieser Beschluß wurde der Ausgleichsschulderin am 2.8.1990 zugestellt.

Die klagende Partei hat die Ansprüche F***** F***** aus dem Arbeitsverhältnis zur ***** S***** GmbH Co KG auf Grund des IESG zur Gänze abgedeckt. Gestützt auf § 11 Abs 1 IESG begehrt sie vom beklagten Masseverwalter die Zahlung der vollen an den Arbeitnehmer für die Zeit ab 22.6.1990 (Tag der Ausgleichseröffnung) geleisteten Beträge. Es handle sich um Masseforderungen, die voll zu befriedigen seien.

Die beklagte Partei begehrt die Abweisung der Klage. F***** F***** sei grundlos ausgetreten, habe durch seinen Austritt rechtsmißbräuchlich die Möglichkeit einer begünstigten Kündigung gemäß § 20 c Abs 2 AO unterlaufen und dadurch die wirtschaftliche Situation des insolventen Unternehmens verschlechtert.

Beide Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

Die gegen die bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene, eine Abänderung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens anstrebende Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die maßgebliche Frage des Austrittsrechtes des Arbeitnehmers während eines über einen Antrag gemäß § 20 lit c Abs 2 AO anhängigen Verfahrens vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (§ 502 Abs 1 ZPO).

Die Begründung des Berufungsgerichtes hiezu ist richtig, so daß auf diese Ausführungen verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Gemäß § 23 Abs 1 Z 3 lit a AO handelt es sich bei den Lohnforderungen der Arbeitnehmer für die Zeit ab Ausgleichseröffnung (abgesehen von den hier nicht anzuwendenden Sondervorschriften dieser Norm) um bevorrechtete Forderungen, die grundsätzlich ungeachtet der Ausgleichseröffnung voll zu befriedigen sind. Hier stand dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Austrittserklärung jedenfalls die bevorrechtete Lohnforderung für die Zeit vom 22.6.1990 bis 30.6.1990 zu, die trotz Nachfristsetzung nicht beglichen wurde. Der Austritt erfolgte daher zu Recht, zumal dem Arbeitnehmer auch nach der Ausgleichseröffnung die allgemeinen Lösungsrechte weiter zustanden (Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz 501). Die Ausgleichsschuldnerin hätte es in der Hand gehabt, den Austritt ihres Arbeitnehmers durch fristgerechte Zahlung der bevorrechteten Lohnansprüche zu verhindern; zur Begleichung dieser Ansprüche war sie in diesem Zeitpunkt nach dem Gesetz verpflichtet. Daß im Fall des Ausspruches einer Kündigung gemäß § 20 c Abs 2 AO die Forderung des Arbeitnehmers ihre Stellung als bevorrechtete Forderung verloren hätte, rechtfertigte im Zeitpunkt der Austrittserklärung nicht die Vorenthaltung des fälligen Entgeltes. Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich um eine bevorrechtete Forderung, die fristgerecht und voll zu befriedigen war. Dafür, daß das allgemeine Austrittsrecht des Arbeitnehmers im Fall einer Antragstellung gemäß § 20 c Abs 2 AO für die Zeit des über diesen Antrag anhängigen Verfahrens in irgend einer Weise beschränkt wäre, fehlt jede Grundlage.

Da die Lösung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine begünstigte Kündigung gemäß § 20 c Abs 2 AO erfolgte, kommen die Ausnahmebestimmungen des § 23 Abs 1 Z 3 lit a AO nicht zur Anwendung, zumal nicht strittig ist, daß die anderen Fälle dieser Norm, die einer Qualifikation der Forderung als bevorrechtete Forderung entgegenstehen könnten, nicht vorliegen. Bei der Forderung des Arbeitnehmers handelt es sich daher um eine bevorrechtete Forderung nach dieser Norm und dementsprechend um eine Masseforderung gemäß § 46 Abs 2 Z 1 KO.

Auch soweit der Revisionwerber verfassungsrechtliche Bedenken gegen die anzuwendenden gesetzlichen Regelungen geltend macht, ist ihm nicht zu folgen. Der Gesetzgeber hat die Qualifikation der in § 23 Abs 1 Z 3 lit a AO genannten, grundsätzlich bevorrechteten Forderungen als Ausgleichsforderungen davon abhängig gemacht, daß die Lösung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung auf Grund einer gerichtlichen Ermächtigung gemäß § 20 c Abs 2 AO erfolgt. Die Regelung ist auf Fälle beschränkt, für die die Ausgleichsordnung Sonderbestimmungen für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorsieht. Daß es bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise wünschenswert erscheinen könnte, diese Sonderregelungen auch auf Fälle auszudehnen, in denen das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen beendet wird, die sich allein aus dem Arbeitsvertrag ergeben und nicht im Zusammenhang mit der Ausgleichseröffnung stehen, macht die Regelung noch nicht gleichheitswidrig. Der Obersten Gerichtshof vermag daher die verfassungsrechtlichen Bedenken des Revisionswerbers nicht zu teilen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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