JudikaturJustiz9Ob80/16d

9Ob80/16d – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. November 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Neumayer, Walter Haslinger, Rechtsanwältepartnerschaft in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M*****, und 2. S*****, wegen Feststellung (33.000 EUR) sowie Einwilligung (66.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 14. Oktober 2016, GZ 7 R 154/16a 10, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Melk vom 16. September 2016, GZ 20 C 462/16b 6, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist eingeantworteter Erbe nach seiner am 23. 1. 2015 verstorbenen Mutter. Mit der beim Bezirksgericht St. Pölten eingebrachten Klage begehrt er die Feststellung, dass ein zwischen seiner Mutter und den Beklagten abgeschlossener Kaufvertrag über eine Liegenschaft unwirksam ist, sowie die Einwilligung der Beklagten zur Einverleibung des Eigentumsrechts des Klägers.

Zugleich mit der Klage lehnte der Kläger sämtliche Richter des Bezirksgerichts St. Pölten ab und beantragte die Vorlage der Rechtssache an das Landesgericht St. Pölten zur Delegation nach § 30 JN.

Nach Feststellung der Befangenheit sämtlicher Richter des Bezirksgerichts St. Pölten delegierte das Landesgericht St. Pölten die Rechtssache zur weiteren Führung des Verfahrens an das Bezirksgericht Melk.

Mit Beschluss vom 16. 9. 2016 wies das Bezirksgericht Melk die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück und den gleichzeitig mit der Klage eingebrachten Antrag auf Streitanmerkung ab. Der Wert des Streitgegenstands liege über der Wertzuständigkeit des Bezirksgerichts. Da auch keine Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichts nach § 49 Abs 2 Z 3 JN bestehe, sei das Bezirksgericht sachlich unzuständig.

Dem gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs des Klägers gab das Rekursgericht nicht Folge. Bisher habe die Zuständigkeit weder von den als befangen abgelehnten Richtern, noch von dem zur Entscheidung über die Befangenheit berufenen Gerichtshof geprüft werden können. Auch die Delegation sei nur an ein Gericht gleicher Gattung möglich gewesen. Die Delegation führe aber nur zu einer Änderung der örtlichen Zuständigkeit und könne eine allfällige Überprüfung der sachlichen Zuständigkeit nicht abschneiden.

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, da oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein gemäß § 30 JN für zuständig erklärtes Gericht noch seine sachliche Unzuständigkeit wahrnehmen dürfe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach § 30 JN hat, wenn ein Gericht aus einem der im § 19 JN vorgesehenen Gründe an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert ist, das im Instanzenzuge übergeordnete Gericht ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen.

In den vom k.k. Justizministerium 1897 herausgegebenen „Materialien zu den neuen österreichischen Civilproceßgesetzen“ wird darauf verwiesen, dass den Parteien auch dem neuen Gericht gegenüber das „Recht der Ablehnung“ innerhalb der gesetzlichen Grenze gewahrt bleibt, sodass der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs gegen die Entscheidung über die Delegierungsfrage keinen meritorischen Nachteil in sich birgt (51).

Pollak (System des Österreichischen Zivilprozessrechts mit Einschluss des Exekutionsrechts [1932], 344) geht davon aus, dass das delegierte Gericht zuständig wird, wenn es das erstgenannte Gericht war. Daher könne wider das delegierte Gericht eine Einrede der örtlichen Zuständigkeit nur auf die örtliche Unzuständigkeit des erstgenannten Gerichts gestützt werden. Wider das delegierte Gericht könne aber die Einrede wegen seiner sachlichen Unzuständigkeit erhoben werden.

Mayr geht in JBl 1983, 293 [294] zusammengefasst davon aus, dass man entweder auf dem strengen Standpunkt steht, dass jede Entscheidung eines ausgeschlossenen oder befangenen Gerichts nichtig sei, dann habe das angerufene Gericht keine Möglichkeit, seine Unzuständigkeit wahrzunehmen. Dies hätte zur Folge, dass dann das delegierte Gericht auf Einrede oder von Amts wegen die Unzuständigkeit des ursprünglich angerufenen Gerichts aussprechen müsste. Eine solche unsystematische nachträgliche Wahrnehmung der Unzuständigkeit müsste zugelassen werden, weil andernfalls jede Prüfung der Zuständigkeit ausgeschlossen und es sogar möglich wäre, den Beklagten vor ein an sich unzuständiges Gericht zu zwingen, obwohl das eigentlich zuständige Gericht sehr wohl in der Lage wäre, die Gerichtsbarkeit auszuüben. Andererseits könne man die Ansicht vertreten, dass die Unzuständigkeit vor der Ausgeschlossenheit oder Befangenheit zu beachten sei, dann habe das angerufene Gericht die Klage zurückzuweisen. Unter diesen Voraussetzungen sei ein Ausschluss einer Unzuständigkeitseinrede bzw der amtswegigen Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach erfolgter Delegation berechtigt. Dies stehe mit dem Wesen der Delegation als obergerichtliche Zuständigkeitsbestimmung besser in Einklang und decke sich mit der erklärten Absicht des Gesetzgebers, Zuständigkeitsstreitigkeiten insbesondere in einem späteren Verfahrensstadium möglichst zu vermeiden. Außerdem sei zu bedenken, dass mit der Weigerung des Gerichts, sich wegen mangelnder Zuständigkeit mit einer Rechtssache zu befassen, im Ergebnis gerade das erreicht werde, was auch die Vorschriften über die Ablehnung von Richtern (§§ 19 ff JN) bezwecken.

Schneider in Fasching/Konecny ³, § 30 JN Rz 4 f weist darauf hin, dass ein Verfahren, das von abgelehnten Richtern geführt wird, nichtig sei. Diese Wertung müsse auch bei der Beurteilung einfließen, wie ein unzuständiges ausgeschlossenes Gericht vorzugehen habe. Eine Berufung auf die Prozessökonomie könne über die „Höherrangigkeit“ der Nichtigkeit nicht hinwegsehen. Dem Gericht, an das delegiert wurde, komme keine Kompetenz zur Zuständigkeitsprüfung des ersten Gerichts zu. Durch die Delegation werde vielmehr die Zuständigkeit rechtmäßig begründet. Damit greife § 29 JN, sodass die Zuständigkeit des Gerichts, an das delegiert wurde, bei nachträglicher Änderung der Umstände bestehen bleibe.

Schneider ist insoweit zuzustimmen, als § 25 JN zwar vorsieht, dass ein abgelehnter Richter bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsantrags alle Handlungen vorzunehmen hat, die keinen Aufschub gestatten. Wird der Ablehnung stattgegeben, so sind die vom Richter vorgenommen Prozesshandlungen aber nichtig und erforderlichenfalls aufzuheben. Weder ist die Wahrnehmung der Unzuständigkeit als eine Handlung anzusehen, die so dringend ist, dass die Entscheidung nicht abgewartet werden kann (vgl Ballon in Fasching/Konecny ³, § 25 JN Rz 1), noch kann mit prozessökonomischen Erwägungen gerechtfertigt werden, dass ein von der Entscheidung möglicherweise ausgeschlossenes Organ eine für den weiteren Fortgang des Verfahrens wesentliche und im Fall der tatsächlichen Ausgeschlossenheit oder Befangenheit sogar nichtige Entscheidung trifft.

Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass die sachliche Unzuständigkeit bereits des ursprünglich angerufenen Gerichts überhaupt nicht wahrgenommen werden kann. Da weder das angerufene noch das zur Entscheidung über die Delegation berufene Gericht die Zuständigkeit prüfen kann und das Gesetz vorsieht, dass die Rechtssache nur an ein anderes Gericht gleicher Gattung übertragen werden kann, hätte dies sonst zur Folge, dass die sachliche Unzuständigkeit weder vom Gericht noch gegebenenfalls über Einwand des Beklagten wahrgenommen werden könnte. Das kann aber auch nicht mit dem Argument, dass der Gesetzgeber Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden wollte, gerechtfertigt werden. Erfolgte daher die notwendige Delegation zu einem Zeitpunkt, zu dem die sachliche Unzuständigkeit vom ursprünglich angerufenen Gericht noch wahrgenommen hätte werden können, ist auch das delegierte Gericht zu einer solchen Entscheidung berechtigt.

Das Bezirksgericht Melk war daher als delegiertes Gericht berechtigt, seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen. Dass diese Entscheidung inhaltlich unrichtig ist, behauptet auch der Kläger nicht.

Soweit der Kläger bemängelt, dass das Rekursgericht über seinen mit dem Rekurs (in eventu) gestellten Überweisungsantrag nicht entschieden hat, übersieht er, dass über den Überweisungsantrag das Gericht, das seine Unzuständigkeit ausgesprochen hat, im konkreten Fall das Bezirksgericht Melk, nach rechtskräftiger Klärung der sachlichen Unzuständigkeit zu entscheiden hat (§ 230a ZPO). Dies gilt auch für den Fall, in dem der Überweisungsantrag (als Eventualbegehren) mit einem Rechtsmittel verbunden wird ( Mayr in Fasching/Konecny ², § 230a Rz 8).

Dem Revisionsrekurs des Klägers war daher insgesamt nicht Folge zu geben.